Zum Inhalt springen

Am Kaukasus

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Am Kaukasus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 484–486
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[484]
Am Kaukasus.
Der westliche Kaukasus, die Tscherkessen. – Der östliche Kaukasus, die Tschetschenzen. – Schamyl und seine Müriden. – Die Kaukasier der Ebene, die Kabardah. – Die Immerier und ihre Nachbarn. – Georgier und Georgierinnen.

In der Felsenburg, der „Tausendzipfeligen“, wie sie die Orientalen nennen, die sich vom schwarzen Meere nach dem caspischen erstreckt, hat der im Osten ausgebrochene verhängnißvolle Kampf einen gewaltigen Nachhall gefunden. Die von jeher unbezwungenen Söhne der kaukasischen Berge, mit dem glühenden Russenhaß im Herzen, haben sich mächtiger als je vorher zusammengeschaart; von den hohen kahlen Alpenketten her, durch die Region der undurchdringlichen Wälder, bis hinab über die Moräste und schilfbedeckten Sümpfe der Ebene braust ihr Kriegsgeschrei und wieder tragen die langmähnigen Rosse die unerbittlichen Müriden Schamyl’s durch die Steppe zum wilden Vernichtungskampf. Schamyl’s jüngster Sieg am Kasbek, der die Gefangenschaft einer großen Zahl russischer Adelsfamilien zur Folge gehabt, hat weithin Schrecken und Bestürzung verbreitet, und der bislang von den Kaukasiern geführte Bergkrieg scheint sogar einen andern Charakter annehmen zu wollen, da Tiflis, die Hauptstadt Georgiens, immer und immer wieder als von den kecken Söhnen der Berge bedroht, bezeichnet wird.

Das mühsame Netz, mit welchem die Russen den Kaukasus umstrickt, um seine Bewohner zu unterwerfen, erhielt den ersten großen Riß, als die Russen im Laufe dieses Frühjahrs ihre von den Flotten der Westmächte bedrohten Küstenforts am schwarzen Meere, mit Ausnahme von Anapa, aufgaben und mit eigener Hand zerstörten. Der westliche Theil des Kaukasus, dessen verschiedene Völkerschaften als Adighé, Abchasen. Ubychen, Schapßuchen u. s. w., unter dem Gesammtnamen Tscherkessen begriffen werden, erlangte wieder den freien Verkehr mit dem Meere, den zwar die Russen nie ganz abzuschneiden, wohl aber bedeutend zu hindern vermocht hatten. Zugleich kehrte Sefir Bey, der alte Tscherkessenfürst, der auf Rußlands Betrieb lange Zeit als Gefangener des Sultans in Adrianopel (ungefähr wie Kossuth in Kintahia) gelebt, in seine Heimath zurück, den alten Groll und den alten Kampfmuth mitbringend.

Die Tscherkessen, unter denen der ritterliche Stamm der Adighé allen andern voransteht, waren im Allgemeinen den Russen nicht so gefährliche Feinde wie die der Stimme Schamyl’s gehorchenden Krieger. Ihre Fürsten (Pschi) und Edelleute (Work, Usden) verständigten sich selten zu größern Unternehmungen unter einheitlicher Leitung, weil ihr entschiedener Unabhängigkeitssinn sie immer mit Mißtrauen gegen die einem Einzelnen anvertraute allzu große Gewalt erfüllte. Ihre kriegerischen Unternehmungen beschränkten sich daher immer nur auf flüchtige Streifzüge und Ueberfälle, deren Schauplatz hauptsächlich die Ufer des Kuban wurden. Wie bei allen Völkern des Kaukasus wirkte neben Russenhaß und Freiheitsliebe dabei die Lust zu Raub und Beute gleich stark mit.

