Zum Inhalt springen

Ahrenshoop, November 1943

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ahrenshoop, November 1943
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1943
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, November 1943
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, November 1943 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge vom November 1943. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

[1]
Sonntag, 7. November 1943.     

[...] [2]      Heute Nachmittag wollen Krappmanns kommen, um über die Wiederaufnahme des Religionsunterrichtes mit mir zu sprechen. Es muß das sehr vorsichtig geschehen u. ich werde nur noch die drei Jungens Jens, Lothar Krappmann u. den kleinen Reinhard Clemens zulassen, damit möglichst nicht neues Geklatsche entsteht. – Vielleicht fange ich morgen wieder an. [...]

[3]
Montag, 8. November 1943.     

[3]      Gestern Nachmittag Krappmanns. Wie immer, war es sehr nett. Diese beiden Menschen sind mir wirklich überaus sympatisch. – Als wir zum letzten Mal bei ihnen waren, hatte ich ihm versprochen, ihm gelegentlich Fotos meiner früheren Bilder zu zeigen. Ich kramte also die Mappe mit diesen Fotos aus der Komode in meinem Zimmer heraus u. fand bei dieser Gelegenheit eine ziemlich große Anzahl von Bleistift-Zeichnungen früherer Jahre, landschaftl. Naturstudien u. Bildniszeichnungen, von denen ich nie wußte, wo sie geblieben waren. Wir besahen sie u. ich selbst fand sie noch recht gut. Dr. K. u. seine Frau waren sehr entzückt. – Mir war bei der Durchsicht doch etwas wehmütig. Welche großen Hoffnungen habe ich doch einst auf meine Kunst gesetzt, – u. nun ist das alles längst dahin. Mit der Bunten Stube hat es angefangen. Sie ließ mich nicht zur Arbeit kommen. Dadurch wurde ich gedrängt, hier im Ort Gemeindevorsteher zu werden, dann kam der Autounfall u. in dessen Gefolge noch einmal ein kleiner Ansatz, der aber schließlich in den seelischen Nöten jener Zeit erstickte. Dann kam meine Konversion u. damit war es dann ganz aus. Meine gegenwärtigen neuen Versuche haben bisher zu keinem Resultat geführt u. es sieht nicht grade so aus, als wollte daraus etwas werden, schon weil mir ein rechter Arbeitsraum fehlt. Immerhin habe ich heute früh meinen Schreibtisch umgestellt u. sonst einige kleine Aenderungen im Zimmer getroffen, um etwas mehr Platz zu gewinnen, für den Fall, daß ich doch noch einmal Lust zur Arbeit bekomme.

     Mit Dr. K. bin ich übereingekommen, daß sein Lothar heute Nachmittag wieder zur Religionsstunde kommen wird. Wir werden die Sache ganz heimlich aufziehen, werden im Seezimmer sitzen nur mit den drei Jungens Jens, Reinhard u. Lothar.

[3]
Sonntag, 14. November 1943.     

[...] [3] Am 8. Nov. abends hat Hitler in München eine Rede gehalten. Wir wußten es nicht u. lasen die Rede in der Zeitung. Diese Rede war ganz darauf abgestellt, die Stimmung [4] wieder neu aufzumöbeln, was denn wohl auch bei der Mehrzahl dieser Herde gelungen ist. Er hat zwar nicht gesagt, auf welche Art er das Schicksal wenden u. diesen Krieg noch gewinnen will, sondern er hat im Gegenteil zugestanden, daß Amerika für uns unerreichbar ist, aber er hat dafür angedeutet, daß er den Krieg auch dann noch weiter führen wird, wenn er demnächst auf deutschem Boden stattfinden sollte. – Gleichzeitig hat Churchill eine Rede gehalten, die ebenfalls recht hoffnungslos klang insofern, als er der Meinung ist, daß dieser Krieg in diesem Jahre noch nicht sein Ende finden wird, sondern erst im nächsten Jahre, u. daß bis dahin noch Kämpfe stattfinden würden, die blutiger sein würden als alles, was die Weltgeschichte bisher gesehen hätte. [...]

[5]
Mittwoch, 24. November 1943.     

[5]      Heute sollte eigentlich Jens Wegscheider wieder nachhause fahren. Alles war vorbereitet, Frau Monheim, die ebenfalls fahren wollte, sollte ihn mitnehmen. Da wurde gestern früh im Radio durchgegeben, daß am Abend vorher, also am Montag Abend, ein Angriff auf Berlin gewesen wäre. Da solche Angriffe vom Abend vorher sonst niemals in den Frühnachrichten erwähnt werden, schlossen wir daraus, daß es sehr schlimm gewesen sein muß. Gestern im Laufe des Tages kamen dann spärliche Nachrichten durch. Herr Monheim telegraphierte per Blitz an seine Frau, sie solle nicht kommen, wennschon bei ihm nichts passiert sei. So behielten wir auch Jens hier, der die Enttäuschung recht tapfer trägt. Er ist überhaupt ein sehr lieber Junge, im Religionsunterricht sehr aufmerksam u. sehr interessiert, sodaß es mir leid tut, ihn als Schüler wieder zu verlieren.

