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Auch ein Zopfabschneider

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Textdaten
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Autor: J. Sch-r
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Titel: Auch ein Zopfabschneider
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 253-259
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[253]
Auch ein Zopfabschneider.
Keine erfundene Geschichte.

„Der Mensch denkt’s und der Neureiterstephl lenkt’s!“ so pflegten die Dirnen des Grünsteiner Gaues zu sagen; denn der Stephl war weitum der flotteste Bub’, brav und reich, sauber und flink. Der schöne große Hof am Roßanger war das Erbe, das ihm nicht entgehen konnte, weil er der einzige Sohn des alten Neureiter war. Aller Wald am Berg’ hinauf gleich hinter der großen Hauswiese, wohl 200 Joch, und was für Holz! – Leut’, sag’ ich Euch, ein schöneres steht nirgends mehr –, und eine Hochalm und eine Niederalm für 60 Kühe und 40 Geisen, und acht Rosse, und dazu noch aller Boden auf eine Stund’ herum, am Berg’ und im Thal, – es könnt’ ein frischer Bub’ sich müd’ laufen und er lief noch immer auf Neureitergrund, – das Alles erbte einmal der Stephl. Nun kann’s Niemand mehr wundern, daß der Stephl viel galt bei den Dirnen und daß sie sich um ihn rissen, wenn auf der Tenne des Gasthofs „zum lieben Lamm“ von Hagmair, wie der Wirth hieß, die Schwöglpfeife, die Trompete und Geige ertönten und die beflügelten Bergschuhe der frischen Gebirgssöhne in kernigem Taktsprung den dieligen Tanzboden bearbeiteten, daß das ganze Haus bebte.

So flott, wie der Neureiterstephl, zog kein Anderer auf, denn sein Wuchs war eichenmäßig, und blühende Gesundheit saß ihm auf den Wangen und leuchtete ihm aus den blauen Augen. Man hielt ihn für einen Vierundzwanziger und doch streifte er schon an’s Dreißigste. Sein Kamisol von dunkelgrünem Tuch strotzte von Halbkronenknöpfen, der spitze Hut mit den schweren Goldtroddeln und dem üppigen Strauß von brennender Lieb’ oder Almrauschblüthe und dem reichen Federschmucke saß ihm immer keck auf dem viellockigen Blondkopfe. Ein mächtiger blonder Schnauzbart ließ einen Zaun von blendendweißen Zähnen durchblicken. Sein Leibstück[1] von grünem Seidenstoffe war mit Frauenzwanzigern besetzt, an den kurzen ausgenähten gemsledernen Hosen hing ein schweres Uhrgehäng’ mit Geiergewaff’ und Hirschkrönln, ein silbernes Tischbesteck stak in der Tasche und in den grünen Zwickelstrümpfen ein kernfestes Wadenpaar. Den kleinen Finger der Rechten zierte ein schwerer silberner „Fotzring“.[2] Seine Erscheinung zeigte den Sprossen eines urkräftigen Stammes. Dazu sang er wie eine Drossel, und im Juchheruf übertraf den Stephl kein Anderer.

Jetzt begreifst Du, daß er die Seele jeder Tanzbelustigung war, daß die Dirnen mit Eifersucht auf ihn schauten und daß er auch seinen Cameraden Gegenstand der Bewunderung oder des Neides wurde. Oefter, als jeder Andere, bestellte er eine Schaar,[3] und die Spielleute entsprachen seinen Wünschen gern, denn er war kein Knauser und er sparte die Thaler nicht; zum Tanze, den Stephl bestellte, wurde sogleich aufgespielt und wären drei andere vor ihm von Anderen bestellt gewesen.

„Der Mensch denkt’s und der Stephl lenkt’s!“ hieß es also mit Recht.

Sein alter Vater hatte die größte Freud’ am frischen Buben und wehrte ihm nicht, wenn er bei solchen Anlässen ’was Richtiges aufgehen ließ, sondern war stolz auf seinen Stephl und auf sein Geld. Seine Mutter lag seit fünf Jahren im Grabe; er war auch ihr Liebling gewesen.

Heute saß der alte Neureiter daheim hinter’m eichenen Tisch, rauchte seinen Knaster und sann hin und her, wie er noch das und jenes richten werde, ehe er in den Austrag gehe,[4] damit der Stephl nicht einmal sagen könne: „Mein Vater hätt’ das auch besser machen können.“

Erst jüngst war vom fürstlichen Forstamt ein Schreiben an ihn gelangt, welches unter Androhung dreifacher Strafe den Weidetrieb von des Neureiter’s Hochalm in einige fürstliche Waldtheile verbot. Nun verhielt es sich mit jenem Weidetriebe also. Seit Menschengedenken hatte man in jedem Sommer das Almvieh in den jetzt untersagten Forsttheil getrieben, wo eine prächtige Weide war, und nie hatte man einen Schaden für das Holz bemerkt und Jung- und Altholz befanden sich fürtrefflich. Auch war die Holzabfuhr ungemein schwer und sogar sogenannte Holzrutschen konnte man schwer anbringen und erhalten; selbst in schneereichen Wintern war der Schlitten hier nicht anwendbar, weil die Ueberbrückungen von den vielen Schnee- und Sandlanen[5] und Gießbächen alljährlich vernichtet wurden. Hunderte von Tannen und Fichten, mächtiges Schnittholz, welche der Sturm entwurzelt, konnten deshalb nicht weggeführt werden und mußten verfaulen. Die Holzabfuhr erschien, um es kurz zu sagen, als nicht lohnend, ja fast unmöglich.

Trotzdem hatte schon im vorigen Sommer der Neureiter das nämliche Verbot, wie heuer, empfangen, er war ihm aber, auf sein verjährtes Recht sich stützend, nicht nachgekommen und für jedes auf der verbotenen Weide betroffenes Stück Rind oder Geis um einen Reichsthaler gepfändet worden, that in Summa zwanzig Reichsthaler, – für den alten Neureiter eine Kleinigkeit, aber er mochte sie nicht zahlen und hatte sie bis heute nicht gezahlt.

„Sie sollen sich ’s Geld bei mir selber holen,“ sprach er, „das Sünden- und Blutgeld!“

[254] Das aber war bis heute nicht geschehen, und die Leute meinten, man wisse schon, warum.

Vor etlichen Tagen waren des Neureiters Dirnen zu Berg gefahren[6] und der Alte hatte ihnen und dem Stotzen[7] dringend an’s Herz gelegt, auch heuer fleißig überall hinzuhüten, wohin es sonst und eh’ geschehen. Er sah wohl ein, daß es über kurz zu einem gewaltsamen Streite mit den Jägern kommen werde, in welchem er aber nicht nachzugeben dachte, möge es gehen, wie es wolle. Nie hatte er seine Pflicht als Unterthan verletzt, nie Jemandem das Mindeste weggestritten; aber um sein eigen Recht zu schützen, setzte er lieber den ganzen Hof daran.

