ADB:Witschel, Johann Heinrich Wilhelm
Schiller’s Resignation mit einer (poetischen) Antwort auf dieselbe zu veröffentlichen (Kreuznach bei Ludwig Christian Kehr in zwei Auflagen ohne Jahresangabe, vgl. Goedeke, 2. Aufl., [569] 5. Band, S. 176). Doch weder auf diesen noch auf seinen andern Werken, von denen hier nur noch „Balhora, ein morgenländisches Schauspiel“ (Nürnberg 1799, vgl. Neue allg. d. Bibl., Bd. 62, S. 112) und seine „Moralischen Blätter“, ein Andachtsbuch für Gebildete (zuerst Nürnberg [1801], neue Titelausgabe 1806; zweite Aufl. 1828, neue Titelausgabe 1852 unter dem Titel: „Stimmen religiöser Erhebung“) genannt werden mögen, beruht es, daß W. allgemein bekannt geworden ist; das Werk, das ihn zu einem der bekanntesten deutschen Schriftsteller in allen Classen nicht nur des protestantischen Volkes hat werden lassen, ist das von ihm veröffentliche Andachtsbuch: „Morgen- und Abendopfer in Gesängen“, wie es ursprünglich hieß, oder „Morgen- und Abendopfer nebst andern Gesängen und einem Anhang“, wie der Titel hernach lautet. Dieses Buch ist neben Zschokke’s Stunden der Andacht ohne Frage das verbreitetste Andachtsbuch unter uns in der Zeit des Rationalismus gewesen; seit dem Jahre 1803 bis auf den heutigen Tag, also fast ein volles Jahrhundert hindurch, hat es seine Freunde, die ihm Erhebung des Gemüthes und Erbauung verdanken; das ist eine Thatsache, die einfach anerkannt sein will, so unbegreiflich sie uns auch erscheinen mag. Denn es kann nicht geläugnet werden, daß der poetische Werth dieser Lieder (wie fast aller andern Witschel’s) unglaublich gering und ihr Inhalt der seichteste und geistloseste Rationalismus ist, so daß uns heute oft schwer werden will, die Worte ernst zu nehmen; es ist ein hartes Urtheil, das Kurtz (Lehrbuch der Kirchengeschichte, 10. Aufl., 2. Bd., 2. Theil, Leipzig 1887, S. 26) fällt, doch es ist nicht ungerecht, wenn er sagt, daß hier ein ästhetisch-sentimentaler Rationalismus caricaturartig aufträte; aber trotz alledem wurde das Buch beliebt. Es ist eine verständige Gemüthlichkeit, eine immerhin nach Frömmigkeit verlangende Gesinnung und vor allem eine heitere, mit allem Schweren und Ernsten im Leben sich leicht abfindende Lebensauffassung, der hier das Wort geredet ward, und das suchte man damals in weiten Kreisen, und der einmal gewonnene Ruhm blieb dem Buche namentlich in den Kreisen der wenig oder gar nicht Gebildeten auch dann noch, als die theologische Auffassung des Christenthums, aus der es ursprünglich hervorgegangen ist, bei allen Gebildeten längst überwunden war. Das Buch erschien zuerst unter dem schon angegebenen Titel Amberg und Sulzbach, im Verlage der Commerzienrath Seidel’schen Kunst- und Buchhandlung 1803, nicht völlig in der Hälfte seines schließlichen Umfanges (VIII u. 126 S. 8° und 1 Blatt Verbesserungen; nicht 1802 und nicht 1806); W. widmete es dem Erzbischof Karl Theodor von Mainz (vgl. A. D. B. Bd. IV, S. 703 ff.) als einen „Beitrag zur Aufklärung und Moral“. Ein zweiter Theil erschien Nürnberg und Sulzbach in derselben Handlung 1807 (2 Bl. 116 S. 8°). In demselben Jahre 1807 erschien ebenda der Inhalt beider Theile in einem Bande als „zweite, um die Hälfte vermehrte Auflage“ mit einer Vorrede Witschel’s vom 19. Februar 1805. Die späteren rechtmäßigen Ausgaben erschienen zu Sulzbach in demselben Seidel’schen Verlage; es erschienen dann aber auch Nachdrucke, was den Verleger veranlaßte, sich Privilegien geben zu lassen; so gibt es z. B. von der 7. Ausgabe von 1819 einen Nachdruck, auch von 1819 ohne Druckort. Die Ausgabe letzter Hand ist die 11. vom Jahre 1847; über sie schrieb W. am 20. Januar 1847 dem Verleger, die Revision sei ihm nicht schwer geworden und habe ihm viele heitere Stunden gemacht; statt der Vorrede legte er ein Lied bei: „Der neue Tempel“, in welchem er seiner Ueberzeugung Ausdruck gibt, daß trotz aller Spaltungen in der Kirche die von ihm vertretene Ansicht von der Religion der Liebe einst alle Menschen zu einer wahren Friedensgemeinschaft verbinden werde. Darüber, daß seine Ansicht vom Christenthum von Vielen für eine völlig ungenügende gehalten wurde, war er sich schon lange klar; er sprach seine Verwunderung darüber [570] mehrfach aus, so z. B. im Vorwort zur zweiten Auflage der moralischen Blätter. Die „Morgen- und Abendopfer“ enthalten in den letzten Ausgaben sechs Reihen Andachten für den Morgen