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Ahrenshoop, August 1944

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Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, August 1944
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Entstehungsdatum: 1944
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Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, August 1944
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, August 1944 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge von August 1944. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

[1]
Dienstag, 1. August 1944.     

[...] [1]      Morgen tritt in Ankara die Nationalversammlung zusammen u. wird wahrscheinlich beschließen, die diplom. Beziehungen zu Deutschland abzubrechen. Welche Wirkung dieser Schritt auf Bulgarien, Rumänien u. Ungarn haben wird, wird sich bald zeigen. Wir werden natürlich wieder einmal gänzlich davon überrascht, denn unsere Propaganda hat immer erzählt, wie freundlich die Türken uns gesinnt seien. [...]

[1]      Die im Garten blühenden Malven haben mich gereizt. Ich habe eine Skizze gemacht, die jedoch nichts erreichte. Heute habe ich es von Neuem versucht, es scheint besser zu werden. [...]

[1]
Mittwoch, 2. August 1944.     

[...] [2]      Daß die sog. Generalsrevolte sehr viel weitere Kreise umfaßt hat, wird immer deutlicher. In Schlesien besonders sollen Zivile Kreise dahinter gestanden haben u. jetzt wird der Oberbürgermeister von Leipzig, Goerdeler, steckbrieflich verfolgt. Es wird immer deutlicher, daß das Attentat auf Hitler nur der Auftakt war zu weiteren Ereignissen.

     Der amerikan. Vormarsch an der Invasionsfront nach Süden geht weiter.

     Eben höre ich von einer Seite, die gut informiert sein dürfte, daß der Generalfeldmarschall Lindemann ebenfalls in die Generalsrevolte aktiv verwickelt sein soll. Es hieß ja von Anfang an, daß Hitlers Befehl, das Baltikum unter allen Umständen zu halten, der eigentliche Anlaß der Revolte gewesen sein soll. Lindemann soll sich nun aber nicht bei seiner Armee befinden, sondern soll sich sonst irgendwo verborgen halten, ebenso wie Goerdeler. – Von derselben Seite höre ich auch, daß am 20. Juli sehr viele Truppen mobilisiert gewesen sein sollen, so habe der Fehrbelliner Platz einem Heerlager geglichen. Aber dennoch hat irgendetwas nicht geklappt, es muß wohl ein Verrat dabei im Spiele gewesen sein. – Man sagt, daß die ganze Familie des Grafen Stauffenberg umgebracht worden sei. – Es gibt übrigens Leute, die an das ganze Attentat nicht glauben. [...]

[2]
Donnerstag, 3. August 1944.     

[...] [3] Heute wieder ausführlicher Brief von Fritz. Seine Truppe zieht atemlos im Lande umher, ohne irgend etwas zu erreichen. Die Treibstoffknappheit ist bereits so groß, daß kürzlich Fahrräder beschlagnahmt wurden u. die Truppe auf Fahrrädern, anstatt auf Motorwagen, fuhr. Dieser Ausweg aber war ein Mißgriff, denn die meisten Räder waren minderwertig u. gingen kaputt. – Die Kampftaktik scheint sich geändert zu haben, indem die Gefangenen nicht mehr erschossen werden. Fritz klagt über den mangelhaften Geist in der Truppe, zwischen Offizieren u. Mannschaften besteht, wie er schreibt, eine Kluft, wie er es vordem nie erlebt hat. Das ist denn also „des Führers nationalsozialistische Volksarmee“ Besonders von den Aerzten schreibt er, daß sie einen guten Tag lebten u. möglichst wenig täten, die Arbeit überlassen sie den Sanitätsdienstgraden.

     Heute habe ich das neue Malvenbild untermalt, – es verspricht, sehr schön zu werden. [...]

[3]
Freitag, 4. August 1944.     

[...] [4]      Heute Nachmittag gegen 2 Uhr Fliegeralarm, Entwarnung erst gegen 4 Uhr. Es kamen überaus zahlreiche Fliegerverbände über uns hinweg. Der Angriff soll Flensburg, Kiel, Rostock u. wieder Peenemünde gegolten haben, Näheres habe ich noch nicht gehört.

