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ADB:Stephan (Erzherzog von Österreich)

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Artikel „Stephan Victor, Erzherzog von Oesterreich“ von Hanns Schlitter in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 71–78, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stephan_(Erzherzog_von_%C3%96sterreich)&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 10:40 Uhr UTC)
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Stephan Victor, Erzherzog von Oesterreich, wurde als Sohn des Erzherzogs Joseph, Palatins von Ungarn, und dessen zweiter Gemahlin Hermine, einer geborenen Prinzessin von Anhalt-Bernburg-Schaumburg, am 14. Septbr. 1817 in Ofen geboren. Mit den schönsten Vorzügen des Körpers und des Geistes, mit leichtem Auffassungsvermögen verband er, nachdem ihm die sorgfältigste Erziehung zu theil geworden war, einen klaren Blick und ein richtiges [72] Urtheil. Aber leider wurde er aus Beweggründen, deren Ursprung in seinen Charaktereigenschaften gesucht werden muß, oft dazu verleitet, seinem energischen Denken nicht immer entsprechend zu handeln.

Im Juli 1839, also zweiundzwanzigjährig, wurde Erzherzog Stephan nach Wien berufen, um hier in die Staatsgeschäfte eingeführt zu werden. Nachdem er sich im Zeitraume von zwei Jahren jene Kenntnisse, welche für eine klare Uebersicht über die verschiedenen Zweige des öffentlichen Dienstes nöthig sind, angeeignet hatte, trat an den Erzherzog die Aufgabe heran, den letzten Theil seiner Lehrjahre in gleich befriedigender Weise wie bisher zu absolviren. Er sollte einige Provinzen, und zwar größere, die Lombardei, Venedig, Istrien und Tirol bereisen und das Resultat seiner Beobachtungen in einer für den Kaiser bestimmten Denkschrift niederlegen. Weiter wurden Besuche bei den Höfen Italiens und Deutschlands in Aussicht genommen. Innerhalb dreier Jahre war auch diese Aufgabe vollendet, welche dem Erzherzog genügende Gelegenheit geboten hatte, sich mit jedem Gebiete der Staatsverwaltung und Volkswirthschaft vertraut zu machen. Die außerordentliche Gewissenhaftigkeit, mit welcher der Erzherzog hierbei vorging, und die Wahrheitsliebe, deren er sich seit jeher befliß, brachten es mit sich, daß der von den besten Absichten geleitete Prinz die menschlichen Schwächen und Unvollkommenheiten nicht immer in jener milden Weise zu beurtheilen vermochte, in welcher ein bereits gereifter und erfahrener Staatsmann mit jenen Fehlern zu rechnen gewohnt ist. Die Denkschrift, welche der Erzherzog nach der Bereisung Böhmens ausarbeitete und dem Kaiser vorlegte, bietet in dieser Hinsicht ein ganz besonderes Charakteristikon des freimüthigen Prinzen. Minister Kolowrat zeigte sich von ihr keineswegs erbaut. Auch während seiner italienischen Rundreise hatte St. förmliche Gutachten über die materiellen und geistigen Zustände der von ihm besuchten Länder ausgearbeitet, wobei er es nicht unterließ, sich über die Volksstimmung, die ihm als feinfühlenden Beobachter nicht entgehen konnte, in einer Weise zu äußern, rücksichtlich deren er sich durch seine Stellung als Erzherzog von Oesterreich nicht im geringsten behindern ließ. Seine Denkschriften wurden unberücksichtigt zurückgelegt, und es bleibt einer späteren Geschichtsforschung überlassen, festzustellen, in wie weit die Ansichten des Erzherzogs berechtigte waren oder nicht.

