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An der See

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Textdaten
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Autor: Gottfried Kinkel
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Titel: An der See. November 1850
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Von Gottfried Kinkel anlässlich seiner Befreiung aus dem Zuchthaus als Dank für die Familie Brockelmann in Rostock geschrieben, die ihn vor der Polizei versteckten und ihm eine Ausreise nach England ermöglichten. S. den Artikel von Moritz Wiggers zu Gottfried Kinkel’s Befreiung.
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[155]
An der See.      November 1850.

Nun sinken böse Sterne
Tief hinter mir in Nacht.
Es ladet mich die Ferne
Mit frischer Morgenpracht.

5
Die wanderfrohen Wellen

Mit weißem Kamme schwellen,
Von Süden weht’s mit Macht.

In wenig Stunden fodert
Der Bootsmann mich zum Strand.

10
Durch meine Seele lodert

Des Abschieds scharfer Brand.
Die Lippe fragt so bange:
Wie lang’, ach, auf wie lange
Meid’ ich das Vaterland?

15
Doch eh’ zum schwanken Loose

Ich frisch mich wende nun,
Eh’ neues Schlachtgetose
Mich ruft zu kühnem Thun:
War es mir doch beschieden

20
In deutschen Hauses Frieden

Noch einmal auszuruhn!

Ich kam auf Flüchtlingspfaden
Geächtet und gebannt;
Ich kam von Schmerz beladen,

25
Von Haß und Zorn entbrannt;

Es schlug die Flucht mir Wunden,
Sie wurden mir verbunden
Von mütterlicher Hand.

Hier fand ich deutsche Seelen

30
und echtes Sachsenblut;

Sie setzten ohne Wählen
An mich ihr Glück und Gut;
Hier an des Landes Marken,
Da fand ich noch den starken,

35
Den treuen Opfermuth!


O Eure fromme Güte,
Sie that sich nie genug!
Sie stillt mir im Gemüthe
Den Ingrimm, den ich trug;

40
Ihr habt es mir verliehen,

Daß ich vermag zu ziehen
In’s Elend ohne Fluch.

Drum Segen diesem Heerde
Und Heil ihm ewiglich,

45
Wo noch nicht von der Erde

Das fromme Gastrecht wich!
Auf allen ihren Wegen,
Mein Kind, den Deinen Segen,
Und Segen auch auf Dich!

50
Bald wirst Du selbst ja schalten

Mit mütterlichem Sinn,
Des eignen Hauses walten
Zum freudigsten Gewinn;
Dem trefflichen Gemahle

55
Beutst Du der Jugend Schale,

Du liebe Schaffnerin!

Auch uns, drauf magst Du trauen,
Fällt anders bald das Loos.
Und rasch zu Euren Auen

60
Wiegt mich des Meeres Schooß;

Aus Franken und aus Sachsen
Soll dann Zusammenwachsen
Ein Deutschland frei und groß!