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Ahrenshoop, September 1944

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Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, September 1944
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Entstehungsdatum: 1944
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Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, September 1944
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, September 1944 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge von September 1944. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

[1]
Freitag, 1. September 1944.     

[1]      Die Amerikaner machen fantastische Fortschritte, sie scheinen auf fast keinen Widerstand zu stoßen. Heute melden sie die Eroberung von Verdun u. weiter nördlich stehen sie am Stadtrande von Sedan. An der Küste sind nun alle Abschußrampen zwischen Le Havre u. Amiens außer Gefecht gesetzt. Der Befehlshaber unserer 7. Armee ist in Gefangenschaft geraten.

     Die Russen haben Bukarest besetzt u. die bulgarische Grenze erreicht. Die Slowakei scheint in hellem Aufruhr zu sein u. die Aufständischen scheinen Herren der Lage zu sein. [2] Damit dürfte dann auch Ungarns Schicksal besiegelt zu sein. –

     Heute starker Sturm u. Regen, wie schon seit einigen Tagen. Kraftstrom war unterbrochen, konnten kein Mittagessen kochen. [...]

[2]      Ich möchte noch einmal ein Engelbild malen, habe eine kleine Skizze gemacht.

[2]
Sonnabend, 2. Sept. 44.     

[2]      Die Engelbild-Skizze in größerem Format nochmals durchgezeichnet. Sehr gut. Der Engel mit geneigtem Kopf als Andeutung der Unterordnung des eigenen Willens, hält einen Kreuzstab in der Linken, auf den er mit dem Finger der rechten Hand hinweist. Das Gewand denke ich mir tiefrot mit blauem Ueberwurf, die Flügel orange bis zinnoberrot wie Flammen. [...]

[2]      Heute wieder Brief von Fritz, aber schon am 7. August geschrieben aus der Gegend von Clermont-Ferrant. Wo mag der Junge jetzt stecken? Gott möge ihn schützen.

     Vom Arbeitsamt Barth erhielt ich heute die Aufforderung, mich am 6. Sept. zwischen 8 u. 12 Uhr dort zur amtsärztl. Untersuchung einzufinden. Ich werde beantragen, daß Dr. Meyer mich untersucht, weil ich nicht nach Barth kommen kann. Vor einigen Tagen hatte ich das Formular zum verstärkten Kriegseinsatz ausgefüllt u. hingeschickt. Widerlich! –

     Es ist kalt und. regnerisch geworden, der Sturm ist vorüber. – Heute beginnt das 6. Kriegsjahr!

[3]
Montag, 4. Sept. 1944.     

[...] [3]      Vormittags das Verkündigungsbild abgemacht u. auf Pappe gelegt u. in Rahmen getan. In Marthas Schlafzimmer gehängt, dafür den Melchisedech ins Wohnzimmer. – Neues Papier aufgezogen. Nachmittags das neue Bild, den Engel, aufgezeichnet. Diesmal ist das Format etwas zu klein, aber ich muß mich nach dem Papier richten. Das Bild würde gern ein größeres Format vertragen. – [...]

[4]      Wir werden uns nun im Hause verändern müssen. Es werden Häuser beschlagnahmt u. bald auch einzelne Wohnräume, denn man wird die Menschen aus dem Westen evakuieren müssen. Die Pension St. Lukas ist bereits beschlagnahmt worden. Wir werden Paul u. Grete ins Haus aufnehmen, ich werde meine beiden Zimmer dazu hergeben u. dafür nun ganz in mein früheres Atelier im kleinen Hause umziehen, wo ich ja schon seit einiger Zeit provisorisch male. Ich werde mich dort ganz einrichten, Fritz muß dann einen anderen Raum bekommen. Nur schlafen werde ich im großen Hause oben im bisherigen Fremdenzimmer. Es wird dadurch eine Vereinfachung der Wirtschaft erreicht, denn Grete wird dann die ganze Ordnung des Erdgeschosses übernehmen u. wird auch für die Küche sorgen. – [...]

[4]
Mittwoch, 6. Sept. 1944.     