Nach seiner Heimkehr wurde St. 26jährig zum Landeschef in Böhmen ernannt. Mit Begeisterung betrat er dieses schwierige Terrain einer größeren staatsmännischen Thätigkeit. Um diese Zeit fand zwischen den Höfen von St. Petersburg und Wien ein lebhafter Notenwechsel statt, welcher die von Kaiser Nikolaus geplante Vermählung seiner Tochter, der Großfürstin Olga mit dem Erzherzoge zum Gegenstande hatte. Metternich jedoch verhielt sich einer solchen Verbindung gegenüber ungemein kühl, und als der Zar einsah, daß man in Wien zu keinem Entschlusse gelange, verheirathete er die Großfürstin an den Kronprinzen von Württemberg. Die unmittelbare Ursache aber, welche den Wiener Hof veranlaßt hatte, jene Partie als eine solche anzusehen, welche nicht im politischen Interesse der Monarchie läge, ist auf den ungarischen Landtag zurückzuführen. Die Stände, welche damals in Preßburg tagten, erklärten kurz und bündig, den Erzherzog St. niemals zum Palatin zu wählen, wenn er sich mit einer russischen Prinzessin vermähle. Die Staatsraison, welche in den Herzensangelegenheiten der Fürsten das entscheidende Wort spricht, entschied auch in diesem Falle und ohne Gemahlin zog der neue Statthalter Böhmens in die Landeshauptstadt ein. Unermüdlich arbeitete er von nun an daran, den Wohlstand der Bevölkerung und das Aufblühen des ihm anvertrauten Kronlandes zu fördern. Gemeinnützige Unternehmungen, so der Verein für hülfsbedürftige Kinder, die Gesellschaft zur Errichtung von Dampfmühlen für Böhmen, die Filiale [73] der österreichischen Nationalbank, die Einführung der Gasbeleuchtung in Prag u. s. w. verdanken dem Erzherzog ihre Entstehung. Kunst und Wissenschaft blühten unter der liberalen Regierung Stephan’s in reicherem Maaße als bisher. Während sich die Thätigkeit des Erzherzogs nach den genannten Richtungen hin frei entfalten konnte und keine hemmenden Schranken zu fürchten brauchte, verblieb es rücksichtlich des politischen Lebens in Böhmen beim Alten. Man hatte höheren Orts bei der Ernennung Stephan’s zum Statthalter nicht die Absicht gehabt, einen Reformator, sondern eine dem Throne nahe stehende Person auf jenen schwierigen Posten zu entsenden, um auf diese Weise die Bande zwischen dem angestammten Herrscherhause und dem Kronlande noch inniger zu knüpfen. An den politischen Verhältnissen sollte nicht gerüttelt werden. Diese blieben noch in Kraft bestehen, bis stärkere Gewalten sich Geltung verschafften.

Ein größeres Gebiet politischer Thätigkeit eröffnete sich St. nach dem am 13. Febr. 1847 erfolgten Tode seines Vaters, des Palatins von Ungarn, Erzherzog Joseph. Dieser war bei den Ungarn so beliebt gewesen, daß Kaiser Ferdinand sich ihnen nicht gefälliger erweisen konnte, als daß er den Sohn sogleich zum Palatin vorschlug. Metternich, welcher es für angezeigter erachtet hätte, einen gewöhnlichen Landeschef aufzustellen, mußte nothgedrungen zustimmen, da er keine Persönlichkeit kannte, welche hiezu unter den gegebenen Verhältnissen in Vorschlag gebracht werden konnte. Im übrigen vermochte er sich des Argwohns nicht zu entschlagen, daß die gleichsam erbliche Ueberkommung des Palatinats einen Nebenzweig des Kaiserhauses mit der Zeit dazu veranlassen könnte, nach dem unabhängigen Besitze der Stephanskrone zu trachten. Davon war jedoch Erzherzog St. weit entfernt. Abgesehen davon, daß er bereits einen Monat vorher zu bedenken gegeben hatte, daß es nicht im Interesse des Staates liege, die Palatinswürde in derselben Familie vom Vater auf den Sohn gewissermaßen zu vererben, hatte er am Sterbebette seines von düsteren Ahnungen kommender Ereignisse erfüllten Vaters diesem schwören müssen, die Krone nicht anzustreben, sondern sie auszuschlagen, wenn man sie ihm anböte. Die Versuchung nahte sich dem Erzherzog, aber er widerstand ihr treu seinem Schwur.

