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Athen und das neue Griechenland

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Textdaten
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Autor: Perikles von Melingo
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Titel: Athen und das neue Griechenland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 714–716
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Athen und das neue Griechenland.

Von P. v. Melingo.

Die bevorstehende Verbindung der Schwester unseres Kaisers, Prinzessin Sophie von Preußen, mit dem Kronprinzen von Griechenland hat neuerdings die allgemeine Aufmerksamkeit auf den bei uns noch viel zu wenig gewürdigten neugriechischen Staat im allgemeinen und auf seine kräftig gedeihende Hauptstadt Athen im besonderen gelenkt. Ueber dem so natürlichen Interesse an dem alten Griechenland hat man bisher vielfach vergessen, das neue zu beachten; findet sich aber einmal jemand, der daran denkt, so geht es den heutigen Griechen in den allermeisten Fällen wie den Söhnen berühmter Männer, von denen man verlangt, sie sollen das Genie des Vaters geerbt haben.

So wie die tüchtigen und braven Nachkommen Goethes von dem Ruhme ihres Ahnherrn beinahe erdrückt wurden, so wird das neue Griechenland infolge des unberechtigten Vergleichs zwischen dem, was die hellenischen Staaten im Alterthum gewesen sind, und dem, was das freie Griechenland heute ist, oftmals von einem unrichtigen Gesichtspunkte aus beurtheilt. Und doch thut man dem Lande, thut man dem Mittelpunkte alles griechischen Denkens und Fühlens, Athen, großes Unrecht. Staat und Stadt haben sich seit dem Neujahrsfeste 1835, an welchem der Einzug König Ottos in seine neue Residenz erfolgte, mächtig entfaltet, und die Griechen stehen – man kann dies ohne jede Uebertreibung sagen – heute in jeder Beziehung an der Spitze der Balkanstaaten.

Es giebt außer Frankreich kaum noch ein zweites Land, in dem sich alles so sehr nach der Hauptstadt richtet wie in Griechenland. Was aber in einem großen Staatskörper unter Umständen von ernstem Nachtheil sein kann, ist oft in einem kleinen Lande sehr förderlich, und Griechenland dankt diesem Streben nach einem einheitlichen Mittelpunkt die erfreuliche Entwickelung des heute an 100 000 Seelen zählenden Athen, eine Entwickelung, die – für das ganze Land von größter Bedeutung – sich vollzog, ohne daß die Provinzen darunter litten.

Als aus einer leicht begreiflichen Pietät gegen die Vergangenheit bei der Wahl der Residenz des künftigen Königs von Griechenland Athen bestimmt wurde, obwohl, was die Lage anbelangt, Patras oder Korinth gewiß vorzuziehen gewesen wären, da war die Auserkorene ein halbverfallenes, fast unbewohntes Fischerdorf, in dem die Gesandten der Mächte, als sie mit König Otto ins Land kamen, nur mit großer Mühe eine bescheidene Unterkunft finden konnten; heute ist die Hauptstadt des Landes, über welches zu herrschen [715] Prinzessin Sophie in der Zukunft einst berufen sein wird, eine schöne, blühende, elegante Stadt, die vielfach an die kleinen deutschen Residenzen erinnert. Südliches Gepräge trägt die umgebende Landschaft mit ihren silberglänzenden Olivenbäumen; auf Schritt und Tritt stoßen wir auf ehrwürdige Trümmer einer großen Vergangenheit, deren bedeutendstes Denkmal, die Akropolis, mit der goldig glänzenden Patina ihrer Marmormassen stattlich in den blauen Himmel ragt; außerordentlich bewegtes Leben herrscht in den Straßen; an allen Ecken öffnen sich Kaffeehäuser, in denen man den köstlichen orientalischen Trank schlürft oder die landesüblichen Süßigkeiten verzehrt. Handwerker und Geldwechsler betreiben lärmend ihr Geschäft auf der Straße; Ausrufer bieten in den unglaublichsten Tönen Obst, Gemüse, Milch, Fische, Lämmer zum Kaufe an; Todte, nach Möglichkeit reich gekleidet und geschmückt, werden im offenen Sarge und begleitet von dem eigenthümlichen Gesang der griechischen Priester zu Grabe getragen; bei den Säulen des olympischen Zeus oder beim Theseion führen Männer ihre eigenartigen Nationaltänze aus; kleine Jungen, die man „Lustro“ nennt, umdrängen uns, das Schuhwerk und die Kleider von dem in der wasserarmen Stadt beständig herrschenden Staub zu befreien; Fremdartiges, wohin man blickt – und doch vermag man die Erinnerung an irgend eine kleine deutsche Residenz nicht loszuwerden.

