ADB:Wolfrum, Veit
Polyk. Leyser, dessen schroff lutherischen Standpunkt auch W. einnahm. Nach acht Semestern promovirt als Erster unter 52 Candidaten, hielt er Vorlesungen zu Wittenberg und Jena; der akademischen Laufbahn gedachte er treu zu bleiben. Aber in besonders ehrender Weise berufen, trat er am 7. Jan. 1592 als Archidiakonus in Wittenberg sein erstes geistliches Amt an; zugleich hatte er an den Prüfungen der Theologen theilzunehmen, war auch Assessor des Consistoriums. Er zählte damals 28 Jahre. Bereits ein Jahr später schlug ihn Aegidius Hunnius dem Rathe zu Zwickau als Stadtpfarrer und Superintendenten vor; Hunnius war unter den Visitatoren, die im November 1592 drei Zwickauer Geistliche, unter ihnen den Ephorus, wegen unreiner Lehre (Kryptocalvinismus) absetzten.
Wolfrum: Veit W., evangelischer Theolog und Liederdichter. Geboren am 3. Mai 1564 zu Hildburghausen als Sohn eines Frachtfuhrmanns, erhielt W. seine Vorbildung in seiner Vaterstadt, dann in Braunschweig, Aken, Eisleben, Nürnberg. Zwei Mal stand er im Begriff, der gelehrten Laufbahn zu entsagen trotz seiner glänzenden Begabung; seine Armuth schien ihn zu zwingen. Die Familie Fetzer in Nürnberg förderte ihn endlich nachhaltig, auch während der Studienjahre. In Wittenberg war sein HauptlehrerW. folgte diesem Rufe und wandte sich dem geistlichen Amte mit solchem Eifer zu, daß er mehrere spätere Anträge von Professuren in Wittenberg und Jena ablehnte. In Zwickau fand er schwierigen, von den vorausgegangenen Parteistreitigkeiten zerrissenen Boden; auch machten ihm einige Geistliche, sowie die anfängliche Abneigung eines Theils des Rathes, endlich die Nachlässigkeit des Rectors am Gymnasium, das W. zu beaufsichtigen hatte, vielen Verdruß. Gleichwol hat er als gewissenhafter Seelsorger und tüchtiger, gerne gehörter Prediger allmählich allgemeinste Anerkennung errungen. Unmittelbar aus dieser Amtsthätigkeit sind seine ascetischen Schriften erwachsen. Seine „Praxis evangelica“ besteht aus Kirchengebeten, die W. im Anschluß an die evangelischen Predigttexte zu halten pflegte; sie sprachen die Gemeinde so an, daß vielfach ihre Veröffentlichung im Druck begehrt ward. W. setzte diese Gebete fast ausschließlich aus Worten der Bibel zusammen, die er durch und durch kannte und beherrschte. Dieses Verfahren bewahrte ihn vor mancher geschmacklosen Eigenthümlichkeit in der Ausdrucksweise seiner Zeit, wie denn seine Gebetbücher lange gebraucht wurden. Gleichfalls aus seelsorgerischer Arbeit erwuchs sein „Geistlichs Regiment zur Zeit der Pest“, 42 Gebete für die besonderen Erfordernisse der Pestzeiten; ebenso ein kleineres Schriftchen, aus Anlaß des Majestätsbriefes verfaßt („Danksagung zu Gott dem Allmechtigen“ u. s. w.), worin er, der eifrige Lutheraner, doch auch eine erfreuliche Weitherzigkeit zeigt. Ein bleibendes Verdienst erwarb sich W. für seine Gemeinde durch Herausgabe eines umfangreichen Gesang- und Gebetbuches: „Zwickawischer Bürgerschafft Hauß- vnd Kirchenschatz“. Fast ein Jahrhundert war es im kirchlichen Gebrauche, bis es seit 1703 durch Blumberg’s „Geistliche Schwanenlust“ abgelöst wurde.
