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Abermals vom Hamburgischen Frauenzimmer

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Textdaten
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Autor: Otto Beneke
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Titel: Abermals vom Hamburgischen Frauenzimmer
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 354–359
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
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Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[354]
121. Abermals vom Hamburgischen Frauenzimmer.
(Um 1725.)

Ein junger Englischer Diplomat, der einige Jahre zu Hamburg gelebt hatte, schildert die hiesigen Damen damaliger Zeit (um 1725) etwa folgendermaaßen:

Die Hamburgischen Frauen und Mädchen sind insgemein innerlich tugendreich und äußerlich recht hübsch, von schöner Gesichtsfarbe und wohlgebauter Gestalt. Wenn sie ausgehen, tragen sie eine Schnürbrust, sonst aber ein enges Leibchen, welches sehr wohl und sittsam läßt. Für Gesellschaften lieben sie Putz und Schmuck, und machen dann unglückliche Versuche, die Moden der Engländerinnen oder Französinnen nachzuahmen. [355] Besonders gern tragen sie Diamanten und Juwelen, welche früher nur den Frauen höchsten Ranges zustanden. Sie schätzen die Liebe ihres Bräutigams nach dem Werthe des Schmuckes, den er ihnen verehrt, wodurch sich schon mancher junge Kaufmann ruinirt haben soll. Wenn sie geschmückt ausgehen, so bedecken sie sich auf der Gasse mit einem großen schwarzen Schleier oder Regentuch (wie auch in Bremen üblich), so daß kaum das Gesicht hervorkuckt und ein Mann seiner eigenen Frau begegnen kann, ohne sie zu kennen. Solch Regentuch mag wegen der häufigen schlechten Witterung in Hamburg viel bequemer sein, als ein schwerfälliger Parapluie; vornehme Damen tragen es von Seide mit schwarzen Spitzen besetzt, die mittleren Stände von Tuch, die geringeren von Serge. Machen sie Besuch, so heben sie das Schleiertuch vom Kopfe und erscheinen wieder im vollsten Putz. In der Kirche aber legen sie es nicht ab, sondern bleiben verschleiert, welches ihrer Bescheidenheit Ehre machet. Wenn sie also zierlichen Schrittes zur Kirche gehen, so giebt dies ein andächtiges Bild. Es folgt ihnen ein sauberes Dienstmädchen mit dem Gesangbuche, das an silbernen Ketten vom Arme herabhängt. Vormals wurde das Buch allgemein in einem eigens dazu gefertigten verzierten Beutel getragen, welcher daher der Buch-Beutel, oder in ihrer Plattdeutschen Sprache der Books-Büdel hieß, weshalb man auch wohl alles altmodische Wesen und Herkommen mit diesem Worte bezeichnet, welches dann unrichtig wieder ins Hochdeutsche mit „Bocks-Beutel“ übersetzt ist. Im Winter trägt die Magd der schönen Kirchgängerin auch ein blankes Kupfergefäß voll Kohlen nach, welches man für ein katholisches Rauchfäßchen hält, bis man erfährt, daß die Hamburgerinnen überall, an geweiheten wie ungeweiheten Orten, das Kohlenbecken als Fußwärmer in mancherlei Gestalt gebrauchen, was sie eine Füerkirke nennen. Der unmäßige [356] Gebrauch solcher Selbstberäucherung ist begreiflicherweise sehr schädlich.

Auf Ranges-Vorzüge ist das Hamburgische Frauenzimmer so erpicht, daß es wegen „der Vorhand“ in Gesellschaften oft zu den lebhaftesten Erörterungen kommt. Rath und Bürgerschaft würden wohl thun, ein Gesetz zu erlassen, welches, nach Art der von Kaiser Karl V. zu Brüssel bestimmten Ordnung der dortigen Damen, den Vorrang allemal der schönsten und artigsten beilegte. Dieser weise Kaiser erledigte durch diese Sentenz plötzlich alle Differenzen der Damen, denn da sie die Unmöglichkeit einsahen, in dieser Weise jemals zu einer Rang-Ordnung zu kommen, so verzichteten sie überhaupt völlig auf eine solche, womit auch aller Streit aufhörte.

Die hiesigen Frauen sind treue Gattinnen und deshalb kommen Ehescheidungen unerhört selten vor; auch sind sie rechtschaffene sorgsame Mütter, weshalb die neue Mode unter ihnen, den Säugling nicht selbst zu nähren, sondern tugendlose Personen als Ammen zu nehmen, ganz befremdlich erscheint, und sicher nicht lange dauern wird. Sie sind auch vortreffliche Haushälterinnen, sie entziehen sich nicht der eigenen Aufsicht ihres Hauswesens, legen auch in Küche und Keller selbst Hand an, um weswillen sie z. B. bei Bewirthung eines Fremden nicht früher als beim zweiten Gang bei Tische erscheinen, was die Sache etwas zu weit treiben heißt.

Sie sind durchgängig tugendhafte, gute Wesen, ohne Affectation und Unnatur, offenherzig, und wenn auch nicht grade sehr gebildet und geistreich, doch voll natürlichen Verstandes, und jedenfalls fähig, das zu werden, was sie noch nicht sind. Gutmüthig und mitleidig sind sie sehr, auch wohl aufgeräumt, wenn sie gesund sind. Aber leider sind sie dies nicht immer.