Diese Empfindung erklärt sich, wenn man bedenkt, daß deutsche Baukünstler es waren, die unter den Augen König Ludwigs I. von Bayern die ersten Pläne zum Wiederaufbau der Stadt entwarfen, in die sein Sohn Otto als König einziehen sollte; und sie wird noch erhöht durch die breiten wohlbehaltenen Straßen, durch die netten kleinen Gärtchen vor den Häusern, die oft, wie z. B. das stattliche Heim des großen Entdeckers Schliemann, aus dem edlen Marmor des Pentelikon erbaut sind, durch den Anblick der lustig daherfahrenden Straßenbahnwagen, auf denen sich nur die schlanke Gestalt irgend eines Palikaren in weißer Fustanella und kurzer gestickter Jacke befremdlich ausnimmt.

So ist schon der äußere Eindruck, den die Stadt macht, ein angenehmer; im Verkehr mit der Bevölkerung aber steigert sich derselbe noch sehr wesentlich. Denn der Grieche ist liebenswürdig und ritterlich, von musterhafter Beschränkung beim Essen und Trinken, ebenso frei von stumpfsinniger Gleichgültigkeit wie von unangenehmer Zudringlichkeit, aufgeweckt und voll Theilnahme für alles, was Fortschritt und Bildung bedeutet. Dabei zeichnet ihn ein manchmal wirklich rührender Familiensinn aus. Zerfahrene Familienverhältnisse sind ihm etwas ganz Fremdes, und der Fall, daß ein Theil der Familie sich in einer guten Lage befindet, indeß der andere mit Mangel und Entbehrungen kämpft, ist einfach undenkbar. Die Sorge für die Seinen erscheint dem Griechen als die heiligste Pflicht; stirbt der Vater oder ist er nicht mehr imstande, die Familie zu erhalten, so übernehmen es die Söhne, für Mutter und Schwestern zu sorgen; fehlen diese oder können auch sie nicht helfen, so treten des Vaters Brüder oder die Gatten der etwa verheiratheten Töchter in die Lücke. Auch wird sich der Bruder nur in den allerseltensten Fällen vor der Schwester verheirathen und namentlich in mittellosen Famlien dies nie und nimmermehr thun, bevor er nicht die „Prika“, die Aussteuer, für die Schwester erworben hat. Aber selbst in reichen Häusern kommt es oft vor, daß ein Bruder unverheirathet bleibt, damit die ledige Schwester des natürlichen Beschützers nicht entbehre.

