Zum Inhalt springen

ADB:Sterkel, Johann Franz Xaver

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Sterkel, Joh. Franz Xaver“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 103–106, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sterkel,_Johann_Franz_Xaver&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:32 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Stepling, Joseph
Nächster>>>
Stern, Julius
Band 36 (1893), S. 103–106 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Franz Xaver Sterkel in der Wikipedia
Johann Franz Xaver Sterkel in Wikidata
GND-Nummer 118856138
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|36|103|106|Sterkel, Joh. Franz Xaver|Hans Michael Schletterer|ADB:Sterkel, Johann Franz Xaver}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118856138}}    

Sterkel: Joh. Franz Xaver St., geboren am 3. December 1750 zu Würzburg, † daselbst am 21. October 1817. Wie sein Altersgenosse, der nur ein Jahr ältere Abbé Vogler, auch ein geborener Würzburger, und wie mit nur wenigen Ausnahmen fast alle gleichzeitigen Claviercomponisten und Clavierspieler, ist auch St. nahezu spurlos vergessen. Wer unter unsern heutigen Pianisten [104] kann sich rühmen, je eine Sonate von ihm, oder von Steibelt, von Wölffl, Cramer, Häßler, Pixis, Himmel, Tomaschek, Böhner, Ries, Kalliwoda, Mühling, Riem u. s. w. gespielt zu haben, abgesehen von den sehr zahlreichen Modecomponisten, deren Werke mit dem Tage kommen und gehen? Wie beklagenswerth ist das, denn neben vielem Vergänglichen finden sich unter den Compositionen dieser Künstler Perlen, die der Vergessenheit entrissen zu werden verdienten. Welche trostlose Zukunft für unsere nach Unsterblichkeit ringenden jüngeren Tonsetzer erschließt da ein Rückblick auf die Vergangenheit, in der viele, von den Zeitgenossen einst so hochgefeierten Meister des Pianoforte, ein gleiches Bestreben beseelte, wie heute unsere in Originalität sich überbietenden Genies. – Die ersten Lehrer des schon frühe außerordentliche Talente bekundenden Knaben waren auf dem Clavier Hoforganist Kette, auf der Orgel der Organist Weißmantel am Juliushospital. Beide hatte er jedoch bald überflügelt. Kaum ihrer Schule entwachsen, widmete er sich dem geistlichen Stande und ward nun zugleich Vicar und Organist am ehemaligen Stift Neumünster. Jede freie Stunde gehörte aber fortwährend seinen ihn mächtig fesselnden musikalischen Studien, dem Clavierspiel und der Composition. Er bethätigte jetzt schon großes Talent für Vocalsachen, aber auch seine Sinfonien erfreuten sich allgemeiner Beliebtheit. Auf Ersuchen der Hofsängerin Sachs, bei der eine junge Sängerin, die nachmals so berühmte Sabina Hitzelberger aus Randersacker bei Würzburg wohnte (1755–1810, Mutter von vier hervorragenden Sängerinnen, Sabina, Kunigunde, Johanna und Regina), schrieb er für diese eine Arie, doch unter der Bedingung, daß sein Name, der großen und fortwährenden Hofintriguen wegen, strenge verschwiegen bleibe. Diese Composition, von Kennern in einer Privatgesellschaft gehört, erregte so viele Sensation, daß man dem damaligen Würzburger Bischof, Adam Friedrich von Seinsheim, davon berichtete, der sie nun auch hören wollte. Er befahl, den Namen Paisiello auf den Titel zu setzen und sie als ein soeben aus Italien gekommenes Musikstück aufzuführen. Nicht sobald war sie mit allgemeinem Vergnügen gehört worden, als er den Componisten aus der Zuhörer Mitte hervorrief und ihn den Zuhörern mit den Worten: „Das ist mein Paisiello“ vorstellte. Dieser für den jungen St. so ehrenvolle Vorfall hatte wichtige Folgen. Er ward dadurch zu neuem Eifer, auch auf dem Claviere veranlaßt. Er ließ sich bald darauf mit großem Beifall vor seinem Fürsten