Auf der weiten Welt allein
[52] Auf der weiten Welt allein. (Zu dem Bilde S. 37.) Wie mag ihm weh ums Herz sein, dem einsamen Menschenkinde, das da am Wegrande sitzt auf schmaler beschneiter Planke und den Blick sehnsuchtverloren auf der schneebedeckten Erde ruhen läßt, während seine Hand – ist’s, um das Mitleid eines Nahenden zu erwecken oder zum eigenen Troste? – mechanisch an der Kurbel des eigenartigen Musikinstrumentes dreht und ihm seltsam melancholische Töne entlockt! Und tiefes Mitgefühl ergreift auch den Beschauer beim Anblick des bedauernswerthen Geschöpfes, das ein hartes Schicksal hinausstieß auf die winterliche Straße, dort ein kärglich Brot sich zu erwerben – allein auf der weiten Welt.
Es ist eine Savoyardin, die das Bild des Malers Professor G. Induno
uns vorführt. Ihre Heimath ist jenes großartige Bergland um den
Riesen Montblanc her, das wohl dem fernher kommenden Besucher unendliche
Reize enthüllt, aber seinen Bewohnern doch nur kümmerlichen
Unterhalt gewährt. Und so ziehen sie denn, die Knaben und wohl auch
die Mädchen, wenn der Winter kommt, hinaus in die beglückteren
Länderstriche, um sich mit allerlei Hantierung der bescheidensten Art
das Brot zu verdienen, das die Heimath ihnen versagt. Oft ist dann
ein eigenthümliches Saiteninstrument der treue Gefährte auf der Wanderschaft,
die „Gironda“, die mit ihren schlichten dünnen Tönen die Herzen
der Mitmenschen zu mildthätigem Wohlthun rührt und dem armen Spieler
oder der doppelt verlassenen Spielerin manch Scherflein werkthätiger
Menschenliebe zuführt. So ist auch das Mädchen auf unserem Bilde
gezogen von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, rastlos, ruhelos. Der Wintersturm drang ihm durch die ärmliche Kleidung, wühlte ihm in den Strähnen des schwarzen Haares und fuhr ihm eisig um das liebliche Antlitz; aber es durfte nicht müde werden – eine kurze Rast am Wege und dann weiter, hinein in die weite Welt – allein! =