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Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen I. Section/H30

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Heft 29 des Leipziger Kreises Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen von Gustav Adolf Poenicke (Hrsg.)
Heft 30 der Section Leipziger Kreis
Supplement des Leipziger Kreises
Die Beschreibungen sind auch als Einzeltexte verfügbar unter:
  1. Stötteritz obern Theils
  2. Böhlen
  3. Kieritzsch
  4. Neu-Taubenheim


[233]
Stötteritz
obern Theils.


Das Dorf Stötteritz, ½ Stunde von Leipzig, hat früher Melschen geheissen.

Im Jahre 1494 am St. Matthiastage stellten die Markgrafen Friedrich und Wilhelm einen Lehnbrief aus, nach welchem das Dorf Melschen oder Melsche, gelegen in der Pflege Leipzig mit 9⅓ Hufe Landes und mehrern Zinsen, dem Altare zu Unsrer lieben Frauen in der Peterskirche zu Freiberg geeignet wurde.

Diesem Altare hatte es der Münzmeister zu Freiberg Reinfried Gross gewidmet.

Die genannten Fürsten behielten sich damals die Gerichte vor und bestimmten zugleich, dass das älteste Glied der Familie des gedachten Münzmeisters in beiden Linien Lehnherr des Altars sein sollte.

Im Jahre 1492 verkaufte Mag. Donatus Groschen, Besitzer und Johann Groschen Collator des gedachten Altars, das Dorf Melsche mit allen Zubehörungen für 350 Rheinische Gulden an das Thomaskloster zu Leipzig, zu welchem Kaufe der Bischoff Johann von Meissen seine Zustimmung gab.

Im Jahre 1543 nach der Verwüstung hiesiger Gegend durch die Hussitten kommt dieses Dorf als Welsche Mark vor. Allein im 17ten Jahrhundert kommt dieser Name nicht mehr vor und das frühere Dorf Melsche war auf alle Fälle wieder aufgebaut.

Denn in einer spätern Urkunde finden wir wieder den Namen Melsche oder Stötteritz.

Erst nach dem 30jährigen Kriege, in welchem Stötteritz furchtbar gelitten, finden wir besondere Besitzer von Stötteritz obern Theils verzeichnet. Und zwar zuerst Herrn Schmied von Schmiedefeld, der Grossvater der nachherigen Besitzerin der Frau Kammer-Commissär Rink, geb. Schmied von Schmiedefeld, Namens Maria Magdalena.

Nach Herrn Schmied von Schmiedefeld übernahm dessen Herr Schwiegersohn Johann Georg Rink von Dorstig, kurf. Kammer-Commissär das Gut, welcher 1697 mit Tode abging und in der Johanniskirche zu Leipzig begraben wurde. Ihm folgte seine obgenannte Wittwe im Besitze von Stötteritz obern Theils, welche es bis 1722 innen hatte. Nach ihrem Tode kam das Gut an ihren Sohn Eugenius Gottlieb Rink von Dorstig. wirkl. kaiserl. Rath und Prof. jur. primar. zu Altdorf. Er starb in Altdorf 1745 und sein Tod wurde sehr betrauert. Seine hinterlassene Wittwe, Frau Eva Clara Rink, geb Binker, starb zu Nürnberg den 25. August 1764 in einem Alter von 79 Jahren und wurde nach Altdorf gebracht, um daselbst in ihrer Familiengruft beigesetzt zu werden Seine Wittwe hatte das Gut nicht besessen, sondern schon bei ihrem Lebzeiten war solches an Herrn Adam Friedrich von Glafey, churfürstl. sächs. wirkl. Hof- und Justisrath abgetreten worden. Dieser Herr von Glafey besass auch Lauer und Gnauthayn und er war es, welcher über ganz Stötteritz die Obergerichte erhielt. Auf diesen Herrn von Glafey folgte Herr D. Heinrich Gottfried Bauer, Domherr zu Merseburg, Appallationsrath Prof. jur. ord. Primarius und der Juristenfacultät zu Leipzig Ordinarius.

