Armenien und Europa. Eine Anklageschrift/Erster Teil/Zweites Kapitel
Unser erster Bericht konnte der Hauptsache nach nur eine statistische Uebersicht bringen. Zahlen sind trocken. Das Auge des Lesers gleitet über etliche 100 oder 1000 von Toten, über etliche 10 000 oder 100 000 von Notleidenden leicht hinweg, und eine Null mehr oder weniger macht für die Empfindungsbilanz wenig aus. Darum ist es notwendig, den Stoff zu beleben und wenigstens an einigen Beispielen zu zeigen, wie sich trockene Zahlen in brutaler Wirklichkeit ausnehmen. Es mag uns vielleicht jemand zürnen, daß wir Dinge ans Licht ziehen, vor denen sich das Auge lieber verschließt, und selbst vor der Schilderung des Gräßlichsten nicht zurückschrecken, aber das Opfer, das wir der Gemütsruhe der Leser zumuten, ist doch nur eine gelinde Nervenerschütterung, während die Hekatomben von Blut, Qual, Geschrei und Thränen, von denen wir eine der Wirklichkeit mehr entsprechende Vorstellung erwecken möchten, bis an die äußersten Grenzen menschlicher Leidensfähigkeit von Hunderttausenden durchgekostet wurden. Wäre es freilich so, wie man aus manchen Auslassungen unserer offiziösen Presse schließen müßte, daß diese himmelschreienden Schandthaten und Massenmorde nichts anderes sind als nichtsnutzige Phantasieprodukte englischer Diplomaten und Zeitungsschreiber, ausgeheckt, einzig zu dem Zwecke, um von Zeit zu Zeit „Europa mit einer neuen Auflage armenischer Greuel zu regulieren“, so würde auch unsere Darstellung nur der Beweis eines ebenso bösartigen Charakters sein, wie er bei englischen Staatsmännern und Publizisten vorausgesetzt wird. Sind aber die Dinge auch abgesehen davon, welchen Nutzen oder Schaden sie in den Berechnungen der hohen und niedrigen Politik verursachen, zunächst nichts anderes als wahr, so ist doch wohl anzunehmen, daß das Recht der besseren Ueberzeugung auf der Seite derer ist, die die Wahrheit sagen und nicht auf der Seite derer, die die Wahrheit verschweigen.
Wir bitten unsere Leser bei der folgenden Darstellung im Auge zu behalten, daß die armenischen Massacres, denen 100 000 schuldlose Menschen zum Opfer fielen, an einem friedlichen und wehrlosen Volke verübt wurden, denn alles, was von Revolten, revolutionären Anschlägen oder auch nur Provokationen von seiten der Armenier gegen die türkische Regierung oder Bevölkerung in unseren Zeitungen zu lesen war, den einzigen Fall von Zeitun ausgenommen, so weit es das armenische Volk und nicht einige unruhige Köpfe in London, Paris, Athen oder Konstantinopel betrifft, es sei gleich rund herausgesagt, ist von A bis Z erlogen. Wir werden darauf noch zurückkommen. Vor der Hand genügt es, das unbestochene Urteil des Botschafter-Berichtes zum Zeugen aufzurufen. Wem die Thatsachen unbekannt sind, der mag sich durch Zahlen belehren lassen. Oder wie wollte man sonst erklären, daß neben den Hunderten und Tausenden von abgeschlachteten Armeniern in dem Bericht der Botschafter die Toten der Muhammedaner nur mit ganz kleinen Zahlen figurieren? Die letzteren sind noch dazu der offiziellen türkischen Statistik, die gewiß keinen Muhammedaner zu wenig zählen wird, entnommen. Wir brauchen nur diese Zahlen türkischer Herkunft mit den durch unsere Informationen vervollständigten Verlusten der Armenier zu confrontieren und können die weiteren Schlüsse vorläufig dem Nachdenken unserer Leser überlassen.
