Zum Inhalt springen

ADB:Taglioni, Paul

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Taglioni, Paul“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 360–361, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Taglioni,_Paul&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 07:33 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Täglichsbeck, Thomas
Nächster>>>
Talvj (Verweisung)
Band 37 (1894), S. 360–361 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Paul Taglioni in der Wikipedia
Paul Taglioni in Wikidata
GND-Nummer 117197459
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|37|360|361|Taglioni, Paul|Hermann Arthur Lier|ADB:Taglioni, Paul}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117197459}}    

Taglioni: Paul T., Balletmeister, geboren zu Wien am 12. Januar 1808, gehörte einer italienischen Künstlerfamilie an, deren Begabung für den Tanz sich durch mehrere Generationen forterbte. Sowol sein Vater Philipp T. (geb. 1778, † 1871), als seine Mutter Maria, geb. Karstens, hatten sich dem Ballet gewidmet und in Stockholm, Kassel und Warschau Triumphe gefeiert. Während eines Aufenthaltes seiner Eltern in Wien geboren, kam Paul T., erst fünf Jahre alt, nach Paris, wo er dem Collège Bourbon zur Erziehung übergeben wurde, da seine Eltern nicht wünschten, daß er sich der Bühne widmen möchte. Indessen ließ sich die Neigung zur Tanzkunst in ihm nicht unterdrücken, weshalb ihm der Vater seit seinem vierzehnten Jahre Unterricht im Tanzen ertheilte, wobei er so rasche Fortschritte machte, daß er bereits am 4. November 1825 zum ersten Male auf der Hofbühne in Stuttgart auftreten und mit seiner älteren Schwester Marie rivalisiren konnte. Von Stuttgart aus, wo er bis zum Jahre 1827 engagirt war, ging er zu Gastspielen nach Wien und München und erzielte auch hier große Erfolge. In den Jahren 1827–1829 trat er neben seiner gefeierten Schwester Marie hauptsächlich in der Großen Oper zu Paris auf. Inzwischen aber war man in Berlin auf sein Talent aufmerksam geworden. Als daher für die Vermählung des damaligen Prinzen Wilhelm von Preußen, des späteren Kaisers Wilhelm, am 11. Juni 1829 größere Festlichkeiten vorbereitet wurden, berief der Generalintendant der königl. Theater, Graf Redern, T. nach Berlin, wo er bei Hofe so gefiel, daß er sofort (am 1. October 1829) für das königliche Hoftheater engagirt wurde. Die Gunst Friedrich Wilhelms III., die ihm in hohem Maaße gewährt wurde, machte es ihm möglich, bald auf das Auftreten als Tänzer zu verzichten. Zuerst gemeinschaftlich mit Hoguet, seit dem Jahre 1837 aber selbständig als Choreograph und Balletmeister an die Spitze des königl. Ballets gestellt, legte er den Grund zur Berühmtheit dieses Institutes, das ihm die Schöpfung einer langen Reihe von Tanzgedichten verdankte, von denen einzelne die Runde über alle größeren Bühnen der Welt machten. Als sein erstes Werk, das einen bleibenden Erfolg hatte, haben wir das im J. 1838 entstandene Ballet „Die Seeräuber“ anzusehen, das allein in Berlin bis zum Jahre 1884 121mal gegeben wurde; seine beliebtesten und am häufigsten aufgeführten Ballets aber sind „Satanella“, „Ellinor“, „Fantasca“ und vor allem „Flick und Flock“, das sich bis heute als lebensfähig erwiesen hat und bis zum 20. October 1885 allein in Berlin 419 Aufführungen erlebte. T. verlegte den Schwerpunkt des Ballets in den Ensembletanz und beschränkte das Uebermaaß von Künsteleien beim Solotanz. Im J. 1875 beging T. in Berlin sein fünfzigjähriges Künstlerjubiläum, bei welcher Gelegenheit er vom Kaiser Wilhelm I. durch die Verleihung des Kronenordens dritter Classe ausgezeichnet wurde, nachdem er schon im J. 1869 den Titel eines Balletdirectors erhalten hatte. Im J. 1883 in den Ruhestand versetzt, starb er zu Berlin am 6. Januar 1884.

Vgl. Almanach der Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger, herausgegeben von Ernst Gettke. 4. Berlin 1876, S. 73–77; 13. Berlin 1885, S. 80. – Deutscher Bühnen-Almanach, herausgeg. von Th. Entsch. Berlin 1880. – Illustrirte Zeitung. Leipzig 1875. 65, 365 u. 366. – Wurzbach XLIII, 21–22.

Aus Taglioni’s Ehe mit der Tänzerin Amalie Galster gingen mehrere Söhne und Töchter hervor, die sich gleichfalls auf dem Gebiete der Tanzkunst einen Namen gemacht haben. Unter ihnen wurde die älteste Tochter Marie [361] am berühmtesten. Sie wurde am 27. October 1831 in Berlin geboren und erhielt von ihrem Vater Unterricht. Ihr erstes Auftreten erfolgte in London am 16. Februar 1849. Ihre Hauptthätigkeit aber entwickelte sie an der Berliner Hofbühne, wo sie vom Jahre 1853 an bis zu ihrem Rücktritt von der Bühne engagirt war. Am 14. April 1866 verabschiedete sie sich von der Bühne, um sich mit dem Fürsten Joseph Aloys Niklas von Windischgrätz vermählen zu können, als dessen Wittwe sie am 27. August 1891 auf ihrem Landgute Aigen bei Tulln in Niederösterreich starb. Noch gefeierter als Marie, die Tochter Paul Taglioni’s, war seine Schwester Marie, welche in Stockholm im J. 1804 geboren wurde und neben Fanny Elsler als die bedeutendste Tänzerin des 19. Jahrhunderts angesehen wird und jedenfalls sich rühmen durfte, die größten wie die kleinsten Geister bis zum Taumel für sich begeistert zu haben. Sie war seit dem Jahre 1835 mit dem Grafen Gilbert de Voisins vermählt, erfuhr aber wenig Glück in dieser Ehe, da ihr Gatte ein Spieler und Schuldenmacher schlimmster Sorte war. Seit ihrem Rücktritt von der Bühne im J. 1844 lebte sie meist in Venedig und Mailand. Sie starb zu Marseille am 22. April 1884.

Vgl. Wurzbach XLIII, 17–21. – Almanach der Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger, herausgeg. Von Ernst Gettke. 13. 1885, S. 92. – Neuer Theater-Almanach III. Berlin 1892, S. 96. – Deutscher Bühnen-Almanach, herausgeg. von Th. Entsch. Berlin 1892. 56. S. 337, 338.