Im Jahre 1811 bestimmte derselbe, vermöge Testaments, dieses Gut seinen 5 Kindern, welche es im Jahre 1817 an Herrn Adolph Ludwig [234] Semmel, Erb-, Lehn- und Gerichtsherrn auf Dorna und Stadthauptmann in Gera für 32000 Thlr. verkaufte. Letztrer liess es aber schon 1819 an Herrn Gotthelf Christian Friedrich Richter, damaligen Schul-Oeconomie-Inspector zu Meissen um 36500 Thlr. ab.

Herr Oeconomie-Inspector Richter veräusserte es 1823 wieder an Herrn Dr. Theod. Heinrich Karl Abraham Eichstädt, Grossherzogl. sächs. Weimarischer Geh. Hofrath, Prof. der Poesie und der Eloquenz zu Jena, Erb-, Lehn- und Gerichtsherrn auf Benndorf und zwar um die Summe von 42,500 Thlr., nach dessen Tode erbte es dessen Frau Schwester Frau Concordia D. Ackermann Hering, geb. Eichstädt, welche es ihrer Frau Tochter Louise Mylius zu Leipzig überliess, welche es jetzt noch besitzt. Am 7. Nov. d. J. ist die einzige Schwester obgedachten D. Ackermann Hering in die Familiengruft zu Stötteritz beerdigt worden.

Die herrschaftliche Wohnung, wenn auch nicht schlossartig, ist im gefälligen freundlichen Style erbaut und zu derselben gehören schöne Wirthschaftsräume.

Die Oeconomie des Gutes ist nicht unbedeutend zu nennen, vorzüglich baut es guten Roggen, schönen Klee und auch Taback.

Die Umgebungen sind angenehm und freundlich, indem Landhäuser von nahen Leipzig den Ort ausserdem noch zieren.

Die Schicksale des Orts anlangend, so ist vorzüglich der 30jährige Krieg der gewesen, in welchem Stötteritz fürchterlich gelitten hat.

Im Jahre 1637 hat die Pesth hier so gewüthet, dass Herrschaften und Unterthanen ausgestorben sind und der Pfarrer keine Zuhörer mehr in der Kirche hatte.

Im Jahre 1806 und vorzüglich 1813 hat der Ort durch Einquartierung, Requisitionen, Plünderungen, Verheerungen und Brand namenloses Leid ertragen müssen.

Das Einzige, was in diesen unglücklichen Zeiten gerettet wurde, war die Kirche, wiewohl sie im Innern auch beraubt und geplündert wurde. Während die benachbarten Gemeinden wie in Probstheide, Holzhausen, Zuckelhausen die Kirchen verloren durch Brand, blieb solche in Stötteritz verschont.

Für Leipzigs Bewohner sind mehre Punkte von Stötteritz besuchte Vergnügungsorte geworden. Namentlich gehört die Wirthschaft des Herrn Schulze, welcher einen schönen Garten angelegt hat, zu den beliebtesten Orten in Stötteritz. Auch die nahe an Stötteritz liegende sogenannte Papiermühle ist wieder in Aufnahme und wird an Wochentagen von höheren Ständen Leipzigs an schönen Sommerabenden fleissig aufgesucht.

Der Ort selbst hat sich in den letzten Jahren bezüglich der Häuser und Einwohnerzahl sehr vergrössert; denn während im Jahre 1833 Stötteritz in 50 Häusern 300 Einwohner zählte, hat jetzt der Ort 300 Häuser mit 2500 Einwohnern, welche dem Gerichtsamte Leipzig I. zugewiesen sind.

Im Orte selbst ist ein Gens’darm stationirt.

Die meisten der Bewohner von Stötteritz finden in dem nahen Leipzig Beschäftigung und Unterhalt, im Orte selbst giebt es viel Cigarrenarbeiter, denn der Tabackbau wird hier immer noch gepflegt, wenn auch nicht mehr in solch reicher Masse, wie früher.

Das sonst noch Bemerkenswerthe von Stötteritz haben wir schon bei der Beschreibung von Stötteritz untern Theils in diesem Album erwähnt so dass wir es für überflüssig halten; nochmals darauf zurückzukommen.

Einen besondern Vorzug genoss früher Stötteritz bezüglich seines Kartoffelbaues, denn hier wurden die besten sogenannten Lerchen gezogen, eine Art dieser Frucht, welche jetzt ganz ausgeartet und nicht mehr erbaut worden ist.

(M. G.)     



