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ADB:Westphal, Joachim (Theologe)

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Artikel „Westphal, Joachim“ von l. u. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 198–201, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Westphal,_Joachim_(Theologe)&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:14 Uhr UTC)
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Westphal: Joachim W., bekannter lutherischer Theologe des 16. Jahrhunderts, wurde als Sohn eines Handwerkers – sein Vater war faber lignarius, also wahrscheinlich Zimmermann –, zu Hamburg im J. 1510 oder in den ersten Tagen des Jahres 1511 geboren. Er besuchte zuerst die Schule zu St. Nicolai in Hamburg und ward dann auf die Schule nach Lüneburg geschickt, wo Erasmus Wegenhorst, später Prediger in Soest, sein Lehrer war. Nach Ostern 1529 begab er sich zum Studium der Theologie nach Wittenberg; er ist hier am 7. Juni 1529 inscribirt. Ob er schon vorher in Hamburg Bugenhagen kennen gelernt hat – Bugenhagen reiste am 9. Juni 1529 nach achtmonatlichem Aufenthalt daselbst von Hamburg ab –, oder ob er mit ihm erst in Wittenberg bekannt geworden ist, läßt sich wol nicht mehr feststellen; jedenfalls erhielt W., als er im Herbst 1529 in Hamburg war, auf Bugenhagen’s schriftliche Empfehlung, die von einigen vornehmen Hamburgern, unter welchen sich der Rector Theophilus (s. A. D. B. XXXVII, 722) und der Senator Johannes Schröder befanden, unterstützt ward, aus dem Hauptkasten am 9. October ein Stipendium von fünf Mark, dem die Vorsteher der Casse aus ihrer eigenen Tasche eine doppelt so große Summe hinzufügten, wogegen W. versprechen mußte, wenn die Stadt Hamburg seiner später bedürfe, ihr dienen zu wollen. W. ist sodann in Wittenberg auch zu Luther und Melanchthon in persönliche Beziehung getreten. Am 30. Januar 1532 wurde er Magister. Schon vorher hatte Melanchthon ihn in einem Schreiben an den Rector Theophilus vom 14. Jan. 1532 zum Nachfolger von Matthäus Delius (s. A. D. B. [199] V, 41), der damals seine Stellung als Conrector am Johanneum aufgeben wollte, trotz seiner Jugend sehr warm empfohlen. Obschon Delius dann doch blieb, ward W. zu Ostern 1532 als Lehrer ans Johanneum gerufen; ob als Subrector oder in welche Stellung ist nicht ganz klar. Doch blieb er nur zwei Jahre in dieser Thätigkeit, in der er sich die Achtung und Liebe der Schüler und ihrer Eltern in hohem Grade erwarb; vermuthlich war es der Wunsch, für seine weitere Ausbildung und die Fortsetzung seiner Studien mehr thun zu können, der ihn sich nach dem akademischen Leben zurücksehnen ließ. Sein Gönner, der schon genannte Senator Schröder, verschaffte ihm vom Hamburger Senate (?) ein größeres Stipendium, und so ging er denn im Frühjahr 1534 wieder nach Wittenberg, wahrscheinlich in Begleitung einiger jungen Studenten, deren Studien er beaufsichtigen sollte. Als im folgenden Jahre der in Wittenberg ausgebrochenen Pest wegen ein großer Theil der Universität nach Jena übersiedelte, begab sich auch W. dorthin; im Herbst des Jahres 1535 ging er dann nach Erfurt, wo er sich mit Konrad Gerlach befreundete, der hernach wieder in Wittenberg mit ihm zusammen war und dann später auch in Hamburg sein College wurde. Von Erfurt ging W. nach Marburg, wo er im April 1536 inscribirt ist. In Wittenberg, Erfurt und Marburg