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ADB:Wsselinx, Wilhelm

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Artikel „Wsselinx, Wilhelm“ von Pieter Lodewijk Muller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 258–261, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wsselinx,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 4. November 2024, 21:12 Uhr UTC)
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Wsselinx: Wilhelm W. (spr. Uesselinx), niederländischer Publicist, wurde 1567 in Antwerpen geboren. Seine damals schon zum Calvinismus übergetretene Familie gehörte dem Kaufmannsstande an und er selbst wurde als junger Mann nach Spanien, Portugal und den Azoren geschickt, woselbst er als Factor (Agent und Vorsteher eines Comptoirs auswärtiger Firmen) mehrere Jahre verblieb. Er erwarb sich hier nicht allein ein bedeutendes Vermögen, sondern auch eine außerordentliche Kenntniß des spanischen und portugiesischen Handels- und Colonialwesens, namentlich in Amerika. Um das Jahr 1591 kehrte er nach Europa zurück und scheint sich in Middelburg, in Seeland oder in Amsterdam niedergelassen zu haben. Wenigstens wird er dann und wann als Amsterdamer Kaufmann bezeichnet, wenn es auch ungewiß ist, ob er selber ein Handelsgeschäft besaß. Denn er lebte und webte in Entwürfen wie, durch Zerstörung der spanischen Colonialmacht und des spanischen Handels, die Säulen, auf welchen die spanische Weltmacht beruhte, umgestürzt werden könnten, was zugleich dem von ihm tödtlich gehaßten Katholicismus einen schweren Schlag zuziehen würde. Er meinte, diesen Zweck am ehesten zu erreichen durch Gründung von europäischen Niederlassungen an den amerikanischen Küsten, namentlich an der Nordküste Südamerikas;, in Venezuela und Guyana. In den zahlreichen Denkschriften und Broschüren, in welchen er seine Ideen ausarbeitete, zeigte er eine so klare und tiefe Einsicht, namentlich in die Verhältnisse zwischen Colonien und Mutterland, wie wol keiner seiner Zeitgenossen. Selbst das leuchtete ihm schon ein, daß Sclavenarbeit nie so productiv werden könne, als die freier an den Früchten ihrer Arbeit interessirter Menschen, welche ihre ganze Intelligenz [259] und ihr ganzes Herz ihrer Arbeit widmen. Auch erklärte er unumwunden, der Vortheil außereuropäischer Colonien liege keinesfalls in ihrem Reichthum an edeln Metallen, sondern in der massenhaften und billigen Production von Waaren, welche auf dem europäischen Markt hohe Preise erzielen könnten. Dazu versprach er sich allen Beistand von den Eingeborenen, welche er sich als ziemlich civilisirt und theilweises noch in fortwährendem Kampf gegen die Spanier vorgestellt zu haben scheint, wie er denn auch überhaupt von den Zuständen des inneren südamerikanischen Festlandes, von der Möglichkeit von dessen Besiedelung durch europäische Colonisten und von der Arbeitsfähigkeit der Weißen in jenem Klima sonderbare Vorstellungen besaß. Wollte er doch im tropischen Südamerika (auch Brasilien zog er später in den Kreis der zu besiedelnden Länder) zu Stande bringen, was nur in Nordamerika mit Erfolg geschehen ist! Der Handel mit jenen Colonien würde seines Erachtens nicht allein alle Kosten decken, sondern auch sowohl dem Staat (durch die von den Waaren zu erhebenden Zölle) wie den Einwohnern colossale Vortheile gewähren. Ein so gewaltiges Unternehmen könnte natürlich nur von einer über ein enormes Capital disponirenden Gesellschaft unternommen werden, welcher eine Anzahl Vorrechte ausschließlich vorbehalten würden und welche, weil die Spanier sich der Verwirklichung dieser Pläne nach Kräften widersetzen würden, berechtigt sein müßte, Krieg zu führen und dazu mit staatlichen Befugnissen ausgerüstet wäre. Der Kampf gegen dieselbe würde, meinte er, die Kräfte Spaniens derartig in Anspruch nehmen, daß sie den Krieg in den Niederlanden nur lässig führen könnten, ja vielleicht zum Frieden gezwungen würden, während der spanische Handel völlig ruinirt würde und wahrscheinlich auch die Eroberung Quito’s und Peru’s den Spaniern den Besitz der Gold- und Silberminen entreißen würde, wie denn überhaupt die sämmtlichen amerikanischen Colonien Spaniens zuletzt verfallen oder dem Mutterlande entrissen werden sollten. In jenen Jahren des beispiellosen Aufschwungs des niederländischen Handels fanden solche Entwürfe lebhafte Zustimmung, und als die ostindische Compagnie 1603 zu Stande gekommen war, schien