[235]
Böhlen


⅜ Stunde von Rötha nordwestlich, 2¼ Stunde nordöstlich von Pegau, 2 Stunden von Groitzsch, 3 Stunden von Leipzig und ¾ Stunde von Zwenkau gelegen, durch einen Busch von der Pleisse aus geschieden. Die Harth beginnt jenseits der Höhe in Nordwesten, ½ Stunde von hier.

Der Name kommt vom serbischen Biely Weiss und hängt wohl mit dem Orte Belini in Serbien zusammen.

Man hält Bohlen für das Bichili, welches 1145 vom Kloster Bosau nebst 3 andern Dörfern an Otto von Rötha vertauscht wurde. Im Jahre 1220 kommt Heinrich und 1236 Berth von Bolin als markgräfl. Meissn. Vasall vor. Im 16. Jahrhundert und zwar 1522 hatte Bernhardt von Breitenbauch Böhlen und im Besitze dieser Familie blieb es lange.

Erst 1645 gelangte es an die Herren von Osterhausen, unter welchen Ernst Abraham (gest. 1708) an Kirche, Pfarrer und Arme starke Legate aussetzte. Später war die Familie von Brandenstein damit beliehen, nachdem ein Herr Heinrich Karl von Brandenstein mit einer Fräulein Johanne Magdelena von Osterhausen sich ehelich verbunden hatte.

Im Jahre 1793 brachte Herr Johann Christoph Richter, Kaufmann in Leipzig, das Gut käuflich an sich. Nach ihm besass es einige Jahre lang der Kaufmann und Wachstuchfabrikant Schindler in Leipzig und im Jahre 1823 brachte es der Königl. Sächs. Kammerherr von Helldorf an sich, dessen ältester Sohn Königl. Sächsischer Kammerjunker und Forstmeister in Nossen, der jetzige Besitzer und der Patron der Kirche und Schule ist.

Das Rittergut liegt angenehm, hat schöne Gebäude und gute Oeconomie, es wurde sonst 1½ Ritterpferd geleistet.

Auch gehört dazu eine sehr grosse Ziegelei. Bis zur Einführung der neuen Gerichtsorganisation war ein Antheil von Gaulis den hiesigen Gerichten unterworfen.

Böhlen ist als Anhaltepunkt der sächs. Baier’schen Eisenbahn eben so bekannt geworden, wie der erste Stationsort von Leipzig Gaschwitz.

Nach Böhlen wie nach Gaschwitz fahren in den Sommermonaten vorzüglich Sonntags von Leipzig aus viele Hundert von Menschen, um dann in den benachbarten Orten Vergnügen und Freude aufzusuchen.

Es wird selten an den Eisenbahnen wieder vorkommen, dass so viele Menschen nach einem Punkte sich vereinigen, wie gerade hier.

Es führt von Böhlen ein angenehmer Weg nach Rötha, nach Zöpen und weiter nach Borna.

Auch durch die Harth nach Zwenkau findet der Wandrer einen angenehmen Weg. Ueberhaupt ist die ganze Lage von Böhlen anziehend, da Felder mit Holz und Wiesen abwechseln.

Ausser dem Rittergute befindet sich im Orte eine Kirche und eine Schule.

[236] Die Kirche ist klein und in einem alterthümlichen Style erbaut. Merkwürdige Denkmäler sind nicht hier zu finden: Aber 2 Legate zum Besten des Pfarrers, des Kirchenvermögens und der Armen, welche Osterhausen’sche Stiftungen aus dem Jahre 1703 und 1733 sind.

Die hiesige Schule wird von 83 Kindern besucht, wovon 30 auf Stöhna zu rechnen sind, einem hieher eingeschulten und nach Zwenkau eingepfarrten Dorfe.

Einer allgemein verbreiteten Sage zu Folge, soll während des 30jährigen Krieges die ganze Einwohnerschaft bis auf 2 Familien in Folge der Pesth ausgestorben sein und nach und nach sollen sich erst auf Veranlassung des dasigen Herrn Rittergutsbesitzers neue Ansiedler gefunden haben.

Jetzt giebt es 32 Bauergutsbesitzer und 15 Häusler.