Die Dinge in Ungarn lagen jetzt anders als in den Tagen des verstorbenen Palatins. Nach jeder Richtung hin machte sich das Bestreben geltend, mit den alten Ueberlieferungen zu brechen und den Ueberschuß an Kraft, welcher in den Geistern aufgespeichert lag, zum Zwecke einer freieren Entfaltung der Nation zu verwenden. Dem politischen Scharfblicke Stephan’s entging dieses Merkmal einer neuen Zeit nicht, und weit entfernt davon, derselben einen Damm entgegenzusetzen, begann er mit ihr zu rechnen. Er handelte bloß seiner Ueberzeugung gemäß und keineswegs in der Absicht, sich bei der ungarischen Nation gut einzuführen oder dieselbe dem angestammten Herrscherhause zu entfremden, wenn er um die Berücksichtigung einer Denkschrift bat, welche er noch vor dem Ableben seines Vaters an den Stufen des Thrones niedergelegt hatte, und in der er sein Programm entwickelte, das sich den gegebenen Verhältnissen anpaßte. Die wichtigste Forderung war „die Ernennung zum locum tenens oder Vicekönig mit so ausgedehnten Vollmachten, wie sie die Gegenwart erheische, da die Stellung eines Palatins in dem diesem gesetzlich zugewiesenen Wirkungskreise nicht ausreiche“. Im Grunde genommen erstrebte aber der Erzherzog nichts anderes, als das frühere Machtgebiet des Palatinats, welches im Laufe der Zeiten bedeutend zusammengeschrumpft war, wieder aufzurichten. Gleichsam unbewußt spricht er dieses in der ihm eigenthümlichen rückhaltlosen Weise aus, indem er erklärte, „er müsse als Palatin über den Parteien stehen und er werde, da er als solcher der Nation den Eid leiste, die Verfassung vorkommenden Falls selbst gegen die Regierung beschützen, auch werde er kein blindes [74] Werkzeug derselben sein, sondern nur so lang mit ihr gehen, als sie sich auf dem gesetzlichen Boden bewege“. Es war ein Habsburger, der eine so offene Sprache führte, und angesichts dieses Umstandes konnte sich die Allmacht Metternich’s und seiner Collegen nicht so weit erstrecken, den unliebsamen Vertreter gerechter Forderungen einfach bei Seite zu schieben. Es wurde eine Gegennote verfaßt, in welcher der ungarische Hofkanzler dem Erzherzoge zwar zustimmte, zum Schlusse aber zu einem entgegengesetzten Resultate gelangte. St. widerlegte in einer neuerlichen Denkschrift das Gutachten Apponyi’s in allen seinen Punkten, wobei er auch die Nothwendigkeit einer Opposition in einem constitutionellen Staate mit folgenden Worten hervorhob: „In einem constitutionellen Lande ist eine Opposition nothwendig und wäre keine vorhanden, müßte man eine solche schaffen, was so allgemein anerkannt sei, daß es keines Beweises bedürfe“. Nochmals betonte St. inbetreff der Stellung des Palatins den Parteien gegenüber, „daß dieser keiner Partei angehören, kein Parteimann sein dürfe. Er sei der Wächter der Gesetze und der Verfassung; als solcher Freund derjenigen, die auf gesetzlicher Bahn fortschreiten, und Feind jener, die ihre Zwecke, wenn sie auch den Gesetzen nicht widerstreiten, doch auf ungesetzlichen Wegen verfolgen; von einer doppelzüngigen Politik wolle er nichts wissen. Dies sei sein politisches Glaubensbekenntniß“. Er schloß mit der Bitte, „Se. Majestät wolle es nicht ungnädig aufnehmen, wenn er die Annahme des ihm zugedachten wichtigen Amtes für den Fall ablehne, daß die Erfüllung der von ihm als nothwendig erkannten Modalitäten und Bedingungen nicht zugestanden würde“.

