An der Quelle (Die Gartenlaube 1885/37)
[612] An der Quelle. (Mit Illustration S. 609.) Tausendmal haben wohl die Künstler die in unserer Illustration wiedergegebene Scene behandelt, und doch fesseln uns stets jene Bilder der Mädchen und Frauen am Brunnen oder an der Quelle; denn in dem Wasserschöpfen durch Frauenhand liegt ein, wir möchten fast sagen tiefer, geheimnißvoller Zauber. Die Kunst braucht bei der Darstellung dieser tagtäglich wiederkehrenden Handlung nur einige poetische Lichter aufzusetzen, nur eine passende Staffage zu erfinden, um diesen Zauber vor unsern Augen bloßzulegen. Die sprudelnde Quelle erscheint uns stets als das Sinnbild des dahinrieselnden Lebens, und Dichter vernehmen in ihrem Murmeln Geschichten seltsamer Schicksale. Darum ist auch die Zahl der Lieder, die Quellen und Bäche besingen, seit uralten Zeiten eine unendliche gewesen. Aber auch die Maler schaffen Bilder, die als Gedichte aufgenommen und als Gedichte empfunden werden müssen, und ein Stück auf die Leinwand gebannter Lyrik ist sicher das von poetischem Hauch durchwehte Bild von E. Munier: jenes frohe Mädchenpaar am rieselnden Quell in der wilden Felsschlucht, deren Herzen und Seelen, von dem Schicksale des Lebens unberührt, noch klar und hell sind, wie das reine aus dem Felsen quellende Wasser.