hören und erhielt bei dieser Gelegenheit von dem gerade anwesenden kurmainzischen Minister Graf Wilh. Friedr. v. Sickingen (dem Franz Moor in Schiller’s Räubern) eine Einladung nach Aschaffenburg, um dort vor dem Kurfürsten Fr. Karl Joh. von Erthal (1774–1802) zu spielen. Diesem prachtliebenden Herrn gefielen seine Vorträge so sehr, daß er ihn sogleich als Hofpianist in seine Dienste nahm, ihn zum Hofcaplan und bis ein Kanonikat frei wurde, zum Vicar eines Stiftes ernannte. Ungern sah ihn 1778 sein ihm so wohlwollend gesinnter bisheriger Gebieter aus seinem Dienste scheiden. Die wichtigste Folge dieses Dienstwechsels war, daß ihn sein neuer Herr im folgenden Jahre, in Begleitung des Würzburger Concertmeisters Lehritter, eines Stiefbruders von St., nach Italien reisen ließ, um seinen Geschmack und sein Talent weiter auszubilden. Er concertirte mit vielem Erfolge mit diesem, der ein vorzüglicher Geiger war, in Rom, Florenz, Neapel, Venedig und anderen bedeutenden Städten. In Neapel übertrug ihm die Königin Marie Karoline, die großes Gefallen an ihm gefunden (er war überhaupt ein Liebling der Damen), die Composition der Oper „il Farnace“. Dieses 1780 geschriebene Drama wurde erstmalig am 12. Jan. 1782 mit vielem Beifall in Koblenz aufgeführt. 1789 rief ihn der Kurfürst zurück und verlieh ihm nun das ihm längst in Aussicht gestellte Kanonikat. Gerne hätte St. zuvor noch Frankreich bereist, aber [105] statutengemäß durfte eine solche Stelle nicht über drei Monate unbesetzt bleiben. Er hatte nun eine sorgenfreie, angenehme Existenz und war fast unbeschränkter Herr seiner Zeit. Mit doppeltem Eifer wandte sich seit 1782 sein mit den befruchtenden Anregungen Italiens bereicherter Geist seiner geliebten Kunst zu. Sie blieb ihm die liebste Unterhaltung und war ihm wichtiger als seine geistlichen Würden. Besonders bestrebte er sich dem deutschen Liede, dem um diese Zeit auch J. F. Reichardt seine Thätigkeit zuwandte, mehr Gefälligkeit und Reiz zu geben. Er erwarb sich dadurch ein besonderes Dank- und Anerkennungsschreiben des Dichters Matthisson. Leider sind die zahlreichen Liedercompositionen Sterkel’s der Gegenwart völlig verklungen, so das sich eigentlich ein Urtheil über sie gar nicht geben läßt. Außerdem componirte er zahlreiche Clavierwerke, namentlich Aufsehen machende Clavierconcerte, Sinfonien u. s. w., und zeichnete sich auch durch seine Lehrthätigkeit, indem er talentvolle Zöglinge im Clavierspiel und Gesang bildete, aus. Als 1792 Kaiser Leopold II. mit seiner Gemahlin Maria Theresia von Sicilien nach Mainz kam, hatte St. die Ehre, zu letzterer befohlen, und nachdem sie sich über seine Kunst und Compositionen lange mit ihm unterhalten, mit einer goldnen, emaillirten, mit Perlen und Brillanten besetzten Dose beschenkt zu werden. 1793 wurde der bisherige mainzische Capellmeister V. Righini, der gefeierte Componist der Oper: „Alcide al Bivio“ vom König Friedrich Wilhelm II. von Preußen an Alessandri’s Stelle nach Berlin berufen. An seiner Statt ernannte der Kurfürst, der allgemein als einsichtsvoller Kunstkenner galt, St. zu seinem Capellmeister. Von jetzt an fand er auch Gelegenheit, seine Talente in kirchlichen Compositionen zu verwerthen. Leider kamen aber infolge des Ausbruchs der französischen Revolution nun schlimme Zeiten für Deutschland, namentlich für dessen am Rheine gelegene Gebiete. Der Kurfürst floh am 4. Octbr. 