Zum Inhalt springen

ADB:Tünger, Augustin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Tünger, Augustin“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 114–115, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:T%C3%BCnger,_Augustin&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 08:29 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Tucher, Sixtus
Band 39 (1895), S. 114–115 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Augustin Tünger in der Wikipedia
Augustin Tünger in Wikidata
GND-Nummer 100963447
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|39|114|115|Tünger, Augustin|Gustav Roethe|ADB:Tünger, Augustin}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=100963447}}    

Tünger *): Augustin T., Facetist des 15. Jahrhunderts, war nach seiner eigenen Angabe 1455 in dem badischen Städtchen Endingen geboren, wurde schon Winter 1467 zu Erfurt immatriculirt, wo Joh. Beck aus Marburg sein Lehrer in der Grammatik war, und heirathete bereits 1478 gegen den Willen seiner Familie und in äußerst beengten Verhältnissen seine Frau Clara. 1486 ist er Procurator Curiae Constantiensis und nennt den Constanzer Bischof Otto IV., Grafen von Sonnenberg, seinen gnädigen Herrn. Aber auch dem Landesherrn seiner Heimath, dem Grafen Eberhard im Barte, bewahrt er seine Anhänglichkeit: ihm bringt er sein erstes (und wol einziges) Werk, die im Dedicationsexemplar handschriftlich erhaltenen, am 28. Nov. 1486 abgeschlossenen prosaischen ’Facetiae Latinae et Germanicae‘ dar. Es ist dem guten Mann nicht ganz wohl bei der Wahl seines Themas; er ist sich bewußt, damit etwas Ungewöhnliches zu wagen und er bricht deshalb ab, ehe er seinen Stoff nur zur Hälfte erschöpft hat, um den Erfolg dieses ersten Versuches erst abzuwarten. Wol hatte er an Poggio, den er aber nicht nennt, einen grade in Constanz sicher wohlbekannten Vorgänger, aber dieser hatte für ein anderes Publikum geschrieben, hatte sich aufs Latein beschränkt, während T. schon durch die Rücksicht auf den Grafen Eberhard, der bekanntlich trotz Nauklerus der lateinischen Bildung gänzlich entbehrte, genöthigt war, auch deutschen Text beizugeben. Er sucht die Bedenken, die solcher Schwanksammlung entgegen gebracht werden konnten, dadurch abzuschwächen, daß er jeder der 54 kleinen Geschichten eine Moral ’fur ain guldin claid‘ umhängt. Diese Moralen sind nun aber nicht nur platt, sondern sogar oft äußerst unzutreffend: T. zieht keineswegs die gebotenen ethischen Folgerungen, wo irgend welche Rücksichten ihn hemmen (vgl. z. B. Nr. 50). Litterarische Quellen scheint er nicht gehabt zu haben: die Uebereinstimmung seiner 45. Erzählung mit Poggio wird sich anders erklären. T. stellt allerlei Anekdoten zusammen, wie er sie von Jugend auf gehört hat, und er unterläßt nicht, den Schauplatz der Handlung, meist Orte aus der Gegend des Bodensees, ja womöglich die handelnden Personen mit Namen zu nennen. Das schließt natürlich nicht aus, daß doch manches altüberlieferte Gut sich eingeschlichen hat, wie z. B. die schon von Rosenplüt in Verse gebrachte Geschichte von der Buhlerin, die sich mit Tinte statt mit Rosenwasser salbt (Nr. 39). T. vermeidet offenbar unflätige und, nicht unbedingt zum Vortheil der Sammlung, auch zweideutige Facetien. Das Zartgefühl jener Tage ließ freilich trotzdem ziemlichen Spielraum. Mancher pointelose und unbedeutende Scherz lief bei dieser Selbstbeschränkung unter, der wol dem Erlebenden und Hörenden, schwerlich dem Lesenden von Interesse sein konnte. Aber grade [115] weil T. wirkliche Geschehnisse sammelt, gewährt sein Büchlein manche hübschen genrehaften Bildchen aus der Sittengeschichte und den socialen Verhältnissen jener Zeit. Pfaffen, Bauern und Fatzleute sind die Lieblingshelden. Die deutsche Prosa dieses ältesten deutschen Facetisten trägt die sichtbarsten Spuren davon an sich, daß sie erst aus lateinischer Prosa übersetzt ist. Sowol der oft recht salzlose Inhalt wie die ungeschickte Form machen es begreiflich, daß das Büchlein, der Vorgänger manches vielgelesenen Schwankbuches, selbst ohne Erfolg blieb. Dem Facetisten hätte man gern etwas mehr Freiheit des Scherzes gewährt, und die Moral war dem Freunde solcher kleinen lustigen Sächelchen schwerlich ein Bedürfniß. So erlebte Tünger’s Arbeit keine Fortsetzung, und auch auf den Druck mußte sie fast 400 Jahre warten.

Augustin Tüngers Facetiae, hsg. von A. v. Keller (Biblioth. d. Stuttg. litterar. Vereins No. CXVIII), Tübingen 1874. – Ad. v. Keller, Verzeichniß altdeutscher Handschriften (Tübingen 1890), Nr. 113. – Geschichtsquellen der Provinz Sachsen VIII, 1, 325 b.

[114] *) Zu Bd. XXXVIII, S. 791.