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ADB:Zedtwitz, Adolph Graf von

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Artikel „Zedtwitz, Adolf, Graf v.“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 753–756, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zedtwitz,_Adolph_Graf_von&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:14 Uhr UTC)
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Zedtwitz: Adolf Erdmann, Graf v. Z., Hygieniker und Philanthrop, war am 27. September 1823 zu Asch in Böhmen geboren, entstammte aber [754] nicht einem der „Zweige auf Asch“ des gräflichen Gesammthauses Z., sondern dem (evangelischen) Zweige aus Duppau, der die jüngere Linie der ganzen Familie eröffnet. Z. besuchte das Gymnasium in dem benachbarten Eger und absolvirte dann auf der Prager Universität die juristischen Studien. Damals scheint er während eines zufälligen Besuchs von Oesterreichisch-Schlesien die Väter der modernen Naturheilkunde und Wasserbehandlung, Prießnitz und Schroth, kennen gelernt und so diejenigen hygienischen Anschauungen in Fleisch und Blut aufgenommen zu haben, die ihn nicht nur seitdem durchdrangen, sondern sogar als einen feurigen Apostel und emsigen unermüdlichen Verbesserer gewinnen sollten. Die Erfolge der modernen Wassercur hat er öfters in der berühmten Anstalt auf dem Gräfenberg in Steiermark am eigenen Leibe erprobt, von den Vorzügen des Vegetarismus durfte er sich ebenfalls nach langjähriger Uebung überzeugt nennen: in beiden Reformproblemen unterschied er sich merklich von vielen sogenannten Wasserdoctoren und Gemüseheiligen. Den Kampf für die von ihm verfochtene Lebensweise, die ihm weit über Magendiät hinausging und sich zur festen allseitigen Weltanschauung ausweitete, begann er wol schon in den vierziger Jahren, als er, wie er uns einmal (im „Naturarzt-Kalender“) erzählt, zuerst das Pflaster der lebenslustigen, wenig diätetisch gestimmten Kaiserstadt an der Donau betrat. Es scheint, er wollte von diesem culturell-socialen Centrum Oesterreichs aus das ganze gedehnte Ländergebiet für die bezügliche Agitation mit Beschlag belegen. Ueber die ersten Hauptthaten dieser Art im Dienste der Oeffentlichkeit sagt der Z.-Nachruf im „Naturarzt-Kalender“ für 1897 (herausg. mit dem Bunde Deutscher Naturheilvereine von Ad. Damaschke) S. 17 f. Folgendes: „Im Jahre 1866, sechs Wochen nach der Schlacht bei Königgrätz, errichtete er in Kaltenleutgeben bei Wien ein Spital für sieben Verwundete, bei deren Pflege ihm Dr. Winternitz [d. i. Wilh. Winternitz, der bekannte Hydrotherapeutiker und jetzige Wiener Universitätsprofessor] als Arzt zur Seite stand. Es waren schwere Fälle, die er sich im nahen Militärlazareth in Mauer ausgesucht hatte; mindestens drei der Verwundeten waren zur Amputation bestimmt gewesen. Graf von Zedtwitz und Dr. Winternitz hatten den Muth, auf die damals übliche Behandlung der Wunden mit Charpie[WS 1] zu verzichten. Der Erfolg war günstiger, als sie selbst glaubten erwarten zu dürfen: alle Verwundeten genasen. Der Leiter des großen Garnisonhospitals, der Stabsarzt Chren, erstattete einen höchst günstigen Bericht an das Kriegsministerium und versicherte, daß er diese Naturheilmethode bei Verwundeten in Zukunft selbst annehmen würde, wenn er noch einmal zur Leitung eines Spitals berufen werden sollte“.

