Zum Inhalt springen

Armenien und Europa. Eine Anklageschrift/Vorwort

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
<<< Vorwort >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift
Seite: {{{SEITE}}}
von: [[{{{AUTOR}}}]]
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
page
[[w:{{{WIKIPEDIA}}}|Artikel in der Wikipedia]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[[Index:{{{INDEX}}}|Wikisource-Indexseite]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Vorwort.

Eine Reise durch Anatolien und Syrien führte mich im Mai dieses Jahres auch durch zwei der Provinzen, die in den vorhergehenden Monaten durch die armenischen Unruhen und Blutbäder betroffen waren. Auf einem mehrwöchentlichen Ritt durch das immer noch unsichere Land drängte sich mir im Verkehr mit der türkischen Land- und Stadtbevölkerung in Bezug auf die Beurteilung der „armenischen Frage“ mehr und mehr eine Ueberzeugung auf, die mit der in Deutschland, auch von der Presse, fast allgemein vertretenen Anschauung im Widerspruch steht. Auf der ganzen Reise durch Anatolien bin ich keinem Muhammedaner begegnet, der nicht in seinem Urteil über die Ereignisse der letzten Monate von der selbstverständlichen Voraussetzung ausging, daß die Niedermetzelung und Ausplünderung des armenischen Volkes von der Regierung angeordnet sei und dem Willen des Sultans entspreche. Die türkische Landbevölkerung sprach überdies ganz offen aus: die Mollahs hätten in den Moscheen gesagt, daß der Scheikh ül Islam, das geistliche Oberhaupt der muhammedanischen Welt, die Ausrottung der Armenier befohlen habe. Da die Behörden, wenigstens in den Städten, von vornherein nur eine begrenzte Frist von mehreren Stunden oder Tagen für die Massacres und die Plünderung frei gegeben und dann Einhalt geboten hatten, war der türkischen Bevölkerung bei der ganzen Sache nur das Eine nicht klar, warum man überhaupt noch einen Armenier am Leben gelassen habe. Infolgedessen hatte sich unter dem Volke eine merkwürdige Legende gebildet. Es wurde uns allen Ernstes erzählt, der deutsche Kaiser habe nach dem Ausbruch der Massacres an den Sultan geschrieben, es sei jetzt genug, er möge nun Einhalt gebieten, und daraufhin habe der Sultan befohlen, das Morden einzustellen.

Die Ueberzeugungen, welche ich aus der Reise gewonnen, veranlaßen mich, schon im Orient soviel als möglich Material über den Ursprung und Verlauf der Blutbäder zu sammeln, eine Arbeit, die ich nach meiner Heimkehr fortsetzte, um meine eigenen Anschauungen an möglichst zahlreichen Berichten von Augenzeugen zu prüfen. Ich bemerke, um jedem Mißtrauen zu begegnen – die zur Krankhaftigkeit ausgeartete Anglophobie unserer Presse nötigt, dies zu sagen – daß das in der Darstellung dieses Buches verarbeitete Material bis auf die beiden Berichte von G. H. Fitzmaurice (II) und E. I. Dillon (III) weder aus englischen noch auch, mit vereinzelten Ausnahmen, aus armenischen Quellen herrührt. Es leben in allen Landesteilen der Türkei Ausländer jeder Nationalität, – auch die Deutschen sind nicht unbeträchtlich vertreten – die als Augenzeugen des Geschehenen die zuverlässigsten Berichte geben konnten. Selbstverständlich sind auch die englischen Konsularberichte, die in den Blaubüchern (Turkey, Nr. 1 part I und II, September 1895, Turkey, Nr. 1 und 2, Februar 1896, Nr. 3, Mai 1896) jedermann zugänglich sind, eine reiche und zuverlässige Quelle der Belehrung über die Zustände in Armenien. Vor allem aber besitzen wir in dem Bericht der Botschafter der 6 Großmächte (Teil V dieser Schrift) über „die Ereignisse des Jahres 1893 in Kleinasien“, welcher mit einer Kollektiv-Note vom 4. Februar 1896 dem Sultan überreicht wurde, ein Dokument von unanfechtbarer Zuverlässigkeit. Dieser Bericht, welcher geeignet gewesen wäre, schon längst das öffentliche Urteil über Ursprung und Charakter der Blutbäder in Armenien zu klären, ist, trotzdem derselbe seit dem Februar des Jahres im englischen Blaubuch publiziert vorliegt (Turkey, No. 2, Februar 1896, S. 298–338), von der deutschen Presse so gut wie gar nicht berücksichtigt worden. Es ist auch von Wert, darauf hinzuweisen, daß England, Amerika und Frankreich schon längst eine überaus gründliche Litteratur über die armenische Frage besitzen, die Deutschland vollständig abgeht. Ich führe an: L. I. Dillon, The condition of Armenia. Contemporary Review, Aug. 1895 – Derselbe, Armenia, an Appeal. Cont. Rev., Jan. 1896. – Fr. D. Greene, The Armenian Crisis in Turkey, New York-London, März 1895. – Derselbe, The Rule of the Turk, New York-London, März 1895. – Rev. Malcolm MacColl, Englands Responsibility towards Armenia, London, Jan. 1896. – P. Fr. Charmetant, Martyrologe Armenien, März 1896. – G. Godet, Les Souffrances de 1’Arménie, Neuchatel 1896. – G. Clemenceau, Les Massacres d’Arménie, Paris, Juli 1896. Die unter der Ueberschrift: „Die Wahrheit über Armenien“ zusammengefaßten Artikel erschienen im August d. J. im „Reichsboten“.

Ich kann zuletzt nur noch den Wunsch aussprechen, daß das in dieser Schrift gebotene Thatsachen-Material von den Lesern dazu benutzt werden möge, ihr Urteil über die armenische Frage nachzuprüfen. Dann wird der einzige Zweck, den ich bei Abfassung dieses Buches im Auge hatte, erreicht sein, der kein anderer war, als dazu mitzuwirken, daß die öffentliche Meinung in Deutschland nicht mehr so unempfindlich wie bisher den Leiden der Christenheit des Morgenlandes gegenüberstehen möge.

Friesdorf bei Wippra,
August 1896.

J. L.