Die sämmtlichen Bewohner nähren sich fast ausschliessend vom Feldbaue, und obschon der Boden den Fleiss des Landmanns nicht unbelohnt lässt, so ist doch keine Wohlhabenheit hier zu finden, da zu jedem Gute nur wenige Acker Feld gehören.

Böhlen hat in seinen 50 Häusern 350 Einwohner, welche dem Gerichtsamte Zwenkau seit der neuen Gerichtsorganisation zugewiesen sind.

Böhlen ist nicht zu verwechseln mit Böhlen bei Grimma, auch nicht mit Böhlen bei Colditz.

Unser Böhlen hängt mit der schönen Pleisse zusammen, eine nicht durch Thäler und Hochland ausgezeichnete Gegend und doch schön in ihrer Weise. Höchst gesegnete Fluren, üppige – von fischreichen Gewässern geräuschlos durchströmte – Wiesen, – in vollgrün prangende – von den Sängern der Lüfte belebten – Laubgebüsche, viel tausendstämmige mit köstlicher Frucht überladene Baumplantagen und weiträumige Gehöfte deuten auch hier und da auf grossen Wohlstand hin.

Dabei das rege Leben durch den grossen Verkehr der Sachs. Baier’schen Eisenbahn, indem beinahe keine Stunde des Tages vergeht, wo nicht die Züge dahinbrausen.

Die Harth, welche wir oben erwähnt haben, ist ein von Schwarz- und Laubholz gemischter Wald, durch welchen angenehme Wege nach Zwenkau und den benachbarten Orten führen. Merkwürdig, dass das Nadelholz hier nicht so recht gedeihen will, trotz aller Pflege, die darauf verwendet wird. Und doch ist es ein lieblicher Anblick, wenn man in hiesiger Gegend durch solche Waldungen ein Mal wandern kann.

Für diejenigen, welche die Eisenbahn bis Böhlen im Sommer benutzen wollen, ist kein angenehmerer Weg zu empfehlen, als von Böhlen nach Rötha, und dann zurück an der Pleisse entlang über Rüben und Zehmen und von Zehmen nach Gaschwitz, um daselbst auszuruhen und dann bei dem herannahenden Zuge zurück nach Leipzig zu fahren.

Böhlen selbst hat einen Anhaltepunkt, mit welchem eine Restauration verbunden ist. Im Orte selbst aber ist noch ein wohl eingerichteter Gasthof zu finden, wo der Reisende jedmögliche Bequemlichkeit finden kann.

(M. G.)     



[237]
Kieritzsch


liegt in einer freundlichen, mit mehrern kleinen Waldparcellen durchschnittenen Ebne, 2 Stunden von der Stadt Borna, eben so weit von Pegau, 4 Stunden von Leipzig und 5 Stunden von Altenburg.

Ueber den Ursprung des Ortes lässt sich nichts Bestimmtes angeben, so viel steht fest, dass derselbe in eine graue Vorzeit fällt.

Auf alle Fälle bestand der Ort aus wenigen den Kirchplatz bildenden Gütern, da ein grosser Theil der hiesigen Flurmark wegen, geringhaltiger Güte des Bodens wüste gelegen haben mag; später erst entstanden mehre Güter und der grösste Theil der Hausbewohnungen wurde erst zu Anfange des vorigen Jahrhunderts eingebaut.

Das hiesige Rittergut ist in einem schönen, grossartigem Style erbaut und ist schon lange im Besitze der Familie von Helldorf. Der jetzige Besitzer ist der Königl. Forstmeister und Kammerjunker Karl von Helldorf.

Mit dem Rittergute vereinigt ist das 10 Minuten entfernte Vorwerk Zölsdorf, sonst Zeilsdorf, Zelsdorf genannt, dessen Wirthschaftsgebäude und Drescherhäuser 1800 abgebrochen wurden, nachdem das Wohnhaus schon früher verfallen war.

Dies Gut gehörte Luthern, welcher es seiner Katharina geschenkt hatte, die öfters hier wohnte, besonders als Wittwe und das auch Luther zuweilen besuchte.

Der Ort, wo Zölsdorf gestanden, bezeichnet jetzt ein von dem verstorbenen Besitzer, dem Herrn Kammerherrn Carl Heinrich Anton von Helldorf errichteter einfacher Denkstein mit der Aufschrift: Hier wohnte Dr. Martin Luther.