„Gibt’s für uns gemeine Leut’ kein Recht mehr,“ sprach er öfter, „dann helfen wir uns selbst! Sollen’s probiren, mich um die Straf’ zu pfänden, dann geht kein Jägerknecht mehr über meinen Grund und Boden mit gesunden Füßen, so wahr ich der Neureiter bin!“

So was schien ihm auch jetzt durch den Sinn zu gehen, denn er murmelte unwillig vor sich hin. Dann stieg er die Leiter hinan, die von der Stube in die ober ihr befindliche Kammer führte, hob an der Decke die Klappthüre empor, lehnte sie um, und bald kam er mit einer weitbauchigen, buntbemalten Flasche und einem Stück Geselchten wieder herab, nahm den vorigen Platz ein und schenkte vom wasserhellen Getränk in ein kleines Gläschen, das er auf einen Zug leerte, und dann trank er noch eins und wieder eins, und sein verwittertes Gesicht verzog er, als ob ihn was bisse.

Das war zwanzigjähriges Kirschwasser, das nur sehr selten auf den Tisch kam, nur dann nämlich, wenn er viel Freude oder viel Zorn hatte, um sich gut Gemüth zu machen. So lange sein Eheweib am Leben gewesen, saß sie bei solchen Anlässen bei ihm im Kriegsrathe; aber nie hatte sie ihre Stelle mißbraucht und nach manchem „ich hätte halt gemeint, so könnt’ es“ – oder „wie wär’s denn“ – „wär’s nit möglich“ u. s. w. sich allemal in des Mannes Willen ergeben, indem sie zu sagen pflegte: „Du bist ein Mannets[8] und verstehst also Alles besser!“ Die alte Burgei[9] war ein Weib nach den Worten der Schrift, sie war dem Manne unterthan.

„Wenn die Burgl das wüßt’,“ murmelte er, „sie würde sich im Grab’ umkehren!“

Er war mit seinem Unmuthe allein im Hause, denn der Stephl und das ganze Gesind’ waren Gehnacht[10] gegangen, bis auf die Senndirnen; die Einsamkeit, die er sonst liebte, schien ihn heut’ zu drücken, und schon dachte er, ob er nicht zu einem Nachbar Heimgarten[11] gehen solle, da klopft’ es am Fenster, und als der Neureiter aufblickte, stund in der anbrechenden Dämmerung der Jäger Franz draußen, welcher den Bauer aufforderte, die Thüre zu öffnen, da er ihm was zu sagen habe. In der Brust des Angeredeten erhob sich beim Anblick des verhaßten Jägers aller Groll, den der neue forstämtliche Auftrag in ihm erregt hatte, und deshalb rief er, ohne das Fenster zu öffnen oder sich nur vom Sitz’ zu erheben:

„Geh’ zu, Franzl, unsere Freundschaft ist nit so groß, daß ich Deinen Blitzkopf gern’ säh’. Bei Euch sind die Großen, wie die Kleinen, die Herren, wie die Knecht’, ’s Leut’ drücken ist Eure größte Kunst. Drum, Franzl, geh’ mir aus’m G’sicht, so lang’ ’s gut ist; und bin ich Dir für einen Rath gut genug, so laß Du ’s Pfänden auf meiner Alm bleiben. Oder thu’, was D’ magst, das Andere thu’ dann schon ich selb.“

Ueber diese Rede lachte der Jägerbursche laut auf, und dann sagte er spöttisch: „Neureiter, ich hab’ Dir einen Braten von Deiner Geis mitgebracht, die ich erschossen hab’; laß Dir’s gut schmecken, ich denk’, Du kriegst schon noch öfter so’n Braten von mir!“

Unter diesen Worten fuhr der Jäger mit dem braunen Schwänzlein einer Ziege am Fenster hin und her, als ob er’s fegen wollte, und dann eilte er davon, was er nur konnte.

Der Neureiter aber ward plötzlich elastisch, er sprang vom Tische auf, schlug mit der Faust auf denselben und im Nu rannte er aus dem Hause. Der Jäger hatte es vorgezogen, das Weite zu suchen, was auch sein Glück war. Denn die Erbitterung des Alten hätte für ihn schlimme Folgen gehabt; was Franz vom Geis-Erschießen erzählt hatte, kam ihm gar nicht unglaublich vor. Das braune Schwänzlein hatte Franz in der Eile auf dem Fenstersimse liegen gelassen. Der Alte tobte vor Wuth; es war ihm mehr der Frevel und Uebermuth des Jägers zu Gemüth gegangen, als der Verlust der Ziege selbst. In seiner Aufregung aber mochte er sich vor keinem Menschen sehen lassen, darum ging er in die Stube zurück und trank ein Gläschen Kirschwasser nach dem andern so lange, bis er in einen den Sturm beschwichtigenden Dusel verfiel.

Im Wirthshause „zum lieben Lamm“ ging’s diesen Abend ungemein lebhaft zu. Seit dem Fasching hatten die Grünsteiner keine Tanzmusik mehr gehabt; heut’ wollten sie das Versäumte hereinbringen. Schon am hellen Mittag sah man tanzlustige Schaaren aus allen Winkeln, aus allen Thälern und von allen Höhen Grünstein zuströmen. Die Durstigsten und Muthwilligsten der Burschen hatten sich schon Morgens eingefunden, um beim kräftigen Klange der Dorfmusik Lieder und Schnaderhüpfle zu singen und recht lustiger Dinge zu sein.

Nach dem mittäglichen Gebetläuten wurde der starkgedielte Tanzboden eröffnet, und sobald die Töne durch die Lücken der breternen Salonwände zu quieken begannen, trippelten auch die ersten Dirnen an die Stätte der ersehnten Freude. Allmählich füllten sich die schwülen, staubigen Räume, und bald kreisten die Paare im bunten Wirbel durcheinander.

Neureiter’s Stephl hatte gegen sechs Uhr Abends den väterlichen Hof verlassen. Heute schien er noch schöner aufgeputzt, als sonst, und manche Dirne, an der er vorbeischritt, ward unwillkürlich roth, wenn er sie grüßte, und das that er immer.