Muhamedaner † Armenier † Trapezunt 20 800 Erzerum 12 900 Erzingjan 7 1000 Bitlis 39 900 Charput 12 900 Arabkir 60 4000 Sivas (10) 1400 Aintab 50 1000
In der That sehr merkwürdig, daß, als die Schafe eines Tages die Wölfe überfielen, solche Herden von Schafen umkamen und nur eine so geringe Zahl von Wölfen von den reißenden Schafen zerrissen wurde. Die Sache bedarf offenbar noch der Aufklärung.
Doch nun zu den Massacres. Es ist keine Frage, die Abschlachtung der Armenier war für die Türken ein Fest. Mit Trompetensignalen begonnen, mit Prozessionen beschlossen, unter dem Gebet der Mollahs, die von der Höhe der Minarets den Segen Allahs auf das Gemetzel herabriefen, vollzog sich das Ganze in bewunderungswürdiger Ordnung nach dem zuvor vereinbarten Festprogramm. In brüderlicher Einmütigkeit mit dem Militär, den Redifs (Reserven), den Zaptiehs (Gendarmen) und den neugeschaffenen kurdischen Irregulären, die als Hamidieh-Regimenter nach dem Namen des regierenden Sultans genannt wurden, begab sich der von den Behörden mit Waffen ausgerüstete Pöbel ans festliche Geschäft des Mordens. Die Stimmung war die beste. Die türkischen Frauen mit ihrem Zilghit, dem kreischenden Kehllaut ihrer Kriegsrufe, ermunterten ihre Braven und übertönten das Geschrei der Opfer mit dem Gebrüll ihrer Hochzeitslieder. Ein wilder, menschenfresserischer Humor bemächtigte sich des edlen Pöbels. Und warum auch nicht? Wenn hier ein Offizier ermutigte: „Nieder mit den Armeniern, das ist der Wille des Sultans!“ wenn dort ein Vali ermahnte: „Seid rührig, laßt nicht ab zu töten, zu plündern und zu beten für den Sultan!“ warum sollten sie innehalten mit Beten und warum abstehen vom Morden? Lag doch der Lohn der Frömmigkeit vor ihren Augen: die aufgestapelten Waren in den Magazinen armenischer Kaufleute und sämtliche Habe in ihren Häusern, so viel sich nur erraffen und hinwegschleppen ließ. War doch überdies völlige Straflosigkeit jeglicher Schandthat ihnen sicher, und von der sorglichen Regierung für ihre getreuen Unterthanen alle nur wünschenswerten Maßregeln getroffen, um das Geschäft des Mordens bei allem Blutvergießen so ungefährlich als nur möglich für alle Beteiligten zu machen, so ungefährlich, wie das Abstechen der Hammel im Schlachthaus.
In keiner Weise war die Phantasie des mutigen Pöbels und der tapferen Soldaten durch eine Sorge um das eigene Leben in Anspruch genommen. Schrankenlos konnten sie sich dem Waffentanz der Massacres und den darauf folgenden Orgien der Schändung hingeben.
Das eintönige Geschäft, Hunderte von waffen- und wehrlosen Armeniern aus ihren Häusern und Schlupfwinkeln zu zerren, Mann für Mann zu köpfen, zu erstechen, zu erdrosseln, zu erhenken, mit Knütteln, Aexten und Eisenstangen zu erschlagen, ermüdete bald. Der joviale Pöbel verlangte nach Abwechselung. Das einfache Totschlagen war zu langweilig – man mußte die Sache unterhaltender machen. Wie wäre es, ein Feuer anzuzünden und die Verwundeten drin zu braten, etliche an Pfählen die Köpfe nach unten aufzuhängen, andere mit Nägeln zu spicken oder ihrer fünfzig zusammenzubinden und in das Menschenknäuel hinein zu schießen. Wozu hat ein Armenier soviel Glieder, als dazu, daß man sie einzeln abhackt und ihm die blutigen Stümpfe in den Mund stopft. Das Ausstechen der Augen, das Abschneiden der Nasen und Ohren wird zur Spezialität ausgebildet. Besonders Priester, die sich weigern, zum Islam überzutreten, verdienen kein besseres Schicksal. Soll ich die Liste der Armen, die so ums Leben kamen, herzählen? Sie steht zur Verfügung.