[4]      Wieder neue Aufregung im Dorf. Alle Wohnräume sind beschlagnahmt, sehr rigoros. Unser Entschluß, Paul u. Grete aufzunehmen, kam grade noch zur rechten Zeit, ich hätte sonst meine beiden Zimmer an Fremde abgeben müssen. So sind wir drum herum gekommen wenigstens im großen Hause. Im kleinen Hause ist das rechte Zimmer beschlagnahmt worden. Es handelt sich nicht um Evakuierte aus dem Westen, sondern um Ausgebombte aus Stettin, wo nach dem letzten Angriff 60000 Menschen obdachlos geworden sind.

     Als die sog. Kommission, bestehend aus Frau Both für die NSV u. Frau Gräff als Frau des Bürgermeisters zu uns kam, waren wir schon eifrig beim Umräumen. Letzte Nacht habe ich bereits in meinem neuen Schlafzimmer geschlafen. Es ist dort zwar etwas eng, aber es geht. Heute haben wir mein Atelier eingerichtet, so weit wir konnten, es ist sehr anstrengend u. wir können es nicht auf einmal machen. Die Bürosachen habe ich herübergebracht, auch einige Privatsachen, es fehlen noch die Bücher mit dem Regal u. a. Sachen. Ich benütze wieder mal die Gelegenheit, vieles wegzuwerfen, man hat zu viel unnötiges Zeug.

     Gestern Abend kam Grete spät noch einmal. Sie hatte einen höchst deprimierenden Brf. von Paul u. eine zweite Nachricht von ihrer Tochter Inge, nach der die jüngste Tochter Erika Prag verlassen muß. Der Mann hatte bisher dort studiert, wofür er beurlaubt war. Jetzt aber ist er plötzlich wieder eingezogen. Die Zustände in Prag sind nun aber so, daß er es nicht wagt, seine junge Frau mit dem 1/2jährigen Kinde dort zu lassen. Aber wohin mit ihr? Es bleibt nichts anderes übrig, als sie hierher kommen zu lassen, wenn uns das Zimmer im kleinen Hause wieder freigegeben wird. Erika muß ihre ganze Einrichtung, die sie sich angeschafft hatte, in Prag stehen lassen u. kann nur das Notwendigste mitnehmen. Ich kenne sie kaum, habe sie nur einmal vor einigen Jahren in Bln. gesehen, als wir auf der Durchreise nach Regensburg dort waren [5] Wir haben damals zusammen im Exzelsior gegessen u. ich hatte einen guten Eindruck von ihr, obgleich sie nationalsozialistisch gesinnt ist. Unglücklicherweise ist ihr Mann SS=Offizier. Ich kenne ihn garnicht. Paul meint, daß er abgesehen von seiner nationalsozialistischen Einstellung ein sehr ordentlicher u. sympatischer Mensch sein soll. Ich habe zur Bedingung gemacht, daß weder Erika noch ihr Mann sich jemals nationalsozialistisch betätigen dürfen, weder durch Handlungen, noch durch Reden u. daß vor allem der Mann sich hier niemals in SS=Uniform sehen läßt. –

     Im Westen gehen die Operationen weiter, die Alliierten sollen die Reichsgrenze überschritten haben, doch weiß man nicht genau, wo das ist. Auch Calais haben sie erreicht. Seit Montag sind wieder V1=Bomben über Südengland, nachdem 4 Tage lang eine Pause gewesen war. Wahrscheinlich sind noch einige Abschußrampen im Betrieb u. sie verschießen ihre letzten Bomben. – Die Russen haben den Bulgaren jetzt zum Schluß noch den Krieg erklärt, 5 Stunden darauf haben die Bulgaren um Waffenstillstand gebeten. Dies dürfte der kürzeste Krieg sein, den die Weltgeschichte kennt. Sonst sind die Russen entlang der Donau weiter vorgestoßen u. stehen jetzt dicht vor der Jugoslawischen Grenze.

     Der Waffenstillstand Rußland — Finnland ist abgeschlossen worden, die Kampfhandlungen sind eingestellt. Die deutschen Truppen müssen Finnland bis zum 15. September verlassen haben.

     Heute sollte ich eigentlich in Barth sein zur ärztl. Untersuchung, – bin neugierig, was daraus wird.