Heute hoffte er, Kuni[12] zu treffen, die Schwester des Jagdgehülfen Franz. Seit einem halben Jahre war sie aus ihrer Heimath, einer fernen Gebirgsgegend, gekommen und in des Försters Dienst getreten. Die Kuni, ja, war freilich ein Wundermädl, wie in der Gegend kein anderes war. Gewachsen, wie ein Lärchbaum, groß und schlank, blond, blauäugig, voll Frische, Humor und Verstand; ihre reichen Haarzöpfe konnte Keine so flott um die Stirn winden, und die Tracht der Gegend mit dem spitzen Hütlein und Schnürmieder stund ihr wunderlieb an. Sie zählte 22 Sommer. Wäre Kuni nicht in des Försters Haus und nicht des Jägers Franz Schwester gewesen, so hätt’ sie den Stephl noch verrückter gemacht; aber im Grund’ war die Kundl[13] doch gar zu liebesam, als daß er sie hätte fahren lassen sollen. Konnte sie denn dafür, daß der Franz ihr Bruder war, und war sie denn an den Försterdienst angehängt? Gewiß durfte er, meinte der Bub’, nur eine Sylbe fallen lassen, und sie verließ das Försterhaus sogleich; andererseits aber schmeichelte es seiner Eitelkeit, daß die Kuni nicht im Dienste von gemeinen Leuten, sondern in Herrendienst stund. Der Förster selbst und seine Knechte, wie man die Gehülfen schlechtweg nannte, waren dem Stephl, wie den meisten Bauern, herzlich zuwider und der Franz schon gar sehr, wir wissen’s schon, wegen der noch nicht bezahlten Weidestraf’; denn der Franz hatte das Vieh auf der Alm gepfändet. Wilderer war Stephl keiner, er hatte also keinen Jäger zu scheuen, trat ihnen keck und mit gutem Gewissen unter die Augen und, wie er keinen fürchtete, so ästimirte er auch keinen und nannte sie nur die grünen Hungerleider.

Die Kuni wollt’ er heut’ treffen; sie hatt’ es ihm am vorigen Sonntag, wo er hinter dem Friedhofe mit ihr geredet hatte, versprochen, daß sie bis um sieben Uhr Abends zum lieben Lamm käme. Denn der Stephl ging nicht zu ihr in des Försters Haus. Schon war’s bald acht Uhr, die Schatten stiegen zu Berg; Stephl hatte das Wirthshaus und den Garten hinter demselben schon zehn Mal durchforscht, war auch im Dorf’ auf- und abgegangen bis in die Nähe des Forsthauses, aber er sah das Mädel mit keinem Sterbensblick’. Zuvor war er so fröhlich gewesen und nun wurde er von Secund’ zu Secund’ wehleidiger und es wurde ihm, als ob er weinen möcht’. Ohne die Kundl mocht’ er nicht tanzen, und die Kundl ließ ihn im Stich. Das Försterhaus ist gleich, etwa funfzig Schritt, vor dem Dorfe, und noch ein kleines Bischen weiter draußen ist ein kleiner Buchenhain. Auf einem Umwege ging der Stephl dorthin, denn von dort sah er ungesehen auf die Thüre des Hauses und konnte gleich beim Mädl sein, wenn es herauskam. Die Dämmerung gab der Nacht die schwesterliche Hand, nur einzelne Vöglein flatterten durch das dichte Laub und zwitscherten sich eine gute Nacht zu, die Sterne zogen auf die Wache, vom Hagmair her drang das Gejauchze der fröhlichen Schaar. Dem Stephl wurde aber gar übel zu Muthe.

„Was das sein muß?“ frug er sich, und wenn er sich Dutzend [255] Mal gefragt hatte, so frug er nochmals. „Gelogen hat sie nicht, denn die Kundl lügt nicht! Sie kann mir doch nicht abspenstig worden sein seit Sonntag! Hat mich so lieb angeschaut und mir die Hand gedrückt und hat gesagt: schau, Stephl, Du bist mein Leben! und ich hab’ drauf zu ihr gesagt: Kundl, und Du das meine! – Und z’ Gehnacht, hab’ ich gesagt, lassen wir uns ’s erste Mal bei der Musik sehen; da werden s’ schauen! Ist zwar dem Vater nit ganz recht, aber haben muß Dich ich, Kuni, nit der Vater! – Und darauf hat sie mir die Hand wieder drückt und hat mich g’fragt, ob’s mein Ernst ist, und ich hab’ g’sagt, ja freili! und nachher sind wir auseinander gangen, und ich hab’ mich die ganz’ Woche gefreut, und heut’ kimmt sie nit, die spaßige G’sellin!“

Es wollte sich das Gefühl verschmähter Liebe und gekränkten Stolzes in ihm regen; der Gedanke, daß er, der von allen Mädeln Gefeierte, schnöde behandelt werden könne, machte ihm das Blut ganz heiß. Mißmuthig verließ er sein Versteck und ging den Fußpfad auf dem Wiesengrunde vorwärts dem Dorfe zu. Er mußte am Forsthause vorbei. Auf einmal geht die Hausthüre auf und Stephl gab’s einen Riß durch alle Glieder. Er horchte und suchte mit seinen Falkenaugen die Dunkelheit zu durchdringen. Man flüsterte. „Ist das nicht Kuni’s Stimme? – Und mit wem schwätzt sie, während ich Stunden lang auf sie warte?“ – Vorsichtig schlich er vorwärts und kam unbemerkt bis an das Stachelbeergesträuch’, welches den Gemüsegarten des Försters umzäunte. Hier kniete er nieder mitten in einem Gebüsche von Giftlattich, welcher dort üppig wucherte und dessen Geruch ihm schier den Athem raubte. Er strengte alle Sinne an, um durch die Lücken des Laubes Alles zu sehen und zu hören. Hätte man ihn nach einer Weile gesehen, so ballte er die Fäuste krampfhaft und machte ein gar grimmiges Gesicht. Die Flüsternden waren Kuni und ihr Bruder Franz; sie saßen auf der Bank vor dem Hause, und durch Lachen sich selbst häufig unterbrechend, erzählte Franz der Schwester, er habe heute auf Neureiter’s Hochalm dem groben Bauer eine Geis’ erschossen und beim Heimgehen dem Alten das abgeschnittene Schwänzchen derselben gezeigt, worüber er schrecklich zornig geworden sei. Kuni meinte, dem reichen Bauer, der vor keinem Jäger Respect habe, schade das nicht; aber Franz möge sich vor dem Stephl, dem groben Lümmel, in Acht nehmen, denn dieser sei verwegen und hochmüthig zugleich. „Heut’, denk’ Dir’s nur,“ fuhr sie fort, „heut’ wollt’ mich der grobe Klotz zum Tanz führen; er hat am letzten Kirchentag so verliebt gethan, wie eine Turteltaube!“

„Du hast’s ihm doch nicht versprochen?“ sagte Franz.

„Das wohl, aber ich hab’ gleich im Sinn’ gehabt, nicht hinzugehen!“

„Brav, Kuni! Da wird der junge Bär brummen, wenn Du nicht kommst. So ist’s recht! Die Bauernfünfer bildeten sich am End’ noch gar ein, sie seien Unsereinem gleich und dürften unsere Schwestern zu Geliebten haben!“ – Und er gab der Kuni aus Freude einen Kuß, daß es klatschte.

