ADB:Waldschmidt, Johann Jakob (reformierter Prediger)
[722] genoß er von seinem elften Jahre an den Unterricht des Pfarrers Georg Heinrich Hartmann zu Niederbeisheim bei Homberg, dann besuchte er von seinem sechzehnten Jahre an das Hersfelder Gymnasium und bezog in seinem zwanzigsten Lebensjahre die Universität Rinteln, um Theologie zu studiren. Nach vierjährigem Aufenthalte daselbst zog er nach Bremen und sodann nach Danzig, wo er unter der Anleitung des Pastors Dr. Adrian Pauli sich weiter ausbildete. Um in den orientalischen Sprachen weiter zu studiren, hielt er sich hierauf einige Zeit in Marburg auf, wo er unter Samuel Andreae 1685 vertheidigte: Disputatio theologica, qua disquiritur, an doctrina reformatorum sit damnabilis et cum detrimento salutis conjuncta? Sodann verweilte er noch anderthalb Jahre in Utrecht und Leiden. An ersterem Orte hörte er mit Fleiß Witsius, an letzterem Spanheim. Nach seiner Rückkehr wurde er 1687 Feldprediger bei den hessischen Truppen, mit denen er nach Ungarn und später an den Rhein zog. Im J. 1690 erhielt er die bei der Stadt Fritzlar im Amte Gudensberg gelegene Pfarre Geismar mit dem Filiale Haddamar, welche er bis zu seinem Tode 50 Jahre und 5 Monate lang bediente. Er erreichte ein Alter von 86 Jahren und 2 Monaten weniger 2 Tagen, wie der Eintrag im dasigen Kirchenbuche besagt, welches ihn einen treufleißigen Prediger nennt. Von seinen Söhnen wurde Johann Christoph Pfarrer in Grebenau und später in Breitenau. Ein Enkel dieses, der letzte W., starb 1868 als Prediger von Niederzwehren.
Waldschmidt: Johann Jakob W., reformirter Prediger, berühmt als Apologet der reformirten Kirchenlehre von der Prädestination, geboren am 1. März 1655 zu Rengshausen, hessen-kasselschen Amtes Rotenburg, † am 10. Mai 1741 zu Geismar bei Fritzlar. Als Sohn eines achtbaren HandelsmannesDie Nähe des bis 1803 mainzischen Fritzlar, in welchem kein Evangelischer geduldet wurde, brachte manche Unzuträglichkeiten für die Reformirten Geismars mit sich. Veranlaßt durch Conversionsversuche an seinen Gemeindegliedern gab W. heraus: „Sandgrund der Römischen Kirche und Ehre der H. Schrift sammt einer kurzen Antwort auf die heutigen Römischen Streitfragen durch Gegenfragen und einem bescheidenen Untersuchen: ob ein Reformirter (wenn er auch selbst der Römischen Lehre folgt) zu der Römischen Kirche mit gutem Gewissen könne übergehen. Alles aus Joh. Sylvii, gewesenen Dieners des H. Evangelii in Amsterdam, niederdeutschen Schrift gezogen, und in diese Verfassung bracht“. (Kassel 1699.) Zwölf Jahre später, nämlich 1711, schrieb er gegen die durch die Neologie des Theologen Johannes Coccejus aufgebrachte Geringschätzung des Alten Testamentes die theologisch bedeutsame Schrift: „Gottselige Gedanken und Schriftmäßige Erklärung über das Sendschreiben des Apostels Pauli an die Galater, darinnen nicht allein der Brief vor sich vollständig, sondern auch weitläufig erkläret und angewiesen wird, was der Sinaitische Bund oder das Alte Testament eigentlich gewesen, welches bisher noch nicht genug erklärt und verstanden worden, und wie man nach dem Sinne des Apostels das Wort Gesetze, ohne dessen rechten Verstand dieser Brief unmöglich recht erklärt werden kann, nehmen müsse.“ Auch gegen die sogenannte philadelphische Gemeinde, welche damals ihr Unwesen in Hessen trieb, fand er Ursache, durch Wort und Schrift aufzutreten, vornehmlich gegen die von derselben mit Vorliebe betriebene Irrlehre von der sogenannten Wiederbringung aller Dinge in: „Kurtze Rettung dreyer Stellen H. Schrift: Actor. 3, 21; 1. Petr. 3, 19. 20; Apok. 20, 13–15“ (Kassel 1714), sowie zwei Jahre später in: „Das von Jesu Christo aller Welt zu predigen befohlene wahre ewige Evangelium aus dem Worte Gottes wiederholet, dem von Georg Paul Siegvolck aufgesetzten Ewigen Evangelio entgegengesetzt.“
