ADB:Theudebert II.
Theuderich II. (a. 596–613), meroving. Frankenkönige, Söhne Childibert’s II. (s. den Stammbaum S. 735) und [731] der Faileuba; Th., geb. 586, folgte als zehnjähriger Knabe seinem Vater, der, geb. 571, nach der verderblichen Unsitte der späteren Merovingen schon mit 14 Jahren vermählt, mit 15 Jahren Vater war: [solche Früh-Ehen haben ganz erheblich dazu beigetragen, daß diese von Knaben gezeugten Prinzen fast nie mehr das 30. Jahr erreichten, auch Childibert II. starb im 25. Jahre], in der Herrschaft über Austrasien mit der Hauptstadt Metz, während sein neunjähriger Bruder Theuderich II. (geb. 587) Burgund mit der Hauptstadt Orléans erhielt. Die Herrschaft führte für beide die kraftvolle Großmutter Brunichildis (s. A. D. B. III, 442), der man in der Gleichstellung mit Fredigundis schwerstes Unrecht thut: während diese in zahllosen Morden und anderen Verbrechen lediglich ihrer Selbstsucht fröhnte, verfolgte Brunichildis mit wahrhaft staatsmännischer Einsicht und Kraft das hohe Ziel, den verderblich die Krone überragenden junkerhaften Dienstadel zu bändigen, dessen Leidenschaften das Reich zerrissen; nur selten hat sie als Mittel zu diesem Zweck, nach der Sitte der Zeit, zumal im Merovingenreich, zu blutig dem Hochverrath zuvorkommender Gewalt gegriffen. Ob übrigens der Adel beider Reiche damals Brunichildens Regentschaft als Muntwaltin formell anerkannt hat, ist zweifelig. Die einzige Urkunde, in der sie und Theuderich „reges“ genannt werden, ist falsch. Die Abgrenzung von Austrasien und Burgund geschah gemäß den Festsetzungen des Vertrages von Andelot (s. die Artikel Childibert II. und Guntchramn und Dahn, Urgeschichte III, S. 424) vom 28. November 587, nur daß das Elsaß (dies ist die früheste Nennung des Namens) Theuderich, der hier erzogen war, zugesprochen ward. Sofort fiel Fredigundis (s. A. D. B. XIX, 225) mit ihrem 13jährigen Sohn Chlothachar II. die alte Feindin Brunichildis an, wie es scheint, ohne Kriegserklärung (ritu barbarico), nahm Paris und andere Städte (vermuthlich Soissons, Laon, Sens und Chartres) und schlug die vereinten Austrasier und Burgunden bei Latofao (Laffaux, Department de l’Aisne, zwischen Soissons und Laon). So in Gallien schwer bedrängt, konnten die Brüder sich nicht gegen die Avaren wenden, die seit langer Zeit wieder einmal einen ihrer Raubzüge unternommen und von Pannonien (Ungarn) aus bis Thüringen gestreift hatten: um Geld ward der Rückzug der Unholde erkauft. Auch als im folgenden Jahre (597) Fredigundis starb, erlosch doch keineswegs mit dieser Hauptanstifterin alles Unheils der innere Hader. Zwar ließ Brunichildis einen der Führer des aufsässigen austrasischen Adels, Herzog Wintrio, hinrichten (598), allein im folgenden Jahre (599) siegte der Einfluß dieser Aristokratie am Hof ihres Enkels zu Metz so völlig, daß sie vertrieben aus seinem Reiche flüchten mußte; ihre völlige Verlassenheit fand Ausdruck in der Sage, wonach die Hilflose ein armer Mann auf freiem Felde bei Arcis sur Aube getroffen und sie zu ihrem anderen Enkel Theuderich nach Burgund gebracht haben soll, aus Dankbarkeit habe sie ihn später zum Bischof von Auxerre erhoben. Unentmuthigt nahm sie auch hier den Kampf wider die Ueberhebung des Adels auf; es scheint, daß sich dabei die aus dem mehr romanisirten Spanien stammende Gothin auf die Romanen stützte, die der Herrschaft eines Weibes weniger als die Germanen widerstrebten; wenigstens sind die von ihr in die höchsten Aemter am Hofe Theuderich’s beförderten Männer sämmtlich Romanen. Im folgenden Jahre (600) vereinten sich die beiden Brüder, ihrem Vetter Chlothachar II. den Raub von 596 wieder abzujagen: sie zogen von Norden und von Süden her auf Paris und warfen die Neustrier bei Dormelles an der Orvanne südwestlich von Montereau, wo diese zur Deckung der Stadt in dem Winkel zwischen Loing und Seine eine Vertheidigungsstellung eingenommen hatten. Schwer geschlagen, mußte Chlothachar nicht nur das vor 4 Jahren Gewonnene, sondern den größten Theil seines Reiches abtreten, nämlich an Theuderich alles Land zwischen der Seine im Nordwesten, der Loire im Südwesten, dem Meer im Norden [732] und der Bretagne im Westen, an Theudebert das Gebiet