Trotzdem ist die Stellung der Frau in den niederen Volksklassen und im Mittelstande, soweit man in Griechenland von einem solchen reden kann, unbedeutend und verschwindend; in der Gesellschaft dagegen allerdings einflußreich und maßgebend. Der Grieche der unteren Klassen ist wie in so vielem anderen der Auffassung der Alten auch in Bezug auf die Frau treu geblieben: er sieht in ihr nicht die gleichberechtigte Lebensgenossin, sondern nur die Hausfrau und Mutter, deren Aufgabe es ist, im Hause zu schaffen und zu sorgen, die über diese Grenze weder hinausgehen kann, noch darf und der seine persönlichen Angelegenheiten mitzutheilen er nie für nothwendig findet. Auch die zur Zeit der Türkenherrschaft unwillkürlich angenommene Sitte, die Frauen zu Hause zu halten, wirkt in den unteren Klassen noch stark fort, und man wird z. B. nirgends in Griechenland ein Dienstmädchen bekommen, welches bereit wäre, nach dem Markte einkaufen zu gehen, eine Aufgabe, die stets dem in allen besseren Häusern nothwendigen Bedienten, einem Mittelding zwischen Koch und Kammerdiener, zufällt. Ebenso sieht man in der Hermesstraße, der eleganten Hauptverkehrsader Athens, bei den Konzerten der sehr guten griechischen Militärmusiken vor dem königlichen Schloß oder auf einem der großen Plätze der Stadt fast nur Männer. In der Fustanella oder den außerordentlich weiten, sackähnlichen Beinkleidern, welche die griechischen Inselbewohner kennzeichnen, oder auch in irgend einem der meist aus Italien fertig eingeführten Anzüge gehen sie auf und ab, vom Geschäfte oder von der Politik redend, oder sitzen vor einem Kaffeehause, selten aber erblickt man Frauen aus dem Volke.

Anders ist die Stellung, welche die Frauen der vornehmen Gesellschaft einnehmen. Sie spielen, an Bildung und Eleganz auch den verwöhntesten Ansprüchen genügend, wie bemerkt, eine tonangebende Rolle und das gesellschaftliche Leben ist infolge dessen in Athen sehr angenehm; doch kommt es auch da schwer zu einem vertraulichen Verkehr, weil man, außer an den wöchentlichen Empfangstagen der Damen, ohne Einladung keine Besuche zu machen pflegt und die Veranstaltung kleiner gemüthlicher Abende nicht gebräuchlich ist.

Die Damen der Gesellschaft genießen auch noch einen andern Vortheil. Sie sprechen, in den meisten Fällen wenigstens, bei der Wahl ihres Gatten mit. Liebesheirathen sind zwar auch in den Kreisen der großen Welt selten und meistens werden die Verbindungen von Freunden und Verwandten, welche auf die Versorgung der jungen Mädchen bedacht sind, gemacht; dennoch bleibt dem weiblichen Theile wenigstens das Einspruchsrecht. Im Mittelstande und in den breiten Schichten des Volkes dagegen, wo die Frage der Versorgung noch viel schärfer hervortritt, werden die Mädchen gewöhnlich gar nicht gefragt, und es kommt vor, daß die Braut ihren künftigen Gatten erst am Verlobungstage kennen lernt. Trotzdem ist das Familienleben musterhaft, man hört niemals, daß sich ein Grieche Rohheiten gegen Frau oder Kinder, eine griechische Frau Anstößiges zu Schulden kommen läßt.

Von einem Mittelstande in unserem Sinne läßt sich, wie gesagt, in Griechenland kaum reden. Denn es fehlt ihm namentlich jenes geistige Bindemittel, welches in anderen Ländern seine Stärke ausmacht, und so ist der Uebergang von den ärmeren Klassen der Bevölkerung zu den Vornehmen nur lückenhaft vermittelt. Diese letzteren setzen sich zusammen aus den „Phanarioten“, den Nachkommen jener Griechen, die während der türkischen Herrschaft nach Konstantinopel auswanderten, sich dort in der Nähe des Phanarthores niederließen, zu Ansehen und Macht gelangten und schließlich, als der Kampf der Befreiung losbrach, alles aufs Spiel setzten, um in diesem ihren Mann zu stellen; aus den Kindern und Enkeln der vom Volke selbst während des Aufstandes emporgehobenen Führer; endlich aus der reichen Finanzwelt, dem diplomatischen Corps und einigen anderen Fremden von Bedeutung.