1792; am 21. zogen die Franzosen unter Custine in Mainz ein. Erst nach Jahren konnte er in seine ganz demolirte und zu Grunde gerichtete Residenz wieder zurückkehren, welche aber schon am 1. Januar 1798 wieder von den Franzosen besetzt wurde. Mainz blieb fortan mit dem linken Rheinufer ihnen überlassen. Der Kurfürst starb in seiner neuen Residenz Aschaffenburg. Sein Nachfolger wurde sein schöngeistiger Coadjutor Karl Theodor von Dalberg. In der nun folgenden Zeit furchtbarer politischer Umwälzungen (vgl. A. D. B. IV, 704 f.) war Sterkel’s Bleiben in Mainz nicht. Als der Kurfürst eilends über die Rheinbrücke entfloh, war gewiß auch sein Capellmeister bei der Gesellschaft. Nicht eher hielt er an, als bis er wieder in der lieben Heimath, in dem gesegneten Würzburg angekommen war. Da konnte er der Entwicklung der Dinge ruhig zusehen. Mit dieser bösen Revolution nahmen auch alle musikalischen Verhältnisse andere Gestalt an; es hörte die goldene Zeit der Hofcapellen auf. Denn bisher hatte jeder der zahlreichen kleinen und kleinsten weltlichen und geistlichen deutschen Höfe seinen besonderen Stolz darein gesetzt, sich eine Capelle zu halten. Ueberall fand man kleine, aber, hätten sie zu ihrem Großtheil auch nur aus Hofbediensteten und Lakaien bestanden, gute Capellen. Hofcapellmeister und Hof- und Kammermusiker waren zwar schlecht bezahlt, aber sie hatten doch ihr bescheidenes Auskommen. Das änderte sich nun gründlich. Der Bischof von Würzburg, einer der angesehensten Prälaten, zudem Gebieter Frankens und eines sehr musikalischen Volksstammes hatte indessen nie aufgehört für eine würdige Hofmusik, sammt Sängerinnen und Sängern, Trompetern und Paukern zu sorgen. Als daher St. sich nach Würzburg zurückgezogen hatte, fand er da nicht nur alle möglichen musikalischen Mittel und Kräfte, auch erwünschte Anregung zu neuem Schaffen. Er schrieb unter anderen vier große Messen (eine davon widmete er seinem Kurfürsten) und eine Unzahl kleinerer Tonstücke für Clavier und andere Instrumente. Der Fürstprimas [106] hatte ihn seines Dienstes nicht entlassen, aber die Hoffnung, Gehalt zu bekommen, mußte er bis auf bessere Tage verschieben. 1803 erhielt er einen Ruf als Capellmeister des Fürsten Choloniewsky nach Polen, den er jedoch ablehnte. Gleichzeitig erhielt er das Diplom eines Ehrenmitgliedes der Departemental-Gesellschaft für Künste und Wissenschaften aus Mainz zugeschickt. Als sein Fürst zeitweiligen Aufenthalt in Regensburg nahm, folgte er ihm dahin. Er gründete da, um gute Gesangskräfte zu bekommen (wie er es auch schon in Würzburg gethan), sofort eine öffentliche Singschule und componirte für diese Anstalt viele seiner besten Singstücke. Namentlich erregte eine zu Ehren seines Gebieters in Musik gesetzte große Ode Aufsehen. Aber das schöne Verhältniß, das sich hier gebildet, sollte nicht von Dauer sein. Deutschland war noch lange nicht beruhigt. Er war genöthigt, wieder nach Würzburg zurückzukehren, wo ihn dann auch der Tod überraschte. Mit Ausnahme einer Reise nach Berlin hat er es nie mehr verlassen. Um Verbreitung seiner Kunst hat sich St. sehr verdient gemacht. Neue Bahnen konnte ihr der bescheiden-anspruchslose Künstler nicht erschließen. Er wollte durch seine Compositionen den Liebhabern der Musik Vergnügen bereiten, seinem greisen, so sehr verkannten und hart bedrängten Fürsten Zerstreuung und Trost bringen und treue Ergebenheit bethätigen. Das hat er erreicht. Er schrieb eine Oper, 25–30 Hefte Lieder, deutsche und italienische Canzonetten, Arietten, Duette u. s. w., eine Anzahl Messen, in seiner durchaus einfach-edeln, gesangvoll-andächtigen Weise; 10 Sinfonien, 1 Quintett, 1 Quartett, 8 Trios und 6 Duos, 12 Clavierconcerte und ca. 50 Hefte für Clavier allein (à 2 und 4 Hdn.) und mit Begleitung von Violine. Es ist zu bemerken, daß dies zumeist Sonaten sind und sich nur ganz wenige Fantasien, Variationen und Tagesflitterwerk unter ihnen finden. Kenner und Liebhaber rühmten an ihnen Reichthum der Erfindung, angenehme und gefällige Gedanken und praktische Spielbarkeit.