ADB:Unertl, Franz Xaver Joseph Freiherr von
*): Franz Xaver Josef Freiherr v. U., kurbairischer Geheimrathskanzler, geboren zu München am 21. Febr. 1675 als Sohn des damaligen Secretärs beim Visitations- und Scharwerkswesen, späteren Hofzahlmeisters Georg U. († 1712) und der Maria Regina v. Mezgern, erhielt seine erste Anstellung unterm 24. November 1696 als Hofrath auf der gelehrten Bank, woneben er am 12. Juli 1702 auch geistlicher Rath, am 9. December letzteren Jahres auch Secretär beim geheimen Rathe, sowie Verweser des geheimen Archives wurde. Die kaiserliche Administration in Baiern beließ ihm diese Aemter und fügte denselben noch (29. Juli 1706) die Pflege Teisbach hinzu. Gleich nach der Rückkehr Max Emanuel’s in sein Land wurde U. (11. April 1715) geheimer Rath, kurz hierauf (6. Juli 1715) auch Oberstlehenpropst. Als Kurfürst Karl Albrecht bald nach seinem Regierungsantritte einen „Conferenzrath“ schuf, verlieh er U. die vierte Stelle in demselben, für Landes- und Kriegsaffairen, und ernannte ihn zum Kanzler des geheimen Rathes, damit auch zum obersten Hofbibliothekar (3. März 1726). Auch Kurfürst Max III. Josef war ihm anfänglich gewogen, indem er ihn unterm 28. März 1745 als geheimen Conferenzminister bestätigte. Aber schon nach einem Jahre mußte U. das geheime Archiv abgeben und am 6. Mai 1749 wurde er als Geheimrathskanzler [768] für „emeritirt“ erklärt. U. starb, wie es scheint in ziemlicher Vergessenheit, am 22. Januar 1750 zu München.
UnertlUeber seine Geschäftsthätigkeit in Staatsangelegenheiten sowol als in fürstlichen Haus- und Familiensachen hat U. in den Jahren 1746 und 1747 eine „Vorstellung“ verfaßt, um höchsten Ortes die Bezahlung einer Menge von Auslagen und Gehaltsrückständen zu betreiben. Doch bei der überlieferten sprüchwörtlichen Verlogenheit Unertl’s ist diese Schrift sammt ihren Belegen nur mit größter Vorsicht zu benützen, nur soweit ihr Inhalt anderwärts Bestätigung findet. Der kaiserlichen Administration hat sich U. bald gefügig gezeigt. Auf die Behauptung eines Denuncianten vom 11. November 1705, daß der ältere und jüngere U. regierungsfeindlich seien, ist nur wenig zu geben. Letzterer nahm bereits an der Untersuchung gegen die im Weihnachtsaufstande (1705) Gefangenen theil. Nichts aber würde sein Verhalten schärfer bezeichnen, als wenn ihm thatsächlich, wie er angibt, die Kaiser Josef I. und Karl VI. in den Jahren 1709 und 1714 eine nach beendeter Administration anzutretende Reichshofrathsstelle verliehen hätten. Vollends undenkbar wäre es hiernach, daß er im Ernste das geheime Archiv vor den Oesterreichern versteckt gehalten, worüber er ein albernes Mährchen aussann. Gegen das Ende der Fremdherrschaft suchte U. sich wieder an seinen alten Herrn zu drängen. Von diesem wurde er auch im Spätjahr 1714 beauftragt, wegen einer wittelsbachisch-habsburgischen Heirath am Wiener Hofe Schritte zu thun. Ende März 1715 reiste U. dem Kurfürsten Max Emanuel nach Straßburg entgegen und war auf der Heimkehr am 6. April im schwäbischen Kloster Elchingen, als dortselbst der Kurfürst seine drei ältesten Söhne zum ersten Male wiedersah. Eine etwas interessantere Rolle spielte U. unter dem Regierungsnachfolger. Dem Lieblingswunsche Karl Albrecht’s, wittelsbachisches Erbrecht auf die österreichischen Länder beim Erlöschen des habsburgischen Mannsstammes geltend zu machen, hat U. durch wiederholte Ausführung dieses Rechtsanspruches gedient. Das bairische Reichstagsvotum gegen die Anerkennung der pragmatischen Sanction hat U. angeblich verfaßt; sicher ist, daß er es am 18. December 1731 im Kurfürstencollegium abgab. Im Sommer 1732 wurde dann unter Unertl’s Leitung eine umfangreiche Deduction jenes Successionsrechtes ausgearbeitet. Diese mußte U. auf einer mit dem Kurfürsten unternommenen Reise am pfälzischen und kölnischen Hofe vortragen und erläutern (1732/33). Nochmals, am 25. April 1741, legte U. eine Deduction über des Kurhauses Baiern Successionsrecht auf die Königreiche Ungarn und Böhmen u. s. w. seinem Herrn vor, und dieses schwerfällige, wennschon nicht unverdienstliche Werk gelangte, nachdem es Ickstatt, der gewöhnlich als sein Verfasser gilt, überarbeitet hatte, 1741 in die Oeffentlichkeit.
U. verehelichte sich im J. 1698 mit einer Augsburger Kaufmannstochter Cardon, 1715 mit einer Enkelin des Geheimraths-Kanzlers Kaspar v. Schmid, jenes Amtsvorgängers, dem er, wie ein Zeitgenosse schreibt, an Gelehrsamkeit nachstand, an Listen und Schlauheit aber weit überlegen war. Aus beiden Ehen hatte er mehrere Töchter und einen Sohn Georg Philipp, der 1735 als Geistlicher starb. U. selbst wird manchmal mit einem jüngeren Bruder, dem Landschaftskanzler Johann Benno v. U. († 1754) verwechselt.
Unertl’s obenerwähnte „Vorstellung“ ist, wie ich glaube, nach der Redaction von 1746, die für den Kurfürsten Max III. bestimmt war, durch v. Freyberg im II. Bande seiner Sammlung historischer Schriften und Urkunden (1828) unter dem Titel „Denkwürdigkeiten des Kantzlers von Unertl“ mit vielen Fehlern herausgegeben worden; eine auch sehr fehlerhafte und eine etwas bessere Abschrift der Redaction von 1747, die U. dem Cardinale Theodor Johann von Baiern übersandte, sind als Cod. germ. 1947 auf der kgl. Hof- und Staatsbibliothek, [769] sowie als Handschrift K. gr. 96/1 im kgl. geheimen Staatsarchive zu München verwahrt. – Von Unertl’s Gebahren im persönlichen Verkehre und Intriguirkunst (1738) gab der ansbachische Diplomat Freiherr v. Seckendorf in seinem Journal secret (Tübingen 1811) eine lebhafte Schilderung. Unertl’s Porträt wurde 1733 von Vivien gemalt und von C. Kaufmann in Kupfer gestochen.
[767] *) Zu S. 280.