An Selmar I.
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An Selmar.
Ha! dieser süße Aufruhr aller Sinnen,
Dieß Drängen, Streben, Schmachten und Zerrinnen
In heissen Thränen, die die Liebe weinet
So uns vereinet,
Bis Herz an Herz sich wonnevoll wird schließen,
Und dieses Busens ungestümes Schlagen
Dir mehr wird sagen
Als tausend Worte dir bezeichnen können –
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Vergebens streb’ ich, Holder! dies Entzücken
Dir auszudrücken.
Im Flammenkuß, den der Geliebte küsset,
Den Aug’ und Herz, ach! überall vermisset,
Wird sie gefunden –
Die längst verlohr’ne und von uns ersehnte,
Als ich noch Selmar nicht zu lieben wähnte,
Und doch im süßen Wahnsinn ganz versunken
Wie strebt’ ich da im Geist dich zu umfangen,
Am Gaumen stockte dieses Sprechverlangen,
Ich fühlte mich, in dir so ganz verlohren,
Wie neu gebohren.
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Die seligsten der zögernden Sekunden!
Wo ich dich, Selmar, trunken von Entzücken,
Ans Herz kann drücken?
Dann mag die Welt vor meinen Augen schwinden,
Im langen Kuß, den diese Lippen geben
Mit Wonnebeben.
Und würde mir der Todesengel winken,
Ich müßte noch den Kelch der Liebe trinken,
Den Busen heben.
Ein Himmelreich scheint mir die ganze Erde,
Und federleicht die drückendste Beschwerde,
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Seit dem die Glut, die unsre Herzen nähret,
O, komm Geliebter! den ein Gott mir wählte,
Der unsre Seelen ewig treu vermählte:
Komm! und vergiß an Selma’s treuem Herzen,
Der Unruh Schmerzen.