Abbotsford
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Wir sind durch die Schlösser der Könige und Fürsten gewandert, der guten wie der bösen; wir haben so manchen heimgesucht, dessen Ahnen seine Krone mit Pechkränzen erwarben; manchen, der mit dem Schweiß und den Thränen des Volks Goldmacherkünste treibt; manchen auch, der seine Säle mit dem Ertrage der Falschmünzerei und Bubenstreiche schmückt; – viele gingen an uns vorüber, welche, herzlos, um eines dürren Lorbeerkranzes willen, unter den Sichelwagen des Kriegs die Jugend und Blüthe ihrer Unterthanen gestreut, oder schändlichen Hökerhandel getrieben haben in die Fremde mit dem Leben der Bürger; häßliche Adlerklauen sahen wir in den Horsten der meisten Staatenadler und die Katzennatur der heraldischen Löwen; die Greifgelüste der Wappengreife hat und keine Pracht, keine Herrlichkeit, kein glänzendes, kriechendes Throngewürm verborgen. – Kehren wir nun auch einmal in der Wohnung eines Fürsten anderer Art ein, der Friedens- und Geisterfürsten einer, welche ihr Wirken nicht nach Schlachten zählen, oder nach dem Maße von Wehe, das sie über Millionen gebracht, oder nach der Zahl unterlassener Pflichten, unausgeführter Entschlüsse zu guter That; in der Wohnung eines Mannes, welcher in der Reihe der Wesen steht, an deren Geistersonne sich die Völkerleben erwärmen und entwickeln seit den Tagen Homers. Solche Fürsten brauchen keine Diademe von blitzenden Steinen, ihre Glorie geht durch die Zeiten ungeschwächt, und sie strahlt am reinsten, wenn keine Zeit mehr ist.
Walter Scott ist ein Schotte; aber vermöge seines geistigen Wirkens ist er ein Ehrenbürger aller civilisirten Nationen. Seine Schriften sind über das Weltrund verbreitet, und die Freudenmenge, die sie geschaffen, die Bildungskeime, die sie in Millionen Herzen zur Fortentwicklung pflanzten, zählt Niemand. „Kein unlauterer, unedler Gedanke ist in irgend einer Zeile seiner Werke verborgen“ – wie Wenigen, deren Gedanken die Feder führen, wird ein solches Zeugniß!
Abbotsford, Walter Scott’s reizender Landsitz, im Tweedthale, vier Meilen von Edinburg, war die Frucht seines Fleißes, der Schauplatz seiner Freuden, die Geburtsstätte seiner besten Werke, der Zeuge seines Glückswechsels, seines Kummers und seiner Anstrengungen, welche ihm endlich Herz und Leben brachen. Scott, der sein ganzes, großes Vermögen einem Freunde anvertraut hatte, wurde in dessen Sturz so verwickelt, daß er nicht nur jenes verlor, sondern auch noch, in Folge geleisteter Bürgschaft, für fast eine Million [110] Gulden mehr in Anspruch genommen wurde. Der redliche Mann verschmähete jeden gesetzlichen Ausweg, sich seiner Verbindlichkeit zu entziehen. Man weiß, daß er sich für seine Gläubiger zu Tode arbeitete. Als die Hälfte der Bürgschaftssumme abgetragen war, da entrückte ihn der Herr dem harten Arbeitstische und den harten Gläubigern. Scott starb insolvent: aber ein Krösus an allem Ehrengut ist er gestorben. Nach seinem Tode erwachte das öffentliche Schamgefühl; man eröffnete eine Nationalsubscription, um Abbotsford der Familie Scott’s zu erhalten, und sie besitzt es nun als ein unentäußerliches Legat der Dankbarkeit.
Das Schloß ward nach Scott’s eignem Entwurf und unter seiner unmittelbaren Leitung erbaut. Es ist im mittelalterlichen Styl aus grauem Granit aufgeführt, regellos, mit vielen Vorsprüngen, Erkern, Eckthürmen, Warten, mit bald engen, bald weiten Fenstern, die bald tiefer, bald höher stehen; die Eingänge und die Außenwände sind mit Schlingpflanzen berankt und das Ganze hat das Ansehen einer ritterlichen Wohnung aus dem 14ten Jahrhundert. Heitere Bequemlichkeit, unter einer alterthümlichen Form, ist der Charakter des Innern. Zimmer und Cabinets ketten sich regellos, aber behaglich, an einander, alle Wände sind mit Holzschnitzereien getäfelt, mit ritterlichen Waffen und Geräthen behangen. Die Bankett-Halle ist ein Meisterstück dieser Ausschmückungsweise und sie war geräumig genug, alle Freunde des großen Dichters auf Einmal zu empfangen. Bei solchen festlichen Gelegenheiten spielten bergschottische Pfeifer in der malerischen Tracht der vergangenen Zeit alte Weisen auf, der freundliche Wirth war dann voller Hingebung für seine lieben Gäste, er entfaltete die ganze Liebenswürdigkeit seines Charakters. –
Um das Schloß her ist ein Park, und Scott’s Hand, welche bei den Anpflanzungen selbst Spaten und Harke rüstig rührte, gibt ihm eine Weihe eigner Art.
Scott’s Grab ist nicht in Abbotsford zu suchen. Die abgestreifte Hülle des großen Geistes hat in den romantischen Ruinen von Deyburgh-Abbey ein einsames, entlegenes Ruheplätzchen gefunden.