die Errichtung einer westindischen kaum schwierig. Capital gab es genug und nicht weniger Leute, welche dieses Capital in einem derartigen Unternehmen anlegen wollten. Auch die leitenden Persönlichkeiten in der Regierung, Oldenbarnevelt an der Spitze, waren demselben keineswegs abhold. So schien um das Jahr 1606 das Zustandekommen einer westindischen Gesellschaft gesichert. Allein es zeigte sich schon damals, daß diejenigen, welche Wsselinx’ Pläne am eifrigsten befürworteten, im Grunde doch etwas anderes bezweckten als W. Sie wünschten namentlich eine Gesellschaft, welche die spanische Macht und den spanischen Handel zerstörte: nicht die friedliche Colonisation und die massenhafte Production, sondern Krieg und der Erwerb von Kriegsbeute stand bei ihnen im Vordergrund. So kam es, daß 1608, als eben die Friedensverhandlung mit Spanien anfing, noch nichts fertig war. Und jetzt wollte die Friedenspartei, mit dem Advocaten an der Spitze, die Unterhandlung nicht verderben durch Ausführung eines Entwurfs, dessen Kunde schon dazu beigetragen hätte, die Spanier zur Beschleunigung derselben anzutreiben, weil sie durch diese eben dasselbe zu hintertreiben hofften. So kam es, daß Oldenbarnevelt den anhaltenden Bemühungen Wsselinx’ nur ein wenig geneigtes Ohr lieh, während W., der schon längst in allen nicht streng reformirten Protestanten, wie er selber einer war, Crypto-Katholiken und Verräther des Landes und der Religion erblickte, sich jetzt an die Spitze von dessen contramonstrantischen Gegnern stellte. Allein ohne Holland war für ihn nichts zu erreichen. Denn ohne Hollands Zustimmung konnte keine westindische Gesellschaft zu Stande kommen und fürs erste stand Holland unter des Advocaten Einfluß. Der zwölfjährige Stillstand kam zu Stande und wenn auch W. seine Pläne [260] darum nicht fallen ließ und mit Gutheißung Moritz von Oranien’s umherreiste, für eine mehr nach seinen Ideen als nach denen der Kriegspartei gebildete westindische Gesellschaft Anhänger zu werben und sich auch wiederholt an die Generalstaaten und die Staaten von Holland wandte, so wurde doch nichts daraus. Die politisch-religiösen Kämpfe nahmen unter den mit jedem Jahre verwickelteren europäischen Verhältnissen alle Gedanken der Politiker ein. W. hatte sich unterdessen an dem den damaligen Verhältnissen nach bedeutenden Unternehmen der Trockenlegung des Beemster, eines der nordholländischen seeartigen Binnengewässer, betheiligt und dort sein Vermögen in einer Landwirthschaft, welche mehr als 500 Morgen umfaßte, angelegt. Er selber hatte sich dort angesiedelt. Allein, sei es, daß er nur einen geringeren Theil seiner Kräfte diesem Geschäfte widmete, denn er arbeitete noch immer für seine große Unternehmung, sei es, daß er wirklich kein Praktiker war: er machte in wenigen Jahren vollständig banquerott und blieb, nachdem er auch einen Proceß darüber in letzter Instanz verloren hatte, nur mit großer Noth vor dem Schuldgefängniß bewahrt. Nur unter dem Schutz von speciellen Freigeleitbriefen der Staaten konnte er in Holland auf freien Füßen bleiben. Kein Wunder, daß er erbittert wurde und von jetzt an auch eine Belohnung für seine Arbeit forderte, als dieselbe endlich ihr Ziel zu erreichen schien. Denn 1618 war Oldenbarnevelt gefallen, ein Jahr später hingerichtet. Wsselinx’ Gönner herrschten jetzt in den Staaten von Holland und der Stillstand nahte sich dem Ende. Wenn irgend ein Moment, so war jetzt ein günstiger für die Errichtung der westindischen Compagnie. Und wirklich, im J. 1621 kam dieselbe, mit allen erdenklichen Vorrechten ausgerüstet, zu Stande, jedoch ohne Wsselinx’ Mitwirkung, ja, seinen Ansichten schnurstracks entgegen. Denn das Ziel der neuen Handelsgesellschaft war in erster Reihe Krieg – keine friedliche Colonisation und nur nebenbei friedlicher Handel. Und auch die Organisation derselben war ganz anders, als W. sie gewünscht, der namentlich den Theilhabern Einfluß auf die Verwaltung einräumen wollte und durchaus nicht jene kaum controllirbare Herrschaft der von denselben fast völlig unabhängigen Verwaltungsbehörde. Und das geschah in für W. fast beleidigenden Formen. Früher hatte man seine Entwürfe neben denen der zur Prüfung derselben ernannten Delegirten den Staaten vorgelegt, jetzt wurden die seinen ebenso rücksichtslos bei Seite geschoben, wie seine Proteste. Man behandelte ihn überhaupt in der letzten Zeit als einen lästigen Projectenmacher, als