Was aber am meisten in der theologischen Litteratur W. einen Namen sicherte, sind seine Vertheidigungsschriften der Prädestinationslehre der reformirten Kirche gegen den Universalismus des Professors Joachim Lange zu Halle. Der durch seine Vorliebe für den Militarismus bekannte König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, [723] der sich, ohne das rechte Verständniß für innerkirchliche Fragen zu besitzen, aus politischen Rücksichten manche Uebergriffe auf kirchlichem Gebiete als Summepiscopus erlaubte, hatte einen förmlichen Haß gegen die Prädestinationslehre, welche doch ein solches Charakteristicum der reformirten Kirche, der er angehörte, bildet, daß diese selbst ohne solche gar nicht gedacht werden kann. Da ihm das Verbot, dieselbe in den Kirchen zu lehren, nicht genügte, so trachtete er darnach, sie durch Schriften in ihrer vermeintlichen Haltlosigkeit hinstellen zu lassen. Der genannte Lange wurde daher befohlen, eine Schrift für die sogenannte allgemeine Gnade zu schreiben. Dieser, bereits durch seine Streitschriften für die Pietisten gegen den Philosophen Christian Wolff bekannt, die ihn, nach L. Pelt, als einen streitbaren Theologen von mehr Gelehrsamkeit als Urtheil, mehr Gefühl als klarem Verstande zeigten, dem es bei manchen scharfsinnigen Einfällen doch gar sehr an Methode gebricht, schrieb in der dogmatischen Zerfahrenheit des Pietismus: „Die Evangelische Lehre von der allgemeinen Gnade, aus der heil. Schrift, mit Beistimmung der gesunden Vernunft, gründlich erwiesen und hernach wider die Einwürfe gegründet und befestiget, mit hinzugefügter Anweisung zu würdigem Gebrauch, auf allergnädigst Königliche Veranlassung vorgetragen“ (Halle 1735). Auf den Befehl des Königs mußte diese Schrift für alle Kirchen seiner Lande angekauft werden, was nicht ohne vielfachen Aerger seitens der Reformirten geschah. In den nichtpreußischen Staaten, besonders in dem reformirten Hessen-Kassel, nahm man großen Anstoß an derselben. Hier schrieb der bereits hochbetagte W. aus eigener Anregung, aus Liebe zu seiner Kirche und nicht commandirt von seinem Landesherrn, folgende Gegenschrift: „Die heilsame Gnade Gottes aus der heil. Schrift vorgestellet, mit Verwerfung der sog. allgemeinen Gnade von Herrn Dr. J. Langen in einer Schrift vorgetragen, und mit gründlicher Widerlegung dessen vorgebrachter Beweisgründen, aufgesetzt“ (Marburg 1735). W. zeigte mit der Reife des Urtheils, wie sie vor allem dem Alter eignet, wie nicht nur die ganze Heilige Schrift die Prädestinationslehre enthält, sondern auch wie die ganze Reformationsbewegung, auch die von Luther ausgegangene, prädestinationischen Gepräges war, und nur deßhalb auch auf die Rechtfertigungslehre allein aus Glauben, gegenüber der römischen Werkgerechtigkeit führte, und widerlegte Lange’s Deductionen auf das gründlichste. Friedrich Wilhelm I. aber, der keinen Widerspruch ertragen konnte und aufs höchste durch diese Schrift des hessischen Predigers erbittert war, befahl Lange, sofort gegen dieselbe zu schreiben. Dieser ließ hierauf erscheinen: „Fester Grund der evangelischen Hauptlehre von der allgemeinen Gnade Gottes in bescheidener Prüfung der derselben von dem Herrn J. J. W. entgegengesetzten Schrift, die heilsame Gnade genannt, erwiesen von D. J. L.“ (Halle 1735). Diese zweite Schrift Lange’s rief nicht bloß eine alsbaldige „Widerlegung des sogenannten festen Grundes“ (Marburg 1735) durch W. selbst hervor, sondern auch seitens zweier anderer hessischen Theologen, eines Joh. Phil. Spitz: „Evangelische Lehre von der nicht allgemeinen Gnade“ (Frankfurt 1735) und eines Georg Heinsius aus der Niedergrafschaft Katzenelnbogen: „Sendschreiben an seinen Timotheus von der Gnade Gottes“ (Marburg 1736). Der Streit gewann immer größere Dimensionen. Dadurch, daß Professor Johann van den Honert zu Leiden die erstgenannte Schrift Waldschmidt’s, übersetzt von Isaac le Long, 1737 zu Amsterdam mit einer Vorrede erscheinen ließ, verbreitete sich derselbe auch auf den niederländischen Boden und rief daselbst mehrere Arminianer und Lutheraner auf den Kampfplatz.
- J. J. Moser, Beitrag zu einem Lexico der jetztlebenden luth. und ref. Theologen. – Acta hist. eccles. v. 1735 ff. – Strieder, Hess. Gelehrtengesch. – Herzog, Realencycl. – Schröckh, Christl. Kirchengesch. seit der Reformation. [724] 8. Theil. – J. R. Schlegel, Kirchengesch. des achtzehnten Jahrh. II. – F. Frensdorff, Briefe König Friedrich Wilhelm’s I. an Hermann Pauli. Göttingen 1893. – H. Heppe, Kirchengesch. beider Hessen. – Handschriftl. Familiennachrichten.