     Nachmittags Herr u. Frau Dr. Jaeger, sahen sich meine Bilder an. Herr Dr. J., ist unter die Maler gegangen. Er zeigte mir Fotos einiger seiner Bilder. Das reifste war ein Bildnis von Schmidt-Rotloff, der in Chemnitz lebt, seit er in Bln. ausgebombt ist, ferner sehr gut das Bildnis zweier Negermädchen, tragischer Gesichtsausdruck. Dr. J. gab mir ein Gedicht von Gottfried Keller aus dem Jahre 1844, eine seltsame Prophezeiung Adolf Hitlers u. seiner Leute. Es lautet:

Ein Ungeziefer ruht
In Staub und trocknem Schlamme
Verborgen, wie die Flamme
In leichter Asche tut.
Ein Regen, Windeshauch
Erweckt das schlimme Leben,
Und aus dem Nichts erheben
Sich Seuchen, Glut und Rauch.

Aus dunkler Höhle fährt
Ein Schächer, um zu schweifen;
Nach Beuteln möcht' er greifen
Und findet bessern Wert:
Er findet einen Streit
Um nichts, ein irres Wissen,
Ein Banner, das zerrissen,
Ein Volk in Blödigkeit.

Er findet, wo er geht,
Die Leere dürft’ger Zeiten;
Da kann er schamlos schreiten;
Nun wird er ein Prophet.
Auf einen Kehricht stellt
Er seine Schelmenfüße
Und zischelt seine Grüße
In die verblüffte Welt.

Gehüllt in Niedertracht
Gleichwie in einer Wolke,
Ein Lügner vor dem Volke,
Ragt bald er groß an Macht
Mit seiner Helfer Zahl,
Die hoch und niedrig stehend,
Sich bieten seiner Wahl.

Sie teilen aus sein Wort,
Wie einst die Gottesboten
Getan mit den fünf Broten,
Das klecket fort und fort!
Erst log allein der Hund,
Nun lügen ihrer tausend;

[5]

Und wie ein Sturm erbrausend,
So wuchert jetzt sein Pfund.

Hoch schießt empor die Saat,
Verwandelt sind die Lande,
Die Menge lebt in Schande
Und lacht der Schofeltat!
Jetzt hat sich auch erwahrt,
Was erstlich war erfunden:
Die Guten sind verschwunden,
Die Schlechten stehn geschart.

Wenn einstmals diese Not
Lang wie ein Eis gebrochen,
Dann wird davon gesprochen,
Wie von dem schwarzen Tod;
Und einen Strohmann baun
Die Kinder auf der Heide,
Zu brennen Lust aus Leide
Und Licht aus altem Graun.

[...] [5]
Sonnabend, 5. Aug. 1944.     

[...] [5]      Heute Nachmittag war Prof. Enking da, um meine Bilder zu sehen. Er war sehr begeistert, besonders vom betenden Engel.

[6]
Montag, 7. Aug. 1944.     

[6]      Das Dorf ist in Aufregung. Es geht das Gerücht, die ganze weibliche Bevölkerung bis zum 55. Lebensjahre würde nach Ostpreußen gebracht werden, um dort zu schanzen. Diese Maßnahme soll für ganz Pommern u. Schlesien gelten. Woher das Gerücht kommt, konnte ich nicht feststellen, denn die pommerschen Zeitungen, in denen diese Verfügung stehen soll, sind heute nicht eingetroffen. Es soll ein Haus beschlagnahmt sein, das Haus v. Steinäcker, in dem alle Kinder untergebracht werden sollen. – [...]

