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Auf einer zerbrochenen Hängebrücke

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Textdaten
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Titel: Auf einer zerbrochenen Hängebrücke
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 553, 556–557
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Auf einer zerbrochenen Hängebrücke.

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Auf einer zerbrochenen Hängebrücke.
(Mit Abbildung.)

Nirgends in der Welt gibt es so viele und so schauerliche Reise-Abenteuer, d. h. Unfälle auf der Reise, als in den Vereinigten Staaten und den englischen Colonien in Amerika, weil man nirgends so leichtsinnig baut und so leichtsinnig fährt, als dort. Bauschwierigkeiten erkennt man nicht an und die Hauptsache bei allen Bauten dort ist „schnell fertig“, wie bei allen Fahrten der Postwagen, der Eisenbahnzüge und der Dampfschiffe, „nur vorwärts!“ Das Leben der Menschen, die bei einer Fahrt etwa verunglücken, hat in jenen jugendlichen Ländern wenig Werth, wie das Holz billig ist, von dem man einen Bau, der zusammenbrach, rasch wieder aufführt. Das Volk in jenen Gegenden befindet sich in einem fortwährenden Wettrennen, um „vorwärts zu kommen“, in dem eigentlichen, wie in dem bildlichen Sinne dieses Ausdruckes. Niemand kümmert sich viel um die, welche bei dem allgemeinen Treiben und Drängen fallen; unaufhaltsam geht es über die Leichen hinweg, die man kaum zu zählen sich die Mühe nimmt; die Zeitungen melden wohl solche Unfälle, aber man vergißt sie sofort und Niemand läßt sich dieselben zur Warnung dienen.

Auf unserem Bilde sieht man die Hängebrücke, die man einige Meilen oberhalb der Stadt St. John in der englischen Colonie Neu-Braunschweig über den sehr breiten und wilden St. John-Fluß mit echt amerikanischer Kühnheit gebaut hat. Der Fluß zwängt dort seine ungeheuere Wassermasse mit Ungestüm zwischen zerrissenen Felsenufern hindurch. Er gewährt einen großartigen Anblick, aber schwerlich hätte man in Europa jemals daran gedacht, an dieser Stelle über den Fluß, wo seine Ufer mehrere hundert Fuß hoch sind, eine Brücke zu bauen. Man hat eine leichte Hängebrücke darüber gespannt und derselben nicht etwa einen Stützpunkt in der Mitte gegeben. Sie zieht sich vielmehr ununterbrochen in schwindeliger Höhe von einem Ufer zum andern. Kein Wunder ist’s, daß sie immer schwankte, ein Wunder aber wohl, daß sie einen lebhaften Verkehr getragen hatte, bis ein Sturm ihr ein Ende machte.

Am 24. März d. J. wüthete fast in ganz Neu-Braunschweig ein furchtbarer Orkan. Trotz dieses Sturmes mußte der Postwagen von Frederiktown, der Hauptstadt, abgehen. Der Abend kam heran, ehe er sein Ziel erreichte, und die Finsterniß war fast greifbar geworden, ehe der Wagen jene Hängebrücke erreichte, über die er zu fahren hatte. Der Himmel war mit schweren Wolken überzogen, aus denen bisweilen Blitze zuckten. Der Postillon fuhr keck auf die Brücke, obgleich er kaum die Pferde vor dem Wagen sehen konnte, ja er handhabte sogar eifrig die Peitsche. Noch war er nicht bis zur Mitte des schwankenden Baues gekommen, als seine Pferde plötzlich still standen. Er brauchte die Peitsche noch gewaltiger, als vorher, aber vergebens; die Pferde weigerten sich, weiter zu gehen, wurden überdies sehr unruhig und versuchten zu bäumen und zur Seite zu prallen.

Nachdem der Postillon vergebens geflucht hatte, entschloß er sich abzusteigen und nachzusehen, ob ein und welches Hinderniß in dem Wege liege, oder ob irgend etwas an dem Geschirr in Unordnung gerathen sei. Die Reisenden im Wagen, die das Ziel ihrer Fahrt so bald als möglich zu erreichen wünschten, durch den Sturm, den [557] sie ertragen, nicht in die beste Laune versetzt worden waren, und den neuen Aufenthalt deshalb mit Mißmuth sahen, steckten die Köpfe heraus, fragten ungeduldig, was es gebe, oder schimpften. Der Postillon wußte es selbst nicht. Das Geschirr war, so weit er fühlen konnte, in Ordnung; dicht vor den Füßen der scheuenden Pferde lag nichts Hinderndes. Weiter freilich konnte er nicht sehen. Er ließ sogar die Hand vom Zügel, und trat einige Schritte vor, konnte aber auch da nichts bemerken, was ihm erklärte, warum die Pferde nicht weiter gehen wollten. Er kehrte also wieder um, faßte den Zügel von Neuem und wollte versuchen, ob er seine Pferde weiter führen könnte. Da zerriß ein Blitz die schwarzen Wolken und beleuchtete die Scene. Der Kutscher entsetzte sich, denn er stand mit den Pferden nur wenige Ellen von einem Abgrunde auf der zerbrochenen Brücke über dem tief unten tosenden Flusse, in den die Pferde, wenn sie einige Schritte weiter gegangen wären, mit dem Wagen und den Reisenden hätten stürzen müssen.

Der Sturm hatte so gewaltig an der Brücke gezerrt, daß sie endlich zerrissen war. Ein zweihundert Fuß langes Stück derselben, in der Mitte, war abgebrochen und hinuntergestürzt in den Fluß.

Wir brauchen nicht zu schildern, mit wie raschen Worten er den ungeduldig fragenden Reisenden erzählte, was das Weiterfahren hindere, wie vorsichtig er seinen Wagen von den Pferden zurückschieben ließ, um wieder auf festen Boden zu kommen, und wie gern die Reisenden, die in so wunderbarer Weise dem Tode entgangen, zur nächsten Station zurückkehrten.

Die Brücke aber ist seitdem längst wieder ausgebessert worden; sie spannt sich leicht und schaukelnd von Neuem über den Strom, und der Verkehr geht wie sonst lebhaft darüber hin.