Seitdem wählte Z. das Studium und die Verbreitung der Naturheilkunde zur beherrschenden Aufgabe, er lebte und webte darin. Damit stand sein rastloser Kampf gegen den Impfzwang und ähnliche Schutzmaßregeln der Schulmedicin, in deren Lehren er begierig nach Angriffsstellen suchte, sowie gegen die Vivisection nebst ihrem Wissenschaftsanhange in engem Connex. Außer zahlreichen Aufsätzen in dem leitenden periodischen Organe dieser Bestrebungen, dem „Naturarzt“, im „Naturarzt-Kalender“, in den „Naturärztlichen Sprechstunden“ des Naturheilvereins zu Nürnberg und andern antimedicinischen Zeitschriften schrieb er besonders eine „Geschichte der Impfung von Lady Montague bis zu Jenner’s[WS 2] Tod. Nach englischen Quellen“ (1891; S. 8–18 spricht er über „die Geschichte des Impfschwindels“, S. 14–51 über „die Aera der Kuhpockenimpfung“), eine kühn polemische, viel ausgebeutete Schrift wider „Die Vivisections-Gaukler“ (2., vermehrte Auflage 1890) als Publication des „internationalen Vereins zur Bekämpfung der wissenschaftlichen Thierfolter“, wol dem durch den bekannten Antivivisectionsagitator Ernst v. Weber in Dresden geleiteten Kreise angehörig, und „Die Naturärzte und die Bacillenlehre“, erschienen als Sonderabdruck [755] aus den genannten „Naturärztlichen Sprechstunden“ Bd. IV (1895) zusammen mit des Obersten z. D. Spohr Flugblatt „Ein aufklärendes Wort zur Ansteckungslehre“ S. 11–16. Der Eingangssatz seines letztgenannten Pamphlets S. 11 stellt gleichsam Zedtwitz’ Glaubensbekenntniß dar: „Ich gehörte immer zu denen, die geneigt waren, den Laien vor den Doctoren den Vorzug zu geben, da ich sie weniger den Einflüssen der Schulmedicin zugänglich hielt und weil es ja Laien waren, wie Prießnitz, Rausse[WS 3], Hahn[WS 4], Wolbold, Spohr[WS 5], Meinert, Rickli u. s. w., welche die Grundlagen der Naturheilkunde geschaffen, indem sie alle Irrthümer und die mit dem Heilmittelwahn in Verbindung stehenden falschen Anschauungen der Schule über Natur und Entstehung von Krankheiten entschieden bekämpften“. Schärfer apostrophirt er am Schlusse die Widersacher: „Also fort mit eurer Wissenschaft, die in der Medicin doch nur mit Täuschung und Humbug gleichbedeutend ist und dem Fortschritt nur im Wege steht“. Im besondern richtet sich dies Schriftchen gegen den Naturarzt Köhler und Genossen, die eine ‚Contagion‘ (Ansteckung) im Sinne der Bakteriologie zugestehen wollten, und bekämpft „specifische Krankheitskeime“, dabei energisch die Impfung, nebenbei auch die Vivisection. Gegen „eine privilegirte Medicinerkaste“ tritt seine „Geschichte der Impfung“ eifervoll in die Schranken, und sie gipfelt, auf der Basis eingehender und eindringlicher historischer Darlegungen, in dem Schlußsatze: „Hoffen wir, daß bald die Regierungen diesem Beispiele folgen und dieses Ueberbleibsel mittelalterlichen Aberglaubens aus der Welt schaffen werden“, nämlich den Impfzwang; das „freie“ England, wo dieser damals nicht bestand, würde nun freilich jetzt im Sommer 1898 Z. noch den Kummer bereitet haben, endgültig ins impferische Lager abgeschwenkt zu sein.

Die Tendenz von Zedtwitz’ ganzer Wirksamkeit liest man gut aus der Gedankenkette heraus, mit der das eben citirte Werkchen anhebt: „Die Geschichte der Impfung wie die Geschichte der Medicin und der Menschheit überhaupt ist die Geschichte menschlicher Thorheit, menschlichen Wahnwitzes, menschlicher Selbstsucht. Denn bei all den erhabenen Beispielen von Menschenliebe und Aufopferung, von der die Geschichte und das tägliche Leben uns so vielfache Beispiele liefern, ist es andererseits doch leider nur zu wahr: des Menschen ärgster Feind war von jeher der Mensch, der in seinen besten Instincten jederzeit bereit ist, die Unkenntniß, die Schwäche, das blinde Vertrauen und die Gutmüthigkeit seines Nächsten auszubeuten“. Falsch wäre es jedoch, gemäß dieser bittern Aeußerung und der herben Kriegserklärung bis aufs Messer, die jene antischolastischen Auslassungen predigen, in Z. einen er- und verbitterten Menschenhasser zu erblicken. Er war vielmehr ein unerschütterlicher Optimist vom reinsten Wasser, dessen felsenfester