[5]
Donnerstag, 7. Sept 1944.     

[5]      Gestern Abend half mir Carmen Grantz, meine Bücher im Waschkorb rüberschleppen. Ich habe nun alle Sachen im Atelier u. habe heute vormittag eingeräumt. – [...]

[5]      Gestern erschien in der DAZ u. im Rost. Anz. ein Artikel von Herrn Sündermann, in dem zum ersten Male zum Heckenschützenkrieg aufgefordert wird. Es heißt, daß im Hauptquartier eine große Konferenz der militärischen u. politischen Führer stattgefunden habe, in der der Guerillakrieg beschlossen worden sei. Es sollen dem Gerücht nach in den bayrischen Alpen bereits geheime Waffen= u. Lebensmittel=Lager eingerichtet werden. Man kann nur hoffen, daß die Alliierten so gründlich durchgreifen werden, daß diese Verbrecher bald dingfest gemacht werden.

[5]
Sonnabend, 9. Sept. 1944.     

[...] [6]      Man sagt, daß Hitler jetzt eine illegitime Organisation aufgestellt habe. Diese soll die Aufgabe haben, nach der Niederlage Deutschlands geheimen Widerstand zu leisten. Es soll ein Netz von geheimen Zellen über ganz Deutschland gebreitet werden. Man wird sich also auch nach dem Kriege noch vor dieser Bande vorsehen müssen. – Frau Siegert u. Prof. Reinmöller werden ja Akteure dabei sein, bis ihnen nachdrücklichst das dunkle Handwerk gelegt sein wird.

     Die mit der Uebersiedlung von Küntzels in unser Haus verbunden gewesene Räumerei ist nun ziemlich abgeschlossen. Gestern habe ich zum ersten Male wieder in meinem Atelier malen können. Ich habe es sehr hübsch eingerichtet, es sieht viel besser aus als vorher, als Fritz hier wohnte. Es tut mir ja leid, daß er nun diesen Raum verlieren wird, aber ich werde hier nicht wieder rausgehen, – ich habe ja auch ältere Rechte auf diesen Raum, habe ihn selbst gebaut für mich als Atelier. So wie ich meine beiden Zimmer abgetreten habe, wird er mir diesen Raum auch abtreten müssen. [...]

[6]
Montag, 11. Sept. 1944.     

[6]      Gestern an Ruth u. Fritz geschrieben. Am 8. Sept. bekamen wir kurze Nachricht von Fritz, datiert vom 30. Aug. Die vorletzten Nachrichten waren vom 7. u. 8. Aug. aus der Gegend von Clermont-Ferrant. Er hat in der Zwischenzeit sicher weitere Nachrichten gesandt, die aber nicht angekommen sind. Am 30. Aug. schrieb er, daß seine Truppe weiter nördlich gekommen sei, doch kann man sich kein Bild machen, wo er jetzt ist. Es scheint aber, daß seine Truppe schließlich der Gefangennahme entronnen ist.

     Gestern Abend bei Frau Longard. Sehr nett. Vorzügliche Birnen u. ein ebenso vorzüglicher Mosel. Diese Frau, die im nächsten Jahre 80 Jahre alt wird, ist noch ungemein frisch u. lebendig, sie erzählt anschaulich Dinge aus ihrem Leben, besonders aus Kaiserslautern. Auch ihre Tochter Frau Prof. Kemper, ist bei sich zu Hause weit netter als außerhalb. Sie zeigte ein Paßfoto von ihrem Mann als Soldat, er sieht furchtbar elend aus. Um 12 Uhr nachts gingen wir erst nachhause.

     Am Sonnabend hat der Prozeß gegen Dr. Goerdeler u. seine politischen Freunde stattgefunden, insgesamt sieben Personen unter ihnen Graf Helldorf, Polizeipräsident von Berlin. Heute wird bekannt gemacht, daß alle gehenkt worden sind. Goerdeler, auf dessen [7] Ergreifung nicht weniger als 1 Million Reichsmark ausgesetzt war, wurde vor einigen Wochen verhaftet. In der Berl. Illustr. Ztg. erschienen letzte Woche Bilder, die die Vorgänge der Verhaftung zeigten. Eine Nachrichtenhelferin hat sich dabei den Löwenanteil dieses Sündengeldes verdient, sie wird sich dessen kaum lange freuen. [...]

