ADB:Welcker, Hermann
[39] und im J. 1853 Privatdocent der Anatomie in Heidelberg, bald darauf Prosector in Gießen. Im J. 1859 erhielt er eine außerordentliche Professur der Anatomie in Halle als Nachfolger von Max Schultze, und wurde 1866 als Nachfolger von A. W. Volkmann ordentlicher Professor der Anatomie und Director des anatomischen Instituts. Letzteres befand sich in einem Seitenflügel der bischöflichen Residenz und war sehr dürftig, wenn es damit auch nicht so schlimm war, wie Solger[WS 1] es schildert, zumal die Anzahl der Medicinstudirenden damals in Halle sehr gering war. Auf Welcker’s Anregung und nach seinen Angaben wurde dann bald darauf ein neues, schönes anatomisches Institutsgebäude aufgeführt. Im J. 1893 wurde W. emeritirt; er starb am 11. September 1899 zu Winterstein in Thüringen.
Welcker: Hermann W., Dr. med., Geh. Medicinalrath, ordentlicher Professor der Anatomie in Halle a. S., war geboren am 8. April 1822 in Gießen. Bald nach 1859 verheirathete er sich mit Bertha v. Klipstein aus Gießen. Daselbst und in Heidelberg studirte W. Naturwissenschaften und Medicin und wurde 1851 in Gießen zum Dr. med. promovirt. Er wurde dann für mehrere Jahre Assistenzarzt an der medicinischen Klinik in Gießen,Die Inauguraldissertation behandelt die Lehre von der Irradiation. Zunächst wandte sich W. dann der Mikroscopie zu. Als Secretär des in Gießen gebildeten Vereins für Mikroscopie erreichte er eine Einigung über das Format der Objectgläser. Bis dahin hatte fast jeder Forscher sein eigenes Format, es gab lange und kurze, breite und schmale und die verschiedensten Combinationen dieser Dimensionen. Dieser Zustand erschwerte nicht nur die Aufbewahrung, die gesicherte Handhabung in den Laboratorien, sondern auch den Austausch von Präparaten der Mikroscopiker unter einander. Die Vortheile einer Einigung waren so ersichtlich, daß das sog. Gießener Format sich sehr bald in ganz Deutschland Eingang verschaffte und erst dann durch ein größeres ersetzt wurde, als es nothwendig und möglich ward, eine Anzahl von auf einanderfolgenden Serienschnitten auf einem Objectglase zu vereinigen. Diese Aufgabe wurde durch das Mikrotom gelöst. Es war von Oschatz[WS 2] (1856) für Pflanzenhistologie erfunden und von W. für thierische Gewebe adaptirt. Es war das Object in einem hohlen Metallcylinder eingeschlossen, wurde durch eine Schraube aufwärts und abwärts bewegt; der Cylinder war oben mit einem kleinen durchbohrten Metallteller versehen, auf dem ein Rasirmesser gleiten konnte.
W. beschäftigte sich ferner mit Blutuntersuchungen und reducirte die Blutmenge des Körpers auf calorimetrischem Wege auf ein viel geringeres Maß, als damals angenommen zu werden pflegte, bestimmte auch die Anzahl der Blutkörperchen im Kubikcentimeter und durch sorgfältige Messungen ihre Form. Dies führte zu Nachbildungen der Gestalt in großem Maßstabe, und diese Gipsmodelle von Blutkörperchen verschiedener Thiere haben eine sehr weite Verbreitung erlangt.
Die Entdeckung der Färbbarkeit isolirter Ganglienzellen und Arzneicylinder durch Karmin schloß sich noch naturgemäß an diese Blutuntersuchungen.
Aus der Fertigstellung des anatomischen Instituts in Halle a. S. folgte die Aufgabe, eine schöne und lehrreiche Sammlung von wissenschaftlichen und Demonstrationspräparaten herzustellen, die W. in vorzüglicher Weise gelöst hat. Instructiv waren besonders Trockenpräparate, z. B. vom Arm, an dem die Nervenvertheilung durch verschiedenfarbige Zwirnfäden versinnlicht worden war.