hielt er Vorlesungen, wahrscheinlich für einen Kreis ihm besonders empfohlener Studenten. Gegen Ende des Sommers 1536 kam der Sohn des Senators Schröder, Anthonius, aus Hamburg nach Marburg, inscribirt am 9. Sept. 1536; wahrscheinlich ist er, um unter Westphal’s Leitung seine Studien zu beginnen, dorthin geschickt; hernach finden wir ihn wieder bei W. in Wittenberg. W. ist dann von Marburg aus nach Basel, wo er bei Sebastian Münster hebräische Studien getrieben haben soll, und von da nach Leipzig gegangen; auf dieser Reise scheint er auch ganz kurz in Heidelberg, Straßburg und Tübingen gewesen zu sein; er unternahm also eine größere Studienreise, die ihn, der ohne Zweifel überall gut empfohlen war, mit den bedeutendsten Theologen jener Zeit in persönliche Bekanntschaft brachte. Im August 1537 kam er dann von Leipzig nach Wittenberg zurück, wie es scheint, um hier nun auf längere Zeit seinen Aufenthalt zu nehmen. Er hielt hier Vorlesungen u. a. auch über Justin, Plautus und Ovid; Studenten aus Hamburg, aus Lüneburg, aus Magdeburg wurden ihm empfohlen. Wahrscheinlich bezieht sich auch auf diesen Aufenthalt Westphal’s in Wittenberg eine briefliche Aeußerung Melanchthon’s, derzufolge Melanchthon der Ansicht war, man solle eine im Wittenberger Collegium frei werdende Wohnung für W. bestimmen, bei welcher Gelegenheit Melanchthon ein außerordentlich günstiges Urtheil über die Gelehrsamkeit und den Charakter Westphal’s ausspricht. Vom Jahre 1538 an ist davon die Rede, daß W. auf Betrieb der Hamburger als Professor nach Rostock kommen soll. Als dann im J. 1540 die Universität in Rostock neu eingerichtet wurde, erhielt W. in der That eine Berufung dahin; gleichzeitig aber erging von Hamburg aus an ihn der Ruf, das durch den Tod Stephan Kempe’s (s. A. D. B. XV, 599) erledigte Pastorat (heute Hauptpastorat genannt) zu St. Catharinen zu übernehmen. Beiderseits war man bei dieser Wahl vorsichtig verfahren; der hamburger Superintendent Aepin (siehe A. D. B. I, 129) hatte sich zuvor bei Bugenhagen schriftlich nach W. erkundigt, da W. in Wittenberg genauer bekannt sei, als in Hamburg; und W. hat den Ruf erst nach einigem Zögern, weil er sich für dieses wichtige Amt nicht tüchtig genug hielt, angenommen. Am dritten Ostertage 1541 führte Aepin ihn als Pastor zu St. Catharinen ein. Mit Aepin stand W. dann immer in gutem Einvernehmen; auch in dem Streite über die Höllenfahrt Christi stand er auf Aepin’s Seite, nicht, wie mehrfach behauptet ist, auf Seiten seiner Gegner. Als Aepin am 13. Mai 1553 starb, konnte W., der inzwischen schon [200] der älteste Pastor in Hamburg geworden war, erwarten, zu seinem Nachfolger gewählt zu werden; wenigstens sprachen auswärtige Freunde Westphal’s, wie Nicolaus Gallus in Magdeburg, davon wie von einer selbstverständlichen Sache. Der Senat in Hamburg hatte zunächst garnicht im Sinne, die Superintendentur wieder zu besetzen. Wir hören auch nicht, daß W. sich um die Erlangung derselben bemüht habe, wie es der Pastor Hoegelke zu St. Petri that. Eine um diese Zeit, im Juni 1540, an ihn ergangene Aufforderung, die Superintendentur in Magdeburg, die durch Gallus’ Abgang nach Regensburg erledigt ward, zu übernehmen, lehnte W. ab. Als dann der Senat in Hamburg nach Verlauf von zwei Jahren doch zur Wiederwahl eines Superintendenten schritt, ward am 17. August 1555 Paulus v. Eitzen (s. A. D. B. VI, 