Der Stephl biß bei diesem Laut die Zähne übereinander, daß sie knirschten. Zugleich erhob er sich aus dem Giftbette; er hatte genug gehört, um vernichtet zu sein. Unbemerkt wollte er sich entfernen, aber das mißlang ihm. Die Hunde des Försters hatten ihn bereits gewittert, schlugen nun heftig an und begannen, umher zu schnuppern. Stephl fing an zu laufen, denn um keinen Preis mochte er sich ertappen lassen; er schämte sich auch, gelauscht zu haben. Der Jägerbursche aber machte sich den Spaß, den schönen großen braunen Hühnerhund des Försters auf den wegeilenden Unbekannten zu hetzen und das Thier setzte ihm nach; aber nach ein paar Minuten drang ein Wehegeheul desselben durch die Nacht.

Franz rief den Hund herein, als er aber nicht kam, eilte der Bursche mit einer Laterne fort, um ihn zu suchen. Ohne Mühe fand er den schönen Kastor, mit einer klaffenden Wunde in der Brust, verendet. Franz wollte um jeden Preis den frevelhaften Thäter kennen lernen und erbittert rannte er deshalb dem Wirthshause zu, um dort Umschau zu halten. Schlau genug aber sprach er von dem geschehenen Frevel kein Wort; denn er wußte gut, daß außerdem jede Entdeckung vereitelt sei, weil die Burschen zusammenhalten, zumal gegenüber einem verhaßten Jäger. Er trat in alle Stuben und betrachtete Den und Jenen, ob er keine besondere Aufregung oder etwa auch Blutspuren an Einem bemerke. Wie zufällig frug er um den Neureiterstephl.

„Oh, der Stephl,“ rief Einer, „der sieht sich heut’ nimmer gleich, er ist ganz vertattert, weil der verliebte Loder[14] sein Dierndl nit gekriegt hat, die Kundl, Deine Schwester, und ’n Stoßring zum Schlag’n, und ’n Dierndl zum Lieben, muß jeder Bua hab’n!“ – „Trink, Jager, wo hast denn heut’ die Kundl? Hast sie doch sonst an Kirchtagen allemal bei Dir im Bierhäusl!“ – „Die Kundl wird heut’ dem Förster die Flöh’ hüten!“ rief jetzt eine kräftige Baßstimme, und eine breite Hand schlug auf des Jägers rechte Schulter, daß er sich unter dem Streiche bog. Als er sich umschaute, ließ er die zur freundlichen Erwiderung schon erhobene Faust wieder sinken, denn zornglühend und hoch in die Brust geworfen stund der Stephl leibhaftig vor ihm, ein Gegner, vor dem Jeder Respect hatte.

Während Franz so dreinschaute, unschlüssig, was er thun und sagen sollte, fiel Stephl’s Rechte auch auf die andere Schulter, und ihm den gefüllten mächtigen Zechkrug[15] vor die Nase haltend, schrie er ihm in’s Ohr: „Nur, damit Du nit einseitig wirst! Trink’, Jagerknecht!“ – Dabei lachte er hell auf und die umstehenden Buben lachten alle mit; der Franz aber mußte zum schlimmen Spiel’ ein gutes Gesicht machen und trinken. Sonst gab’s heut’ Schläge genug, das merkte der in solchen Dingen nicht unerfahrene Waidmann wohl. – „Spielleut’, Spielleut’!“ rief der Stephl, „hierher!“ – Und ohne Zaudern kamen drei Musikanten mit Trompeten und Schwöglpfeife vom Orchester, und nach einer lärmenden Einleitung begann der Neureiterstephl zu singen:

Die Gams auf’n Bergen
Und ’s G’wild umanand,
Die g’hör’n alle Menschen,
’s ist ja bekannt.

Aber ’s sell Evangeli,
Wo man lesen dös ko,
Zieh’n d’ Herrn nimmer füri,
Das wissen wir scho!

Die Jager fürwahrli
Seind prächtige Herrn,
Weil ihnen nit ’s G’wild nur, –
Die Geisen auch g’hör’n.

Und wenn sie kein Gamsbock
Können derjag’n,
So thuen sie um’s Zizzelfleisch[16]
Fleißig umfrag’n.

Ja, d’ Jager, ös Buab’n,
Seind fürnehme Leut’, –
Sie schinden uns Bauern,
Das ist ihre Freud’!

Nach jedem Gesetzl machten die Spielleute einen höllenmäßigen Tusch und jauchzten die Buben durcheinander und der Jägerfranz mußte aus dem dargereichten Kruge trinken, und dazu stieß ihn bald der Eine, bald der Andere, so daß er am ganzen Leibe von Bier triefte. Der kalte Schweiß stund ihm auf der Stirn, er wechselte oft die Farbe und zitterte vor Wuth am ganzen Körper. Und doch mußte er ruhig bleiben, nein, so arg, wie heute, war er sein Lebtag noch nicht eingegangen. Vergebens suchte er wegzukommen, sie umringten ihn immer enger, vergeblich auch spähte er nach Jemand, den er mit der Meldung von seiner Gefahr in’s Forsthaus schicken könnte.

Sonst war Stephl ein zwar lustiger, aber friedlicher Bub’; Jedermann konnte es merken, daß seiner heutigen Aufregung etwas Besonderes zu Grunde liege. Er wurde gar nicht satt, dem Franz Spottreden zu geben, und da er der Angesehenste in der Zeche war, so unterstützten ihn die Andern fleißig in dem Bemühen, den Franz zum Losplatzen zu reizen. Aber alle directen und indirecten Bemühungen, seine Geduld zu schöpfen, wollten nicht verfangen.