     Ueber den Angriff habe ich gehört, daß derselbe am Montag Abend um 8 Uhr begann u. bis kurz nach 1/2 9 Uhr gedauert hat. In dieser halben Stunde haben die Englänger 2.300.000 kg. Bomben auf Berlin abgeworfen, eine ungeheure Menge. Zwanzig Minuten nach dem Angriff soll sich in Bln. eine Explosion ereignet haben von gewaltiger Wucht. Man sagt, es sei der schwerste Angriff gewesen, den Berlin bisher erlebt hat, sonst aber weiß ich nichts, außer, daß es die Gegend des Kurfürstendamm sehr stark betroffen haben soll. Ich wüßte aber nicht, wo dort Ursache zu einer Riesen-Explosion sein sollte, es werden also wohl auch noch andere Gegenden betroffen worden sein.

[5]
Donnerstag, 25. November 1943.     

[5]      Aus Berlin kommen nur spärliche Nachrichten. Sicher ist, daß der Stettiner Bahnhof total zerstört ist u. die Züge nach hier nur von Oranienburg ab fahren. [...]

[6]
Freitag, 26. November 1943.     

[6]      Aus Berlin kommen nun langsam Nachrichten. Martha bekam heute Abend Verbindung mit Kut's Frau Anneliese, die gesund ist u. die Wohnung ist unbeschädigt, doch soll von der Potsdamer Brücke bis zum Potsdamer Platz u. darüber hinaus alles ein Trümmerfeld sein, ebenso nach der anderen Seite, der Lützowbrücke hin. Von Frau Prof. Triebsch, die ich heute spach, hörte ich, daß auch ihre Wohnung in Bln verbrannt u. das ganze Haus eingestürzt sei. Auch die Wohnung von Prof. Erich Seeberg, die schon früher arg mitgenommen worden war, soll nun total vernichtet sein. Es herrscht jetzt Sturm u. Regen, sodaß die Engländer mindestens eine Pause machen müssen.

     Göring hat im Ruhrgebiet eine Rede gehalten, wobei er gesagt haben soll, daß der Führer bei der Machtübernahme gesagt habe: Gebt mir vier Jahre Zeit! – Jetzt verlange er nur ein Zeit von einigen Tagen, dann solle sich das Schicksal wenden. – Es ist das offenbar wieder eine Anspielung auf die neue, geheimnisvolle Waffe, die das Wunder einer Schicksalswende bringen soll. Eine ähnliche Anspielung wurde bereits vor einigen Tagen von offizieller Seite gemacht. Danach wäre also für die allernächsten Tage damit zu rechnen, daß etwas in dieser Richtung geschieht. Das Volk blickt fasciniert auf diesen Augenblick. Es ist gefährlich. Wenn diese geheimnisvolle Wunderwaffe versagen sollte, dann wird die letzte Hoffnung in sich zusammenbrechen u. es wird dann nichts mehr geben, sie wieder aufzurichten.

[6]
Montag, 29. November 1943.     

[...] [7] Sehr anschaulich erzählte Dr. K. von seiner Rückreise durch Berlin, wo er eintraf am frühen Morgen nach der ersten Bombennacht. Der Zug fuhr bis zu irgend einem Ort kurz vor Berlin, wo alles aussteigen mußte. Nach langem Warten kam ein kleiner Autobus, um die Leute weiter zu bringen, aber es waren natürlich Hunderte, die mitfahren wollten. Es gelang Dr. K. und seiner Frau mitsamt Gepäck mitzukommen, – er war in Uniform, das hat ihm geholfen. Er beschreibt die Fahrt in diesem Omnibus, die fürchterlich gewesen sein muß. Ich glaube, er ist bis Schöneberg gekommen, wo man Dampfzüge auf der Hochbahn eingesetzt hatte, wenn ich nicht irre. Jedenfalls wollte er zum Stettiner Bahnhof, doch stellte sich heraus, daß auch dieser in Flammen stand u. unbenutzbar war. Mit allen möglichen Mitteln ist er schließlich bis nach Oranienburg gekommen. Diese Fahrt durch Berlin bis zur Weiterfahrt von Oranienburg hat 15 Stunden gedauert. – Die Stimmung der Berliner war natürlich verzweifelt u. von der humorvollen oder heldenhaften Haltung der Bevölkerung, von der in der Zeitung geschwafelt wird, hat er keine Spur bemerkt. Was er von Bln. gesehen hat, war grauenvoll. [8] ist beim Druck der Rede von Goebbels gestrichen worden, sodaß nur die direkten Zuhörer ihn gehört haben. Das heißt also nichts anders, als: „ich werde weiterkämpfen bis zur völligen Zertrümmerung Deutschlands, auch wenn ich selbst überzeugt bin, daß ein Sieg nicht mehr möglich ist.“ – u. so ist es! Dieser Mann wird Deutschland bis auf die Grundmauern ruinieren, das brauchen dann die Engländer nicht mehr zu tun. Man sagt immer, er wäre verrückt. Mag sein. Aber in diesem Falle denkt er sehr folgerichtig, denn eine zugegebene Niederlage wäre sein Ende genau so wie eine völlige Vernichtung Deutschlands, – aber das Letztere zögert sein Ende um eine gewisse Zeit hinaus. – In diesem Falle ist nicht er der Verrückte, sondern das deutsche Volk, das diesen tollwütigen Anstreicher nicht beseitigt. Dieses arme Volk wird noch Fürchterliches erleben. – Je länger es dauert, um so inbrünstiger klammert sich das Volk an die geheimnisvolle neue Waffe, die angeblich in den nächsten Tagen zum Einsatz kommen soll. Schlägt auch diese fehl, – u. sie muß es unbedingt, – dann wird das Volk aus seinem fürchterlichen Wahn erwachen [...]