[7]
Dienstag, 12. Sept. 44.     

[...] [7]      Gestern bekamen wir eine kurze Nachricht von Fritz, datiert vom 24. Aug. zu welcher Zeit er immer noch in der Gegend von Clermont-Ferrant war. Er schreibt von sehr schweren Kämpfen seiner Truppe, die auch verlustreich sind u. er wundert sich, daß sie keinen Ersatz bekommen. Daraus ist zu erkennen, daß die Soldaten keine Ahnung haben, wie es steht. Er hat große Anstrengungen zu ertragen, hat 36 Stunden am Steuer gesessen. Alles das ist sehr gut für ihn, wenn er nur heil durchkommt. –

     Gestern vollendete ich das Engelbild, es ist das achte Bild dieses Jahres. Es ist sehr schön geworden, fast plakathaft in seiner geschlossenen Einfachheit.

     Heute im Garten gearbeitet, weil endlich mal wieder schönes Wetter ist. Es war in der letzten Woche überaus kalt, stürmisch u. regnerisch. Die Arbeit hat mich sehr angestrengt, ich kann körperlich nichts mehr leisten. [...]

[7]      Vom Arbeitsamt habe ich auf meine Weigerung, dorthin zur ärztl. Untersuchung zu kommen, bis jetzt nichts gehört.

     Soeben heult die Sirene, 1/2 6 Uhr, Fliegeralarm, der zweite dieses Tages. Das wird nun wohl am laufenden Bande so fortgehen. Wie gut haben wir's, daß wir nicht jedesmal in den Keller müssen.

     Daß Hitler selbst nicht mehr glaubt, daß er noch lange am Ruder sein wird, erkennt man daran, daß die Lebensmittel-Rationen immer noch nicht herabgesetzt worden sind, obgleich wir doch nun mit Ausnahme von Ungarn sämtliche Agrargebiete verloren haben u. außerdem auf unseren Rückzügen ungeheure Mengen von Vorräten in die Hand des Feindes gefallen sind. Die Ernte dieses Jahres ist eine normale Mittelernte, die keinesfalls ausreichen kann, das ganze Volk, die Soldaten u. die 10 Millionen Fremdarbeiter zu ernähren, ganz abgesehen davon, daß bei diesen ständigen Luftangriffen immer neue Vorräte umkommen. Wenn Hitler noch Hoffnung hätte, am Ruder zu bleiben, würde er bestimmt die Lebensmittel-Zuteilungen einschränken, so aber läßt [8] er diese Sache laufen, wie sie will. Er erhält damit das Volk jetzt bei der Stange, denn eine Lebensmittel-Verkürzung würde natürlich die Stimmung noch mehr drücken. Wenn dann im Januar – Februar die Vorräte aufgezehrt sein werden u. die Hungersnot ausbrechen wird, dann können die Nazis die Schuld daran denen in die Schuhe schieben, die dann die Macht haben werden, – in erster Linie also den Engländern u. Amerikanern.

     Die Evakuierten aus Stettin, die schon am vorigen Mittwoch kommen sollten, sind bis heute noch nicht da. Es scheint mir das wieder einmal eine der zahlreichen Partei=Aktionen zu sein, die nur den Zweck haben, die Leute aufzuregen u. abzulenken von den wirklichen Tatsachen. [...]

[8]
Donnerstag, 14. Sept. 1944.     

[...] [9]      Gestern Mittag waren Herr + Frau Soehlke da u. sahen sich meine Bilder an. – Bei Ziels mußte auch ich ein Porträt bewundern, das Dr. Jaeger von Herrn Ziel im Sommer gemalt hat. Es war sehr ähnlich u. auch lebendig, aber grau u. bildmäßig ohne Komposition. –