[6]      Es bestätigt sich, daß auch der Polizeipräsident von Bln., Graf Helldorf, der einst ein übel berüchtigter Nazi war, in die Attentats-Affäre verwickelt ist. Er ist abgesetzt u. durch den bisherigen Polizeichef in Dänemark ersetzt worden. Dieser hat sich durch seine Brutalität in Dänemark einen Namen gemacht. Auch ein weiterer General, der bisher ein Armeekorps in der Normandie befehligte, ist abgesetzt. – Gestern wurde mir von einer höheren Befehlsstelle in der Heimat erzählt, daß sämtliche Offiziere vom Kommandeur bis zum jüngsten Leutnant bedauert hätten, daß das Attentat auf den Führer mißglückt sei. Es scheint doch so, daß dieses Attentat sehr dazu beigetragen hat, die Fronten zu klären.

[6]
Mittwoch, 9. August 1944.     

[6]      Gestern wurden Generalfeldmarschall v. Witzleben u. sieben andere Offiziere durch den Strang hingerichtet.

     Abends war Frau Wolsdorf bei uns, eine ziemlich unbedeutende Frau, die uns langweilte, doch ist sie wenigstens gutartig. Sie erzählte von ihrem 20jährigen Sohn, der an der Ostfront [7] als Leutnant bei der Panzerwaffe steht. Er u. seine Leute müssen jetzt schanzen, weil sie keine Panzer haben. Auch von der Invasionsfront hörte ich vor einigen Tagen, daß ein Teil unserer Einheiten dort mit alten Holländischen u. Französischen Gewehren ausgerüstet ist. Im 1. Weltkrieg hat mein Regiment auch bloß russische Gewehre gehabt u. wir suchten uns die Munition zusammen; aber damals hat man uns auch nicht erzählt, daß die Rüstung immer ist Steigen sei. [...]

[7]      Von Generaloberst Lindemann sagt man jetzt, daß er zu den Russen übergegangen sei. [...]

[7]      Heute ein Bild in der DAZ: „Die Reichs= u. Gauleiter beim Führer.“ Hitler begrüßt Dr. Ley, Himmler, Goebbels, Amann u. Dr. Frick. Auf diesem Bilde ist deutlich zu sehen, daß der Führer die linke Hand gibt u. daß der rechte Arm herunterhängt, als sei er bandagiert. Irgend etwas hat er bei dem Attentat doch abbekommen. [...]

[7]      Der Maler v. Perfall will mir Pinsel + Farben besorgen. Mein Malvenbild wird sehr schön. [...]

[7]
Donnerstag, 10. Aug. 1944.     

[7]      Große Aufregung Fünfundsiebenzig Frauen u. Mädchen haben heute Order bekommen, sich bis Sonnabend bereit zu halten zum Abtransport irgendwohin zur Schanzarbeit. Unter diesen auch unsere Trude Dade u. auch die Martha von Irmingard Wegscheider, die mit Jens u. Peter hier ist. Wir wollten daraufhin diese Martha morgen mit den Kindern nach Bln. zurückschicken, aber sie braucht dazu eine Reisebescheinigung vom Bürgermeister u. dieser gibt sie nicht, weil er Angst hat vor dem polit. Leiter in Prerow, der diese Verfügung erlassen hat u. zwar zu Unrecht, wie der Bürgermeister selbst einsieht. Wir wissen nicht, was tun. Unsere Trude sind wir jedenfalls los. Unter diesen 75 Frauen befinden sich natürlich überwiegend ausgebombte Frauen, die hier wohnen, durchweg Damen besseren Standes. Jede hat eine Lister erhalten, was sie mitzubringen hat, – aber diese Sachen besitzt kein ausgebombter Mensch, nicht einmal ein Nichtausgebomter. – Die Sache hat wenigstens das Gute, daß die Liebe zum Führer dadurch immer größer wird. –

Abends

Martha war beim Bürgermeister, der nun endlich

[8] eingesehen hat, daß das Mädchen Martha zu unrecht ihre Order bekommen hat, doch hat er Angst, selbständig etwas zu tun, er meint, erst den polit. Beamten in Prerow fragen zu müssen. Er will das tun u. uns dann Bescheid geben, doch hat er das bis jetzt nicht getan. Sobald das Mädchen frei ist, werden wir es mit Jens u. Peter nach Bln. zurückschicken.