481) gewählt, der bisher lector secundarius am Dom gewesen war; mit der Superintendentur war das Amt des lector primarius verbunden. Daß v. Eitzen gewählt wurde, hing ohne Frage damit zusammen, daß W. gerade in diesen Jahren in den heftigen Streit mit Calvin gerathen war, von dem hernach noch zu reden ist. Wenn v. Eitzen auch in allen entscheidenden Lehrpunkten mit W. übereinstimmte, so war er doch seiner ganzen Natur nach mehr zur Milde geneigt und allem Streite abhold. v. Eitzen folgte im J. 1562 einem Rufe als Hofprediger und Superintendent nach Schleswig; da man in Hamburg anfänglich hoffte, er werde wieder dorthin zurückkommen, besetzte man seine Stelle zunächst nicht wieder; dagegen ward W. nun als Senior Ministerii beauftragt, die Geschäfte des Superintendenten zu führen. Er that das mit großem Geschick und Eifer, und so wurde er denn auch, als es sich deutlich zeigte, daß v. Eitzen nicht wieder nach Hamburg zurückkehren werde, am 29. August 1571 zum Superintendenten gewählt, obschon er jetzt wegen seines Alters eine jüngere Kraft für das Amt, das gerade damals wegen neu zu befürchtender Kämpfe einen ganzen Mann erforderte, geeigneter hielt. W. wurde am 30. October in das neue Amt eingeführt. Er hat sich in demselben nur noch kurze Zeit um die hamburgische Kirche verdient gemacht; schon am 16. Januar 1574 starb er nach nur kurzer Krankheit. Er war zwei Mal verheirathet gewesen, hinterließ aber keine Kinder; sein Vermögen bestimmte er zu einer Stiftung, die noch segensreich wirkt.

Daß W. an den Streitigkeiten. welche die Kirche seiner Zeit bewegten, betheiligt war, ist schon angedeutet; es versteht sich auch in der damaligen Zeit bei einem einigermaßen bedeutenden Theologen ganz von selbst. So finden wir ihn betheiligt an den Kämpfen über das Interim und die Adiaphora, bei den Osiander’schen Streitigkeiten, bei dem Majoristischen Streit, dem Streite über die Lehre von der Höllenfahrt, dem Flacianischen Streit und ganz vor allem in dem Kampfs gegen die Sacramentirer u. s. f. über das heilige Abendmahl. W. hat in allen diesen Kämpfen die Lehre der lutherischen Kirche vertheidigt, auch sich nicht gescheut, wenn es ihm nöthig schien, gegen seinen geliebten Lehrer und Freund Melanchthon aufzutreten, wodurch aber das gute Verhältniß unter ihnen nicht erschüttert ward. Es ist hier nicht der Ort, auf das Sachliche dieser Streitigkeiten näher einzugehen; dagegen ist noch ein kurzes Wort darüber zu sagen, wie das Verhalten Westphal’s in ihnen zu beurtheilen ist. Bekanntlich hat man aus seinem Verhalten namentlich im Abendmahlsstreit die schwersten persönlichen Vorwürfe gegen den Charakter Westphal’s erhoben. Man sah ihn auf Seiten Calvin’s und seiner Freunde als den an, der ganz leichtsinnig, aus eitler Freude am Streit den sog. zweiten Abendmahlsstreit begonnen habe, und erlaubte sich dann gegen ihn eine Sprache, die jeder Beschreibung spottet. Und das geschah nicht nur damals, sondern theilweise auch heute noch; man lese z. B. nur die Schilderung Westphal’s in Henry’s Leben Calvin’s oder in Dalton’s Johannes a Lasco. Es wird nun gewißlich niemand heutzutage die [201] Ausdrücke, die man sich in der Polemik damals gestattete, billigen; daß darin auch W. sehr weit über das, was wir für statthaft halten, hinausging, ist gewiß; aber Calvin fing damit an, und dabei haben Calvin’s Freunde ihn noch