     Herr Ziel wußte Bescheid über die Erlebnisse des Herrn Zelk, der nach dem 20. Juli mit anderen sozialdemokratischen Abgeordneten verhaftet worden war. Danach sind alle Verhafteteten, soweit Mecklenburg in Betracht kam, nach Güstrow verbracht worden, wo sie geschoren wurden u. Sträflingskleidung erhielten. Einer der Inhaftierten war schwer Herzkrank. Da alle gärtnerische Arbeiten leisten mußten, die dieser Herzkranke nicht leisten konnte, ging er zum Anstaltsarzt, der aber nichts unternahm. Der Herzkranke erklärte dann, daß er sterben würde, wenn er die geforderte Arbeit leisten müsse, worauf der Arzt geantwortet haben soll: „Das sollen Sie ja grade!“ – In der Tat war der Kranke nach drei Tagen tot. – Nach etwa 14 Tagen wurden alle Inhaftierten wieder entlassen. – [...]

[...] [10]      Man wird grade hier in unserer entlegenen u. strategisch uninteressanten Gegend scharf aufpassen müssen, daß hier keine geheimen Waffenlager angelegt werden. Das Grundstück des Prof. Reinmöller würde für dergleichen sehr geeignet sein.

[10]
Freitag, 15. Sept. 1944.     

[...] [10]      Von deutscher Seite wird bekannt gegeben, daß bei einem Fliegerangriff der kommunistische Reichstagsabgeordnete Thälmann u. der Sozialdemokrat. Abgeordnete Breitscheid ums Leben gekommen seien. Nun ist dieses Pack auch noch feige obendrein, – denn welches Interesse sollten unsere Gegner haben, ein Konzentrationslage zu bombardieren, u. wenn es versehentlich geschehen sein sollte, so wäre es ja wirklich ein sonderbarer Zufall, daß ausgerechnet diese beiden Reichstagsabgeordneten die Opfer des Angriffs geworden wären in einem Augenblick, da Himmler sämtliche Abgeordneten der Linksparteien verhaften ließ. –

     Gestern netter Brief von Ruth. Sie deutet an, daß wieder Gefahr bestünde, daß die Kranken der Heilanstalt abgeholt würden, um beseitigt zu werden. [...]

[10]      Wundervolles Herbstwetter. –

     Gestern Skizze eines neuen Engelbildes gemacht, – ganz in Blau u. Schwarz.

[10]
Sonntag, 17. Sept. 44.     

[...] [10] Gestern ein ganz verfahrener Tag. Am Vormittag das neue Engelbild aufgezeichnet, aber Mittags erschien der Unteroffizier Richter von der Batterie mit einem Obergefreiten, um unsere Pumpe in Ordnung zu bringen. Beide arbeiteten angestrengt bis 6 Uhr Abends mit dem Erfolg, daß die Pumpe nun überhaupt nicht mehr geht u. wir ohne Wasser dasitzen. Am Nachmittag kamen dann noch zwei weitere Soldaten, um unseren Koks in den Keller zu bringen. Sie arbeiteten bis zum Abend, schafften aber nur die Hälfte. Die andere Hälfte wird nun bis zum Sonnabend liegen bleiben müssen. Gegen Abend kam dann noch Dr. Scheid, um meine Bilder zu sehen. [...]

[11]      Heute schickte mir Franz Triebsch durch seine Frau einige Oelfarben. So nett wie das von ihm ist, so ist es doch einigermaßen komisch, daß dieser Maler, der mich früher so leidenschaftlich bekämpfte, nun meine Malerei unterstützt. [...]

[11]
Dienstag, 19. Sept. 44.     

[...] [12]      Gestern das neue Engelbild untermalt.

[12]
Mittwoch, den 20. Sept. 1944.     

[...] [12]      Das neue Engelbild macht Schwierigkeiten.

[13]
Sonnabend, 23. Sept. 1944.     

[13]      Heute ist das neue Engelbild fertig geworden, es hat mir sehr viel Mühe gemacht, ist nun aber gut. [...]

[14]
Sonntag, 24. Sept. 1944.     

[...] [14] Ich vollendete das neue Engelbild, – es war sehr schwierig, ist es ist doch gut geworden, – überaus ernst.