Wer die schlichten Gebirgsbuben für Leute geringer Fassungskraft hielte, würde bei solchen Anlässen enttäuscht werden. Sie wußten recht gut, daß Franz nur deshalb ruhig bleibe, weil er sich ohne Gefährten sah. Plötzlich nun ging die falsche Nachricht von Mund zu Mund, der Förster mit vier dasigen und benachbarten Jägern träte eben in’s Bierhaus und würde gleich da sein, auch die Kuni sei bei ihnen. Der Stephl rief: „So macht noch geschwind einen Extrafeinen auf, Spielleut’, frisch!“ Und dann sang er:

„Sag’, Jager, wie thut’s denn Dir da bei uns schmeck’n,
Wie ist Dir, Du geisiger Schütz’[17]
Hast trunk’n schon viel und noch will’s Dir nit kleck’n,
Was macht D’r denn gar so viel Hitz’? –
Die Jager auf d’ Geis’ und auf Dierndln hab’n Schneid,
Ein’m schneidigen Buab’n doch geh’n s’ aus’m Weg weit!“

Wildes Jauchzen folgte der trotzigen Herausforderung, für Franz jedoch war’s nun zu viel, denn schon lang’ hatte er mehr verschluckt, als ein gesunder Jägermazen sonst verträgt. Er hielt es auch wohl für möglich, daß der Förster mit anderen Jägern zum Hagmair gekommen sei. Das half dem sonst trotzigen Muth’ desselben wieder auf die Beine, und so schleuderte er den Zechkrug zu [256] Boden, schrie den Spielleuten ein „Ruhig!“ zu und sang mit vor Wuth bebender Stimme:

„Zwanz’g Schneider auf ein Loth,
Viel Hund’ sind Hasentod.
Ein und Zwei fürcht’ i nit,
Laßt mir ’n Fried!“

Nun erscholl es von allen Selten: „’n Jagerfranz außilupf’n!“ Die Musikanten ließen ihre Pfeifen und Trompeten schmettern, der Kreis öffnete sich wie auf einen Wink, der Neureiterstephl ergriff den Franz an Brust und Bauch mit den Worten: „jetzt gehst D’, Jagerbüberl!“, trug ihn trotz seiner heftigen Gegenwehr wie ein Kind aus dem Tanzboden zur Tennenstiege und warf ihn hinab, daß die Treppen krachten.

Der Franz raffte sich, drunten auf beschleunigte Weise angelangt, mit zerquetschtem Leibe und gelähmten Gliedern auf, und so hart es ihm auch ankam, hinkte er durch die Nacht, zähneknirschend vor Wuth, dem Forsthause zu, wo bereits lange die Lichter ausgelöscht waren. Er suchte sein Nachtlager.

Es mochte etwa um elf Uhr sein, als eine weibliche Gestalt vorsichtig die Thüre des Försterhauses öffnete, das Haus verließ und, von den Hunden freundlich angewinselt, durch den Garten in’s Freie eilte. Das war die schöne Kuni. Sie wußte nichts von dem, was dem Franz erst begegnet war; sie war bald nach der Unterredung mit demselben, welche der Stephl mit angehört hatte, in ihre Kammer gegangen, aber nicht um zu schlafen, sondern sich tanzmäßig zu kleiden und dann im Dunkeln auf die Heimkehr Franzens zu harren. Daß derselbe in’s Wirthshaus gegangen sei, vermuthete sie; aber so lange er dort war, mochte sie nach dem, was sie zu ihm über den Stephl gesagt hatte, begreiflich nicht hingehen. Als sie nun den Franz heimkommen gehört hatte und Alles wieder stille war, eilte sie dem Hagmair zu. Denn sie war gegen die Liebe Stephls nicht so gleichgültig und kalt, als der Stephl glaubte und als wir auch meinen könnten; zu Franz schimpfte sie nur deshalb über Stephl und über die Bauern, damit sie in ihrer Bekanntschaft mit Stephl von dem Bruder nicht belästigt werden möge. O, die Weibsleute sind gar schlau!

Kuni kam vor dem lieben Lamme an und traf unter der Hausthüre mehrere Buben, welche in die Nacht hinauslauschten. Sie hielten es nämlich für möglich, daß der Franz mit Verstärkung zurückkehren werde, um die erlittene Schmach zu rächen, und in diesem Falle wollten sie den Strauß mit den Jägern sogleich im Dunkeln und im Freien ausmachen. Der Franz aber dehnte die zerworfenen Glieder im Federbett und nur seine Schwester führte ihr Unstern des Wegs. Der Stephl befand sich selbst unter den Horchern, und so traf die Kundl ihn früher, als sie gehofft hatte. Der Bub’ war noch ganz wild von der Aufregung der vorigen Stunde. Als aber jetzt Kuni, auf die er auch fuchswild war, in aller ihrer Holdseligkeit, die ihr Wesen zierte, auf einmal wie aus den Wolken gefallen vor ihm stund, zerfloß ihm schier das ganze Herz in Schmerz und Wonne, und er kämpfte einen harten Kampf der Liebe mit der Rache. Er nahm sich aber fest zusammen und ließ sie hart an:

„Warum bist bei Tag nit kummen, hoffärtige Dirn Du? Hast etwan Dich geschämt, Dich mit dem Bauerlümmel und groben Klotz beim ehrlichen Sonnenlicht schauen zu lassen, Du – –“, er stockte einen Augenblick, aber er vergegenwärtigte sich die schwere Kränkung, die ihm Abends widerfahren, und dann brachte er’s über die Lippen – „Du leichtfertige Jägerkatz!“

Er hatte Kuni, die bald blaß, bald roth wurde, am Arm ergriffen, sie aber riß sich gewaltsam los, denn nun war die Reihe an ihr, die Gekränkte zu spielen.

„Ja, ja! ’s ist richtig so, ein Lümmel bist Du!“ erwiderte sie, „und b’hüt Dich Gott, und wenn Du Lust hast, der Wegnarr[18] zu sein, so such’ mich bald wieder auf!“

Mit dieser bissigen Rede verschwand sie im Freien. Dem Stephl fuhr das wie der Blitz durch den Leib, erbittert sprang er der Kuni nach, dann hörte man einen langen Schrei und dann ein großes Gelächter, und Stephl kam zu den Cameraden zurück und zeigte ihnen heimlich etwas, ich weiß nicht was, und Alle lachten mit.


Es brach schon der Morgen an, als der Neureiterstephl den Heimweg antrat; die steinernen Häupter der Gebirge leuchteten in den ersten Strahlen der Morgensonne. Zu jeder andern Zeit war dieser liebliche Anblick dem frischen Natursohne eine Augenweide gewesen, heut’ aber hatte er bald Verdruß darüber gehabt, denn er hätt’ lieber Alles schwarz und finster oder grau in grau gesehen, weil’s in seinem Herzen auch so aussah. Seine Liebe sah er verrathen und zerbrochen, seinen Stand beschmutzt, sein Haus verhöhnt, das war für sein Herz doch gar zu viel auf einmal. Nebenbei schwebte es ihm so vor, als könne sein gestriges Verfahren gegen den Jägerfranz und die Geschicht’ mit dem erstochenen Hühnerhund, wenn sie aufkäme, doch auch schlimme Folgen für ihn haben.