     Im Dorf ist ungeheure Aufregung. Es soll im Gasthof von Knecht eine Gemeinschaftsküche aufgemacht werden für die Kinder, die mutterlos hier bleiben u. die sonst im Hause Strandheim untergebracht werden sollen. Für Pflege dieser Kinder ist die Frauenschaftsleiterin Frau Siegert bestellt, ferner deren Nachbarin Frau Schmitt u. die Frau des Lehrers. Diese haben sich also einen Druckposten zu verschaffen gewußt. Die Frau des Bürgermeisters hat zwar keinen besonderen Druckposten, braucht aber nicht fort. Dagegen hat Schwager Paul ebenfalls Order bekommen, er ist 62 Jahre.

     Unter der Schlagzeile „Vom Volke gerichtet“ bringt der Rost. Anz. heute den Verhandlungsbericht gegen die Attentäter. Es handelt sich um den Generalfeldmarschall v. Witzleben, Generaloberst Höppner, Generalmajor Stieff, Oberlt. v. Hagen, Generalleutnant v. Hase, Oberstlt. Bernardis, Hptm. Klausing u. Lt. Graf York v. Wartenburg. –

     In all dieser Aufregung habe ich heute das Malvenbild vollendet. Es ist sehr schön geworden. [...]

[8]
Freitag, 11. Aug. 44.     

[...] [8]      Die Aufregung im Dorf ist noch die gleiche. Von den 75 betroffenen Frauen u. Mädchen haben 50 Revision eingelegt. Es scheint in der Tat so, als hätte man vorwiegend Evakuierte ausgewählt, also Damen besserer Stände, während man die einheimische Bevölkerung weitgehend geschont hat. – Ich habe bis jetzt nur von zwei Männern gehört, die Order bekommen haben: Paul u. Gess. Ich rede Paul zu, Berufung einzulegen, aber er zögert.

     Heute habe ich eine Kohlezeichnung, die ich vor Jahren noch in der Wilhelmshöher Straße in Friedenau gemacht habe, neu gezeichnet u. streng durchstilisiert. Damals wollte ich ein Bild des Pfarrers von Ars machen, doch kam ich nicht weiter. Die Zeichnung fiel mir neulich in die Hände, als ich die Bilderkammer einrichtete u. sie gefiel mir sehr. Zwar kann ich das, was ich heute gezeichnet habe, wohl kaum „Pfarrer von Ars“ nennen, die Katholiken wurden mich steinigen; aber als Bildnis eines geistlichen Herrn kann es wohl gehen.

[9]
Sonntag, 13. Aug. 1944.     

[...] [10]      Nachmittags waren Küntzels da. Wir erwogen die Idee, daß Grete, wenn Paul fort ist, notfalls zu uns kommen soll. Durch das Gespräch angeregt, sagte ich, ich könne vielleicht in Zimmer 3 im kleinen Hause für mich ein brauchbares Atelier einrichten, da dort ein nach Norden gehendes Fenster ist. Später meinte Martha dann, ob ich dann nicht lieber mein früheres Atelier, in dem jetzt Fritz wohnt, wieder benutzen wolle. Das wäre natürlich ausgezeichnet u. schließlich habe ich es ja im Jahre 1922/23 für mich gebaut. Ich möchte nur nicht Fritz einfach vertreiben. Dennoch ist dieser Gedanke sinngemäß.

[10]
Montag, 14. Aug. 44.     

[...] [10]      Generalfeldmarschall Paulus, der die bei Stalingrad gefangen genommene 6. Armee führte u. von dem man von unserer Seite niemals mehr etwas gehört hatte, hat jetzt von Moskau aus einen Aufruf an alle deutschen Armeen erlassen mit der Aufforderung, Hitler zu beseitigen u. den Kampf sofort einzustellen. Paulus hat bisher noch nie von sich hören lassen. Er genießt bei der Armee großes Ansehen, wie auch im Hinterlande. Dieser Aufruf dürfte eine starke Wirkung haben.