zwischen der Seine im Südwesten der Oise, im Nordwesten bis an das Meer, den sogenannten „ducatus Dentelini“ (nicht nach einem – unbezeugten – Herzog und erfundenen Heiligen Dentelin, sondern nach dem Flüßlein Andelle benannt, de Andella). Nur zwölf Gaue waren Chlothachar geblieben. Der lange Kampf zwischen Sigibert I. und Chilperich’s Geschlecht schien mit des Letzteren Unterliegen entschieden: der Sohn Fredigundens war bis zur Ohnmacht geschwächt; niemand konnte damals ahnen, daß eine Reihe von Zufällen, zumal aber die Selbstsucht und der Verrath des Adels in den beiden Reichen der Sieger und deren Zwietracht in 12 Jahren Chlothachar zum Alleinherrscher des Frankenreiches machen würden. Zunächst hielten die Brüder noch zusammen: gemeinschaftlich unterwarfen und beherrschten sie (602) durch Herzog Genialis die Basken im Südwesten Galliens. Im gleichen Jahre ward dem höchstens 14jährigen Knaben Theuderich von einer Buhle ein Sohn, Sigibert, und 603 von einer anderen ein Sohn, Childebert, im Jahre 604 von einer dritten ein Sohn, Corbus, geboren; gleichzeitig beschenkte er reich die Kirche des Grabes der durch ein Wunder aufgefundenen Leiche Sanct Victors, der zu der fabelhaften thebaischen Legion (angeblich decimirt a. 287) gehört haben sollte. Während Brunichildis eifrig mit Papst Gregor dem Großen Briefe wechselte, zumal behufs Ausrottens der Simonie, führte sie den Kampf gegen den Dienstadel fort; wie in Theudebert’s Reich wurden in Burgund hervorragende Führer desselben hingerichtet oder – nach stark sagenhafter Ueberlieferung – in den Tod geschickt (603/604). Chlothachar wollte das vor vier Jahren Verlorene wiedergewinnen und nahm in plötzlichem Ueberfall Paris, ward aber bei Etampes (604) (südwestlichen von Paris an der Juine) von Theuderich geschlagen, der Paris zurückgewann; nun vermittelte bewaffnet Theudibert den Frieden zwischen beiden; vielleicht, weil er seinen Bruder nicht nach völliger Vernichtung des Vetters allzu mächtig werden lassen wollte. Brunichildis ersetzte den in dieser Schlacht gefallenen (germanischen) Hausmeier Berthoald durch (einen romanischen) Protadius, der, wie damals die majores domus kräftiger Herrscher überhaupt noch, ein Werkzeug der Krone zur Bekämpfung des Dienstadels war; sehr bald sollte dies Amt eine ganz andere Bedeutung, die des Hauptes des Dienstadels und seines Strebens gegen die Krone erlangen. Protadius erbitterte die Vornehmen und besonders, wie es scheint, die Bischöfe und Aebte durch scharfe Geltendmachung der Rechte, zumal der Finanzrechte der Krone, gegenüber diesen reichsten, aber auch widerspänstigsten Grundsteuerpflichtigen. Bei einem Feldzug gegen Theudebert, den Brunichildis und Protadius angestiftet haben sollen – vielleicht, um auch in Austrasien die Vorherrschaft des Dienstadels zu bekämpfen – brach im Lager zu Kiersy an der Oise eine lang geplante Erhebung gegen Protadius los: gegen den Willen Theuderich’s, unter Fälschung von dessen Befehl, ward der major domus, im Zelt des Königs beim Brettspiel sitzend, ermordet. Theudebert ward gezwungen, mit seinem Bruder Frieden zu schließen; leider kann man bei dem ganzen Verhalten dieses Adels nicht annehmen, die blutige That habe nur das Wohl des Gesammtreiches, die Vermeidung des Bruderkrieges bezweckt; der Nachfolger des Protadius, Claudius, war dem Adel gegenüber viel nachgiebiger. Im folgenden Jahre (605) vermählte sich Theudebert mit der Tochter Adaloald’s, des Königs der Langobarden, und schloß Freundschaftsverträge mit diesem Reich, was das bisherige gute Vernehmen mit Byzanz – der alten Feindin der Langobarden – stören mußte. Andererseits suchte bald darauf (607) Theuderich durch Verschwägerung mit dem westgothischen Königshause sein Ansehen zu heben; er vermählte sich mit Herminberga, der Tochter Witterich’s (s. den Artikel), der (603) sich des Thrones zu Toledo bemächtigt hatte, aber schon im folgenden Jahre schickte er sie „unberührt“, ihrer Schätze beraubt, [733] ihrem Vater zurück. Dieser suchte Rache für den Schimpf: er betrieb ein Bündniß mit Chlothachar, der sich nun wieder von Theuderich, dem er noch 607 einen von einer Buhle geborenen Sohn, Merowech, zur Taufe gehoben hatte, ab und