Daheim angekommen, war sein Erstes, dem Vater zu erzählen, was geschehen war. Da der alte Neureiter sah, daß Stephls Zorn noch größer sei, als sein eigener, wurde er ruhiger und ermahnte den Sohn, vorsichtig und klug zu sein. Was zwischen der Kuni und ihm vorgefallen, darüber erzählte der Stephl keine Sylbe. Für’s Erste mußte er gen Alm steigen, um nachzuschauen, wie viel Geisen der Franz eigentlich erschossen habe. Ohnehin war’s heut’ dem Buben zu eng’ im Hause, und deshalb sehen wir ihn schon bald darauf in Hemdärmeln und mit dem Wettermantel über die Schulter und den Bergstock in der Rechten den Fußsteig hinangehen, welcher über dem Roßanger hinter dem Hofe und über die Berghalden zum Fichtenwald führt, durch den man längs eines nun leeren Gießbachbettes zur Hochweide und endlich zur Neureiteralm gelangt.

Je höher hinan der Stephl kam, desto geringer war seine Schwermuth und endlich schien sie ganz verschwunden. Er hörte den Kuckuck rufen, und eine Drossel sang recht lieb, und da fiel’s ihm ein, daß er auch eine Stimme habe, und er sang, daß es rings aus dem Wald und von den Wänden wiederhallte, und darauf jauchzte er, daß sich die Luft bog unter diesen hell klingenden Tönen. Und die Senndirnen droben vernahmen ihn und entgegneten ihm, grüßend. In der thauigen frischen Morgennatur war er ganz munter geworden. Er staunte sehr, als er von den Sennerinnen hörte, daß kein Rind und keine Geis fehle, daß seit acht Tagen kein Schuß gefallen sei auf den Höhen, und daß sich noch kein Jäger habe blicken lassen und der Franz auch nicht.

„Also hat uns der Franz nur zum Besten gehabt, und ich bin heut’ der Wegnarr. Doch wart’ nur, Jäger, ich will Dir das Ziegenschwänzl noch um Dein Geierheft[19] schlagen!“

Einer Sennerin fiel die Vermuthung bei, das Schwänzlein könne von der Geis herrühren, die im vorigen Sommer von der Geierwand gestürzt, und dort zerschmettert liegen gelassen worden sei. „Richtig, das war ja eine braune Geis’ und das Schwänzl ist auch braun, sicher hat’s gestern der Franz gefunden.“ Der alte Neureiter war mit dem erstatteten Bericht zufrieden. Für den Muthwillen, meinte er, sei der Franz vom Stephl hinreichend gestraft, und die Sache sei hübsch ausgeglichen.

Anders dachte der Franz. Nach langem Hin- und Herwälzen im Federbett war er in bitteren Rachegedanken eingeschlafen und mit denselben am andern Morgen auch wieder aufgewacht. Er gedachte bei guter Gelegenheit dem Stephl die erlittene Unbill reich heimzuzahlen.

Die Sonne stund schon hoch am Himmel, als er die Schlafstube verließ. In der Hausflur begegnete ihm die Kuni. Sie hatte rothgeweinte Augen und – nun, was ist denn das mit Dir? gar ein Kopftuch um den Kopf gewunden und es sitzt so fest um denselben, als wäre er nackt.

„Gar ein Kopftuch?“ fragte der Franz.

Doch was hatte er mit dieser Frage Schreckliches angerichtet! Die Kuni brach in lautes Wehklagen aus und konnte schier nicht erzählen, was ihr geschehen war. Einer ihrer beiden Haarzöpfe – und was für schöne Zöpf hatte sie, es war eine Pracht! – war ihr von einem Buben, sie könne, sagte sie, es nicht sagen, war’s der Stephl oder ein Anderer, wurzweg geschnitten worden, und den andern mußte sie in der Nacht selber abschneiden, schon wegen der nothwendigen Gleichheit des Kopfs.

„Das hab’ ich Dir zu danken, Bruder Wildfang! Hättest Du dem Neureiter die Geis nicht erschossen, so hättest Du mir das nicht erzählen können, und wir hätten den Stephl nicht geschmäht und alles Andere wäre auch nicht geschehen. Die Zöpf’ sind hin, und der Stephl ist auch hin, und wenn er auch ein Bauerlümmel ist, so ist er doch ’n rechtschaffener Mensch und hat einen großen Hof, und gar so übel war’ er denn doch nicht!“ – Neue Klagen, neue Thränenbäche! – „Wenn das nicht passirt wär’, ich würd’ mich vor Dir wegen der Bekanntschaft jetzt nimmer scheuen!“ fuhr sie fort. Was half’s, daß Franz betheuerte, er habe in der That dem [257] Neureiter keine Geis erschossen, sondern nur aus Scherz gelogen: er hatte zerstoßene Rippen, der Förster keinen Hühnerhund mehr, zwei treue Herzen waren zerrissen, und die Haarzöpf’ der Kundl auch; einen hob die Kuni in ihrem Kasten auf als Andenken an den schönen Jugendschmuck, und den andern hatte der Stephl mit heimgenommen und in seiner Bettstätte verborgen. Gar so ein gefühlloser Klotz war der Stephl nicht! Von wehmüthigen Gefühlen bestürmt, zog der Bub’ den Zopf öfter hervor und machte sich überhaupt oft in seiner Kammer zu thun. Dann betrachtete und betastete er den vollen, weichen Zopf, und der arme Schelm konnte es sich nicht verbergen, wie angenehm es wäre, wenn am Zopf in dieser Nähe die Kundl selber hinge.

Der Förster war sehr erbittert über den Tod seines unübertrefflichen Kastor und betheuerte, die nächsten drei Bauernhunde, die ihm heute begegneten, werde er den Manen seines Kastors hinopfern. Ob er Wort gehalten, weiß ich nicht.

Es war Herbst, von den Gipfeln der Gebirge erglänzte frischer Schnee, die Almen waren längst verlassen, die Kühe mit ihrem traulichen Glockengeläute weideten an den Thalhängen oder auf den Wiesen neben den Häusern unter den Bäumen mit den reifen Aepfeln und Birnen. Ueberall rauschelte es schon von den Bäumen, welche ihr Laub der Mutter Erde zurückgaben, vergilbt sah das grüne Sommerkleid der Buchen von den Höhen in das Thal herab, dessen Wiesplan ebenfalls eine abgeschossene Farbe zeigte und von der reichen Sommerflora nur noch die Kelche der Herbstzeitlosen übrig hatte. Frisch strich der Ostwind über die Fluren, reicher flossen die Quellen wieder und die Gießbäche, es waren so freundliche Tage, an denen die Natur segensmüde in sich lächelte. Der Sommer war auf der Alm glücklich vorbeigegangen, abgesehen davon, daß die Jäger häufig in die Hochreviere kamen, und mehreres Vieh Neureiters auf der untersagten Weide gepfändet hatten. An Neureiters Hof ging aber kein Jäger vorbei, lieber machten sie einen Umweg; sie wichen den heftigen Leuten aus, welche voll Groll gegen sie waren. Der Bauer pflegt den ganzen Haß und Zorn über Maßregeln, deren Ausführung von hohen Aemtern anbefohlen ist, den executirenden Individuen auf den Hals zu laden. Die Beschränkung des Weiderechtes gilt ihm als ein Rütteln am Wohlstande, den er den Nachkommen hinterlassen will und welcher unveräußerlich ist, und keiner möchte es sich im Grabe nachsagen lassen, daß unter seiner Wirthschaft irgend ein Unrecht am Besitzthum ruhig hingenommen werden sei. Der Neureiter hatte gegen die neue Pfändung appellirt, aber ohne Erfolg, und er sah der Auspfändung entgegen.