Zu der Mikroscopie und descriptiven Anatomie gesellte sich für W. als drittes Thema die Anthropologie. Später stellte sich W. die Aufgabe, zu entscheiden, ob ein angeblicher Schillerschädel wirklich von Schiller herrühre und dann folgten genaue Beschreibungen der Schädel von Dante[WS 3], Kant und anderen berühmten Philosophen. Im J. 1866 vereinigte sich auf Anregung von His[WS 4] und R. Virchow[WS 5] eine Commission zur Ausarbeitung einer Vorschrift für ein einheitliches Schädelmessungsverfahren, da man unvergleichbare Resultate erhält, wenn man in beliebigen schrägen Richtungen durch den Schädel hindurchmißt. Diese, unter dem Namen der Frankfurter Verständigung bekannte [40] Vorschrift hat in Deutschland allgemeine Verbreitung gefunden. Sie beruht auf einem rechtwinkligen Coordinatensystem, dessen Horizontale, die deutsche Horizontale, vom oberen Rande der knöchernen Ohröffnung zum unteren Rande der knöchernen Augenhöhle in der Profilansicht gezogen wird. Die Verständigung umfaßt 30 Messungen, viele davon beruhen auf Compromissen in den Conferenzen der Commission, und häufig werden 1–1½ Dutzend von den 30 Nummern bei der Ausführung weggelassen, z. B. wenn kein Unterkiefer vorhanden ist. W. suchte seine Messungsresultate graphisch in Form unregelmäßiger Polygone darzustellen, was keinen Anklang gefunden hat, und trat dann der Frankfurter Verständigung bei.
Nach dem Gesagten hat W. sich auf drei sehr differenten Gebieten, nämlich als Mikroscopiker, descriptiver Anatom und Anthropologe gleichmäßig ausgezeichnet. Im Folgenden geben wir eine Uebersicht seiner Schriften.
„Beschreibung eines genauen, leicht herstellbaren mikroscopischen Meßapparates“ (Zeitschr. f. ration. Medicin Bd. X, S. 1–19. Mit einer Tafel, 1850); „Das Zahlenmikrometer, eine neue Form der auf Glas getheilten Gitter“ (Dingler’s polytechn. Journal S. 267–271, 1853); „Ueber Blutkörperchenzählung“ (Arch. f. wiss. Heilk. Bd. I, S. 161–194. Mit einer Taf., 1853); „Der Gehalt des Blutes an gefärbten Körperchen, approximativ bestimmt nach der bei methodischer Verdünnung des Blutes entstehenden Färbung“ (ebenda Bd. I, S. 195–208, 1853); „Blutkörperchenzählung und farbeprüfende Methode“ (Prager Vierteljahrsschr. Bd. XLIV, S. 11–80, 1854); „Bestimmungen der Menge des Körperblutes und der Blutfärbekraft, sowie Bestimmungen von Zahl, Maß, Oberfläche und Volum des einzelnen Blutkörperchens bei Thieren und bei Menschen“ (Zeitschr. f. ration. Med., N. F. Bd. VIII, S. 225–255. Mit 2 Taf., 1857); „Ueber die Ausmessung des senkrechten Durchmessers mikroscopischer Objecte und über die Ermittelung der chemischen Qualität aus dem Lichtbrechungsvermögen“ (Eckhard’s Beiträge z. Anat. u. Physiol. Bd. II, H. 2, S. 45, 1859); (mit Schweigger-Seidel,) „Verbreitungsgrenzen der quergestreiften und glatten Muskulatur im menschlichen Schlunde“ (Arch. f. path. Anat. u. Physiol. Bd. XXI, S. 455, 1861); „Untersuchungen über Wachsthum und Bau des menschlichen Schädels’“ (Lpz., Th. I, Fol. I–XVI, S. 1–148. Mit 17 Taf., 1862); „Kraniologische Mittheilungen“ (Arch. f. Anthropol. Bd. I, S. 81–160. Mit 3 Taf., 1866); „On the skull of Dante“ (Anthropol. review, Januar 1867. Auch deutsch unter der Aufschrift „Der Schädel Dante’s“ im Dante-Jahrbuch für 1867, 1867); „Die Füße der Chinesinnen“ (ebenda Bd. V, S. 133–152. Mit 4 Fig., 1872); „Modelle zur Erläuterung der Form, des Volums und der Oberflächenentfaltung der rothen Blutkörperchen der Wirbelthiere“ (Arch. f. mikrosc. Anat. Bd. VIII, S. 472–480, 1872); „Mittheilungen über die Anatomie des Hüftgelenkes“ (Sitzungsber. d. naturforsch. Gesellsch. zu Halle, 27. April 1872); „Ueber das Hüftgelenk nebst einigen Bemerkungen über Gelenke überhaupt, insbesondere über das Schultergelenk“ (Zeitschr. f. Anat. u. Entwicklungsgesch., hsg. von His u. Braune, Jahrg. 