ADB:Virgil
Baiernherzogs Odilo (Oatilo), der damals dem Frankenherrscher Pipin sich unterwerfen mußte (743), sei ein weiser und gelehrter Mann aus Hibernien (Irland), Namens Virgilius, zu dem vorgenannten Könige nach Quiercy (Carisiacum) in Francien gekommen. Dieser behielt ihn aus Liebe zu Gott fast zwei Jahre bei sich, und [12] da er seine Rechtgläubigkeit erkannte, so sandte er ihn an den vorgenannten (wieder eingesetzten) Herzog Odilo und übertrug ihm das Salzburger Bisthum“.
Virgil, Abt-Bischof von Salzburg, † am 27. November 784. – Die älteste Quelle der Geschichte Salzburgs und des südöstlichen Alpenlands (libellus de conversione Bajoar. et Carunt. c. 2) erzählt, „in den Zeiten desJedenfalls bekleidete der gelehrte und thatkräftige Iroschotte geraume Zeit die Würde eines Abtes des S. Peterklosters in Salzburg, mit welcher auch die Wirksamkeit eines Sprengelbischofs verbunden war, denn erst im J. 767 ließ er sich förmlich zum Bischof weihen, was die äußerliche Trennung der S. Peterabtei vom Bisthum zur Folge hatte und in dem gleichzeitigen Aufbau der Domkirche auch zum Ausdruck gelangt, ohne den alten Verband in kirchlicher Beziehung ganz aufzuheben. Schon in die Zeit des Aufenthaltes im Frankenreiche, am Hofe Pippin’s, fällt ein Conflict des freier denkenden iroschottischen Mönches mit dem formstrengen Schöpfer der deutschen Nationalkirche, dem Angelsachsen Winfrid-Bonifacius. V. und sein Genosse, Sidonius (nachmals Bischof von Passau) beschwerten sich beim Papste, daß sie Bonifacius wegen der von einem jungen Geistlichen bei der Taufe grammatikalisch schlecht gesprochenen Lateinformel zu einer Wiedertaufe anhalten wolle. Der Papst trug dieser Beschwerde auch Rechnung, wie aus seinem Briefe an Bonifacius hervorgeht. Dieser Gegensatz der Principien und persönlichen Bestrebungen zeigt sich auch zur Zeit der ersten Wirksamkeit Virgil’s in Salzburg. Da klagte Bonifacius dem römischen Stuhle, daß V. den Baiernherzog Odilo wider ihn aufreize. Der Papst erklärt hierauf (1. Mai 748), was diesen Virgilius („wir wissen nicht, ob er als Priester gelte“) betreffe, so sei es unwahr, daß ihm der römische Stuhl ein in Baiern erledigtes Bisthum übertragen hätte, und zwar nach dem Ableben eines der vier von Bonifacius als Mainzer Metropolitan dort bestellten Kirchenfürsten (Passau, Regensburg, Freising und Salzburg). Sollte sichs aber herausstellen, daß V. lehre, „es gebe noch eine zweite Erdenwelt und andere Menschen unter dem Erdrunde gleichwie eine (andere) Sonne und einen (andern) Mond“, so sollte man ihn auf einer Kirchenversammlung von der Gemeinschaft der Gläubigen ausschließen und der priesterlichen Würde entkleiden. Auch habe der Papst selbst an den Baiernherzog geschrieben und ihn ersucht, den V. nach Rom zu senden, damit seine Lehre genauer untersucht würde. Der Papst habe überdies gelesen, was ihm Bonifacius über Sidonius und V. mitgetheilt, und beiden eine ernstliche Mahnung zukommen lassen. Er möge überzeugt bleiben, daß man ihm mehr als ihnen glaube, und sie nach Rom citiren werde.“ … Wir wissen, daß Bonifacius auf seiner dritten Rückreise aus Rom der Einladung Hz. Odilo’s folgend die vier bischöflichen Kirchen des Baiernlandes nach seinem Ermessen einrichtete und besetzte, und daß diese Einrichtung bereits im Herbste des Jahres 739 vollendet war. Zum Bischof von Salzburg bestellte er seinen Landsmann, einen gewissen Johannes, seinen langjährigen Begleiter und Genossen.
Es scheint nun, daß V. noch bei Lebzeiten dieses Johannes die alten Gerechtsame des S. Peterklosters gegenüber der Einrichtung des Bonifacius vertrat, hierbei an dem Baiernfürsten Odilo eine Stütze fand und auch der Gunst Pippin’s sich erfreute. Heißt es doch in der Conversio, daß ihm der Frankenherrscher das Salzburger Bisthum übertragen hätte, was wohl erst nach dem Ableben jenes Johannes denkbar wäre. Jedenfalls blieb eine ernstliche Spannung zwischen dem iroschottischen Abtbischof und dem angelsächsischen Metropoliten, dem streng römisch gesinnten Reformer, und sie erklärt uns um so mehr Bonifaz’ Klage über die ketzerischen Anschauungen Virgil’s von der Beschaffenheit des Erdkörpers. Wie dunkel und unvollständig auch die bezügliche Mittheilung klingt, so steckt doch in ihr die am besten von Cicero (Acad. I. II c. 39) gekennzeichnete Theorie von den Antipoden, und das, was Plinius (hist. nat. II c. 64) von der Kugelgestalt der Erde und ihrer Bewohner rund um dieselbe darlegt, ohne daß wir in der Lage sind, die Quellen dieser, von der Kirche verpönten Erkenntnisse Virgil’s nachzuweisen.
