Auch ein Künstler!
[711] Auch ein Künstler! „Eljen! Eljen!“ jauchzten ein paar hundert Kehlen im Comitatshause zu Eperies. „Eljen Almázy! Eljen!“ denn eine überwiegende Stimmenzahl hatte den ehrwürdigen Magnaten zum Obergespan gewählt. Es war ein großer Festtag für die kleine, freundliche Stadt und die Stimmen der Wähler klangen diesmal aus dem Herzen und nicht, wie gewöhnlich, aus dem Geldbeutel des Candidaten. Im Theater sah man bei glänzender Beleuchtung das Schauspiel „Matthias Corvinus“ und für später war ein großes Festessen im Redoutensaale arrangirt. Den König Corvinus spielte der deutsche Schauspieler Stein, und jeder Zoll an ihm war eine Majestät. Die Magnaten, Cavaliere und Inraten folgten mit Jubel der trefflichen Darstellung, und dem talentvollen Künstler wurde die besondere Ehre zu Theil, zur gastlichen Magnatentafel im Redoutensaale geladen zu werden.
Stein bewährte sich hier als ein ganz vorzüglicher Gesellschafter, der sich mit Bildung und Verstand im gewählten Kreise zu bewegen und mit dem feinsten Tact die Früchte seiner reichen Erfahrung zur Geltung zu bringen wußte. Seine geistreichen Scherze und pikanten Anekdoten trugen nicht wenig zum allgemeinen Frohsinn der Versammlung bei. Als die Gläser erklangen zum Toaste für den König, das Vaterland und den greisen Helden des Festes, promenirte Stein von einem Couvert zum andern, und dankte mit der liebenswürdigsten Bescheidenheit für die Ehre, deren man ihn gewürdigt, und für die freundliche Anerkennung, die man seinem anspruchslosen Talente gezollt. Indem er sich aber mit dem Anstande eines vollendeten Weltmannes zu empfehlen anschickte, packte ihn ein Kellner ganz ungenirt beim Kragen und ein zweiter griff noch ungenirter in die Taschen des edlen Corvinus und zog nicht weniger als – zweiundzwanzig Silberlöffel an’s Tageslicht, die er sich im traulichen Gespräche äußerst fingerfertig zusammenstipitzt hatte.
Corvinus ward als Löffeldieb verhaftet, trug vierundzwanzig Stunden den Eisenschmuck des Betyaren an Händen und Füßen und wurde dann im Gnadenwege aus der Stadt verwiesen, denn der freundliche Stuhlrichter hatte den Menschen gegen den Künstler auf die Wage gelegt und die Schale des Künstlers hatte sich zu Gunsten des Menschen gesenkt. Es war das meine erste Begegnung mit dem Genie, die beiden letzten sollten fast noch trauriger als die erste sein.
An einem der letzten Faschingstage des nächsten Jahres schritt ich Arm in Arm mit meinem Freunde Vendelin durch die Straßen Kaschaus. Wir wollten[WS 1] pflastertreten, traten aber nicht das Pflaster, sondern den Schnee, der knisternd unter unseren Füßen uns an eine fast nordische Strenge Seiner Majestät des Winterkönigs mahnte.
„Heute hätte ich Lust zu tanzen,“ sagte ich zähneklappernd, „und wäre es auch nur, um mein zu Eis erstarrtes Blut ein wenig in Wallung zu bringen. Giebt’s denn keinen öffentlichen Ball heute in Kaschau?“
„Oeffentliche Bälle zwar nicht, aber einen famosen Gesellschaftsball, den der deutsche Schauspieler Trenck seinen Freunden und Verehrern zum Besten giebt.“
„O weh, der Ball eines wandernden Histrionen!“ rief ich lächelnd, indem ich mich bis an die Nasenspitze in meinen Pelz verkroch.
„Respect! Trenck ist kein gewöhnliches Talent,“ bemerkte mein Freund, „vielmehr ein Talent, das vor dem strengsten Kunstrichter der Residenz mit Ehren bestehen würde. Er behauptet, einer der jüngsten Sprossen der bekannten freiherrlichen Familie zu sein, und seine Bildung und Kenntnisse würden ihm das Blättchen eines Stammbaumes allerdings nicht streitig machen, aber –“
„Nun – aber?“
„Er ist ein Spieler von Profession und versteht sich noch besser auf’s Plündern, als weiland der Pandurenführer seines Namens. Er hat bedeutende Summen im Spiele gewonnen, die er wie ein chevaleresker Lebemann auf die leichtsinnigste Weise wieder verschwendet. Aber sein Glück ist auf dem besten Wege – verdächtig zu werden, und man munkelt bereits von allerlei Kunstgriffen, mit denen er es zu unterstützen weiß. Doch das geht uns nichts an. Wir haben es nur mit seinem Balle zu thun, der heute glänzend zu werden verspricht. Trenck hat mir zwei Karten geschickt; die eine stelle ich Dir zur Disposition, wenn Du mich begleiten willst.“
„Wohlan, ich bin von der Partie,“ erwiderte ich dankend, „und werde die sorgfältigste Toilette machen, um Deinem Industrieritter kein Stein des Anstoßes zu sein.“
Einige Stunden später traten wir in die glänzend geschmückten Localitäten des Ballgebers ein, der mit dem Luxus eines Botschafters für jeden Comfort seiner Gäste gesorgt hatte. Nachdem wir uns mit den Grazien der ungarischen Bergstadt wacker herumgetummelt, führte uns ein dienstbarer Geist in den Spielsalon. Es wurde Pharao gespielt und Trenck war Bankier. Ich wollte kaum meinen Augen trauen, als ich in diesem feingeschniegelten und sorgsam frisirten Männchen den Schauspieler Stein erkannte, der in Eperies so glücklich als König und so unglücklich als Dieb debütirte.