     Die Russen haben Pernau am Rigaer Busen erobert u. haben damit die Nordgruppe unserer Armee in zwei Teile gespalten. In Siebenbürgen haben sie Arad genommen, unmittelbar vor der ungarischen Grenze. Der jetzige Ministerpräsident von Ungarn soll sich in der letzten Woche geäußert haben, er hoffe, sein Land bald aus dem Kriege herausführen zu können. Das wäre dann der letzte Vasallenstaat, der abfallen würde, mit Ausnahme der Slowakei, die aber praktisch schon längst abgefallen ist. – Die englischen Luftlandetruppen scheinen eine schwere Krise durchmachen zu müssen, man hat von uns aus alle verfügbaren Kräfte gegen sie aufgeboten mit einigem Erfolg. Dennoch kann man erwarten, daß die Gegner dieser Krise Herr werden u. der Rückschlag wird um so gefährlicher werden, denn diese Aktion kostet uns gewaltig viel Material.

     Gestern sprach in kurz Dr. Krappmann, der von seiner Osloer Reise zurück ist u. auf dem Rückwege in Dänemark Station gemacht hat. Er erzählte von tollen Zuständen dort: Sabotage wird getrieben, Attentate auf Eisenbahnen, Fabriken u. öffentl. Einrichtungen, Soldatenmorde auf offener Staße bei hellem Tage. Er meinte, der Unterschied zwischen Norwegen u. Dänemark sei [...]

[15]
Dienstag, den 26. Sept. 1944.     

[15]      Gestern Nachmittag tauchte plötzlich Herr Lorenz auf mit einem schnittigen, tadellos gepflegtem Auto in SS=Generalsuniform. Ich sah ihn vom Fenster meines Schlafzimmers aus, er hielt vor der Bunten Stube. Ich hütete mich, rüber zu gehen. Martha erzählte später, er habe gewaltig angegeben. Er hat erzählt, daß er den Forstmeister Mueller in Born besucht habe, der krank gewesen sein soll. Ein Arzt aus Greifswald habe sich um ihn bemüht, er, Lorenz, habe aber dafür gesorgt, daß ein Professor aus Berlin im Flugzeug nach Born geschickt worden sei. – Hier auf dem Lande hat nicht einmal der Arzt mehr genug Benzin, um seine Krankenbesuche zu machen, aber wenn dieser Forstmeister krank ist, genügt nicht ein Arzt, sondern es müssen Professoren sein, die im Flugzeug rangeschafft werden, – u. Herr Lorenz fährt im Auto von Berlin nach Born, – bloß weil dabei ein Rehbock abfällt. Auf dem Rückwege werden natürlich noch die mecklenburgischen Güter abgeklappert, wo es noch überall gut zu essen u. zu trinken gibt. Herr Lorenz hat weiter erzählt, daß er in Berlin sehr angenehm lebe, seine Frau ist irgendwo in Süddeutschland gut untergebracht. Die ältere Tochter hat vor einigen Monaten einen mecklenburgischen Gutsbesitzer geheiratet. Irgendwer hat als Hochzeitsgeschenk einen kostbaren Schimmel geschenkt, der während des Hochzeitsfestes in den Festsaal geführt worden sei. Unser Fuhrmann Spangenberg konnte zur selben Zeit monatelang kein zweites Pferd kaufen, als ihm das eine Pferd im Sommer eingegangen war u. alle Fracht u. andere Fuhren konnten nicht gefahren werden, weil nirgends ein zweites Pferd aufzutreiben war. – Herr Lorenz erzählte weiter, daß er für sich persönlich zwei Burschen u. einen Koch zur Verfügung habe, – uns aber werden alle Hausgehilfinnen fortgenommen u. in die Rüstungsbetriebe gesteckt. Alle Männer sollen an die Front u. wer nicht Soldat sein kann, soll sonst für die Rüstung arbeiten, alle Behörden u. militärischen Schreibstuben werden ausgekämmt, um alle Kräfte für den Krieg frei zu bekommen, – aber dieser Kerl hat zwei Burschen u. einen Koch für sich persönlich, – seine Frau wird natürlich außerdem für sich die nötige Bedienung haben, das ist selbstverständlich. – Herr L. erklärte in der Bunten Stube, es sei ihm im ganzen Leben noch nie so gut gegangen wie eben jetzt! – So wird es wohl auch sein. Ihm u. all den anderen Bonzen ist es nie so gut gegangen wie jetzt, – obwohl sie schon vorher herrlich u. in Freuden lebten, u. deshalb geht der Krieg weiter. Mag auch ganz Deutschland in Schutt u. Asche sinken, – diesen Herren geht es ausgezeichnet!

