ADB:Töpffer, Johann Alexander Ferdinand
[WS 1] einen Alterthumsforscher ersten Ranges besaß, den der dankbare Schüler besonders hoch verehrt hat. Neben Loeschcke waren namentlich Hörschelmann und Ludwig Mendelssohn seine Lehrer. Er war Mitglied der Studentenverbindung Livonia und hat sich als solches viele Freunde erworben, die ihm die Treue bis über das Grab hinaus gehalten haben. 1884 bestand er das Staatsexamen mit einer Schrift, die den Titel eines Theils seiner später verfaßten Dissertation: „De bello Salaminio“ trug.
Toepffer: Johannes Alexander Ferdinand T. ist am 28. October (9. November) 1860 in Dorpat als das älteste Kind eines protestantischen Pfarrers geboren; seine Mutter war die Tochter des Rathsherrn Musso in Dorpat, die den Tod des heißgeliebten ältesten Sohnes überlebt hat; der Vater starb 1887 als Pfarrer in Talkhof bei Dorpat, wo Johannes seine erste Jugend verlebte. Wie der Tod dem Leben und Streben des hochbegabten Pfarrersohnes früh ein Ziel gesetzt hat, war auch seine ganze Lebenszeit vielfach durch Krankheit und Unglücksfälle gestört. Zuerst von Vater und Mutter unterrichtet, erhielt er in seinem achten Lebensjahre in dem Philologen Reinberg einen Hauslehrer, der ihn mit großem Erfolge für das Gymnasium in Dorpat vorbereitete, das er im Alter von siebzehn Jahren mit dem Zeugniß der Reife verließ. Reinberg hatte in dem strebsamen Knaben das Interesse für das classische Alterthum genährt, dessen Studium er sein Leben widmete. T. studirte zunächst bis 1884 auf der Universität Dorpat, die damals in Georg LöschckeDer Sommer 1884 führte T. nach Bonn, wo er aber nur ein Semester zubrachte, der Herbst desselben Jahres nach Göttingen, wo die große Lehrthätigkeit, die Ulrich v. Wilamowitz-Möllendorff[WS 2] damals dort entfaltete, auch für ihn entscheidend wurde. Ihn und Löschcke hat er stets als die Männer bezeichnet, denen er die Richtung seiner Studien verdankte, ihnen auch die beiden Bücher, die er geschrieben hat, die „Quaestiones Pisistrateae“ (1886) und die „Attische Genealogie“ (1889) gewidmet. Das erste dieser Bücher war die 1885 vollendete Dissertation, die sich namentlich mit den chronologischen Fragen der Geschichte des Peisistratos beschäftigte. Mit dieser in [707] Göttingen voll gereiften Frucht kehrte er nach kurzem Aufenthalt in Berlin nach Dorpat zurück, wo er am 29. Mai 1886 zur feierlichen Magisterdisputation zugelassen wurde. Seine Opponenten waren der leider früh verstorbene Valerian v. Schöffer[WS 3] (gestorben als Professor der alten Geschichte in Moskau) und seine Lehrer Löschcke und Mendelssohn. Kurz darauf kehrte er, der nächst den sorgsamen Eltern deutschen Lehrern sein Bestes verdankte, nach Göttingen zu Wilamowitz zurück, unter dessen Augen er die „Attische Genealogie“ schrieb, die seinen Namen in der griechischen Alterthumswissenschaft sofort berühmt machte, leider das einzige größere Werk, das er geschrieben hat. Vollendet in der Methode, bewundernswerth an Gelehrsamkeit, die die Schriftstellerzeugnisse genau so souverän beherrscht wie die alten Inschriften, ist es auch heute noch, nachdem fast zwanzig Jahre dahingegangen sind, trotz der großen Arbeit, die auf diesem Gebiete gethan ist, und der neuen Funde in Attika, ein Meisterwerk und unentbehrlich für Jeden, der attische Sage und Geschichte treibt. Kein Wunder, daß T., der mit diesem Buche 1889 in Berlin erschien, im Kreise der Alterthumsforscher aufs freudigste empfangen wurde: Ernst Curtius, Hermann Diels[WS 4], Ulrich Köhler[WS 5], Carl Robert[WS 6] hießen ihn als einen der Ihrigen herzlich willkommen. Namentlich dem Kreise Robert’s schloß er sich nahe an und verkehrte viel in der von Robert’s Schülern gegründeten „Anomia“. Als Robert im Frühjahr 1890 Berlin verließ, um nach Halle überzusiedeln, trug T. zu dem Sammelbande, den Robert’s Schüler dem scheidenden Lehrer unter dem Titel „Aus der Anomia“ widmeten, eine werthvolle Studie