In diesem Gesangbuche sind auch einige Dichtungen von W. selbst enthalten; ihrer neun finden sich in Blumberg’s ebengenanntem, vier auch noch in dem bis 1883 benutzten Zwickauer Gesangbuch. Sie sind von herzlicher, inniger Frömmigkeit erfüllt und bezeugen ein kindliches, unerschütterliches Gottvertrauen, das sich am schlichtesten und ergreifendsten in dem Liede ausspricht: „Fürchte dich nicht, spricht Gott der Herr“: „Kein Mutter kann zu ihrem Kind In Nöthen eilen so geschwind, Sie kann ihm helfen nicht so sehr – Ich, Gott, dein Herr, thu es viel mehr“. Vereinzelt finden sich auch Geschmacklosigkeiten, wie in dem Pfingstlied: „Ein Täublein klein hat keine Gall, Kein reissend Kläulein überall“, daneben in überraschender Weise die Töne fast schwärmerischer Liebe zu seinem „herzlieben Jesulein“. Damit entrichtete er [131] seiner Zeit seinen Tribut. Hat sich keines seiner elf Lieder, so viel wir sehen, in allgemeinem Gebrauch erhalten – da sie doch in fast ganz Sachsen gebräuchlich geworden waren –, so hat W. mit seinen Gesängen vergangenen Geschlechtern wenigstens wichtige und heilsame Dienste gethan; und höher ging sein Bestreben kaum.
Im Dienste seiner Kirche stand auch seine Thätigkeit als polemischer Schriftsteller. In Anhalt wurde das starre Lutherthum unter Johann Georg (seit 1586) zurückgedrängt, ja 1596 das Abendmahl nach reformirtem Brauch mit Brechen der Hostie gefeiert – zunächst allerdings nur am Hofe; und in Nürnberg, der Stadt, der W. so viel verdankte, hatte man den Anschluß an die Concordienformel abgelehnt. Beides schien W. den Bestand der lutherischen Kirche zu gefährden; er beabsichtigte der Gefahr durch einen Appell an die beiden bedrohten Kirchen zu begegnen. So veröffentlichte er den „Beweis, daß Fürst Georg von Anhalt … mit der Lehre, so im Concordienbuch vnd den Meisnischen Visitations Artikeln begriefen bis in die grube es trewlich gemeint“, sowie ein zweites Schriftchen: „Ausführlicher vnd beständiger Beweis, das die Nürmbergische Kirche … mit den Sacramentirischen und Calvinischen Irrthumen … nie zu thun gehabt“. Andere Streitfragen confessioneller Art behandelte er in Thesen für die Synoden (Ephoralconferenzen) seiner Diöces; die Thesen verfaßte W., als Vorsitzender; vertheidigt wurden sie von dazu bestimmten Geistlichen. Sie behandeln die Eintheilung des Dekalogs (111 Thesen), das Brechen des Brotes beim h. Abendmahl (100 Th.), den rechten und falschen Gebrauch von Bildern (485 Th. für 2 Synoden) und die Frage der Allgegenwart Christi im Anschluß an Jesu Wort: „Mir ist gegeben alle Gewalt usw.“ Ausdrücklich bezeugt W., daß er sich selbst und seine Ephoralgeistlichen durch diese Arbeiten in der Ueberzeugung von der alleinigen Berechtigung des orthodox lutherischen Standpunktes festigen wollte; so behielt er in allem den praktischen Endzweck im Auge. Seine Polemik ist scharf und klar; vom Standpunkt der Concordienformel will er auch nicht einen Fuß breit abweichen, damit nach den Schwankungen am Ende des 16. Jahrhunderts die sächsische Landeskirche sich ruhig und beständig in einer Richtung entwickeln könne. Seine Polemik wendet sich am heftigsten gegen die „Calvinisten“, worunter er gelegentlich alle protestantischen Irrlehrer versteht. Aber auch die Jesuiten greift er wiederholt scharf an; brachten doch zahlreiche vertriebene Evangelische den Beweis für die Geistesrichtung und Macht der Gesellschaft Jesu auch nach Zwickau; einzelne dieser Handwerker und Geistlichen fanden hier eine neue Heimath, theilweise durch Wolfrum’s Bemühungen.