[258] Die Dienstleute Neureiters waren mit Stephl im Walde oder auf den Wiesen, und der alte Bauer saß wieder allein in seiner Stube. Da rollten zwei vornehme Wagen in den Hof, Bediente in fürstlicher Livree sprangen vom Bocke und öffneten den Schlag, und es stiegen mehrere Männer aus, und mit ihnen der Pfleger des Bezirks. Der Landesfürst hatte in dem Gebirge eine Jagd abgehalten, und um ihn von dem Wohlstand der Landleute zu überzeugen, lud ihn der Pfleger zum Besuche des Neureiterguts ein. Der alte Bauer war als Patriot bekannt, wenn man auch wußte, daß er etwas brummig sei; daß er über den heutigen Besuch die höchste Freude haben werde, davon hielten sich die Beamten für überzeugt. Eben blies der Neureiter aus seinem Pfeifenstummel dichte Rauchwolken; als er die Herren mit dem Pfleger kommen sah, meinte er, es sei eine Commission, die ihn um Geld bringen werde, und er legte seine Stirn in düstere Falten.

Die Stubenthür flog aus, ein Herr in Jagdkleidung, gütig grüßend, trat ein, und der nachfolgende Pfleger wendete sich an den Bauer mit den feierlichen Worten:

„Du hast die unendliche Ehre, hier Deinen allergnädigsten Landesfürsten in Deinem Hause zu sehen!“

Der Bauer betrachtete einige Minuten lang, sitzen bleibend, die Herren, dann erhub er sich mit den Worten:

„So, Du bist der Kini?[20] Und ich bin der alte Neureiter! Wart, ich hab’ was!“ stieg die Leiter zur Bodenkammer hinan und erschien mit einer Flasche und Holzteller, auf dem Käse war. Das stellte er auf den Tisch, schenkte in ein Gläschen aus der Flasche Schnaps und lud die Gesellschaft ein, Platz zu nehmen und Bescheid zu thun. Der Fürst ergriff das Gläschen und nippte, aber rasch stellte er es wieder weg, machte ein bitteres Gesicht und räusperte, denn die Flüssigkeit war der herbe, aber heilsame Enzian- oder Schwarzwurzelbranntwein. Der Alte lachte nunmehr und sprach: „Gelt, ’s schmeckt Dir nit? Schmeckt uns Unterthanen auch Manches nit!“ Und er begann mit großer Beredsamkeit seine Klagen über erlittene Bedrückungen zu erheben und besonders das Forstamt anzuklagen, obgleich der Forstmeister sich gleichfalls im Gefolge des Fürsten befand. Vergebens zwinkerte der Pfleger mit den Augen und winkte mit Händen und Füßen dem ungebetenen Redner ab, vergeblich legte er die Hand auf den Mund, öfters hintereinander. Der Neureiter wurde immer lebhafter, und indem er der Treue seiner Ahnen und seiner eigenen Treue in Zeit jeder Gefahr für Fürst und Land erwähnte, geißelte er die Schädlichkeit vieler Anordnungen der Federfuchser, wie er die Beamten nannte, und bat am Ende:

„Gelt, König Kini, so genau hast’s nit gewußt, aber jetzt leid’st Du’s nimmer, daß man den Unterthanen fortwährend plagt und ihm die Lieb’ zu Dir nehmen will!“

Lebhaft bewegt hatte der Fürst zugehört, auch war ihm die Verlegenheit des Pflegers und Forstmeisters nicht entgangen; nun sprach er: „Ich werde Alles genau untersuchen lassen, und so es sich also, wie Du sagst, verhält, soll’s anders werden! Ich will, daß Ihr Euch wohl befindet, ich weiß, daß Ihr brave Unterthanen seid!“

Der Neureiter war darüber hoch erfreut, und jetzt lud er den Fürsten ein, seinen Hausstand zu betrachten; lieber hätte er ihn auf den Armen herumgetragen. Noch frug ihn der Fürst über allerlei Boden- und Waldverhältnisse, der verständige Bauer berichtete ihm über Alles genau, und der Fürst war erstaunt, daß gar Vieles den Berichten seiner gelehrten Räthe zuwider war und klarer lautete; man sollte gar nicht glauben, daß dies möglich sei. Als der Fürst den Hof verließ und den alten Neureiter seines Wohlwollens versicherte und ihm auftrug, auch den Nachbarn zu sagen, wie ihm das Wohl der Unterthanen zu Herzen gehe, da ergriff der Bauer gar dessen Hand und sie bewegt küssend, sagte er:

„Herr Kini, wenn Du Geld brauchst, der alte Neureiter hat alte Thaler und gibt sie Dir mit Freude; aber von Deinen Federfuchsern mag er sich nit so mir nichts dir nichts die Haut abziehen lassen. Und jetzt b’hüt Dich Gott und grüß’ mir die Frau Kinigin!“

Schon in den nächsten Tagen erschien eine gemischte Commission im Gebirge, um die streitigen Interessen zu untersuchen, und siehe da, der Neureiter behielt Recht. Das versöhnte den erbitterten, aber sonst gutmüthigen Mann wieder mit dem Amt und mit den Jägern, die gar großen Respect vor dem Neureiter bekamen. Der Jagerfranz, meinte er, hätte für das Ziegenschwänzlein genug gebüßt.

Der Stephl aber hatte, seitdem er den verhängnißvollen Haarzopf in geheimer Haft hielt, öfter, als man von dem vierschrötigen Burschen glauben sollte, an die ehemalige Besitzerin desselben gedacht, und als er sah, daß der Vater mit den Jägern ausgesöhnt war und mit ihnen verkehrte, wollte es ihm vorkommen, das könne er eigentlich mit der Kundl auch thun. Denn ein heftiges Herzdrücken plagte ihn seit lange. Wie aber sollte er es anstellen, daß ihm die Kuni wieder gut würde und, was auch eine Hauptsache war, daß der Vater seine Zustimmung zu ihrer Verbindung gab? denn es lag ihm nichts Geringeres im Kopf als dies.