Ein hervortretender Zug der Griechen aller Klassen ist ihr Drang nach Wissen und Bildung. Während die Kinder reicher Eltern „in Europa“, wie man in Griechenland zu sagen pflegt, namentlich in Deutschland und Frankreich, ihre Erziehung und Ausbildung erhalten, benutzen die Minderbemittelten, deren Beispiel übrigens schon vielfach auch von den Reichen befolgt wird, die ausgezeichneten inländischen Bildungsanstalten. Sehr oft verdingt sich solch ein junger Grieche gegen Kost und Wohnung als Diener unter der Bedingung, daß man ihm die zum Schulbesuche und zur häuslichen Arbeit erforderliche Zeit freilasse! Bezeichnend für die Bildungssucht der Neugriechen ist es, daß die Universität Athen, welche bei ihrer Gründung 1839 50 Hörer hatte, heute deren 4000 zählt; und diese alle genießen, wie die Zöglinge sämmtlicher Mittel- und Volksschulen, gänzlich unentgeltlichen Unterricht.

Bei einer Bevölkerung von über 2 000 000 Seelen hat Griechenland ungefähr 1600 Volksschulen, an 180 sogenannte „hellenische Schulen“, die unseren Untergymnasien, an 30 Gymnasien, die unseren Obergymnasien entsprechen, und es bestehen, abgesehen von zahlreichen kleineren Lehranstalten, neben der Universität noch eine technische Schule, eine Lehrerbildungsanstalt, eine Ackerbauschule, eine nautische Akademie, ein Kadettenhaus, ein theologisches Seminar und ein großes Mädchenlyceum. Beachtenswerth ist, daß ein guter Theil dieser Anstalten aus Spenden und Vermächtnissen von Privatleuten erhalten wird, wie denn der [716] Grieche überhaupt stets bereit ist, patriotischen Zwecken im größten Maßstabe Opfer zu bringen.

Selbstverständlich war Griechenland nicht imstande, die große Zahl Gebildeter und Studierter, welche aus diesen Anstalten im Laufe der Jahre hervorgegangen sind, entsprechend zu verwenden, und es entstand daher ein Bildungsproletariat, welches für den kleinen Staat schon wiederholt zur ernsten Gefahr zu werden drohte. Da nämlich unter normalen Verhältnissen für die Stellenlosen keine Aussicht vorhanden war, in Ausübung ihres erlernten Berufes oder im Staatsdienste ihr Fortkommen zu finden, so wandten sie sich der politischen Wühlarbeit zu in der Hoffnung, dabei zu Ansehen und Verdienst zu kommen. Nun ist aber das politische Leben in Griechenland schon an sich ungewönlich rege. Die griechische Verfassung läßt dem politisch noch nicht hinlänglich gereiften Volke sehr große Freiheiten und unterstützt dadurch seine Neigung zu politischen Unruhen. Jeder einzelne will stets klüger sein als die leitenden Minister, und selbst auf die Regierungsmehrheit in der griechischen Kammer ist nie völliger Verlaß, weil die Gegensätze der Parteien nicht auf sachlichen und grundsätzlichen Verschiedenheiten in den Anschauungen der Führer, sondern vollständig in persönlichen Beziehungen ruhen und man ganz gut heute für den Minister, morgen für den Führer der Opposition stimmen kann, ohne dabei eigentlich seine politische Ansicht zu ändern. Diese Sachlage führte nun dazu, daß eine ununterbrochene politische Hetzerei entstand, an der neben den „Kumpari“ – Leuten, die mit einflußreichen und hervorragenden Persönlichkeiten in einem Verwandtschafts- oder doch in einem Gevatterschaftsverhältnisse stehen und ihnen Gefolgschaft leisten, wofür diese sie ihrerseits nach Möglichkeit unterstützen – das gebildete, aber dennoch hungernde Proletariat sich in hervorragender, oft ausschlaggebender Weise betheiligte, in der Hoffnung, durch die mit einem Ministerwechsel üblicherweise verbundene Neubesetzung vieler Beamtenstellen obenauf zu kommen. Der gegenwärtige Ministerpräsident Trikupis, ein kluger und energischer Politiker, hat dem zwar in letzter Zeit durch verschiedene Maßregeln wesentlich Einhalt gethan; aber es ist fraglich, ob die Wirkung seines Eingreifens andauernd sein wird. Da man sich begreiflicherweise nicht dazu entschließen konnte, die Lernfreiheit einzuschränken, so ist nicht ausgeschlossen, daß das alte Spiel in einiger Zeit von neuem beginnen und die Regierung abermals in die Lage kommen wird, bei Entscheidungen wichtigster Natur dem unberechenbaren Drucke der Menge folgen zu müssen.