über Theseus und Peirithoos bei. Da sich T. in Berlin habilitiren wollte, mußte er erst an einer deutschen Universität sein Doctorexamen machen; er that dies aus äußeren Gründen in Leipzig. Am 18. Januar 1890 habilitirte er sich dann in Berlin mit einer inhaltreichen Vorlesung über die eleusinischen Mysterien. Bald nach der Habilitation verfiel er dann in eine schwere Krankheit, mit der sein schwächlicher Körper schwer zu ringen hatte. Im Frühjahr 1891 suchte er dann den Süden auf, und von nun an beginnt ein unruhiges Wanderleben, das ihn vor allem durch die classischen Länder führte. Bis 1893 war er unterwegs, überall forschend und lernend. Leider nur für ein Jahr erhielt er in dieser Zeit das deutsche archäologische Reisestipendium. Seine Studienfahrten begann er in Kleinasien: er wollte den Weg gehen, den die Cultur gegangen ist. Kurze Zeit hielt er sich im Mai 1891 bei den Ausgrabungen in Magnesia am Maeander auf und gewann dort schnell in Karl Humann einen Freund, der sofort seine hohe Begabung und seinen Scharfblick erkannte. T. hat den ruhmvollen Entdecker von Pergamon damals namentlich zu einer Ausgrabung der Stadt Milet angeregt und die großen Erfolge prophezeit, die dann Humann’s Nachfolger Theodor Wiegand dort erzielen sollte. Den größten Theil der Wanderjahre verbrachte T. natürlich in Athen, wohin niemals wohl ein junger Gelehrter besser vorbereitet gekommen ist als er. An Paul Wolters schloß er sich eng an; in Wilhelm Dörpfeld bewunderte er den Architekten, bekämpfte er den Topographen. Zeichen seines Aufenthalts in Athen, den er emsig ausnützte, liegen litterarisch kaum vor: zu einer wirklichen Ernte kam er nicht mehr. Sein leicht erregbares Gemüth war durch den Bureaukratismus, der ihm das zweite Reisestipendium, um das er sich beworben hatte, versagte, im Innersten verletzt. Im Frühjahr 1892 verließ er mißmuthig Athen, Halbfertiges ärgerlich im Stich lassend und ging nach Italien, Frankreich, Belgien, England – in unruhiger Hast neue Eindrücke einsammelnd.
Spät kam er nach Berlin zurück, im Frühjahr 1893. Aber es war ihm durch den abschlägigen Bescheid verleidet, den er daher in Athen erhalten hatte. [708] Colleg hat er hier nicht wieder gelesen und mit Freuden ergriff er im Herbst 1893 Ferdinand Dümmler’s Anregung, Berlin mit Basel zu vertauschen. Er wurde zum Sommer 1894 nach Basel als außerordentlicher Professor berufen und lehrte dort mit sichtlichem Erfolge bis zu seinem am 23. August 1895 erfolgten Tode. Das Sommersemester 1895 hatte ihn besonders angestrengt: er suchte in Italien frische Kraft und fand dort in Porto d’Anzio einen einsamen, plötzlichen, sanften Tod. Begraben ist er in Rom bei der Cestiuspyramide. Nach seinem Tode errichteten die russischen, deutschen, schweizerischen Freunde des feinsinnigen, liebenswürdigen Mannes ein schlichtes Denkmal auf dem Grabe mit Solon’s Versen:
Μηδέ μοι ἄκλαυστος θάνατος μόλοι, ἀλλὰ φίλοισιν
ποιήσαιμι θανὼν ἄλγεα καὶ στοναχάς
und gaben eine Sammlung seiner zahlreichen Aufsätze unter dem Titel „Beiträge zur griechischen Alterthumswissenschaft“, Berlin 1897, heraus (mit einem Porträt von Professor H. A. Schmid, einem Lebensabriß von O. Kern und dem Verzeichniß seiner sämmtlichen Schriften und Vorlesungen).
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Georg Loeschcke (1852–1915), Professor für Klassische Philologie und Archäologie in Dorpat, Bonn und Berlin.
- ↑ Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1848–1931), Professor für Klassische Philologie in Greifswald, Göttingen und Berlin.
- ↑ Valerian von Schoeffer (1862/64–1900), Doktorand in Dorpat, Professor für Alte Geschichte in Moskau.
- ↑ Hermann Diels (1848–1922), Professor für Klassische Philologie Berlin.
- ↑ Ulrich Köhler (1838–1903), Professor für Alte Geschichte in Straßburg und Berlin.
- ↑ Carl Robert (1850–1922), Professor für Klassische Philologie und Archäologie in Berlin und Halle.