Auch die Kuni beschaute oft den einsamen Zopf, der ihr geblieben war. Sie mußte seit jenem Abende Kopftücher tragen, und den Verlust der Haare schob sie auf Rechnung heftiger Kopfschmerzen; doch wußten alle Leute, wie weit dies Kopftuch her war. Wenn auch ihr Unmuth über den kecken Zopfräuber groß war, so war sie doch sehr neugierig, einmal zu erfahren, was er mit dem Zopf begonnen habe, und gerecht genug, zu bedenken, daß sie selbst viel Schuld trage an dem tragischen Ausgang jener Sommernacht.

„Hätte ich dortmals,“ sagte sie sich, „als der Franz über die Bauern und über den Stephl schimpfte, nicht mitgeschimpft und mich nicht angestellt, als wollte ich den Stephl zum Besten haben, – Alles nur um meinem Bruder zu gefallen, der keinen Bauer leiden kann – so hätt’ der Stephl keinen Zorn über mich gehabt, und hätt’ ich den mit Recht erzürnten Stephl bei der Hausthüre des Hagmair durch meine schnippischen Antworten nicht gereizt, so hätt’ ich meine schönen Zöpf’ noch, und Alles wäre anders gegangen. O, wenn der Stephl das wüßte! Er hat mich ja für falsch halten müssen, und ich hab’ ihn doch so gern gemöcht; warum hab’ ich dumme Närrin mich gescheut, meine Lieb’ zu ihm zu bekennen!“

Die frische Dirne war ganz melancholisch geworden und ging häufiger als sonst in die Kirche. Ja, endlich faßte sie ihr ganzes Vertrauen zur heiligen Mutter Anna, welcher in der Pfarrkirche ein eigener Altar gewidmet war, und sie entschloß sich, der Annastatue mit dem Kinde den verwaisten Zopf als Zierde umzuhängen und zugleich ihr ganzes Lebensglück der mit ihrem Vertrauen beehrten Heiligen an’s Herz zu legen. Noch in der Dämmerstunde des nämlichen Tages hing Kuni’s flächserner Zopf um den Hals der Heiligen.

Um diese Zeit suchte den gebrechlich werdenden alten Neureiter eine kleine Krankheit heim, und bei diesem Anlaß kam’s ihm lebhaft vor, es sei Zeit, dem Stephl den Hof zu übergeben und ihn ein Weib nehmen zu lassen. Alter und Erfahrungen hatten den Mann milder gemacht, und er gedachte, der Wahl Stephls freie Hand zu lassen. Einen prächtigen Hof und Geld gab er dem Sohne selbst, die Erkorene sollte vorab die Besitzerin guter Eigenschaften sein. Dies eröffnete er seinem Stephl, welcher darob freudig erschrak; noch mehr erschrak er, als er auf die Liste der Heirathscandidatinnen auch die Kuni gesetzt hatte, und der Vater sogleich begann:

„Die Kundl wär’ ein richtiges Leut’,[21] hab’ Allerlei von ihr gehört, was mir gefällt, sie ist arbeitsam, sparsam, brav, fromm, schön und hat sogar etliche Batzen, ist eine Bäckerstochter von Golding. Hab’ sie früher nit so gut gekannt, wär’ mir nit zuwider, aber Du hast’s ja bei ihr verschüttet, die Leut’ sagen, Du hätt’st ihr die Zöpf’ abgeschnitten!“

Welche Gelegenheit für Stephl war schöner, ein vollkommenes Bekenntniß abzulegen? Dann holte er den Zopf aus der Kammer und zeigte ihn dem Vater gerührten Herzens. Dieser brach in ein Gelächter aus und rieth ihm, den Zopf der Kuni selbst hinzutragen und nach dem Befinden seines Cameraden und nach dem Wohlsein der Besitzerin zu fragen; da würde es sich herausstellen, wie das Mädl gesonnen sei.

Die lange unter der Asche glimmende Gluth Stephls loderte jetzt offen empor, und noch desselben Abends war er in Feierkleidern und Kundl’s Zopf in der Tasche auf dem Wege nach Grünstein. Er wollte gerade zum Forsthause gehen, den beleidigten Bruder Franz um Verzeihung und um Fürsprache bei Kuni bitten.

Sein Weg führte ihn an der Pfarrkirche vorüber, die Thüre war noch offen und, von einem frommen Gedanken erfaßt, trat er hinein. Wen sah er da?! Die Kundl kniet am Mutterannaaltar in eifrigem Gebete, der Stephl schaut und schaut, sieht er recht oder nicht? Da hängt richtig der andere Zopf Kundl’s an der Statue, er kannte ihn sogleich, weil ein Zopf dem andern glich, und weil er den einen Zopf lange und oft genug gesehen hatte. Leise schleicht [259] der Stephl vorwärts, und nun rührt sich die Kundl und nun schaut sie um, wer sich herbeischleicht. Der Stephl steht vor ihr wie ein armer Sünder, ganz abgeblaßt, mit dem zweiten Zopf in der Linken, die Rechte ihr entgegenstreckend, bittenden Auges. Dann tritt er zum Altar und hängt den einen Zopf zum andern. Das Mädl hatte diese Sprache verstanden, denn die Liebe hat ein helles Aug’. Dann kniete der Stephl neben der Kundl auf das Pflaster, und bald darauf ergriff er sie bei der Rechten, welche sie ihm willig ließ. Und nun zog er sie mit sich aus der Kirche. Rings um diese sind die Gräber der Todten, und der Stephl ging mit der Kundl schnurstracks zum Grabhügel seiner Mutter. Hier reichte er der Kuni wieder die Hand und sie gab ihm ihre Hand, es bedurfte nimmer der Bitte um Verzeihung und Liebe.

Nach wenigen Wochen war beim Hagmair Hochzeitfest, und die Forstleute waren alle dabei zugegen. Der alte Neureiter rieb sich vergnügt die Hände und schnalzte einmal über das andere mit den Fingern, denn sein Stephl und die junge Neureiterin waren das schönste, stattlichste Paar, was man sehen konnt’ im ganzen Lande.

J. Sch–r.





  1. Weste.
  2. Schlagring.
  3. Eine Tour.
  4. Das Anwesen übergeben.
  5. Lawinen.
  6. Mit dem Vieh auf die Alme gezogen.
  7. Hirtenbube.
  8. Ein Mann.
  9. Walburga.
  10. Die erste Tanzmusik nach Ostern.
  11. Auf Besuch.
  12. Kunigunde.
  13. Dasselbe.
  14. Bube.
  15. Ein eigenes Trinkgeschirr für die in näherer Verbindung miteinander stehenden Buben.
  16. Ziegenfleisch.
  17. Ziegentödter.
  18. Der Erdmolch.
  19. Adlernase.
  20. König.
  21. Ein empfehlenswerthes Mädchen.