     Heute wurde bekannt, daß die zum Schippen aufgebotenen Frauen morgen früh 4 Uhr abmarschieren sollen nach Prerow. Die Erbitterung im Orte ist groß, – in Stalsund soll es bereits aus gleichem Anlaß zu Krawall gekommen sein. Ferner ist verfügt worden, daß sofort alle Pensionen u. Gasthäuser geschlossen werden sollen u. daß alle Fremden sofort den Ort zu verlassen haben. Das Mädchen Martha sollte morgen mit Jens u. Peter nach Bln. zurückkehren, wir werden sie aber hier behalten, da zu erwarten ist, daß die Eisenbahnen maßlos überfüllt sein werden u. daß ein lebensgefährliches Gedränge entstehen wird. – Die Symtome des Zusammenbruchs steigern sich immer mehr, – es wird noch unvorstellbar werden. – [...]

[11]
Dienstag, 15. August 1944.     

[11]      Heute früh um 4 Uhr hatten sich die zum Schippen Kommandierten vor dem Kaffee Namenlos zu versammeln. Es war eine merkwürdig stimmung= u. charakterlose Versammlung. Es war noch ganz dunkel, der abnehmende Mond stand am nordöstlichen Himmel. Im Kaffee Namenlos wurden durch den Bürgermeister Gräff u. den polit. Zellenwart, den Lehrer Deutschmann die letzten Formalitäten der Lebensmittelkarten erledigt, die übrigen standen auf der Straße herum, jeder bei seinem kleinen Gepäck. Da es dunkel war, konnte man die Gesichter nicht erkennen. Als ich mit Martha hinkam, traf ich erst wenige Menschen an. Mit uns kam grade auch Frau Siegert dazu. Ich rief in das kleine Häuflein Menschen mit sehr lauter Stimme „Heil Hitler“, – aber es wurde nur zaghaft geantwortet, auch Frau S. antwortete nicht. Kurz vor 5 Uhr fuhren alle los, es war inzwischen eine Ansammlung von 55 bis 60 Menschen geworden oder noch mehr, weil ja viele Angehörige mit dabei waren. Als Erster fuhr Spangenberg mit seinem Leiterwagen. Mit ihm fuhren Paul u. Trude Dade, die von ihrer Mutter gebracht worden war. Danach fuhr Paetow's Leiterwagen u. dann noch ein dritter Wagen, wie ich glaube, doch wartete ich diese nicht ab. Die jüngeren Mädchen, besonders die ortsfremden Dienstmädchen, markierten Lustigkeit. Der Bürgermeister klagte mir gegenüber, daß niemand dabei sei, der Mundharmonika spielte, – dann wäre die Stimmung besser. [...]

[11]      Generalfeldmarschall Paulus ist mit sieben anderen Generalen dem Komitee Freies Deutschland u. dem Bunde kriegsgefangener deutscher Offiziere in Moskau offiziell beigetreten. Der Präsident, General v. Seydlitz, hat dazu eine Erklärung erlassen.

     In der Normandie sind die zurückweichenden Deutschen weiter eingeengt worden. [...]

[12]
Freitag, 18. Aug. 44.     

[12]      Heute habe ich das Bildnis des alten Geistlichen fertig gemacht. Es ist sehr schön. Ein vom Leid durchpflügtes lächelndes Greisengesicht, das kaum noch etwas Irdisches hat. Der Maler Dr. Jaeger sah es heute, als er sich verabschiedete u. war sehr begeistert. Was mich freute, war, daß seiner Meinung nach von anderen Malern nichts Aehnliches gemalt würde, es sei, wie alle meine neuen Bilder, absolut orignal. [...]

