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An die Dichterinn von Karl Hadermann

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Susanne von Bandemer
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Titel: An die Dichterinn von Karl Hadermann
Untertitel:
aus: Neue vermischte Gedichte, S. 160–166
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Erscheinungsdatum: 1802
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google, Kopie auf Commons
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[160]

An die Dichterinn von Carl Hadermann.


„Que c’est un fatal présent du cieul qu’une ame
sensible! Celui qui l’a reçu, doit s’attendre à
n’avoir que peine & douleur sur la terre.“

Nouv. Heloise, Part. I Lett. XXVI.


Singe, Sappho, deine Seele
Und des Freundes Seel’ in Ruh!
Bebend hör’ ich, Philomele,
Deinen sanften Klagen zu. –

5
Welche Glut hebt meinen Busen:

Rauschet mir der Helikon?
Wohl! mich fast die Wuth der Musen,
Ich begleite deinen Ton!

[161]

Wie! ich dürft’ ihn nicht begleiten,

10
Wenn mein Herz in Rührung bricht!

Sappho, kenn’ ich deine Leiden,
Deine stille Thränen nicht?
Hab’ ich nicht in finstern Stunden,
Wann der Schmerz dein Herz durchwühlt,

15
Deinen Schmerz mit dir empfunden,

Was du fühltest, mitgefühlt? –

Ist es wahr, daß schönen Seelen
Selten Glück und Ruhe lacht?
Sind Klarissen und Pamelen

20
Nur Cypressen zugedacht?

Schmelzen darum weiche Herzen
In der Liebe süßen Weh’n,
Um in Thränen und in Schmerzen
Und in Stürmen zu vergehn?

25
Ist es wahr, ο Kind der Musen,

Was der Genfer Bürger lehrt:
Wehe dem, in dessen Busen
Der Empfindung Flamme zehrt!
Auf empörten Ozeanen

30
Steuert er sein schwaches Schiff,

[162]

Und in wüthenden Orkanen
Scheitert er an jedem Riff.

Wie in Inseln fremder Seen,
Findet er sich hier und dort,

35
Wo ihn Menschen nicht verstehen,

Nirgends an dem rechten Ort.
Wo den Thoren Blumen sprießen,
Wo Fortunas Würfel fällt,
Sehnt er sich nach Paradiesen

40
Seiner ideal’schen Welt.


Nur in seinen Träumen windet
Ihm die Freude ihren Kranz;
Nur in Fabelwelten findet
Er der heilgen Wahrheit Glanz.

45
Nicht für diese Welt geboren,

Wo ihn Ruh’ und Wonne fliehn,
Sehnet er sich nach den Horen
Einer schönern Zukunft hin.

Seiner ersten Blüthenstunden

50
Lächelndes Arkadia,

Was sein junges Herz empfunden,

[163]

Was sein junges Auge sah,
Ist, was in der weiten Ferne
Seiner Vorzeit ihn entzückt;

55
Aber alle goldnen Sterne

Sind der Gegenwart entrückt.

Sehnend schaut er nach dem Bilde
Der Vergangenheit zurück;
Weinend wirft er im Gefilde

60
Dunkler Zukunft seinen Blick.

So versiegt des Lebens Welle,
Ohne daß sein Durst gekühlt,
Bis ihn an des Orkus Schwelle
Sanft des Todes Hauch umspielt. – –

65
Sappho, Tochter stiller Leiden,

Philosophen sagen viel:
Hängen wir an Thränenweiden
Darum unser Saitenspiel,
Weil in seiner Pappeln Wehen

70
Rousseau eremitisch klagt,

Und die Menschen zu verstehen
Nicht verlanget und nicht wagt?

[164]

Sieh Auroras Purpur wallen,
Sieh Selenes Dämmerschein!

75
Höre Serenaden schallen

In der Flur, im Thal und Hain!
Athme Floras süße Düfte!
Schmecke Ceres Lebenssaft!
Fühl’ im Säuseln linder Lüfte

80
Gott, Natur und ew’ge Kraft!


Ruh’ am Quell der Hippokrene,
Wenn dein Herz in Träumen glüht,
Sappho, wo die Welt die Thräne,
Einsam hingeweint nicht sieht.

85
Wo die Phantasie die Höhen

Heil’ger Ideale mißt,
Und in ihres Himmels Wehen
Erd’ und Zeit und Raum vergißt.

Schwebe du auf Adlers Flügeln,

90
Schwebe auf zum Sternenchor,

Zu den Licht umstrahlten Hügeln
Der Vollkommenheit empor!
Folge jenem edlen Streben
Und dem Drang, der dich ergreift;

[165]

95
Wenn auch schon in diesem Leben

Nicht zur Frucht die Blüthe reift.

Ο dann wird in Ungewittern
Und gedrückt von Misgeschick,
Sängerinn, dein Herz nicht zittern,

100
Lächeln noch dein Feuerblick.

In des Sturmes grausem Wüthen
Hebet dich das Hochgefühl
Von der Tugend ew’gem Frieden
Und der Sturm wird dir ein Spiel.

105
Meine Sappho, dich zu sehen

In des Unglücks öder Nacht;
Auf Leukades Felsen stehen,
Wo kein Stern der Hoffnung lacht!
Welch ein Schauspiel! – Aber beben

110
Wird des Freundes Seele nicht;

Seh’ ich nicht den Kranz schon schweben,
Den die Tugend für dich flicht? –

Ach, vielleicht an fernen Seen,
Die ein Oberon dir zeigt,

[166]

115
Wird dein Blick die Sonne sehen,

Die sich hier für dich geneigt.
Einsam rühr’ ich dann die Saiten,
Sappho, wenn dein sanftes Bild,
Wie ein Traum aus vor’gen Zeiten

120
Deines Sängers Seele füllt.