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit der Finanzlage und den Erwerbsverhältnissen Griechenlands zu, so finden wir, daß sie vergleichsweise günstig sind. Es ist ja richtig, daß auch Griechenland eine ganz erhebliche Schuldenlast trägt – an 550 Millionen Drachmen[1] – aber die Zustände sind geordnet und gefestigt und überall tritt ernstes Streben zu Tage. Während 1824 und 1825 die provisorische Regierung in London Anlehen im Betrage von 800 000 und 2 000 000 Pfund Sterling Nennwerth aufnehmen mußte, für die sie in Wahrheit nur 348 000 und 572 000 Pfund Sterling erhielt, wurde in jüngster Zeit eine Anleihe von 125 Millionen, vierprozentiger Goldrente zu einem Ausgabekurs von 771/8 Prozent und den Stückzinsen fast ausschließlich in Deutschland gezeichnet, nicht etwa bloß von Bankhäusern, sondern unter sehr lebhafter Mitwirkung des Privatkapitals.

Die Regierung trägt sich ferner mit dem Gedanken, das System der ewigen Rente an Stelle der tilgbaren einzuführen und auf diese Weise die Mittel zu finden, den Geldwerth zu heben, das Bahnnetz zu vergrößern und durch die Ersparniß an der Tilgung das Gleichgewicht im Staatshaushalte endgültig zu erreichen. Damit wäre auch für den griechischen Handel viel gewonnen. Derselbe ist ja heute schon bedeutend – die Ausfuhr an Korinthen z. B. hat einen Werth von rund 54 Millionen Drachmen, an andern Früchten von 7,2 Millionen, an Wein von 5,1 Millionen, an Tabak von 2,5 Millionen, an Mineralien von 20 Millionen, an Harzen, Oelen etc. von 4 Millionen; die Einfuhr, um nur die zwei größten Posten herauszugreifen, an Getreide einen Werth von 54 Millionen, an Garnen und Geweben von 27 Millionen; im besonderen beträgt der Werth der Ausfuhr nach Deutschland rund 4,3 Millionen, der der Einfuhr von dort 3,3 Millionen. Trotzdem hat der Handel noch lange nicht diejenige Ausdehnung erlangt, die der Erzeugungsfähigkeit des Landes entspricht. Wenn auch die griechische Handelsflotte, die rund 4500 Fahrzeuge mit 270 000 Tonnen und 22 000 Seeleuten umfaßt, ausgezeichnete Dienste leistet, so genügt dies doch nicht, denn es fehlt im Inneren, obwohl in den letzten Jahren in dieser Beziehung sehr viel geschehen ist, noch an Straßen und Eisenbahnen, und die Erzeugnisse an Holz, Marmor, Metallen, Tabak, Wein, Oliven können nur zum geringen Theil ausgeführt werden, weil es an der Möglichkeit der Beförderung fehlt.

Ist diese Möglichkeit einmal geboten, ist ferner der Kanal von Korinth vollendet, der (vergl. die Ausführungen der „Gartenlaube“ in Nr. 30 dieses Jahrgangs) die Verbindung Griechenlands mit dem europäischen Westen wesentlich verbessern wird, so wird nicht nur der griechische Handel zweifellos in einer überraschenden Weise emporschnellen, es werden auch Industrie und Landwirthschaft, die schon sehr erfreuliche Anfänge zeigen, weiteren Aufschwung nehmen. Solche Fortschritte werden aber auch bedeutend dazu beitragen, den politischen Verhältnissen mehr Ruhe und Gleichmäßigkeit zu geben, indem sie einen guten Theil der Unbeschäftigten einem gewinnbringenden Erwerb zuzuführen imstande sind.