[12] In Paris selbst sollen Streiks ausgebrochen sein, auch die Polizei soll streiken u. überhaupt scheint in ganz Frankreich der Aufruhr begonnen zu haben. Besonders im Süden, wo die neue Landung offenbar rasche Fortschritte macht, scheint die Aufstandsbewegung sehr aktiv zu sein, ebenso in der Gegend von Clermont. Das ist die Gegend, in der Fritz sich befindet u. man kann oder muß in Sorge um ihn sein. Hoffentlich gelingt es ihm, unbeschädigt in Gefangenschaft zu geraten, das wird das Beste sein, was ihm passieren kann, denn es ist nicht zu erwarten, daß die dort stehenden Truppen den Anschluß an die Heimat finden. [...]

[12] Von Kurt traf heute ein Brief ein, in dem er die Erfolge der Russen auf die Ueberlegenheit an Menschen, Material u. Fliegern zurückführt. Das dürfte natürlich stimmen. Daß er aber der Zuversicht Ausdruck gibt, daß sich dieses Mißverhältnis nun bald zu unseren Gunsten ändern wird, ist eine unverzeihliche Dummheit. [...]

[12]      Erich hat den Koks in den Keller gebracht, den man uns vor die Türe geschüttet hatte u. hat die Bäume im Hintergarten geschnitten, so daß der Blick aufs Meer wieder frei ist.

[13]
Sonntag, 20. Aug. 44.     

[...] [13]      An Fritz geschrieben, von dem wir ebenfalls gestern Nachricht erhielten, Poststempel 12. Aug. – Er schreibt, daß sein Btl=Kommandeur durch Kopfschuß eines Heckenschützen beim Durchfahren eines Dorfes im Beiwagen=Krad gefallen ist. – Seit dem 20. Juli ist in der Armee der deutsche Gruß eingeführt worden, Fritz schreibt, es sei stillschweigend hingenommen worden. – Nachdem man eine Zeit lang anscheinend den Terroristen die Genfer Konvention zugestanden u. die Gefangenen nicht mehr erschossen hatte, ist jetzt diese Ansicht wieder aufgegeben worden. Es ist das schlimm für unsere Soldaten, die in die Hände der Terroristen fallen. – Fritz schreibt von größeren Ausfällen an Verwundeten, sie scheinen jetzt in einer besonders gefährlichen Gegend zu sein, – die Gegner fassen sie aber nie. – Er traf unterwegs mit dem San-Feldwebel Stegmüller vom anderen Bataillon zusammen, der Kaplan ist. Fritz hat sich eine Stunde mit ihm unterhalten u. schreibt: „Ach, war dieses Gespräch wohltuend“. – Mehrere Offiziere, Feldwebel u. Unteroffiziere seiner Einheit sind nach Clairmont-Ferrant in Untersuchungshaft wegen Plünderung u. Lebensmittel-Schiebung gekommen. Siebzig Mann seines Bataillons, sog. Beutesoldaten, Tartaren, Wolgadeutsche usw. sind zu den Terroristen übergelaufen. Die Einheit liegt still, weil sie kein Benzin haben. [...]

[13]
Mittwoch, 23. Aug. 44.     

[...] [14]      Gestern kamen Herr + Frau Dr. Petersen u. brachten Grüße von P. Dubis u. P. Jaeger. Sie sahen meine Bilder.

     Es herrscht große Hitze u. Trockenheit, im Garten ist alles verdorrt. [...]

[14]      Ein neues Bild begonnen: „Verkündigung“ Es war im Entwurf schwierig, die erste Zeichnung machte ich bereits vor mehreren Wochen, doch war sie unbefriedigend. Habe viel daran geändert. Auch die letzte Zeichnung hatte große Mängel, bis ich zur jetzigen Fassung kam, von der ich glaube, daß sie einwandfrei ist.

Nachmittags:

     Paris ist nach viertägigen Kämpfen durch Streitkräfte der franz. inneren Front von den Deutschen befreit worden. [...]

[15]
Donnerstag, 24. Aug. 1944.     