     Fast bewunderungswürdig aber ist die Dummheit dieser Leute, die nicht sehen, daß das bittere Ende auch für sie [16] immer näher kommt. Gestern Abend wurden Richtlinien für die 12 Millionen ausländischer Arbeiter ausgegeben. Es wurde da von den organisierten Zellen unter diesen Arbeitern gesprochen u. daß die nichtorganisierten Arbeiter sich dort ihre Weisungen holen sollten. Es wurden von den aus Flugzeugen abgeworfenen Sprengmitteln u. Waffen gesprochen u. von ihrer sachgemäßen Verwendung u. es wurden die deutschen Arbeiter aufgefordert, sich diesen geheimen Organisationen anzuschließen. Es wird nun also bald los gehen wie in Dänemark u. dann wird ja wohl auch Herrn „General“ Lorenz eine Kugel erreichen. [...]

[16]
Mittwoch, 27. Sept. 44     

[16]      Vormittags für Grete Gesuch geschrieben zur Rückkehr Pauls. Abschrift seines letzten Zeugnisses bei der TN. beigefügt, von Bürgermeister beglaubigt. Gesuch von Deutschmann befürwortet. Hoffentlich klappt es. Es hat nun schon die siebente Woche begonnen, seitdem er fort ist. Bei dem naßkalten Wetter muß man für seine Gesundheit fürchten.

     Gestern Nachmittag mußte ich wieder einmal an der Kasse sitzen, Carmen Grantz ist immer noch krank. Frl. Hindemith, Nachrichtenhelferin bei der Batterie, brachte uns rührenderweise Pilze, die sie gesammelt hatte u. die wir heute aßen.

     Gestern u. heute Versuch zum Entwurf eines Stillebens. Ich wählte die kleine Madonnenfigur, die auf unserem Altar steht, zusammen mit Blumen aus dem Garten, – aber das Ganze ist sentimental. –

     Immer noch stürmisch, regnerisch u. kalt, habe heute wieder geheizt.

     Gestern Abend Frau Dr. Müller-Bardey. Sie hilft bei den Bauern Kartoffeln kratzen, sah schlecht aus, behauptete aber, es bekäme ihr gut.

     Nachmittags gestern in der Bunten Stube der Maler v. Kardorf, der furchtbar elend aussah u. sehr alt geworden ist. [...]

[16]
Donnerstag, 28. Sept. 1944.     

[16]      Heute wieder Brief von Fritz, Datum 21. 9. Er ist immer noch in der Gegend von Belfort u. muß oft als Kompanie-Sani vorn in der Stellung sein, wo es nach wie vor scharf hergeht. Sein Bataillon ist aufgerieben, die Reste sind einem anderen Bataillon zugeteilt, er fährt aber den San-Gerätewagen weiter. Der Hauptverbandplatz liegt hinter der Feuerlinie, Feldpost haben sie [17] immer noch nicht bekommen. – [...]

[17]      Das Wetter ist besser geworden, aber es ist kalt. Ich habe heute zum ersten Male das Atelier geheizt. Habe eine neue Studie gemacht für ein Stillleben, nämlich die Dahlien, die ich gestern zusammen mit der Madonna verwendete nun allein in einer Glasvase, auf der Ecke meines Maltisches stehend, davor noch eben grade ein Stück des Malkastens mit einigen Tuben, dahinter eine Flasche Terpentin. Es kann sehr gut werden: gelbe Töne aus tiefstem Braun heraus, die ihren Höhepunkt in den Dahlien erreichen. Nebenher das Grün der Blätter, das Silbergrau der Tuben u. des Glases u. dazu der Malkasten, den ich in kräftigem Lackrot denke. Räumlich ist der Entwurf sehr reizvoll, da im Hintergrunde links noch die scharfe Kante des Schreibtisches u. ein Stück des Fußbodens angedeutet ist, ganz kubisch. [...]