Glaube an die Besserungsfähigkeit der Menschheit durch Mißgunst, Spott, Schlingen und unmotivirten Gegendruck nicht abgestumpft wurde. Es soll nicht untersucht und abgewogen werden, gehört übrigens auch gar nicht hierher, was und wieviel von seinen Bestrebungen bleibenden, allgemeinen Werth beanspruchen darf – ein Humanitätsapostel, ein glühender Freund der Bedrängten unter seinen Mitmenschen, eine wahre pia anima et cara war Graf Adolf Zedtwitz ohne Zweifel. Einen solchen Eindruck hat er beispielsweise bei einem norddeutschen Führer der von ihm rastlos propagirten Bewegung hinterlassen, dem Berliner Rechtsanwalt Lothar Volkmar[WS 6], der nach ausgedehnter brieflicher und redactioneller Verbindung (wegen des „Naturarzt“) mit ihm im Frühjahr 1890 in Wien zusammentraf und „entzückt“ davon u. a. folgende Schilderung entwirft: „Ein feines, kluges Greisenantlitz, das aber von innerer Frische lebte, die Gestalt kaum mittelgroß, aber wohlproportionirt, die Rede stets verbindlich, aber auch lebhaft voll Zorns gegen das Schlechte, nach Gerechtigkeit suchend, der Einseitigkeit und Halbheit feind, ein Herz voll heißer [756] Liebe zu allen Geschöpfen und nun ein Fleiß der seines Gleichen sucht. Ach, wir haben unendlich viel an ihm verloren!“ Z. hat die letzten Jahre seines Anderen, dem Wohl und Wehe seiner Brüder geweihten Lebens, mannichfach enttäuscht und dennoch stets hoffnungsfreudig, zurückgezogen in dem Wiener Vororte Währing verbracht. Eine alte Herzkrankheit, nach der Ansicht reichsdeutscher Freunde kaum unheilbar, trug gewiß die Hauptschuld am Verzichte auf weiteres öffentliches Auftreten und Vorausmarschiren: der den Quell von Schmerz und Qual Hunderten verstopft hatte, mußte nun selbst hart leiden. Trotzdem bewahrte er sich bis an die Siebzig ein erstaunlich frisches Aussehen. Am Ende war auch das Augenlicht dem Manne beinahe erloschen, der die Schönheiten und Wunder der Schöpfung so sinnig, so selbständig beschaut, durchdacht, ausgelegt hatte. Am Abende des 6. Aprils 1895 schied er in Währing aus diesem ihm überflüssig gewordenen Dasein, „der nimmermüde Kämpfer“, wie ihn das obgenannte officielle Jahresrepertorium seiner Meinungsgenossen, der „Naturarzt-Kalender“, bezeichnet, das ihn zugleich zu „hohen Ehren“ erhebt als einen der „besten, die die deutsche Naturheilbewegung nennen kann“. Seiner hocharistokratischen Familie scheint er allmählich ferner gestanden zu haben, wenn auch nach Zedtwitz’ Tode sein Bruder Curt als Mitglied des österreichischen Reichsraths in modern-humanitärer Richtung das Wort ergriffen hat. Jedenfalls muß es auffallen, daß er im Gothaischen Gräfl. Taschenbuch z. B. 68. Jahrg. (1890) S. 1168 jeder näheren Zusätze entbehrt, im 70. (1897) S. 1281 einfach weggelassen, also todtgeschwiegen wurde, obwol sein jüngerer, schon 1879 gestorbener Bruder dasteht; sein Tod ist ebd. 69. Jahrg. (1896) S. 1314 u. 1352 vermerkt, dabei die Titulatur „k. und k. Kämmerer“, die kein Amt oder wirkliche Function einschließt.

Viele Briefe, auch Manuscripte im Besitze von Lehrer Joh. Reinelt (Philo vom Walde), Redacteur des „Naturarzt“, in Neisse, und Rechtsanwalt L. Volkmar (s. oben), dessen Briefe vom 25. August 1898 obiges Citat entstammt. Als Quellen dienten ferner der Nachruf (Damaschke’s?) vor dem 1897er „Naturarzt-Kalender“ (davor charakteristisches Porträt) und die besprochenen Veröffentlichungen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Verbandmittel bei Wunden, Geschwüren etc. aus Leinwandstreifen; vgl. den Artikel in Wikipedia.
  2. Edward Jenner (1749–1823), englischer Landarzt, Pionier der Pockenimpfung
  3. Heinrich Friedrich Francke (1805–1848), genannt Johann Heinrich Rausse, deutscher Experte für Wasserheilkunde.
  4. Johann Siegmund Hahn (1696–1773), Doktor der Philosophie und Medizin, Mitbegründer der Wasserheilkunde in Deutschland.
  5. Peter Hartmuth Spohr (1828–1921), preußischer Artillerie-Offizier und Verfasser zahlreicher Schriften über Naturheilkundliche Behandlungsmethoden
  6. Lothar Volkmar († 1902). Rechtsanwalt in Berlin. Sein besonderes Interesse galt der Naturheilkunde.