Aber das alles sind noch einfache Methoden, die den Ruhm der Neuigkeit nicht in Anspruch nehmen können. Hier ist Petroleum und Kerosin! Zwar wurde es von der Behörde nur geliefert, um Häuser damit zu verbrennen und Vorräte von Lebensmitteln und Getreide zu verderben. Aber sie wird nicht zürnen, wenn man einen nützlicheren Gebrauch davon macht. Seht diesen Mann, ein Photograph, Mardiros sein Name, welch einen stattlichen Bart er hat! Gießet Petroleum hinein und zündet ihn an! Schleppt Christen zusammen, gießt Kerosin drüber her, und wenn sie brennen, werft andere in den Qualm, damit sie drin ersticken! Welch üppiges Haar hat diese Frau! Man schütte Pulver hinein – die Regierung hat noch mehr! und sengt ihr den Kopf ab. Ja, Uebung macht den Meister! Da ist ein Effendi, Abdullah sein Name; im Kloster zu Kaghtzorhayatz läßt er einen jungen Mann und eine junge Frau auf einander legen und bringt das Kunststück fertig, beider Köpfe mit einem Schwertstreich abzuschlagen. Es geht aber auch ohne Eisen und ohne Feuer. Der Kurdenscheikh Djevher von Gabars beweist es, läßt zwei Brüder mit Stricken binden und mit Pfählen auf den Boden spießen. Wetteifer spornt die Trägen, und Ehrgeiz fängt an, die Köpfe zu zählen, die eine Hand erschlug. Jener Bäcker in Kesserik, der schon 97 Armenier umgebracht, wofür ihre abgeschnittenen Nasen und Ohren den Beweis erbringen, erklärt, nicht eher ruhen zu wollen, als bis er das Hundert vollgemacht. Doch er findet einen Meister in dem Hadji Begos von Tadem, der das Hundert schon überschritten und als Trophäe seiner Heldenthaten eine Frau in vier Stücke zerschneiden und die auf Pfähle gespießten Teile öffentlich zur Schau stellen läßt. Der Schlächter in Aintab, der sechs Armenierköpfe auf seine Bratspieße steckt, wird noch übertrumpft von den Türken zu Subaschigulp, die die Armenier wie die Hammel schlachten und rings an den Fleischerhaken aufhängen. Der Pöbel von Trapezunt aber bringt Humor in die Sache. Der armenische Schlächter Adam und sein Sohn werden erschossen, in Stücke geschnitten, die Glieder einzeln aufgespießt und den Passanten feilgeboten: „Wer kauft, einen Arm, ein Bein, Füße, Köpfe, billig zu haben, kauft!“
Doch die Unschuld sollte geschont werden. Die Kinder laßt am Leben! „Nur vom siebenten Jahr ab, hat der Sultan befohlen, die Christen zu töten!“ Aber wer hört auf die Stimme der Besonneneren! Was soll die unnütze Brut, die in Angst und Verwirrung von in entsetzlicher Hast geflüchteten Eltern zurückgelassen, die in den einsamen Bergschluchten der Umgegend von Musch herumirren oder nackt, frierend und bettelnd in den Städten wie Rudel von Straßenhunden herumlungern! Die Muhammedaner eines großen Dorfes bei Marasch ersparten einem einjährigen Kind dieses traurige Schicksal und warfen es ins Feuer. In Baiburt waren sie barmherzig genug, gleich die Säuglinge mit den Müttern in 14 Häusern zu verbrennen. Der reiche Ohannes Avakian von Trapezunt bietet dem stürmenden Pöbel alle seine Habe, wenn sie sein und der Seinen Leben schonen. Seinen dreijährigen Knaben hält er im Arm. Doch die Habe entgeht den Wüterichen nicht, erst den Knaben tot, damit sie an den Alten können! und ermordet werden beide vor den Augen der Mutter und Geschwister. Kinder auf dem Schoß der Mütter zu erwürgen, ficht einen tapferen Türken nicht an, und Fangball mit einem Kleinen spielen und ihn vor den Augen der Mutter von einem Bajonett aufs andre zu werfen, scheint den Soldaten von Bitlis ein heiteres Kriegsspiel. Auf der verstümmelten Leiche des Vaters, dem man zuvor ein Stück Fleisch nach dem andern aus dem Leibe gehackt und Essig in die Wunden gegossen, noch seinen Knaben mit blutigem Spielzeug zu erschlagen, erfreute den Pöbel von Erzerum.