und den Abend jedes Wochentages, sodann in einem zweiten Theil Andachten für besondere Tage des Jahres, auch eine Andacht „am Jahrestage der Constitution“; in einem dritten Theil allgemeinere Gebete und Betrachtungen über die Gebete und den Glauben und im Anhange drei sog. Episteln an die Christen, in welchen W. seinen kirchlichen und theologischen Standpunkt darlegt und zu rechtfertigen sucht; die erste dieser Episteln war schon in der Ausgabe von 1803. Allen Ausgaben (außer der gleich zu nennenden Reclam’schen) sind als eine Art Einleitung die „Ideen der Gebetsformeln von J. J. Mnioch“ vorgedruckt, vgl. A. D. B. XXII, 37. – Nach dem Tode Witschel’s sind noch weiter neue Ausgaben des Buches erschienen in verschiedenen Formaten, auf geringerem und auf besserem Papier, mit und ohne Illustrationen; wie viele, vermögen wir nicht zu sagen, da der Verleger die Ziffer der Auflage auf dem Titelblatt nicht mehr angibt, auch das Jahr des Druckes nicht mehr nennt. Eine vor wenigen Jahren in der neuen Schulorthographie sehr schön gedruckte Ausgabe wird in reichem Einbande mit Goldschnitt noch von der J. E. von Seidel’schen Buchhandlung in Sulzbach verschickt und findet ihre Käufer; auf dem in Stahl gestochenen Titelblatt befindet sich vor Witschel’s Namen auch sein Bild. Der bekannte Reclam’sche Verlag hat seiner Universalbibliothek auch Witschel’s Morgen- und Abendopfer unter Nr. 1421 und 1422 einverleibt. – Viel weniger Beachtung fanden die geistlichen Lieder, die W. unter dem Titel „Dichtungen“ schon 1798 in Nürnberg hatte erscheinen lassen; zweite Auflage 1801. Einige eigne Lieder (ob aus dieser Sammlung?) nahm er auch in die von ihm veranstaltete „Auswahl von Gesängen und Liedern zur häuslichen Erbauung“ auf, die in einem besondern Abdruck aus Feddersen’s Unterhaltungen Hannover 1817 bei Hahn erschien. Zwei von seinen Liedern befinden sich im Gothaer Gesangbuch von 1827.
Witschel: Johann Heinrich Wilhelm W. wurde am 9. Mai 1769 zu Henfenfeld (Hempfenfeld) bei Hersbruck im ehemaligen Nürnberger Gebiete geboren, wo sein Vater, Gustav Johann Jacob W., Pfarrer war; seine Mutter war Hedwig Charlotte, geb. Heller. Als er fünf Jahre alt war, ward sein Vater nach Gräfenberg (bei Forchheim) versetzt. Er kam i. J. 1783 auf die Lorenzschule in Nürnberg und studirte sodann seit 1788 in Altdorf Theologie. Im J. 1793 (1794?) wurde er Mittagsprediger an der Dominicanerkirche in Nürnberg und am 6. März 1801 Pfarrer zu Igensdorf bei Gräfenberg, wo er sich am 23. April 1801 mit einer gebornen Thomasius (gest. 1839) verheirathete. Im J. 1815 ward W. Stadtpfarrer und Districtsdecan zu Gräfenberg und schließlich am 1. April 1818 Pfarrer und später auch Decan zu Kattenhochstadt bei Weißenburg am Sand, wo er am 24. April 1847 starb. – W. hat vom Jahre 1796 an Gedichte einzeln oder in Sammlungen herausgegeben, die sich zunächst keiner besondern Aufnahme erfreuten. Ueber sein Gedicht „Die Nacht am Rhein, Karln dem Helden der Deutschen geweiht … den 28. Januar 1797“, Nürnberg 1797, urtheilt die Neue allgemeine deutsche Bibliothek (Band 37, S. 443), es enthalte „unzusammenhängende Dichterphantasie, … unter vielen mittelmäßigen Versen laufen einige gute mit unter u. s. f.“ Etwas mehr gefiel sein „Pantheon für Damen“, Nürnberg 1799, in welchem in der Form eines Dialoges zwischen Narcissus, einem Gelehrten in Husarenuniform, und Amalie, einem Mädchen, deren Kleidung veränderlich ist, ein auf weibliche Leser berechneter Unterricht in der Mythologie ertheilt wird; die genannte Recensiranstalt lobt (Band 54, S. 367) die „joviale und zugleich geistreiche Laune“, in der das Buch geschrieben sei. Offenbar traf W. für manche Leser den rechten Ton, wenn er leichte, theilweise heitere Unterhaltung bezweckte, so in: „Etwas zur Aufheiterung in Versen“, 1. Band, Sulzbach 1809 (2. Aufl. 1817); hier befindet sich das früher sehr bekannt gewesene Lied: „Ja, ich bin zufrieden, geht es wie es will“ (1. Aufl. S. 101, 2. Aufl. S. 112), dessen leichte Lebensauffassung es verstehen läßt, daß W. sich auch veranlaßt sah,- Neuer Nekrolog der Deutschen, 25. Jahrg. 1847, I. Bd., Weimar 1849, S. 287 ff. – Franz Brümmer, Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 18. Jahrhundert, Leipzig, Reclam, S. 593. – Goedeke, 2. Aufl. Bd. V, S. 444, Nr. 33. – Wetzstein, Die religiöse Lyrik der Teutschen im 19. Jahrhundert, Neustrelitz 1891, S. 145.