Denn es herrscht eine gar seltsame Krankheit unter ihnen, welche entweder ansteckend, oder eine Art Erbübel zu sein [357] scheint, indem sie von einer damit behafteten Mutter gewöhnlich auch auf die Töchter übergeht, sobald diese erwachsen und selbständig werden. Man hält diese Krankheit für eine Art Hysterie, welcher das schöne Geschlecht allein unterworfen ist. Sie äußert sich in einer Reihefolge einzelner Anfälle, die bei Vielen täglich wiederkehren; die schönen Patientinnen werden plötzlich mit einem Schaudern in allen Gliedern und starkem Herzklopfen befallen, die Adern schwellen an, die Augen drängen sich vor und schießen sengende Strahlen wie Blitze; bei Einigen wird das Antlitz aschgrau oder kreideweiß, bei Andern krebsroth, sie befinden sich dabei in solcher Gemüths-Steigerung, daß sie Alles zerreißen könnten, was ihnen naht, Alles zertrümmern, was in ihre Hände kommt. Folge davon ist eine mehr als ordnungsmäßige Erhebung ihrer Stimme, welche, immer gewaltsamer werdend, zuletzt in ein gewisses Kreischen ausartet, womit sie Worte, die man in ihrem schönen Munde gar nicht vermuthen sollte, ausstoßen, bis der zum Gipfelpunkt getriebene Krankheitsanfall, zuweilen mittelst einer wohlthätigen Ohmachts-Krisis, nach und nach wieder abnimmt und einer beruhigenden Erschlaffung Platz macht. Kommt der ganze innerlich veranlaßte Anfall überhaupt gar nicht zum Ausbruch (z. B. durch gewaltsame Hinunterschluckung des gesammelten Feuerstoffes), so kann das Uebel tödtlich werden.

Die armen Männer, deren bessere Hälften mit dieser verzweifelten Krankheit geplagt sind, kann man nur innig bedauern, indem dieselbe aus so verschiedenen und vielfachen Ursachen zum Ausbruch kommt, daß dagegen Vorsorge zu thun unmöglich ist. Wenn sich z. B. eine gute Freundin etwas unbesonnen über sie geäußert, wenn der Gatte gegen andere Damen etwas zu artig sich erwiesen, der Koch eine Schüssel Gemüse verdorben, die Magd ein Stück Porcellan zerbrochen, die Kammerjungfer ein Schönpflästerchen oder eine Locke übel [358] gelegt hat: so verursachen diese wie hundert andere unglückliche Begebenheiten der Frau einen gefährlichen Anfall dieser traurigen Krankheit, welche die schönen Hamburgerinnen in ihrer gewöhnlichen Sprache „Argerniß,“ in gewählter Redeform aber „Alteration“ nennen.

Der mannhafte und veste Hauptmann Wolff, ein Officier hiesiger Garnison, hatte die Courage, eine Frau zu heirathen, welche während ihres früheren Ehe- und späteren Wittwen-Standes so erschreckliche Anfälle dieses täglich wiederkehrenden Uebels gehabt hatte, daß es der ganzen Stadt bekannt war. E. H. Rath soll einmal nur deshalb ein an ihn gelangtes Anliegen dieser Dame auf der Stelle bewilligt haben, weil ihm hinterbracht war, daß im Falle der Nichtgewährung sie persönlich aufs Rathhaus zu fahren gesonnen sei, bei welchem Besuche dann das ärgste „Argerniß“ für sie und eine gewisse Art „Alteration“ auch für E. H. Rath zu befahren gewesen wäre. – Der tapfere Capitain aber, der das Wagstück unternahm, soll seine Eheliebste schon in den ersten Wochen von ihrem Erbübel radical curirt haben, durch eine militairische Pferde-Cur, nämlich durch Anwendung eines bei stätischen Gäulen meistens mit Glück gebrauchten Mittels, welches man Lateinisch „Scutica,“ Deutsch aber „Karbatsche“ nennt.

Als König Philipp II. von Spanien einst eigenhändig einen wichtigen langen Brief geschrieben hatte, und sein Secretair, der ihn siegeln und addressiren sollte, in der Eile statt des Streusandfäßchens das Dintefaß ergriff und darüber goß, da argerte oder alterirte dies Unglück den König nicht. Er sagte kein Wort, schrieb den langen Brief stillschweigend noch einmal, wendete sich dann zu dem noch immer zitternden Secretair und sagte zu ihm ganz kaltsinnig: „Hier ist der Brief, dort steht die Dinte und dort die Sandbüchse.“ Diese Historie müßte tausendfältig in Patentform gedruckt, in allen [359] Häusern vertheilt, an den Straßenecken angeklebt werden, damit das herrliche Beispiel königlicher Gelassenheit und Gemüthsruhe, – täglich vor Augen gehalten und bei jeder klirrenden Theetasse ins Gedächtniß gerufen, – auf die schönen Hamburgerinnen heilend wirken könnte.

Ob das Uebel auszurotten, das ist zu bezweifeln; – da es ein Erbübel, so steht zu fürchten, daß es noch nach hundert Jahren hiemit ebenso betrübt steht als jetzt; es wird vielleicht in andern Formen, mit anderem Namen auftreten, im Wesen aber die sonst so trefflichen liebenswürdigen Frauen Hamburgs ebenso plagen als jetzt.

Anmerkungen

[388] Ebendaselbst, S. 347 etc. Ganz ähnlich Schilderungen, vielleicht aus derselben Feder (Lediard’s), enthält die damals erscheinende Zeitschrift, „der Patriot.“ Den Hauptmann Wolff nennt Lediard „Lupiscus.“ Er hatte um 1725 die Wittwe des Hannov. Agenten Schmidt geheirathet, und starb 1757 als Oberst-Lieutenant.