„Ah, bon soir, bon soir!“ rief er mir mit der unbefangensten Freundlichkeit zu, als er mich erblickte, und begann eine neue Taille, ohne weiter Notiz von mir zu nehmen. Ganze Haufen Goldes und Banknoten hatte er bereits vor sich aufgethürmt.
„Va banque!“ rief plötzlich ein Mann im Attila, indem er den Carreaububen auf die Tafel warf und das Kartenblatt mit einem Päckchen großer Banknoten bedeckte.
Es war ein kräftiger Ungar mit männlich schönen Zügen, der bis jetzt ein ruhiger Zuschauer war, aber die feinen zierlichen Händchen des Bankiers nicht eine Secunde aus den Augen gelassen hatte. Alle Pointeurs zogen ihre Einsätze zurück, und freundlich lächelnd, mit sorgloser Noblesse, zog der Bankier eine Karte nach der andern ab, bis er auf seiner Seite den verhängnißvollen Buben aufschlug. Aber in demselben Augenblick blitzte eine Waffe, und die durchbohrte rechte Hand des Bankiers war platt und fest mit einem Dolche an den grünen Tisch genagelt. Ein allgemeiner Ruf des Entsetzens folgte diesem sonderbaren Attentate.
„Dein Handwerk ist Dir gelegt, Betrüger!“ sprach kalt und ruhig der Ungar, indem er aus dem Aermel des bleichen Schurken eine Karte zog, die dieser kurz vor dem entscheidenden Abzuge aus dem Blätterverbande changirt hatte.
Der falsche Spieler verlor seine rechte Hand durch eine nothwendige Amputation, und ich hörte nichts mehr von ihm bis zu unserer dritten und letzten Begegnung.
Im Jahre 1849 hatte mich der Strom der Bewegung bis nach Steinamanger geschwemmt, wo ich nach langen Kreuzzügen für einige Tage den Hafen der Ruhe zu finden hoffte. Einige hundert Schritte vor der Stadt fand ich die ganze Fahrstraße mit Menschen bedeckt.
„Was giebt’s denn da, Camerad?“ frug ich einen Haiducken, der neugierig in meinen Wagen guckte.
„Was es da giebt?“ antwortete er lachend, indem er auf das nahestehende Hochgericht deutete. „Einen Gevatter Dreibein giebt’s, und an jeden seiner Beine soll Einer gehängt werden.“
„Wer sind denn die drei Unglücklichen?“
„Ein Brandstifter, ein Räuber und ein Spion. Der Spion kommt noch am besten weg, denn der Kerl kann nicht einmal ganz gehangen werden, ihm fehlt die rechte Hand, die man ihm bei einem Hokuspokus an den Spieltisch genagelt hat.“
„Mein Gott, wie heißt der arme Teufel?“ rief ich mit ahnungsvollem Entsetzen.
„Er nannte sich Jean Perdu und gab sich für einen Capitän der Franzosen aus, als man ihn an der Grenze erwischte und unter dem Futter seines Rockkragens geheime Depeschen fand. Aber das sind Faxen, Faxen! Der Bursche hat sich einen falschen Namen gegeben, denn man hat erfahren, daß er nur ein deutscher Komödiant und falscher Spieler ist.“
Der verhängnißvolle Karren mit den drei Delinquenten rollte herbei. Der Brandstifter und der Räuber waren bleich wie der Tod und mußten zum Galgen getragen werden. Aber der Spion kräuselte eitel seine Locken mit der linken Hand und sprang, wie ein Cavalier aus dem Cabriolet, vom Karren herab. Er belächelte mitleidig die Todesangst seiner beiden Schicksalsgenossen, und als an ihn die Reihe kam, entkleidete er sich ohne Beihülfe seiner schauderhaften Kammerdiener, reichte dem Priester die linke Hand, machte dem Publicum ein Compliment, als ob es ihn eben herausgerufen hätte, und stieg mit festen Schritten die Leiter hinaus. Und mit den Worten: „Gott erbarme Dich meiner!“ hatte der Schauspieler Stein seine letzte Rolle gespielt.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: wollte