Die Gerichtsherrschaft von Kieritzsch übt die Collatur über Kirche und Schule. Die Kirche wurde im Jahre 1699 durch viele milde Spenden und besonders durch reichliche Unterstützungen des damaligen Besitzers der Rittergüter Kieritzsch und Drossdorf, Julius von Helldorf erbaut, in welche eine sehr schöne herrschaftliche Kapelle und ein der Familie von Helldorf gehöriges Erbbegräbniss sich befindet.

Die Kirche umgiebt ein mit Stacket eingefasster und mit mehrern Epitaphien älterer und neuerer Zeit besetzter kleiner Kirchhof als Begräbnissplatz, doch befindet sich auch noch ein Gottesacker ausserhalb des Dorfes.

Die Schicksale des Orts anlangend, so lastete der 30jährige Krieg schwer auf demselben. Mehre Güter mussten von ihren Bewohnern verlassen werden und blieben dem zu Folge lange wüste liegen.

Besonders wurde das Dorf hart bedrängt nach der Schlacht bei Lützen, als Wallensteins Heer zum Theil seinen Rückzug über Kieritzsch nahm und der nachdrängende Herzog Bernhardt von Weimar in der Nähe des Dorfes ein verschanztes Lager bezog, dessen Wälle vor mehrern Jahren noch zu sehen waren, jetzt aber geebnet sind, wobei Kieritzsch geplündert und besonders alles Vieh fortgetrieben wurde, auch vielleicht einige nahe gelegene Orte, deren Namen nur noch vorhanden sind, zerstört wurden.

Ein seltnes Unglück brach im Jahre 1800 im Februar über hiesigen [238] Ort herein: In einer Zeit von nicht ganz 4 Wochen brach 12 Mal Feuer aus und zwar fast immer einen Tag um den andern, 5 Mal wurde es gelöscht, aber 7 Mal brannte es fort und legte 7 Wohnungen in Asche.

Nicht die Verluste an ihren Gütern allein waren es, die dadurch die unglücklichen Bewohner erlitten, sondern besonders die Angst und Sorge, die bei Tag und bei Nacht 4 Wochen lang die Ruhe von ihnen scheuchte und sie auf das Qualvollste folterte, indem sie keinen Augenblick ihrer Habe und ihres Lebens sicher waren, einige sogar ihre Gattinnen und Kinder an fremden Orten geborgen hatten und doch diesem Zustande kein Ende machen konnten.

Nicht die angestrengtesten Nachforschungen, nicht die sorgfälltigste Wachsamkeit vermochten den Thäter zu entdecken, bis endlich der bei einem Diebstahle ertappte hiesige Wagnerlehrling zu dem Geständnisse gebracht wurde, diese Feuer sowohl, als auch das, welches in seinem Geburtsorte, dem benachbarten Zöpen, die Pfarr- und einige Nachbargebäude vernichtete, angelegt zu haben, weil die hell auflodernde Flamme ihm Freude machte. –

Die hiesigen Bewohner sind bei dem bedeutenden Areal hiesiger Flur an den Ackerbau gewiesen; aber auch ein starker Viehhandel wird hier getrieben, der vorzüglich, seit die Eisenbahn von Leipzig nach Altenburg diesen Ort berührt, sich sehr vermehrt hat und erleichtert worden ist.

Ueberhaupt hat Kieritzsch durch die Eisenbahn ungemein gewonnen. Es ist hier ein Bahnhof, und von hier aus gehen täglich Posten nach Lobstädt und Borna ab. In den schönen Sommertagen dient Kieritzsch als Vergnügungsort für die dasige Umgegend.

Durch diese günstige Lage, aber auch durch steigende Cultur im Ackerbau und durch Fleiss und Sparsamkeit der Bewohner gelangten dieselben zu einem gewissen Wohlstand.

Jährlich werden auch in Kieritzsch zwei mit Jahrmärkten versehene Viehmärkte abgehalten.

Ausser dem schönen Gasthofe ist im Orte eine Windmühle und eine Ziegelei; die erbaute Zuckerfabrik ist wieder eingegangen.

Kieritzsch reint mit Medewitzsch, Piegel, Leipen und Podelwitz, mit Drossdorf, Kahnsdorf, Zöpen und Trachenau.