Da einzelne Stämme der Gebirgsvölker sich den Russen wenigstens scheinbar unterworfen haben, so begegnet man den Angehörigen derselben oft in den russischen Niederlassungen, und selbst den freien Söhnen der Wälder ist einzeln der Zutritt unverwehrt, vielleicht weil man durch die Entwickelung des großen militärischen Apparats einen heilsamen Eindruck auf sie erwartet. In der Kosakenstadt Jekarderinodar am Kuban sprechen die Tscherkessen am Häufigsten ein; der erste Blick zeigt aber, daß diese stolzen, frei um sich blickenden Männer nicht in diese schmutzigen Straßen und unter diese einkasernirte Bevölkerung gehören. Auch ist ihres Bleibens nie von Dauer, und vielleicht eine der nächsten Nächte schon gürten sie in feindlicher Absicht die Schaschka und den Kinschal um, werfen sich auf die wiehernden Rosse und reiten hinab an den Kuban. Dann rast plötzlich Tod und Verderben die Ufer des Flusses entlang; der Himmel röthet sich blutig, den Brand einer russischen Krepost (kleine Festung) oder Kosakenstanitze (Dorf) verkündend, und ehe den Bedrängten Hülfe wird, ist zumeist Alles der Erde gleich gemacht, was da Leben hat getödtet oder bereits in die Gefangenschaft nach den Bergen geschleppt. Oft auch geht jedoch der Rückzug nicht so günstig von Statten, die russischen Besatzungen in der Nähe sind alamirt worden und eine Reiterschlacht entspinnt sich in der Steppe, die in der Regel um so wüthender ist, als die Tscherkessen nur nothgedrungen ihre Todten dem Feinde überlassen. Um die Leiche eines Häuptlings zu retten, opfern sich bisweilen Hunderte dem Tode.

Dann in ihre Berge zurückgekehrt, wo sie in Auls von 60 bis 70 Häusern bei einander wohnen, feiern ihre Barden (Kikoakoa genannt) die Gefallenen mit Ruhmesgesängen, während der ganze Stamm den Todten die letzten Ehren erweist. Umgekehrt sind die Gebirgszüge der Russen nicht minder reich an blutigen Episoden, und der in solchen Fällen für Haus und Hof kämpfende Tscherkesse ist, in seinen Bergen und Wäldern vom Terrain begünstigt, ein desto furchtbarerer Feind. Fast verzweifelter noch als um Haus und Hof kämpft er bei solchen Gelegenheiten um seine heiligen Räume, gewöhnlich alte Eichen mit morschen hölzernen Kreuzen, die aus frühern Jahrhunderten herrühren, als das Christenthum in den Bergen verbreiteter war. Die jetzt, doch ohne Fanatismus, sich zum Islam bekennenden Tscherkessen halten die alten Symbole des Glaubens ihrer Vorältern fortwährend in Ehren, und oft häuften sich Wälle von Leichen übereinander, um den mächtig andringenden Russen den Besitz eines solchen heiligen Baumes streitig zu machen. Die hoch im Gebirge wohnenden

[485]

Tschetschenz.  Lesghier.
Kaukasischer Tartar. Georgisches Mädchen.  Immerier.
Work der Adighe mit Tochter.  Bewohner von Karabah.

[486] Osseten und Suaneten gehören dem Namen nach zu den christlichen Kaukasiern, haben aber Sitten und Bräuche so ziemlich mit ihren muhamedanischen Stammesgenossen gemein. Unsere Zeit hat sich darin gefallen, die Tscherkessen über die Maßen zu poetisiren, und wenn man die Usden der Adighé sieht, wie sie von untadlichen Körperformen, stolzer ritterlicher Haltung und Bewegung, feurigen Auges und gewandter Rede einhertreten, so wird man auch versucht, an die Vollkommenheit dieses Menschenschlags, bei dem Wohlbeleibtheit als entehrend gilt, zu glauben. Tapferkeit, Freiheitssinn, Liebe zur Heimath, Genügsamkeit, Keuschheit und Gastfreundschaft zeichnet, wie fast alle unkultivirten Völker, die Tscherkessen in hohem Grade aus; der Haß gegen Fremde, die Härte gegen den Feind, wird durch die Umstände erklärlich; nicht so aber die Eifersucht gegen Nachbarn und Freunde, und die Rachsucht, die häufig zu innern Stammesfehden führt und die Blutrache geheiligt hat; ebensowenig das Mißtrauen, die Verstellungskunst, und die unersättliche Habgierde, welche am Diebstahle nichts Entehrendes findet als das Sicherwischenlassen. Der nach unsern Ansichten und Grundsätzen rohe Brauch des Mädchenverkaufs in die Harems der türkischen Großen, erscheint in milderm Lichte, wenn man weiß, daß die Verkauften zumeist ein günstigeres Loos erwartet als daheim, wo sie auch nur in gedrückter Stellung leben.