Theudebert zuwandte; im Bunde mit den Langobarden wollten Witterich, Chlothachar und Theudebert Theuderich angreifen. Dieser Plan zwar kam aus unbekannten Gründen nicht zur Ausführung, aber auch die Bemühung Brunichildens, im Einvernehmen mit Theudebert’s Nebenfrau, Bilichildis, das Verhältniß der Brüder zu bessern, scheiterte. Gleichzeitig geriethen Theuderich und Brunichildis in Streit mit Sanct Columba, und da die mönchischen Geschichtsschreiber der Zeit – der sogenannte Fredigar und dessen Fortsetzer – eifrigste Verehrer jenes hochbedeutenden, aber auch heiß leidenschaftlichen Briten waren, ist der geschichtliche Leumund Brunichildens auf das ungerechteste getrübt worden. Columba, der seit ca. 590 in den Vogesen mehrere Klöster gegründet hatte, mit strengster Ordensregel und härtester Fleischabtödtung die tief gesunkene Zucht unter den Geistlichen unerbittlich besserte, aber, eine maßlose und herrschsüchtige Natur, auch mit dem Papst in heftigen Streit gerathen war, eiferte mit Recht gegen die Lüderlichkeit Theuderich’s; als er aber die Thronfolgefähigkeit der Concubinensöhne des Königs leugnete, verletzte er dadurch ohne Zweifel das geltende merovingische Thronfolgerecht; darin lag das Verbrechen der infidelitas (laesa majestas) und die Strafe hierfür, die Einbannung des Eiferers bei Besançon, später die Ausweisung aus Burgund (610) war rechtlich völlig begründet. Brunichildis wahrte nichts so kräftig, als die Erhaltung des Königshauses. Der zorngemuthe Heilige – einen „Hund“ nennt er den König nach dem Zeugniß glühendster Verehrer selbst – spricht die äußerste Verachtung des Staates aus und wendet sich zu Theuderich’s Feinden, Chlothachar II. und Theudebert, der ihn auffordert, in Alamannien bei Bregenz das Evangelium zu verkünden (bis 613, wann Columba nach Italien wanderte). Theudebert hatte gleichzeitig, treulos und gewaltthätig, Elsaß und andere Gebiete an sich gerissen; auf einer Tagfahrt zu Seltz sollte friedlich verhandelt werden zwischen den Brüdern, aber Theudebert erschien hier verrätherisch mit einem gewaltigen Kriegsheer und erzwang die Abtretung wie des Elsaßes, so des Sundgaues, des Landes um die Thur und des Kembsgebietes bei Basel; gleichzeitig hatte er durch alamannische Scharen die Landschaft um Wiflisburg (Avenches) verwüsten lassen, die Grafen dieses Gaues wurden erschlagen. Im selben Jahre tödtete er seine Gattin Bilichild – wir wissen weder, weshalb noch wie – und heirathete ein Mädchen, Namens Theudichild. Nun rüstete sich Theuderich zur Vergeltung; er bewog Chlothachar zur Nichteinmischung, indem er für den Fall des Sieges den pagus Dentelinus (s. oben, S. 732) versprach, bestritt Theudebert’s Abstammung von Childibert, zog (612) von Langres auf Toul, schlug hier Theudebert, verfolgte ihn, schlug ihn zum zweiten Mal bei Zülpich, ließ dessen ergriffenem fünfjährigem Knäblein Merevech den Kopf an einem Felsen zerschmettern, den auf der Flucht gefangenen Theudebert, der königlichen Gewande entkleidet, in Ketten nach Châlons zu Brunichildis bringen, und, obwohl der sich bereit erklärt hatte, in den geistlichen Stand zu treten, bald darauf tödten. Selbstverständlich dachte der Sieger gar nicht daran, seine Chlothachar geleisteten Versprechungen zu erfüllen, vielmehr bot er die Heere seiner beiden Reiche – Austrasiens und Burgunds – auf, Jenen aus dem pagus Dentelinus zu vertreiben und womöglich zu vernichten. So schien Brunichildis auf der Höhe der Macht gefestigt und ihr Geschlecht berufen, alle Frankenreiche unter sich zu vereinen; denn Chlothachar war der Uebermacht Theuderich’s durchaus nicht gewachsen. Da starb dieser plötzlich zu Metz, und im nächsten Jahr beherrschte, nach grausamster Ermordung Brunichildis und ihrer beiden Urenkel, Sigibert [734] und Corbus, der Söhne Theuderich’s (nur den dritten, Merovech, schonte er als sein Pathkind), der Sohn Fredigundens, durch den Verrath der burgundischen und der austrasischen Großen ohne Schwertstreich auf den Thron gehoben, das ganze Reich der Franken: das erste Mal wieder seit Chlothachar I.
Theudebert II. (a. 596–612) und dessen Bruder- Quellen und Litteratur s.: Dahn, Urgeschichte III, S. 541–600, und Könige VII, 1, 1894, p. I seq.