Ob die Behauptungen einiger Topographen richtig sind, dass Kieritzsch dasjenige Kosowa im Burgward Groitzsch gewesen sei, welches 1103 mit den Zinsen an’s Pegauer Kloster gewiesen wurde, lassen wir dahingestellt sein. Uns dünkt eine solche Behauptung sehr kühn.

Bemerkenswerth ist noch, dass in der herrschaftlichen Wohnung, in dem sogenannten Luthers-Saale unter mehrern andern Gemälden Luthers und seiner Gattin Brustbild von Gips aufbewahrt wurden, welche man aus Luther verfallenen Hause zu Zölsdorf gerettet hatte und von Kennern hoch geschätzt worden sind.

Diese Brustbilder sind jetzt in der Kirche aufgestellt.

Der Ort mit seinen 6 Anspänner, 22 Hintersässergütern und 18 Häuslerwohnungen, nebst Windmühle und Gasthof im Ganzen mit 400 Einwohnern, gehört jetzt zum Gerichtsamte Borna.

(M. G.)     



[239]
Neu-Taubenheim


mitten in dem zugehörigen Dorfe Döhlen, ¼ Stunde nördlich von der Brücke zu Rochlitz gelegen.

Anfangs hiess es auch Döhlen, erhielt aber seinen Namen im 15ten Jahrhundert von einem Herrn von Taubenheim.

Man darf daher nirgends ein Alt-Taubenheim suchen und Taubenheim bei Nossen steht in keiner weitern Beziehung auf Neu-Taubenheim, als dass es das Stammgut der Taubenheim’schen Familie ist.

Das Gut selbst hat eine angenehme Lage in einem tiefen, von sehr steilen Bergen gebildeten Thale, welches aber eben hier in’s Muldenthal ausgeht, am Milkauer oder Döhlener Bache, wohl auch Krossener Bach, welcher nahe beim obern Ende von Ober-Tanneberg und Obererlau entspringt und fast immer westlich fliesst. Anfangs längs durch Krossen in einem seichten breiten Grunde, dann bei Gross- und Klein-Milkau in einem zwar auf breiten, aber tiefen, sehr angenehmen Thale, zuletzt bei Döhlen in einem engen, tiefen, nicht sanften, aber sehr schönen Grunde.

Der Bach treibt bei einer Lage von noch nicht 3 Stunden 14 Mühlen verschiedener Art, hat gegen 440 pariser Fuss Fall und wird vorzüglich durch die Zetteritzer und Arras’er Bäche verstärkt.

Die Gutsgebäude von Neu-Taubenheim sind nicht gross und von keinem imposanten Ausehn; desto wichtiger ist der Obstbau des Gutes. Es war mit einem Ritterpferd belegt und neuschriftsässig.

Zum Gute gehörten – aber nicht schriftsässig, sondern nur amtsässig mit Erbgerichten – Döhlen, Neudörfchen mit Neuwerder und Antheile an Arnsdorf und Gröblitz.

Bis 1587 gehörte zu Neu-Taubenheim auch Sachsendorf bei Rochlitz.

Der Grossvater des Casper von Taubenheim hatte es dem Wolf von Schönberg auf Sachsendorf abgekauft.

Im Jahre 1587 verkaufte es der Enkel an den Kurf. August um fast 1865 Mk.

Neudörfchen mit Neuwerder, von Rochlitz ½ Stunde nordostwärts gelegen, sind sämmtlich auf dem Grund und Boden des Ritterguts Neu-Taubenheim angebaut und liegen auf einer Höhe verstreut, welche [240] westlich gegen die Mulde und südlich gegen den Milkauer Bach steil abfällt, bei Neudörfchen aber eine sanfte Wölbung bildet; über diese Höhe führte die Strasse von Dresden nach Altenburg – an ihrer Südseite liegt Döhlen mit Neu-Taubenheim – und ihr Gipfel gewährt eine herrliche Uebersicht der breiten, üppigen Muldenaue bei Doberenz und der Stadt Rochlitz.

Ihre Meereshöhe ist gegen 720 pariser Fuss. Neudörfchen begreift mit Neuwerder nur 23 Häuser. Die Einwohner treiben neben dem starken Obstbau besonders Weberei in Baumwolle und Flachs.