Wenn auch in allen Massacres Dutzende von Frauen und Kindern umkamen, wenn auch in Ksanta und Lessonk hundert Frauen zerstückelt wurden, wenn auch unter den Opfern zu Bitlis sich die fünf- bis zwölfjährigen Knaben der Pfarrschule von Surp Serkias befanden, so muß man doch den Türken die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß von den Spitzen der Behörden solche Greuel nicht immer gewollt wurden. Und wenn aus einer ganzen Reihe von Dörfern und Städten berichtet wird, daß man selbst die Kinder im Mutterleib nicht schonte, ihnen gewaltsam zu einem frühzeitigen Dasein verhalf, sie zerstückte und in die Brunnen warf oder in Kreuzform zerschnitten im Schoße ihrer Mütter wieder begrub, so ist dies freilich nur der entmenschten Grausamkeit einzelner Ungeheuer zuzuschreiben. Auch daß unter den 450 Leichen, die man auf den Friedhof zu Sivas begrub, alle Frauenleiber aufgeschlitzt waren, geht weit über die Instruktionen hinaus, die dem Pöbel zuteil wurden. Im übrigen aber wurden von den Behörden der Mordlust der Massen keinerlei Schranken gesetzt, und wo die zu bewältigende Aufgabe die Kräfte des Pöbels überstieg, half das schnell requirierte Militär gar bald zum erwünschten Erfolg. Thörichte Scharen von flüchtenden Männern, Frauen und Kindern glaubten oft genug, daß Kirchen ein Schutz seien, und daß man ihr Leben im Heiligtume schonen würde. Doch da nun einmal Hunderte von Kirchen und Klöstern in Schutt und Asche gelegt werden mußten, wenn man mit dem verhaßten Christentum aufräumen wollte, wie konnte man auf die Bagatelle Rücksicht nehmen, daß sich Männer, Frauen und Kinder zu Hunderten in dieselben geflüchtet hatten. Was hinderte auch, die Thüren der Kirche zu Ressuan zu erbrechen und alle Flüchtlinge drin zu ermorden. Warum flohen 300 Armenier in das Kloster Maghapajetzwotz, wenn nicht, um mit der Brüderschaft umgebracht zu werden? Und wenn in Indises (Distrikt Luh-Schehri), in Haburs und Bussu (Distrikt Charput) die Kirchen den Christen über den Köpfen eingesteckt wurden, wer will den Pöbel tadeln, wenn das Militär dabei mit gutem Beispiel voranging? In Schabin Kara-Hissar nahm man auf die heilige Stätte mehr Rücksicht und mordete die 2000 in die Kirche geflüchteten Männer, Frauen und Kinder wenigstens draußen vor der Thür. Die Schandsäule aber, die sich zum ewigen Gedächtnis der Islam in dem Massacre von Urfa errichtet hat, mag der Leser in Teil II mit eigenen Augen bestaunen.