[15]      Dieses Heft beginne ich mit der Nachricht von der Kapitulation Rumäniens. Es scheint, daß die Alliierten, die über dieses Ereignis bisher strengstes Stillschweigen bewahrt haben, weshalb die Nachricht einschlägt wie ein Blitz aus heiterem Himmel, den Rumänen sehr günstige Bedingungen gemacht haben. Besonders haben sie ihnen den Besitz von Siebenbürgen wieder zugesprochen, das ihnen durch unseren Schiedsspruch von Wien genommen worden war. – Mit der Kapitulation Rumäniens bricht die ganze Ostfront zusammen, [...]

[15]      Heute morgen wußten die deutschen Nachrichten noch kein Wort vom Fall von Paris, selbstverständlich noch weniger von der Kapitulation Rumäniens. Man darf annehmen, daß diese Nachrichten auf das ganze deutsche Volk äußerst deprimierend wirken werden.

     Heute von Fritz wieder Nachricht vom 12. Aug. Seine Truppe ist Gott sei Dank von der Terroristen=Bekämpfung zurückgezogen, sie liegt in einem Orte, [...]

[16]
Sonnabend 26. Aug. 44.     

[...] [16] Heute Mittag besuchte mich Tommy Abeking. Ich zeigte ihm meine Bilder u. er freute sich. – [...]

[16]      Seit gestern bin ich wieder mit meiner Staffelei in mein altes Atelier gezogen u. freue mich des guten Lichtes dort. Leider habe ich kein Malmittel mehr. [...]

[16]
Sonntag, 27. Aug. 1944.     

[...] [17]      In der letzten Woche sind anscheinend sämtliche früheren Abgeordneten der Linksparteien aus dem Reichstag wie aus den Landtagen, sowie anscheinend auch aus den Kreistagen u. Kommunalparlamenten verhaftet u. hinter Schloß u. Riegel gesetzt worden. In Ribnitz allein sollen fünfzehn Verhaftungen vorgenommen worden sein. Hier bei uns hat man Herrn Jesse aus Rostock verhaften wollen, doch heißt es, daß er vorher ausgerissen wäre. Sein Haus liegt dicht am Walde, sodaß er bloß über seinen rückwärtigen Zaun klettern brauchte, um zu verschwinden, jedoch weiß ich nicht, wie u. wo er sich dauernd verbergen will. In Althagen haben sie Herrn Zelk verhaftet, der dort schon seit mindestens 2 Jahren lebt, seitdem er ausgebombt ist.

     Heute Nacht wieder Fliegeralarm, sehr früh, schon gegen 11 Uhr, Entwarnung gegen 12 Uhr. Man hörte nichts, jedoch rüttelten lange Zeit meine Fensterrahmen. Man sagt, Königsberg u. Kiel seien angegriffen worden. [...]

[17]      Mittags im Kurhaus trafen wir Dr. Meyer, der wie wir sonntags mit seiner Familie dort ißt. Er meinte scherzhaft, er wundere sich, mich noch zu sehen. Ich verstand, daß er sagen wollte, er wundere sich, daß ich noch nicht irgendwie vom totalen Kriegseinsatz erfaßt worden sei, – aber nein, – er spielte auf die zahlreichen Verhaftungen aller ehemaligen, links gerichtet gewesenen Politiker an.

     Ich hörte heute, daß Herrn Jesses Haus unter ständiger Bewachung liegen soll. –

     Im Westen scheinen unsere Armeen in vollem Rückzug auf die Rheingrenze zu sein, im Südosten stehen die Russen an der Donaumündung u. dicht vor Galatz.

[17]
Mittwoch, 30. August 1944.     

[17]      Montag Abend Gewitter mit Sturm u. viel Regen, sodaß die Lichtleitung kaputt ging u. erst Dienstag Nachmittag wieder in Ordnung gebracht werden konnte. [...]

[18]      Heute habe ich das Bild „Verkündigung“ vollendet. Es ist nicht ganz nach meiner Zufriedenheit, die Maria ist mir zu konventionell, ich werde dieses Bild gelegentlich noch einmal malen müssen, aber ganz anders. Der verkündende Engel ist schon besser.

