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Altdeutsche Fabeln

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Textdaten
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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Altdeutsche Fabeln
Untertitel:
aus: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung) S. 229–237
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Google und Commons
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5.

Von jeher hat die Deutsche Poesie die Moral geliebet. Gewiß nicht nur, weil sie seit der christlichen Zeitrechnung von den Klöstern ausging, und meistens religiösen Inhalts war; sondern wohl auch des biedern Characters und der Rechtlichkeit der Nation wegen. Ein hoher Aufschwung, eine Zügellose Licenz lag weder in der Gemüthsart, noch in den Gewohnheiten, Sitten und Gesetzen der Deutschen; selbst das Klima begünstigte solche nicht, oder es foderte sie wenigstens nicht auf. Wenn man also den wärmern Nationen eine tiefere Empfindung zugeben, mithin auch manche raschere Ausschweifung zu gut halten muß: so haben wir uns dagegen den Weg der goldnen Mittelmäßigkeit gesichert, und dazu, wie alles, so auch unsre Versart eingerichtet. Für Fabel und Sprüche, die beiden leichtesten Einkleidungen der poetischen Moral, ist die kleine Versart in achtsylbigen Jamben, die den mittleren Jahrhunderten die gewöhnliche war, gleichsam geschaffen. Beide haben sich ihr auch sehr glücklich, oft mit beneidenswerther Kürze und wenn ich so sagen darf, mit einer Rechtschaffenheit eingepräget, daß der ziemlich eintönige Vers gleichsam ein Echo der eintönigstarken Ueberzeugung zu seyn scheinet. Schon in den Dichtern der Schwäbischen Zeiten bemerkt man, daß, so viel Kunst man auch auf die Bildung einer abwechselnden Strophe verwandte, die moralischen Sprüche die einförmigsten und durch das Wiederkommen ihrer Schwere gleichsam die prägnantsten werden; die Anmahnungen des Königes Tyrol an seinen Sohn, des Winsbeck und der Winsbeckin an ihre Kinder, (ob sie gleich noch Lyrischer Art sind,) nähern sich schon diesem moralischen Rhythmus. 23)[1] Vortrefliche Stücke, ein Kern der Alt-deutschen Treue und Sitten-Erziehung! Im Maneßischen sowohl als Jenaischen Codex kommen manche Fabeln, oder kleine allegorische Gespräche z. B. zwischen der Treu und Untreu, der Wahrheit und Unwahrheit vor; leichte Einkleidungen, bei denen es wenig auf Kunst, desto mehr aber auf gute Meinung und Lehre ankam. Der alte Gnomolog, der unter dem Namen Freidank bekannt ist, brachte die kurze Sentenzen-Versart noch mehr in Gebrauch. Er scheint viel gelesen und auswendig gelernt worden zu seyn; und wahrscheinlich wird man bei Zusammenhaltung der Handschriften an mehreren Orten ihn dort und hier verändert, vermehrt, verbessert finden, nachdem man aus dem Schatz seiner Erfahrung oder Belesenheit neue Sprüche und Lehren hinzufügte. Da jetzt verschiedene Gelehrte ihre Aufmerksamkeit auf diesen alten Sittenlehrer zu richten scheinen; 24)[2] so werden wir darüber bald nähere Auskunft haben. Und sodann sollte dem Freidank der Renner zugegeben werden, ein schätzbarer Moralist, nicht nur des Inhalts, sondern auch seiner Diction wegen, ob ich diese freilich bisher nur aus seiner gedruckten Ausgabe kenne. Leßings Gedanke, ihn aus Handschriften herauszugeben, unterblieb, wie leider mehrere seiner guten Gedanken; aber sollte nicht Eschenburg, der sich um Leßings Nachlaß so sehr verdient gemacht hat und ganz der Mann zu diesem Werk ist, den Gedanken seines Freundes ausnehmen, und uns den alten Hugo von Trimberg (etwa auch nur wie Leßing und Rammler den Logau gaben,) aus Handschriften wiederherstellen? 25)[3] Sollte unsre Nation der Kindheit so ganz entwachsen seyn, daß sie die alte Moral und Fabelunterweisung ihrer Väter, mit der glücklichsten Präcision biederherzig ausgedruckt, nicht wenigstens von den Motten befreit wünschte? „Nachdem alle Menschen, sagt Flacius Illyrikus, gern von ihren Eltern und Vorfahren viel wissen wollen, auch alles so bei ihnen gewöhnlich und gebräuchlich, hochhalten; weil auch alle Menschen gern etwas, beides von den uralten und von fremden Sprachen, wissen: somuß einer je gar ein Stock und so zu reden kein rechter Deutscher seyn, der nicht auch gern etwas wissen wollte von der alten Sprache seiner Vorfahren und Eltern.“ Mich dünkt, ich sehe eine Zeit nahen, da wir uns mehr als bisher zu diesem Studium thun, und unsre Fürsten selbst sich bemühen werden, ihr Volk von der Nachahmung fremder Sitten und Sprachen zu ihrer eignen, und zu den Sitten ihrer Vorfahren zurükzulenken. Dann kommt es nur auf fähige Köpfe und rüstige Kräfte an, der Nation diesen Weg angenehm zu machen und sie mit edler Gewalt darauf fest zu halten. Der Französische Parnaß ist zerstöret, der Italienische ist lange dahin, der Brittische trägt mäßige Früchte; laßet uns unsre eigne Aecker, die Felder unsrer Väter und Urväter bauen; hier blühet uns Glück! –

