Athleten
[451] Athleten. Wer die letzte Michaelismesse in Leipzig gewesen ist, hat sicherlich auch nicht versäumt, den Circus des Herrn Loisset und die Lufttänzergesellschaft der Herren Cottreli und Hutchinson zu besuchen, wobei er Gelegenheit gehabt haben wird, die Kraft und Gewandtheit dieser Künstler zu bewundern. Wohl scheinen die sogenannten Nonplusultraleistungen dieser Leute in der That auch solche zu sein und ein Darüberhinaus außerhalb des Bereiches der menschlichen Möglichkeit zu liegen, aber was eigentliche Kraft und Muskelstärke betrifft, so stehen die Athleten der Vorzeit den neueren – selbst den weltberühmten Rappo nicht ausgenommen – nicht nur nicht nach, sondern übertreffen sie auch noch bei Weitem.
In der Mitte des vorigen Jahrhunderts producirte sich in vielen Städten Deutschlands, Frankreichs und Italiens der Seiltänzer Venetianello (der kleine Venetianer) – so genannt, weil er aus Venedig gebürtig und von ungewöhnlich kleiner Statur war. Dabei aber besaß er eine so ungemeine Muskelstärke, daß er den dicksten Schenkelknochen eines Ochsen über’s Knie zerbrach; drei Eisenstäbe von der Stärke eines Mannesfingers wickelte er in eine Serviette und drehte und bog sie ineinander, wie dünne Drähte. Einen Balken von zwanzig Fuß Länge und anderthalb Fuß Stärke setzte er sich auf die Schulter und ließ ihn, ohne die Hände dabei anzuwenden, von einer Schulter zur andern hüpfen.
Der Pole Lepelski erzählt in seiner Beschreibung der Festlichkeiten, welche im Jahre 1583 zu Constantinopel zur Feier der Beschneidung Mahomeds, des Sohns des Sultans Amurath, stattfanden, daß dabei unter andern ein Athlet auftrat, welcher einen Balken, den zwölf starke Männer zur Stelle getragen hatten, aufhob und damit wie mit einer Muskete auf Commando exercirte. Hierauf legte er sich flach auf den Rücken nieder, ließ sich einen mächtigen Stein, den zehn Mann kaum von der Stelle zu bewegen vermochten, auf die Brust wälzen und schleuderte ihn dann durch einen plötzlichen Ruck und ohne Anwendung der Hände über den Kopf hinweg.
Tritanus, ein samnitischer Fechter, war von so ausnahmsweis starkem Körperbau, daß nicht blos seine Brust, sondern auch seine Hände und Arme sowohl der [452] Länge als auch der Quere nach mit Sehnen versehen waren, so daß er ohne Mühe alles vor sich niederwarf, was sich ihm in den Weg stellte. Der Sohn dieses Fechters war von demselben Körperbau wie sein Vater und besaß auch dessen Stärke. Er diente als Soldat in der Armee des Pompejus und als er einmal von einem Feind herausgefordert ward, machte er mit diesem so wenig Umstände, daß er ihn durch Schläge mit seiner nackten Hand tödtete und dann mit einem einzigen Finger aufhob und in das Lager trug.
In der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts lebte in Meißen ein Pförtner an der Domkirche, Namens Nicolaus Klunker, der so stark war, daß er ganz allein und ohne irgendwelche Vorrichtung ein großes Faß Wein aus dem tiefen Schloßkeller heraufholte, bis vor die Stadt trug und auf einen Karren legte.
Zur Ostermesse 1701, wo die Schaubuden noch auf der Grimmaischen Straße standen, ließ sich ein Italiener sehen, welcher mit einem Marmorwürfel von drei Kubikfuß spielte, indem er ihn hoch in die Luft warf, wieder auffing und noch sonstige Künste damit vornahm, so wie wir es heutzutage mit größeren oder kleineren Kugeln vornehmen sehen. Der ebenfalls wegen seiner ungemeinen Körperstärke bekannte damalige Kurfürst von Sachsen und König von Polen Friedrich August war mit einem großen Gefolge auf dieser Messe anwesend, nahm unter andern auch die Künste dieses Italieners in Augenschein und beschenkte ihn reichlich.
Ebenso finden wir eine Menge anderer Beispiele von außerordentlicher Körperstärke, ohne daß die Besitzer derselben daraus einen Broderwerb gemacht hätten. So lebte vor etwa hundert Jahren zu Berlin ein pommerscher Edelmann, Namens Baron Mündelheim, der mit dem Mittelfinger seiner rechten Hand den stärksten Mann, der sich vor ihn setzte oder stellte, über den Haufen warf. Ein galoppirendes Pferd brachte er mit einem einzigen Ruck des Zügels zum Stehen und schob mit seiner Schulter ein vierundzwanzigpfündiges Geschütz mit leichter Mühe hin und her. Seine Handgelenke schienen von Horn zu sein und er zerbrach Hufeisen und zerriß die stärksten Seile.
Traugott Möller, ein Bauersmann zu Stützengrün im sächsischen Voigtlande, trug einmal – es war zur Zeit des siebenjährigen Krieges – in Folge einer Wette sechs Scheffel Weizen mit sammt dem Müller, einem großen starken Mann, der auch seine zwei Scheffel wog, auf seinen Schultern einen Büchsenschuß weit.