ADB:Wagner, Ernst Leberecht
Ernst Heinrich und Eduard Weber seine Lehrer in der Anatomie und Physiologie, Wunderlich in der Klinik und Bock in der pathologischen Anatomie waren. Später vertauschte W. Leipzig mit Prag und [490] Wien, wo er besonders Oppolzer, Skoda, Hamernjk und Rokitansky hörte. 1852 bestand W. in Leipzig die ärztliche Prüfung und erlangte ebendaselbst die Doctorwürde mit der Dissertation: „Nonnulla de aneurysmate dissecante“, in der er einen auf Oppolzer’s Klinik beobachteten Fall mittheilt, dessen pathologisch-anatomische Untersuchung von Rokitansky geleitet wurde. Nachdem W. einige Jahre in Leipzig als Arzt (nur sehr mäßig) beschäftigt gewesen war, habilitirte er sich 1855 als Privatdocent an der Leipziger medicinischen Facultät speciell für das Fach der pathologischen Anatomie. Er beschäftigte sich eingehend mit mikroskopischen Forschungen und wurde, da sein Lehrer Bock sich mehr auf die makroskopische Beobachtung beschränkte, der erste Vertreter der pathologischen Histologie an der Leipziger Universität. Als Resultat der Arbeiten jener Zeit publicirte er zunächst eine Monographie über den Gebärmutterkrebs (Leipzig 1858), worin er die Ergebnisse fünfjähriger, namentlich auf die pathologische Histologie dieses Leidens gerichteter Untersuchungen, zusammenfaßte. 1860 wurde W. zum außerordentlichen, 1862 zum ordentlichen Professor der allgemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie ernannt. In dieser Stellung wirkte er, bis er nach dem Tode des Klinikers Wunderlich als dessen Nachfolger 1877 die bereits während der Erkrankung seines Vorgängers vorher versehene Professur der speciellen Pathologie und Therapie bezw. das Directorat der medicinischen Klinik übernahm, während an seiner Stelle Cohnheim als pathologischer Anatom berufen wurde. W., der nach längerer Krankheit an chronischer Nierenentzündung am 10. Februar 1888 als Geheimer Medicinalrath zu Leipzig starb, gehört zu den hervorragenderen Forschern der Neuzeit. Insbesondere sind seine Leistungen auf dem Gebiet der pathologischen Anatomie und Klinik ebenso zahlreich als verdient. Außer der oben erwähnten Monographie veröffentlichte er in dem von Wunderlich, Griesinger und Roser geleiteten Archiv für physiologische Heilkunde, sowie in dem von 1860–78 von ihm selbst redigirten „Archiv der Heilkunde“ zahlreiche größere und kleinere pathologisch-anatomische Arbeiten über Structur und Histiogenese der verschiedenen Formen des Carcinoms und anderer Geschwülste, Colloidmetamorphose, Fettentartung, Amyloiddegeneration, Fettembolie, Beiträge zur Kenntniß der Phosphorvergiftung, über Syphilis u. s. w. Der von W. für die specifisch syphilitischen Neubildungen in die Wissenschaft eingeführte etwas barbarisch klingende Name „Syphilom“ wird von Virchow und den Anhängern der Berliner Schule verworfen, statt dessen der alte Name der Gummigeschwulst vorgezogen. Von klinischen Arbeiten Wagner’s sind besonders zu nennen seine Untersuchungen über Diphtheritis und Croup, über Epithelblutungen, über Endothelkrebs der Pleura, über das tuberkelähnliche Lymphadenom, über Intestinalmykose und ihre Beziehung zum Milzbrand. Am meisten bekannt und populär ist Wagner’s Name durch das zusammen mit dem verstorbenen Uhle (s. d.) bezw. aus dessen Nachlaß herausgegebene „Handbuch der allgemeinen Pathologie“ (Leipzig 1862, 7. Auflage ebd. 1877), ein Werk, das wegen seiner übersichtlichen Anordnung, knappen Fassung bei reichhaltigen litterarischen Angaben s. Z. sich großer Beliebtheit erfreute und manche Vorzüge vor ähnlichen Werken in der That besitzt, wenn es jetzt auch allerdings bereits veraltet ist. – W. war ein ausgezeichneter Lehrer, vorzüglicher Diagnostiker, beliebter Arzt, dessen Tod nicht bloß eine empfindliche Lücke in dem Lehrkörper der Leipziger Universität gerissen, sondern aufrichtige Trauer in dem engeren und weiteren Bekanntenkreise hervorgerufen hat.
Wagner: Ernst Leberecht W., Arzt, pathologischer Anatom und Kliniker, wurde am 12. März 1829 als der Sohn eines tüchtigen Landwirths in Dehlitz bei Weißenfels geboren. Im siebenten Lebensjahre fand er im Hause seines Oheims, des praktischen Arztes Dr. Bernhard in Borna Aufnahme, wo in dem Knaben zuerst die Neigung für den ärztlichen Beruf erwachte. Nach Absolvirung des Gymnasiums in Zeitz bezog W. 1848 die Leipziger Universität zum Studium der Medicin, wo die Gebrüder- Vgl. Birch-Hirschfeld in Deutsche Medicinische Wochenschrift 1888. XIV p. 217–219.