veranlaßt, die schlimmsten Wendungen, die sie in seinem ihnen handschriftlich vorliegenden Entwurf der ersten Streitschrift gegen W. fanden, zu streichen. Wer den Streit damals begonnen hat, ist eine müßige Frage, da er eigentlich nie geruht hat; aber daß es die Vertreter der lutherischen Lehre aufbringen mußte, wenn in einer 1552 zu Zürich erschienenen Schrift als völlig ausgemacht hingestellt wurde, daß von Petrus Martyr Vermigli (in einer 1549 zu Oxford gehaltenen Disputation) der Irrthum, dessen Urheber und Beschützer Luther gewesen sei, aufs gründlichste widerlegt worden sei, kann doch wol nicht geleugnet werden; dazu kamen die fortwährenden Bestrebungen, die Abendmahlslehre des consensus Tigurinus (1549) in den lutherischen Kirchen Deutschlands zu verbreiten. Unter diesen Umständen konnte die Erscheinung der reformirten Flüchtlinge aus London in Dänemark und Norddeutschland in der That als eine Gefahr für die lutherische Kirche betrachtet werden. Daß die armen bemitleidenswerthen Leute, wie aus Dänemark, Lübeck u. s. f., so auch aus Hamburg ausgewiesen wurden, ist gewiß eine Härte gewesen; aber weder thatsächlich noch moralisch darf W. dafür verantwortlich gemacht werden. Dagegen war es eine Unverschämtheit, daß Micronius, der mit W. über die Lehre vom Abendmahl zu disputiren wünschte und dem W. dazu am 3. und 4. März 1554 in seinem Hause in Gegenwart einiger Collegen, des Rectors Matthäus Delius und einiger Andern Gelegenheit gab, verlangte, daß ihm eine öffentliche Disputation vor dem Senate, allen Geistlichen und einer Anzahl Bürger gestattet würde. Den bestehenden Anordnungen gemäß konnte das die Obrigkeit gar nicht gestatten; W. selbst war nicht einmal in der Lage, dergleichen anzuordnen; daß man ihm persönlich daraus einen Vorwurf machte, erscheint der ganzen Sachlage nach höchst ungerecht. Kurz, eine die verschiedenen Vorkommnisse billig beurtheilende Darstellung wird weder an W., noch an Calvin oder a Lasco oder sonst einem alles zu loben finden, aber sicher auch nicht W. allein so verurtheilen, wie es häufig geschehen ist. Daß W. der Mann war, wo er konnte, im Frieden zu wirken und daran seine Freude hatte, hat er vor und nach diesen Streitigkeiten, die doch nur eine Zeit lang (1552–1560) ihn beschäftigten und neben welchen auch damals viel anderes ihn in Anspruch nahm, bewiesen; und für die Entwicklung der kirchlichen Angelegenheiten im großen und ganzen ist doch auch seine, wenn auch oft recht unsanfte Stimme nicht ohne Bedeutung geblieben. An den von Jacob Andreä begonnenen Verhandlungen, die zur Vereinigung der lutherischen Kirchen führten, konnte er sich noch anfänglich betheiligen; ihren Abschluß hat er nicht mehr erlebt.

Arnoldus Greve, memoria Joachimi Westphali, Hamburgi et Lipsiae 1749. – Jo. Molleri Cimbria literata III, 641 sqq. – Fabricius, memoriae Hamburgenses II, 931 sqq. – Wilckens, Hamburgischer Ehrentempel, S. 303–341. – Lexikon d. hamburgischen Schriftsteller VII, 626 ff., hier auch ein ziemlich vollständiges Verzeichniß seiner Schriften. – Intelligenzblatt z. Serapeum 1866, S. 84 f., über Westphal’s in Oberursel gedruckte Schriften. – Carl Mönckeberg, Joachim Westphal und Johannes Calvin. Hamburg 1865 (4. Bd. der Gallerie hamburgischer Theologen). – Wagenmann in Herzog’s Realencyklopädie, 2. Aufl., 17. Bd., S. 1–6.

Mit diesem W. ist nicht zu verwechseln ein anderer