Ein schrankenloser Spielraum für die mordluslige Phantasie des Pöbels eröffnete sich aufs neue, als es sich darum handelte, was mit den Leichen der Tausenden von Erschlagenen anzufangen sei. Daß hier kein Schamgefühl, kein Schrecken vor der Majestät des Todes jedem schändlichen Beginnen in den Weg trat, braucht nicht gesagt zu werden. Doch verdient es in den Annalen der Geschichte verzeichnet zu werden, daß in allen Städten und Dörfern die Christenleichen nackt ausgezogen, aufs scheußlichste entstellt und cynisch verstümmelt in Bergen auf den Straßen, auf Misthaufen, in den Brunnen oder Senkgruben aufgeschüttet lagen, bis man die Esel und Juden requirierte, um die Leichen wie das Aas gefallener Tiere vor die Stadt zu schaffen. Niemand vermochte unter den aufgetürmten und verstümmelten Massen von Menschenfleisch die Seinen wiederzuerkennen. Wo man es nicht vorzog, die Leichen für den Fraß der Hunde liegen zu lassen oder mit dem beliebten Petroleum ein Autodafé zu veranstalten, war bald eine Grube ausgeworfen und die Masse von Kadavern hineingescharrt.
Doch Männern von Bedeutung wurden besondere Funerarien zuteil. Dem Priester Mattheos zu Busseyid wurde sein abgeschlagenes Haupt zwischen die Schenkel gelegt, und die jungen Türken des Ortes amüsierten sich, seinen Leichnam mit Ruten zu züchtigen. – Dem Priester Der-Harudiun zu Diarbekir und seinem Kollegen an der Kirche zu Alipunar, sowie zehn andern Priestern des Distrikts von Tadem wurde die Ehre zuteil, daß man ihren Leichen die Haut abzog. Dem Abt Sahag, Prior des Klosters Surp-Katsch im Distrikt Kizan, wurde mit seinem jungen Adlatus ein besonderes Denkmal errichtet, indem man ihre abgezogene Haut mit Stroh ausstopfte und an den Bäumen aufhing. Der Phantasie eines Nero ist es würdig, wenn die Türken von Arabkir die abgeschlagenen Köpfe der Armenier an langen Stangen aufreihten; und der Gendarmerie-Kommandant von Baiburt, der am 26. Oktober den Frauen des Dorfes Ksanta unter dem Versprechen, ihre Männer zu schützen, Geld und Schmucksachen im Wert von 500 türk. Pfd. abnahm und sich dann nach etlichen Tagen eines anderen besann, sämtliche Frauen und Kinder desselben Dorfes auf einem Felde versammelte und unbarmherzig abschlachten ließ, hätte es wohl verdient zum Chef der Leibgarde des Tamerlan ernannt zu werden.
Die Einwohner von zwölf Dörfern im Norden und Westen von Marasch hatten sich beim Beginn der Unruhen nach dem Flecken Turnus geflüchtet in der Absicht, von dort in die Berge von Zeitun zu fliehen. Etwa 4000 Personen waren so beisammen, als sie sich eines Morgens plötzlich von Soldaten umringt sahen. Ein furchtbares Morden begann, aus dem nur 380 Frauen und Kinder übrig blieben, die nach dem blutigen Werk auf einen Haufen gesammelt, von den Soldaten zwei Tagereisen lang wie eine Herde von Schafen nach Marasch getrieben wurden. Warum sie nicht auch umbringen? Der Ruhm der Barmherzigkeit, die die Unschuld beschützt, sollte der Regierung des Sultans gesichert bleiben. Daß freilich bei diesem Viehtreiben in der Winterkälte des Dezember das arme Volk im Schnee der Berge waten, die verschmachtenden Kinder von den Müttern am Wegesrand liegen gelassen werden mußten, weil zum Rasten und Stehenbleiben keine Zeit war, thut solchem Liebeswerk keinen Eintrag. O wäre man barmherzig gewesen und hätte sie alle erschlagen, denn welche Freude kann eine Mutter noch am Leben haben, die erzählte, daß, als sie ihre beiden Kinder nicht mehr tragen konnte, sie glücklich war, beide auf eins der Tiere zu setzen, das den Soldaten gehörte. Als sie aber an einen Fluß kamen, warfen die Unmenschen die Kleinen ins Wasser.