einen Theoretiker, dessen Ideen zwar öfter Beachtung verdienten, jedoch nur anderen dienlich sein könnten. Seine Arbeit war vergebens gewesen. W. war tief erbittert; die eigenen Gesinnungsgenossen hatten ihn noch schlechter behandelt als Oldenbarnevelt, und wenn vorher seine offen zur Schau getragene Vorliebe für seine engeren südniederländischen Landsleute und seine geringe Beachtung der speciell holländischen Interessen vielleicht manchen Aerger erregt hatte, so hatte er doch in seinen späteren zahlreichen Denkschriften Angriffe unterlassen. Doch der unbeugsame Mann ließ den Muth nicht sinken. Wenn die Landsleute ihn verwarfen, wandte er sich an das Ausland. Bei dem jungen König von Schweden hoffte er Eingang für seine Entwürfe zu finden. Und in der That, Gustav Adolf hörte seine Auseinandersetzungen nicht allein mit bewundernswerther Geduld an, er rühmt sich, einmal sechs Stunden hintereinander geredet zu haben, sondern er ging eifrig auf seine Pläne ein. Nur zwei Dinge fehlten: Geld und Menschen. Und so kam W. in Schweden nicht rascher vorwärts als in Holland, wenn auch Oxenstjerna sich seiner aufs wärmste annahm. Und bald kamen die Zeiten, daß der König in ganz anderen Entwürfen lebte und seine ganze Aufmerksamkeit den deutschen Dingen zuwandte. Doch eben in Deutschland hoffte W. jetzt Unterstützung und Capital zu finden und zugleich versuchte er ein Zusammenwirken [261] der Niederländer und Schweden mit den protestantischen Norddeutschen zur Bekämpfung Spaniens und zur Gründung seiner Ansiedelungen und seiner Handelsgesellschaft zu Stande zu bringen. Mit wahrhaft erstaunlichem Eifer reiste der jetzt alternde Mann umher, seine Denkschriften wurden zum Theil umgearbeitet und den Umständen angepaßt, gesammelt und unter dem Titel „Argonautica Gustaviana“ 1633 in Frankfurt am Main herausgegeben, wie auch mehrere seiner Schriften damals in Heilbronn erschienen. Von Gustav Adolf bevollmächtigt, wandte er sich aufs neue an die Staaten. Doch er wurde überall mehr oder weniger höflich abgewiesen. Als der König gefallen und Oxenstjerna ihm nur geringen Beistand verleihen konnte, wandte man ihm auch in Schweden den Rücken. Die einzige reelle Frucht seiner Arbeit war die Gründung Neu-Schwedens am Delaware im J. 1636, und diese fand ohne ihn unter Führung Peter Minnewit’s statt. Freilich es war nur eine sehr klägliche Frucht. Von jetzt an trieb er sich ruhelos als ein abenteuerlicher Projectenmacher, den jedermann sich vom Halse zu schieben versuchte, umher. Noch in den vierziger Jahren schickte er Eingaben an die Generalstaaten, mit, wie er schrieb, von Alter und Kälte erstarrten Fingern. Denn er war völlig ruinirt und scheint sogar Mangel gelitten zu haben. Doch alles ohne Erfolg. Im J. 1647 ist er achtzigjährig gestorben, man weiß nicht einmal wo und wie. Das war das klägliche Ende eines Mannes, den sein Biograph nicht ansteht, den Ferdinand de Lesseps des siebzehnten Jahrhunderts zu nennen, ohne, als er das schrieb, zu ahnen, daß auch diesem ein fast eben so trauriges Ende bevorstand. Und freilich an Großartigkeit der Entwürfe, an Genialität und Unermüdlichkeit stand W. dem grand français nicht nach. Nur ist es ihm nie gelungen, seinen Namen mit irgend einem positiven Resultat zu verbinden. Doch waren seine Ideen durchaus nicht unpraktisch, namentlich, wenn er das, was er in Südamerika zu Stande zu bringen verhoffte, im Norden versucht hätte.

Eine vollständige fast allzu umständliche, mit außerordentlicher Sorgfalt und Sachkenntniß geschriebene Biographie Wsselinx’ hat 1887 J. Franklin Jameson unter dem Titel Willem Usselinx, founder of the dutch and swedish Westindia Companies in den Werken der American Historical Association herausgegeben. Sie enthält eine vollständige Bibliographie aller gedruckten und ungedruckten Schriften Wsselinx’ und benutzt alles, was irgendwo über ihn geschrieben ist. Vgl. weiter van Rees, Geschiedenis der Staathuishoudkunde in Nederland, Bd. II, unter dem Titel Geschiedenis der koloniale Politiek van de Republiek der Veeenigde Niederlanden), wo ein interessantes Capitel dem genialen Manne und seinen Beziehungen zur Gründung der westindischen Gesellschaft gewidmet ist. Auch Friedrich Kapp hat in der Historischen Zeitschrift (Bd. 15) in einem Aufsatz über Peter Minnewitt dem W. völlig Recht widerfahren lassen. Vgl. auch meine Besprechung der Arbeit Jameson’s in der Hist. Zeitschrift, Bd. 62.