Die Lage des Landes, dem Prinzessin Sophie in Kürze für immer angehören wird, ist also unzweifelhaft eine erfreuliche und ganz danach angethan, Gewähr für eine gesunde Weiterentwicklung zu bieten. Wir dürfen die deutsche Prinzessin mit der Ueberzeugung aus der alten Heimath scheiden sehen, daß glückliche Tage in der neuen sie erwarten.

Aber diese Ueberzeugung geben auch die Verhältnisse, welche die Prinzessin unmittelbar und persönlich berühren, denn das Leben am Hof zu Athen kann als das Muster eines glücklichen, herzlichen und liebenswürdigen Familienlebens gelten, ein Umstand, der nicht wenig dazu beigetragen hat, dem Herrscherhause die Liebe des Volkes zu sichern. König Georg, der, seitdem er am 31. Oktober 1863 die Regierung antrat, mit den Griechen gar manche schwere Zeit zu überwinden hatte, ist den Gewohnheiten eifriger Thätigkeit und schlichten, fast bürgerlichen Auftretens, die er vom väterlichen Hofe in Kopenhagen mitgebracht hatte, treu geblieben und hat dadurch von Anbeginn an die Neigung der Söhne Hellas’ erworben, eine Neigung, die er sich durch sein mannhaftes und glückliches persönliches Eintreten für die Interessen seines Volkes und durch seine streng verfassungsmäßige Regierung vollauf bewahrt hat. Königin Olga, eine Tochter des Großfürsten Konstantin Nikolajewitsch von Rußland und der Prinzessin Alexandra von Sachsen-Altenburg, theilt die Neigung ihres Gatten zu einer einfachen Lebensführung und ist stets darauf bedacht gewesen, den Monarchen in seiner durchaus nicht immer leichten Aufgabe zu unterstützen; sie vermeidet es aber sorgfältig, sich mit politischen Angelegenheiten zu beschäftigen. Die Erziehung ihrer Kinder, der Verkehr mit den Frauen aus dem Volke und den Damen der Gesellschaft, die sie alle gerne um sich versammelt, die Förderung der zahlreichen Vereine und Anstalten für Frauenbildung, die Beschäftigung mit Musik und Malerei füllen ihre Zeit aus. Prinzessin Sophie wird an ihr eine gütige und liebevolle Beratherin in der für sie neuen Lebenslage finden.

Kronprinz Konstantin, der 21jährige Bräutigam, ist ein hübscher, kluger und außerordentlich sympathischer junger Mann, der unter der Leitung eines bewährten deutschen Gelehrten, Dr. Lüders, in Athen seine Studien begann und dieselben dann in Leipzig, Heidelberg und Berlin vollendete. Als er zu seiner militärischen Ausbildung in der deutschen Reichshauptstadt weilte, knüpften sich zwischen der Prinzessin Sophie und ihm die ersten Fäden zu dem Bande, welches sie nun bald fürs Leben vereinigen wird.

Der Herzog von Sparta, wie der amtliche Titel des griechischen Thronfolgers lautet, hat den schlichten Sinn seiner Eltern geerbt; nichts desto weniger wird gerade bei den Festlichkeiten anläßlich seiner Vermählung in den letzten Tagen des Monats Oktober der griechische Hof die Gelegenheit ergreifen, in prunkvoller Weise dem Auslande und den eigenen Unterthanen gegenüber, Gastfreundschaft zu üben und zu zeigen, daß ihm neben dem Geschmacke für Einfachheit die Gabe nicht mangelt, fürstliche Hoheit würdig zu vertreten.




  1. Eine Drachme gilt etwa 80 Pfennig.