Neudörfchen wurde 1590 von Caspar von Taubenheim, Neuwerder erst 1728 von Adolph Friedrich von Werdern, den Nachfolger im Besitze von Neu-Taubenheim angelegt und erbaut.

Vom Herrn von Werder kam Neu-Taubenheim an Herrn Roch in Frankenberg, dann folgte im Besitze ein Herr Knechtel und jetzt besitzt solches Herr Julius Wilhelm Knechtel.

Neu-Taubenheim ist nicht zu verwechseln mit Neu-Taubenheim, welches 3 Stunden von Löbau und 1 Stunde nördlich von der böhmischen Grenzstadt Schluckenau entfernt liegt. Es gehört zum Rittergute Taubenheim, welches der Familie von Zeschwitz gehört und ist auf einem herrschaftlichen Vorwerke, das Gut genannt, erbaut. Dieser Ort leitet seinen Namen nicht von einem Herrn von Taubenheim ab, sondern von dem nahen, von Taubenheim südlich liegenden Berge, auf welchem in früheren Zeiten viele wilde Tauben genistet haben sollen.

Die Herren von Taubenheim haben das Gut in der Oberlausitz auch nie besessen.

Unser Neu-Taubenheim unterscheidet sich vorzüglich dadurch, dass es Neu-Taubenheim im Dorfe Döhlen genannt wird.

Nicht weit von Rochlitz gelegen, wie schon oben erwähnt worden, hat es auch die Schicksale von Rochlitz in den ganzen Kriegsjahren mit zu erdulden gehabt.

Nur eine Viertelstunde von Döhlen führt über die Mulde die berühmte Brücke, welche seit Sachsens Theilung nächst der Dresdner und der Meissner die längste im Königreiche ist, denn sie übertrifft an Länge selbst die Grimma’sche um ein Beträchtliches. Sie ist 270 Ellen lang und davon kommen auf jedes der beiden Hängewerke 52 Ellen, folglich auf die beiden Landpfeiler, den Hauptpfeiler zwischen den Hängewerken und auf die übrigen 4 Pfeiler und 4 Bogen 172 Ellen; die Hängewerke begreifen vorzüglich den östlichen Theil der Brücke. Eine solche Länge erforderte freilich das hiesige sehr versandete und breite Muldenbett; allein sonderbar bleibt immer der Anblick bei trockner Witterung, wenn der Strom von allen 7 Pfeilern nur 2 höchstens 3 benetzt. Nahe beim westlichen Ende springt ihre Einfassung gegen Norden stark aus und auf dem kleinen dadurch gebildeten Raume stand sonst eine Capelle mit einem dem Herrn Nicolaus als Schutzpatron der Brücke geweiheten Altar.

Neu-Taubenheim mit Döhlen ist trotz seiner nahen Lage von Rochlitz nicht nach dieser Stadt gepfarrt, sondern nach Seelitz.

Die nöthigen Notizen über Seelitz sind schon in diesem Album mitgetheilt worden, so dass es eine Wiederholung wäre, wenn man darauf zurückkommen wollte, da überdies schon über Wiederholungen von den Herren Subscribenten geklagt worden ist. Freilich ist es oft zur Vervollständigung des Ganzen nöthig auf dieses oder jenes Ereigniss zurückzukommen, was vielleicht nicht so genau hier oder da besprochen worden ist. Aber man wird so viel als möglich eine solche Rüge zu beachten wissen und das, was einmal bei der Beschreibung dieses oder jenes Ritterguts schon dagewesen ist, nicht wieder in Erwähnung bringen.

Man setzt bei einer solchen Rüge freilich voraus, dass die Herren Subscribenten auf das ganze Werk subscribirt haben, allein das ist nicht der Fall. Viele haben auf einzelne Kreise blos subscribirt und hier war es öfter nöthig zum Verständniss das Eine oder das Andere wieder zu erwähnen, was vielleicht schon in einem andern Kreise besprochen war.

Neutaubenheim mit Döhlen, worinnen 43 Häuser mit 249 Einwohnern sich befinden, gehört jetzt zum Gerichtsamte Rochlitz, Neudörfchen hat 4 Häuser und 18 Einwohner, Neuwerder dagegen 19 Häuser und 59 Bewohner.

(G. M.)     




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