1875, S. 41–79); „Ueber Pronation und Supination des Vorderarmes“ (Arch. f. Anat., Phys. u. wiss. Med., hsg. von Reichert u. Du Bois-Reymond, Jahrg. 1875, S. 1 bis 26. Mit 1 Taf., 1875); „Nachweis eines Ligamentum interarticulare (teres) humeri, sowie eines Lig. teres sessile femoris“ (Zeitschr. f. Anat. u. Entwickelungsgesch. Bd. II, S. 98–107. Mit Holzschn., 1876); „Zur Anatomie des Ligamentum teres femoris“ (ebenda Bd. II, S. 231–235. Mit Holzsch., 1876); „Die neue anatomische Anstalt zu Halle, durch einen Vortrag über Wirbelsäule und Becken eingeweiht“ (Arch. f. Anat. u. Physiol., Anat. [41] Abth. S. 161–192, 1881); „Die Asymmetrien der Nase und des Nasenskelettes. Beiträge zur Biologie“, als Festgabe dem Anatomen und Physiologen Th. L. W. v. Bischoff zu seinem 50jähr. medic. Doctorjubiläum gewidmet von seinen Schülern. 8. Abth., S. 317–349. Mit 7 Holzschn., 1882); „Die morphologische Bedeutung des ersten Daumengliedes“ (Preisvertheilungsprogr. d. Univ. Halle. 18 S., mit 1 Taf., 1884); „Der Schädel Raffael’s[WS 6] und die Raffael-Porträts. Sendschreiben an Herrn Geh. Rath Prof. Dr. Schaafhausen“ (Arch. f. Anthrop. Bd. XV, H. 4. Mit 2 Taf., 1884); „Die Kapacität und die drei Hauptdurchmesser der Schädelkapsel bei den verschiedenen Nationen“ (ebenda Bd. XVI, S. 1–159, 1885); „Die Abstammung der Bevölkerung von Socotra“ (Verhandl. d. 5. deutschen Geographentages zu Hamburg S. 92, 1885); „Zur Kritik des Schiller-Schädels. Ein Beitrag zur kraniologischen Diagnostik“ (Arch. f. Anthrop. Bd. XVII, S. 19 bis 60, 1887); „Die Dauerhaftigkeit des Desseins der Riefchen und Fältsehnen der Hände“ (Arch. f. Anthrop. Bd. XXV, H. 1 u. 2, S. 29–32. Mit 2 Holzschn., 1897); „Die Zugehörigkeit eines Unterkiefers zu einem bestimmten Schädel, nebst Untersuchungen über sehr auffällige, durch Auftrocknung und Wiederanfeuchtung bedingte Größen- und Formveränderungen des Knochens“ (Archiv für Anthropol. Bd. XXVII, S. 37 u. f., 1900); „Gewichtswerthe der Körperorgane bei den Menschen und den Thieren. Ein Beitrag zur vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte“. Nach dem Tode des Verfassers geordnet und eingeleitet von Alexander Brandt[WS 7] (ebenda Bd. XXVIII, H. 1 u. 2, S. 1–3, 1903).
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Bernhard Solger (1849–1935), außerordentlicher Professor in Halle, dann Greifswald; siehe Wikipedia.
- ↑ Adolph Friedrich Oschatz (1812–1857), Schüler und Laborassistent von Johann von Purkinje.
- ↑ Dante Alighieri (1265–1321).
- ↑ Wilhelm His, der Ältere (1831–1904), Professor der Anatomie und Physiologie in Basel, später Professor der Anatomie in Leipzig.
- ↑ Rudolf Virchow (1821–1902), Professor der Pathologie in Berlin.
- ↑ Raffaello Santi (1483–1520).
- ↑ Alexander Julius von Brandt (Александр Федорович Брандт; 1844–1932), Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie in Charkow.
- ↑ Pieter Harting (1812–1885), Professor in Utrecht.