Doch wo gerathe ich hin? Wo Sie mir indeß gewiß gern nachgefolgt seyn werden; ich komme wieder zu meiner Spruch- und Fabelpoesie der Deutschen.

Boners Fabeln sind bekannt; es haben sich ihrer nach und nach, zuletzt auf einmal so viel tüchtige und würdige Hände angenommen, Scherz, Bodmer, Leßing, Oberlin, daß jedem vergeßenen Dichter der Deutschen ein ähnliches Schicksal und vom letztgenannten Gelehrten eine Ausgabe derselben zu wünschen wäre, wie Leßing sie vorschlug. 26)[4] Da winkt uns aber noch ein andrer, meinem Urtheil nach viel schätzbarerer Fabeldichter als Boner, es ist Burkard Waldis. 27)[5] Zachariä dichtete in seiner Manier und Eschenburg nahm Gelegenheit, sein Andenken wenigstens in einigen Proben zu erneuern; meinem Wunsche nach sollte, mit wenigen Ausnahmen, der ganze Burkard Waldis neu gedruckt werden. Seine Erzählung ist so natürlich und leicht; er hat eine so schöne Anschauung der Dinge um ihn her; seine Sentenzen, die oft länger als die Fabeln sind, schütten ein ganzes Füllhorn von Lehren, Bemerkungen, Sprüchwörtern, Erfahrungen aus, daß er schon als Gnomolog vor Vielem anderm, was in unsrer Zeit gedruckt wird, den Druck verdiente. Manche kleine Seite von ihm möchte ich lieber geschrieben haben, als große Geschichten und Lehrgebäude.

Wie wäre es, wenn ich mich sogleich von Burkard Waldis unterbrechen und ihn diesen meinen trocknen Brief endigen ließe? Hier ist sein Buch; und damit ich keine Vorliebe zeige, möge die erste Fabel statt aller dienen.

Der Hahn findet eine Perle, und er erfreuet sich ihrer:

Er sprach: was thust du, edles Kleinod,
in diesem unfläthigen Koth?

Wenn dich ein reicher Kaufmann hätt’,
viel großer Ehr’ er dir anthät,
und würd’ dich halten also hold,
daß er dich fassen ließ in Gold.
Du magst aber nicht nutzen mir;
so kann ich auch nicht helfen dir,
und dir erzeigen ziemend’ Ehr;
ein Hand voll Gerst mir lieber wär,
damit ich möcht den Hunger stillen,
der sich nicht läßt mit Perlen füllen.

*     *     *

Die Unverständgen merken beym Hahn:
Kunst, Weisheit zeigt die Perle an.
Ein Narr achtet nicht grosser Kunst;
auch ist die Straf’ an ihm umsunst.
Das Bös’ den Guten ist nicht gut;
Das Gut’ den Bösen Schaden thut.
Das Heilthum (Heiligthum) ist nicht für die Hund’;
Perlen sind Säuen ungesund.
Der Muskat wird die Kuh nicht froh;

Ihr schmeckt viel baß grob Haberstroh.
Ein Alter sich zum Alten findt;
Auch mit einander spielen die Kind. (Kinder.)
Ein Weib geht zu den andern Frauen;
Ein Kranker will den andern beschauen.
Darum sichs in der Welt jetzt hält;
Zu Gleichem Gleich sich gern gesellt.

Welch ein Reichthum an leichten aus einander fliessenden Sprüchen und Lehren!


  1. 23) Schilter T. II. Bodmers Sammlung der Minnesinger Th. 2. Bragur Th. 2. 2.
  2. 24) Nach verschiednen Notizen im 2. Th. des Bragur.
  3. 25) Im Bragur ist bereits der Anfang mit einigen Fabeln aus der gedruckten Ausgabe gemacht; die Sentenzen dünken mich das Vorzüglichere in diesem Autor.
  4. 26) S. Eschenburg über Boners Fabeln, im Bragur, Th. 2. S. 387.
  5. 27) Esopus, ganz neu gemacht, durch Burkard Waldis, Frankf. 1584