Ist nicht genug des Bluts und der Thränen geflossen? Wann endlich wird der Schmerzensschrei eines gemarterten Volkes das Ohr der Christenheit erreichen? Und was sagen jene christlichen Großmächte dazu, die seit 18 Jahren ihre schirmende Hand über Armenien halten und papierene Reformen „im Namen des Allmächtigen“ einem geknechteten Volk verbrieft und versiegelt haben?
Doch genug davon, denn noch ein Blatt will beschrieben sein, beschrieben mit Schande, Blut und Thränen. „Die Männer schlagt tot! Ihr Eigentum, ihre Frauen und Mädchen sind unser!“ Das war die Losung in Cäsarea, mit der die Soldaten den bewaffneten Pöbel zu Mord, Plünderung und Schändung aufriefen. Und diese Losung ist befolgt worden in jeder der Hunderte von Städten und Tausende von Dörfern, über die sich der Greuel der Verwüstung ergoß. Schon vor den Massacres hatten die Soldaten die Schamlosigkeit, christliche Mütter aufzufordern, ihnen ihre Töchter zu reservieren, denn bald, sagten sie, würden alle Christenmädchen im Lande ihr eigen sein.
Die Zahl von 85 000 Erschlagenen können wir nachrechnen, soweit unsere Informationen reichen, und die Totenliste ist entfernt noch nicht abgeschlossen. Aber wer zählt die Hekatomben von Schändungen und Entehrungen, zählt die Thränen der Tausende und Abertausende, die in die Berge geschleppt, in die Harems verkauft, auf dem Sklavenmarkt feilgeboten oder nach Befriedigung der Lüste in irgend einem Winkel erschlagen und verscharrt wurden?
Soll ich einen Begriff geben von dem Maß von Schande und Entwürdigung, dem Tausende von Mädchen und Frauen auch heute noch tagtäglich preisgegeben sind?
Jener Schurke, Hadji Begos, der sich rühmte, ein Hundert von Armeniern mit eigener Hand umgebracht zu haben, er brachte es auch fertig, ein Christenmädchen nackt auszuziehen und, von allem entblößt, durch die Straßen der Stadt zu jagen. Der Pöbel von Cäsarea, der 30 Häuser von Armeniern mit ihren Insassen verbrannte, nahm auch teil an dem saubern Geschäft, das Frauenbad der Stadt zur Stunde des Bades zu stürmen. Und welchen Empfang fanden die dreißig Frauen von Koschmat, die völlig entkleidet über die Berge irrten, bis sie nach Shinag gerieten, und den Soldaten der Kaserne in die Hände fielen? Doch das ist nichts Besonderes. Kein Massacre, ohne daß nicht dem Morden der Männer das Schänden der Frauen und Mädchen auf dem Fuße folgte; keine Plünderung, ohne daß Frauen und Mädchen feilgeboten, weggeschleppt, gegen Pferde und Esel als Tauschware verhandelt, oder auf den Sklavenmarkt gebracht wurden. Keine Einquartierung zum Schutz (?) oder Mord der Bewohner in ein Dorf gesandt, ohne daß nicht Christenmädchen von den Aghas oder Offizieren nächteweis an die Zaptiehs und Soldaten verteilt wurden.