     Hier im Dorf fangen nun die Nazis an, sich gegenseitig anzupöbeln u. sich mit Verhaftung zu bedrohen. Der Prof. Dr. Reinmöller, dieser blutrünstige Obernazi, ist wütend, weil seine sogenannte Hausdame, Frl. Schröder, nach Schneidemühl zum Schippen gekommen ist. Er hat sich deshalb mit dem Bürgermeister angepöbelt u. hat ihn beleidigt, wie das bei diesem Kerl nicht anders zu erwarten ist. Herr Gräff hat ihm erwidert, daß er ihn verhaften lassen würde. Es ist sehr belustigend, zu sehen, wie diese beiden politischen Freunde den Dorfbewohnern ein Schauspiel geben. – Wäre es nicht grade die Bettgenossin des Herrn Professor gewesen, die zum Schippen gehen mußte, dann hätte dieser Herr an dieser ganzen Schipperei u. der Drückebergerei sämtlicher Nazis im Ort nicht den geringsten Anstoß genommen, – aber so ist das natürlich etwas anderes. [...]

[19]
Donnerstag, 31. Aug. 44.     

[19]      Heute Vormittag nochmals an der „Verkündigung“ gearbeitet, den Kopf der Maria farbiger gemacht u. sonst noch einige Unebenheiten ausgeglättet, wodurch der Gesamteindruck nun doch wesentlich verbessert worden ist, sodaß ich jetzt mit dem Bilde ganz zufrieden bin. Daß die Maria in der Haltung konventionell ist, braucht kein Fehler zu sein. Diese Haltung ist nun einmal festgelegt. Der Verzicht auf eine individuelle Auffassung kommt schließlich dem Eindruck der Einfachheit zugute u. diese schlichte Einfachheit ist hier doch etwas Wesentliches. –

In der DAZ ist heute ein Artikel des SS=Kriegsberichterstatters Fernan (oder Fernau) über „Das Geheimnis der letzten Kriegsphase“. Man faßt sich an den Kopf. Dieser Mann betrachtet den Krieg nach dem Prinzip der Schaukel: erst waren wir oben, jetzt sind es die anderen, folglich wird die Zeit kommen, wo wir wieder oben sein werden. In diesem Sinne deutet Herr F. die neuen Waffen an, also V2, die demnächst kommen werden. – Von V1 hatten die Leute bereits die entscheidende Wendung des Krieges erwartet, – sie ist ausgeblieben; also wird es nun V2 sein. – Es mag wohl sein, daß Hitler, der ja schließlich wissen muß, daß er mit dem Rücken an der Wand kämpft, jetzt jegliche Scham verliert u. den Gaskrieg beginnen wird. Es wird darüber ja schon allerhand gemunkelt. Es wäre grauenhaft. Es ist natürlich einfach, die V1=Bombe mit Gas zu füllen, aber eine entscheidende Wirkung kann das nicht haben. Gasbomben sind nur wirksam, wenn sie konzentriert verwendet werden, das aber können wir nicht, – die andern aber können es, u. sie werden es tun.

     Man sagt, Herr Jesse wäre in Güstrow verhaftet worden. Wullenbecker erzählt mir, Jesse habe seinen Wagen hier stehen gehabt u. er sei mit dem Wagen gefahren, so lange er Benzin gehabt habe. Er hat das Fahrrad mit auf dem Wagen gehabt. Als das Benzin alle war, hat er den Wagen stehen lassen u. ist per Rad weitergefahren. Wullenbecker hat ihn im Wagen gesehen. Der Mann muß total den Kopf verloren haben, – er hätte sich doch einfach verhaften lassen müssen. [...]

[19]      Abends waren Herr + Frau Dr. Petersen bei uns zum Abschied, sie reisen Sonnabend nach Berlin zurück, sehr voll Sorge um die Zukunft. Dr. P. will wissen, daß V2 darin besteht, daß der Luft in sehr großem Umkreis der Sauerstoff entzogen wird, sodaß alles erstickt. Ein wahrhaft teuflischer Gedanke.