[13] Es scheint, daß die bischöflichen Functionen vor 767 von dem Genossen Virgil’s ausgeübt wurden, den wir unter dem Namen Tuti oder Doda (nachmals Abtes von Chiemsee) kennen, während die Aufgabe, das Christenthum unter den karantanischen Slaven zu hegen, dem Wander- oder Gegendbischof (chorepiscus) Modestus zufiel. Die Seele aller Bestrebungen zu Gunsten des Besitzstands der Salzburger Kirche und der christlichen Mission in der slavischen Nachbarschaft, die damals noch über den Lungau in den Pongau eingriff, war und blieb denn doch V. Er förderte sicherlich die Gründung der ältesten Benedictinerabtei des Landes ob der Enns, Mondsee, durch Hz. Odilo, er stellte die von den Slaven im Pongau zerstörte Maximilianszelle her und bewog den lange widerstrebenden Baiernherzog das stattliche Gebiet im Pongau und Pinzgau, das Odilo seinem Caplan Ursus zugewendet, als Dotationsgut der Maximilianszelle der Salzburger Kirche auszufolgen. Seine Beziehungen zu dem Baiern schutzpflichtigen Karantanerherzog Chotimir (Cheituwar), dem Nachfolger Boruta’s und Gorazd (Cacatius), bereiteten die Schöpfung der ersten christlichen Kirchen Kärntens vor, die wir zu Mariasaal auf dem Zollfelde, auf dem Boden des verfallenen Virunum, und zu S. Peter im Holz (Freßnitz), auf dem Boden des römischen Tiburnia, erstehen sehen.
Als dem Herzog Odilo (Oatilo) sein Sohn Thassilo (III), der letzte Agilolfinger (749–788), gefolgt war, gewann die seit 769 etwa gefährdete Christianisirung Karantaniens durch die Wiederunterwerfung des Landes unter bairische Oberhoheit (772) einen neuen Halt, denn der in Karantanien eingesetzte Herzog Walduch, bat den Bischof V. um Absendung neuer Glaubensboten und hatte allen Grund, für die Festigung des Christenthums Sorge zu tragen. In den Tagen Thassilo’s lernen wir die Synoden von Dingolfing und Neuching (771) kennen und da tritt uns bereits als Bischof V. entgegen, der auch in der frommen Vereinigung, in dem sog. „Todtenbunde“ von Attigny namentlich aufgeführt erscheint. Die von V. vollzogene Uebertragung der Gebeine des h. Rupert und seiner Genossen in die neue Domkirche fällt wol dem 24. Sept. 774 zu, und von da ab beginnt eine strengere Scheidung des Bisthums und der S. Peterabtei in Hinsicht der geistlichen Verwaltung, die Einrichtung des Domstiftes, das nun die geistlichen Amtsverrichtungen besorgt, wenngleich den Mönchen der Abtei noch (bis 1139) das Recht der Seelsorge, die Betheiligung an der Bischofswahl verblieb, und die Bischöfe und Erzbischöfe erst seit 1110 die Wohnung im Kloster endgültig aufgaben. V. betrachtete sich auch noch immer als Abt von S. Peter und bestellte hier den Bertricus nur als seinen Vicar. Die Gründung des zweitältesten Benedictinerklosters Ob.-Oestreichs, Kremsmünster (777) vollzog sich unter Virgil’s Beihülfe, was auch bei dem Kl. Mattsee der Fall war. V. veranlaßte den Bischof Aribo (Arbeo) von Freising zur Abfassung der Vita Corbiniani, die ihm auch gewidmet erscheint. Er begründet ferner das geschichtlich und sprachlich hochwichtige „Verbrüderungsbuch“ des S. Peterklosters, dessen erste Eintragungen noch in seine Zeit fallen, und von ihm dürften wohl auch die frühesten Aufzeichnungen über die Gründung der Salzburger Kirche und das Leben Rupert’s angeregt worden sein, die dann hundert Jahre später dem libellus de conversione Bagoariorum et Carentanorum zu Grunde gelegt wurden. Seinen Ruhm verewigt der große Zeitgenosse, der Angelsachse Alpwin oder Alkuin, Winfrid-Bonifaz’ Landsmann, wenn er von V. (Carmen 109, 24. v. 6–7. Poet. Lat. aevi Carol. I. 340) sagt: „Er wanderte in die Fremde aus Liebe zu Christus, er verschmähte deshalb die Freuden der Welt und die Heimath, ein Mann, fromm und klug, keinem nachstehend an Frömmigkeit.“
- Bonifatii epist. h. v. Jaffé (Bibl. G. III) und Dümmler, MG. Epp. III. Libellus de conv. B. et. Carunt. (Mg. SS. XI). – Vita D. Virgilii (ebd.) [14] Ann. Juvav. majores (MG. SS. I) und Ann. S. Rudb. Salisb. (MG. SS. IX). – (Kleinmayer’s) Iuvavia. – Das Verbrüd. Buch d. Salzb. S. Petersklosters, h. von Karajan und jüngst von Herzberg-Fränkel (Necrol. MG. und Neues Arch. f. ä. d. G. XII). – Büdinger, Oe. Gesch. – A. Huber, Gesch. d. Einführung und Verbr. des Christenth. in Südostdeutschland, Salzb. 1874–75. – Rettberg, Kirchengesch. II. – v. Hefele, Conciliengeschichte III. Bd. (2. A.) 1877. – Riezler, Gesch. Baierns I. Bd. – Jahrb. des fränk. Reiches: Hahn 741–752; Oelsner 752–768; Abel-Simson I, 778–88. – Ebrard, Die iroschott. Missionskirche des 6., 7., 8. J. (1873). – Zeißberg, Arno, erster Erzb. v. Salzburg (Sitzb. d. Wiener Akad. 48. Bd.) u. d. Lit. über Bonifacius.