Ein weiteres Feld für seine Arbeitskraft, und zwar im Kirchenregimente, fand W. in dem Consistorium, das von 1602–5 in Zwickau bestand. In diesem Amte hat er, ebenso wie als Superintendent und als Generalvisitator, eine milde, versöhnliche Sinnesart bethätigt; er verstand es treff1ich, Streitigkeiten gütlich beizulegen und Entzweite zu versöhnen. Er verfuhr gelegentlich in einer Ehesache so mild, daß er deshalb später Tadel von Dresden aus hören mußte; doch war W. keineswegs träge oder gleichgültig. Er sann nur darauf, unnöthige Härte zu vermeiden; und die Gesetze seiner Zeit waren ja in vielen Stücken allzu hart. Andrerseits konnte W. unerbittlich fest sein, wo man begangenes Unrecht nicht einsehen oder zugestehen wollte. Durch diese sachliche, unbestechliche Ruhe und den Eifer für die Sache, nicht für seine Person, gewann er in seiner 35jährigen Thätigkeit die Achtung und Liebe seiner Gemeinde und Diöcese vollkommen, – das Muster eines lutherischen Geistlichen seiner Zeit.
Hohen Ruhm erntete W. bei seinen Zeitgenossen und den nächstlebenden Geschlechtern durch seine erstaunliche Gelehrsamkeit und seinen rastlosen Lerneifer. [132] Noch mit 59 Jahren erlernte er als Autodidact die arabische Sprache und regte den berühmten Zwickauer Orientalisten Johann Zechendorf zu gleichem Studium an. Neben dem Unterrichte in der hebräischen und der syrischen Sprache ertheilte W. am Gymnasium auch solchen im Arabischen. Begeistert von diesem Studium hielt er vor einer ansehnlichen Versammlung von Honoratioren aus Zwickau und Umgegend eine dissertatio in laudem linguae Arabicae, die er 1625 unter dem Titel „Nox Cygnea“ (Cygnea = Zwickau) mit mehreren Beigaben durch den Druck veröffentlichte. Auch bei diesem späten Studium hatte er praktische Ziele im Auge; unter anderem die Rechtfertigung des Christenthums gegen den Islam, die ohne genaue Kenntniß des Arabischen natürlich unmöglich wäre. Vorzüglich wollte er seine Schüler in Stand setzen, diese Arbeit zu leisten. Er selbst hinterließ ein – verloren gegangenes – Manuscript „Pericula Arabica“, das die Richtigkeit der Luther’schen Bibelübersetzung durch Vergleichung der arabischen Uebertragung zu beweisen suchte. –
Wolfrum’s äußerer Lebensgang war schlicht. Er war zwei Mal verheirathet, in erster Ehe mit einer, bei der Trauung 141/2 Jahre alten Urenkelin des Kanzlers Christian Baier, der 1530 dem Kaiser Karl V. das Augsburgische Bekenntniß mit überreichte; als diese im 10. Wochenbette starb, vermählte er sich, durch sehr zahlreiche Glückwünsche geehrt (2 Hefte Epithalamien sind in der Zwickauer Rathsschulbibliothek erhalten), im October 1613 mit Maria Pietzsch, der Tochter eines verstorbenen Zwickauer Stadtvogtes. Von seinen Kindern überlebten ihn vier Töchter und drei Söhne, von denen keiner höhere Bedeutung erlangte.
Schon lange kränklich, starb W. am 9. August 1626 an Zuckerkrankheit. 71 Trauergedichte beklagten seinen Heimgang, zum Theil von Männern wie Aegidius Hunnius, zum Theil von schlichten Bürgern in rührenden Tönen – dies das höchste Lob, das ihm werden konnte.
- J. U. D. Theod. Steinmetz, Narratio de totius vitae cursu u. s. w., Anhang der gedruckten Leichenpredigt des Pfr. Val. Hentzschel in Reinsdorf. – Unschuldige Nachrichten 1721 u. 22 (von „M. F. C. C.“). – Werke wie Jöcher; Koch (Kirchenlied), Wetzel, Henning Witte (im Diarium biograph. zum Jahr 1626). – Genauer: Herm. Klotz, D. Veit Wolfrum, Sup. zu Zwickau 1593–1626. Zwickau 1892.