Die Völker des östlichen Kaukasus unter denen die Tschetschenzen, Lesghier, Inguschen und Kasikumyken die vornehmsten sind, stehen im Durchschnitt denen des westlichen an ritterlichen Tugenden nach. Daß sie gefährlichere Feinde für Rußland geworden sind, ist das Werk des Lesghiers Schamyl Bey, dem es gelungen, eine fast geordnete Militärmacht und innere Verwaltung zu schaffen. Nächst den Tschetschenzen, die den Hauptkern seiner Macht bilden, haben sich die Männer des Lesgistan und Dagestan um den begeisterten Krieger geschaart, dessen Thaten eigentlich erst die Aufmerksamkeit Europas nach dem Kaukasus lenkten. Schamyl ist einige fünfzig Jahre alt, von mittlerm Wuchse und schlanken geschmeidigen Formen; er hat, obwohl sein Bart frühzeitig ergraute, des Körpers volle Kraft ungeschwächt bewahrt, und zu Fuß wie zu Roß thun es ihm wenige seiner Landsleute gleich. Seinen Sitz hat er im Innern der Tschetschina aufgeschlagen, umgürtet von Felsen und Wäldern; einige tausend Reiter, der Kern der Russenfeinde, sind hier zu jeder Stunde kampfbereit, und unter ihnen bilden hinwiederum die Müriden eine Art heilige Schaar als Tapferste der Tapfern. Was Schamyl mit seinen von Russenhaß, Freiheitssinn und Glaubenseifer entflammten Kriegern seit Jahren vollbracht hat, ist zu bekannt, um daß wir es hier wiederholen sollten. Uebersehen wird jedoch in der Regel dabei, daß seine Klugheit noch mehr als seine Tapferkeit zu bewundern ist, denn jener nur gelang es, die verschiedenen Stämme des östlichen Kaukasus zu gemeinsamem Handeln zu vereinigen. Ueber die westlichen Stämme, die Tscherkessen, erstreckte sich Schamyl’s Gewalt nie, doch scheint sich in neuester Zeit sein Einfluß mehr und mehr über den ganzen Kaukasus auszubreiten, freilich nicht ohne die Beschränkung, die er in der Eifersucht und dem Unabhängigkeitssinn der einzelnen Fürsten findet. Letzterer Umstand ist auch die Ursache, daß Schamyl vorzugsweise im östlichen Kaukasus, wo Tiflis das Hauptbollwerk der Russen bildet, seine Kämpfe führt.

Die „freien Völker“ des Gebirges bezeichnen wir am Besten als zu zwei großen Heerlagern vereinigt, im Westen die Tscherkessen, im Osten die Tschetschenzen. Dagegen haben sich die in der Ebene wohnenden Kaukasier, wie die der Kabardah, seit Jahren den Russen unterworfen. Weniger begeistert für den Islam und weniger streitlustig als ihre Brüder in den Bergen, konnten sie außerdem in ihrem Flachlande den russischen Kolonnen keinen großen Widerstand entgegensetzen. Bisweilen kämpfen sie bald freiwillig, bald gezwungen selbst gegen ihre Stammesgenossen mit, doch sind sie für die Russen stets unzuverlässige Truppen und ihnen im Innern gründlich abgeneigt, so daß sie nur auf nachhaltigeres Kriegsglück Schamyl’s warten, um ohne der spätern Rache preisgegeben zu sein, das russische Joch abzuschütteln. Wenn auch die Kabarden auf die Begeisterung sprühenden Aufrufe des Helden der Tschetschina dem Anschein nach meist gleichgültig blieben, so wissen sie doch denselben bei seinen Kriegszügen in ihren Ebenen Vorschub genug zum Nachtheil der verhaßten Russen zu leisten.