In den eigenen Häusern nicht sicher, unter den Augen der Männer, die man an die Thürpfosten bindet, geschändet, oder, auch des ohnmächtigsten Schutzes beraubt, von Haus zu Haus gejagt, bis sie der Entehrung anheimfallen, das ist das Schicksal eurer Schwestern in Armenien, ihr Frauen von Deutschland! Welche wollt ihr mehr beklagen, die verwitwet oder verwaist, in irgend einer Ecke ihrer zertrümmerten Häuser, nur notdürftig bekleidet, auf Lumpen kauern, zitternd vor jedem Schritt eines Mannes, der Türke oder Kurde, des Weges kommt, ins Haus eindringt, um sie vor den Augen ihrer Kinder und Geschwister zu schänden, oder jene andern, die, vielleicht durch Gestalt oder Schönheit ausgezeichnet, das Wohlgefallen eines türkischen Agha fanden, unter Geschrei und Thränen in seinen Harem geschleppt wurden und mit ihrer Ehre zugleich ihren Christenglauben opfern mußten.
Begreift man nun wohl, was in Armenien Hunderte von Frauen in den freiwilligen Tod trieb? Was jene fünfzig Frauen von Lessonk und Ksanta bewog, sich in die Brunnen zu stürzen oder in die Abgründe zu springen? Welche Schrecken die Seele jener vornehmen Armenierin erfüllte, die mit einer Schar von Frauen, Kindern und wenigen Männern von Uzun Oba (25 Meilen östlich von Charput) weggeschleppt wurde und am Ufer des Euphrat angelangt, ihren Gefährtinnen zurief, nach dem Flusse stürzte und in die Wellen sprang? Beweis genug, daß Schande schlimmer ist als Tod, wenn 55 Frauen und Kinder ihr folgten und ihren Tod in den Wellen fanden.
Oder giebt es ein menschliches Herz, das einem alten, unglücklichen Vater sein namenloses Weh nicht nachempfinden könnte, wie es sich in einem Brief an einen Sohn in der Fremde also ausspricht: „O, ich wage es dir nicht zu sagen ... Sie kamen und drohten mich zu töten, wenn ich ihnen deine Schwester nicht ausliefern würde. Alles hatten sie schon fortgeschleppt: Decken, Betten, Kleider, Lebensmittel und selbst das Brennmaterial, als sie wiederkamen, um auch noch unsere Tochter zu fordern. Ich widerstand ihnen, bereit zum äußersten. Aber, als sie den Säbel an meiner Kehle und meinen Tod vor Augen sah, da warf sie sich selbst den Türken zu Füßen und schrie: Schont meinen Vater, hier bin ich!
Und sie haben sie weggeschleppt.“
Daß aber die Roheit der kurdischen Horden und der Cynismus des städtischen Pöbels durch die Schandthaten der Offiziere und Soldaten weit in den Schatten gestellt wurde, das soll den Bewunderern türkischer Armeeorganisationen und den Lobrednern muhammedanischer Gesittung nicht vorenthalten bleiben. Mich ekelt zwar, meine Feder in diesen Pfuhl von Schande einzutauchen, aber wessen die Wächter der Ordnung und des Gesetzes im Lande der „armenischen Reformen“ fähig sind, das muß doch festgenagelt werden!
Der folgende kurze Bericht wird durch zwei von einander unabhängige Zeugnisse, die vor mir liegen, verbürgt: „In dem Dorfe Husseyinik (Vilajet Charput) versammelten ungefähr 600 Soldaten (und wo Soldaten sind, sind auch Offiziere) eine gleiche Zahl von ungefähr 600 armenischer Frauen und junger Mädchen im Militär-Depot und nachdem sie ihre gemeinen Lüste öffentlich an denselben befriedigt hatten, schlachteten sie die unglücklichen Opfer ihrer scheußlichen Notzüchtigungen ab.“
Sollte dieses Blut nicht gen Himmel schreien? Sollte das Jammergeschrei dieser Frauen und Mädchen nicht das Ohr des Allmächtigen erreichen, wenn auch das der Mächtigen dieser Erde taub bleibt? So wahr ein Gott im Himmel lebt, es wird’s thun!