Dasselbe kann von den gesammten Völkern des transkaukasischen Rußlands gelten, die mit einziger Ausnahme der Armenier, überhaupt die Abneigung gegen die moskowitische Herrschaft theilen und noch lange nicht die ehemalige Unabhängigkeit verschmerzt haben. So haben die Imerier sich erst noch im Jahre 1820 in einem größern Aufstande versucht, und für alle diese Völkerschaften und Stämme kann der Moment kommen, der sie zu Verbündeten Schamyl’s macht. Fiele Tiflis wirklich in die Hände der Tschetschenzen, so würde dieser Moment da sein; die neuen Bundesgenossen Schamyl’s wären zwar keine den Söhnen der Berge ebenbürtige Kämpfer, denn von Armuth und der militärischen Verwaltung gedrückt sind die Imerier und ihre Nachbarn nicht mehr die streitlustigen Männer von früher, allein ein Funken des alten Geistes ist immer noch vorhanden und ihn zu wecken giebt es keinen bessern Mann als Schamyl Bey.

Die körperliche Schönheit dieser Völker, zu denen auch die Georgier, Gurier und Mingrelier gehören, scheint unter allen Verhältnissen unverwüstbar, und so sind auch die Imerier unter Schmuz und Elend und in ihren Lumpen ein herrlicher Menschenschlag geblieben. Mehr noch gilt dies von den Georgiern, die sich in ihrem reich gesegneten Lande auch in materiell besserer Lage befinden, obschon sie sonst trägen Geistes sind. Die Adighé ausgenommen giebt es kein schöneres Volk als die Georgier, und letztere haben vor jenen den Reichthum der Tracht voraus, der ihre körperlichen Vorzüge in noch glänzenderm Lichte erscheinen läßt. Ueber den dunkelfarbigen seidenen Archeluk (enger Leibrock), den ein silberner Gürtel zusammenhält, tragen sie die offenstehende Burka von rothem oder blauem Sammet, reich mit Silber gestickt und weiten fliegenden Aermeln; den Kopf bedeckt die hohe pyramidenförmige Mütze von schwarzem Schaffell; die feinen rothen enganschließenden Stiefeln reichen bis über die Knie und fangen die schwarzen faltigen Hosen auf; Schaschka, Kinschal und Pistolen vollenden den Krieger, den die Phantasie kaum vollkommener erschaffen kann.

Die georgischen Frauen, schlank und vom reinsten Ebenmaße, mit fein geschnittenen Gesichtern und großen schwärmerisch glühenden Augen gehören zu den schönsten ihres Geschlechts, nur daß es ihnen an dem Herz und Gemüth gebricht, welches wir Abendländer vorzugsweise bei dem Weibe suchen. Dem Aeußern nach strahlen die Georgierinnen in blendender Schönheit, die sie wie die Männer, durch den malerischen Anzug zu erhöhen wissen. Zuweilen sieht man sie im kurzen Sarafan, für den sie blendende Farben lieben, dann wieder in der langen weißen Tschadra, welche anmuthig den ganzen Körper umhüllt und den schlanken Wuchs reizend hervorhebt; weite rothseidene Beinkleider fallen bis über die kleinen Füßchen herab, die von niedlichen Pantoffeln umschlossen werden, und an Gang, Haltung und Bewegung lassen sie die vollendetste Pariserin hinter sich zurück. Ein Theil des günstigen Eindrucks, den diese bezaubernden Erscheinungen hervorbringen, wird jedoch immer wieder durch den Gedanken geschwächt, daß auch von ihnen die Schönsten als Sklavinnen in die Harems nach Konstantinopel wandern.

Obschon mit den Russen glaubensverwandt und dem großen nordischen Reiche seit einem halben Jahrhunderte endgültig einverleibt, sind unter den Georgiern doch noch nicht alle Freiheitsregungen erstickt, und mehr als diese und der Kampfmuth, den aufzustacheln Schamyl sich bemüht, wirken die geschichtlichen Erinnerungen unter dem Volke. Georgien hat eine sehr alte Geschichte, bekannte sich schon im Jahre 320 zu dem christlichen Glauben und hatte bis Ende des vorigen Jahrhunderts seine eigenen Fürsten. Ein Volk mit solchen Erinnerungen wird nie ganz unterjocht, und mehr als einmal seit der russischen Besitznahme hat es die verlorene Freiheit zu erlangen gesucht. Rußland, das bisher im Orient nur rohe, unkultivirte Völker zu Gegnern hatte, ging stets siegreich aus dem Kampfe hervor, allein eine düstere Saat liegt in den georgischen Landen ausgestreut, und unter den ausgebrochenen Wirren scheint sie, gepflegt von dem Helden Schamyl, verhängnißvoll aufgehen zu wollen.