Leider entsprach der Erfolg nicht der erhebenden Sprache und Festigkeit, mit welcher der Erzherzog seine Wünsche vortrug. Wie berechtigt und den Interessen des Königs und seines Landes entsprechend dieselben waren, lehren die Ereignisse von 1848. Erst die Revolution rang der Regierung dasjenige ab, was man ein Jahr vorher als ein freiwilliges Zugeständniß dankbar begrüßt hätte, nicht zu erwähnen die übrigen Erfolge, deren sich die ungarische Nation rühmen konnte.

Es kam ein Ausgleich des Wiener Hofes mit dem Erzherzoge zu Stande, worauf dieser am 29. März 1847 den Eid als Statthalter in die Hände des Kaisers ablegte. Ungeheuer war der Jubel der Ungarn, als St. einzog und als sein Losungswort verkündete: „möge ich leben, so lang ich dem Vaterlande lebe.“ Aber der Enthusiasmus, welcher dem Erzherzog auf seiner „Inspicirungsreise“ entgegengebracht wurde, trug viel dazu bei, seinen politischen Blick zu trüben. Denn trotz der ultraradicalen Richtung, welche sich bei den Wahlen von 1847 geltend machte, gab sich Erzherzog St. der Hoffnung hin, daß die regierungsfreundlichen Parteien der Conservativen und Liberalen in dem für den 7. November ausgeschriebenen Landtag eine entschiedene Majorität besitzen würden; an demselben Tage jedoch, als die Installation Stephan’s als Obergespan des Pester Comitates und zwar durch den Erzherzog Franz Joseph stattfand, am 18. October wurde Kossuth in Pest zum Abgesandten gewählt. Wenn dieser nun in der am 11. November abgehaltenen ersten Circularsitzung den Antrag stellte, „die Wahl des Erzherzogs[WS 1] Stephan, Statthalters von Ungarn, zum Reichspalatin vorzuschlagen und zwar der Art, daß die königliche Candidationsurkunde zwar an die Stände übergeben, aber von diesen nicht eröffnet werde, wie dies im Jahre 1790 geschehen“, so erfolgte dies im ausdrücklichen Auftrage seiner Mandatare, aber gewiß nicht auf Grund irgend welcher günstigen Gesinnung Kossuth’s für den Erzherzog. Der Antrag wurde zum Beschlusse erhoben und St. fast einstimmig zum Palatin gewählt. Es folgten rauschende Feste, aber diese waren nicht im Stande, über die drückende Gewitterschwüle zu täuschen, welche auf den Gemüthern lag. Schwere Wolken kamen von Westen [75] gezogen, nicht lange währte es, und der Sturm brach los. Die ersten Vorboten eines solchen machten sich bemerkbar, als die Majorität im Landtage sich der Ansicht Kossuth’s anschloß, keine Adresse, geschweige denn eine reine Dankadresse an den König zu richten, und den von den Ständen beabsichtigten Dank bei Gelegenheit besonderer Repräsentationen der Stände auszusprechen. In der Administratorenfrage traten die Tendenzen der radicalen Partei noch schärfer hervor, nicht mehr im Sinne einer legislativen Partei, sondern rein postulirend trat die Opposition nunmehr auf und machte sich als solche mit aller Entschiedenheit geltend, als die Märztage über Ungarn hereinbrachen. Der Palatin fühlte zwar den stärkeren Pulsschlag der Nation, aber er war weit davon entfernt, ihn als ein Anzeichen anzusehen, daß Ungarn bereits von so revolutionären Ideen ergriffen sei, wie sie in Paris den Sturz der Monarchie herbeigeführt hatten. „Es wird nicht dahin kommen“, ließ er sich gegen Männer vernehmen, welche ihn mahnten, den Fall einer gewaltsamen Auflehnung in Ungarn in Betracht zu ziehen. Wenn er sich auch gestehen mußte, daß die Stimmung in den meisten Comitaten eine bedenkliche, ja in vielen eine äußerst beunruhigende sei, so vertraute er dennoch viel zu sehr der Loyalität der Ungarn, um zu glauben, daß sie dem Königthum den empfindlichsten Stoß versetzen könnten.

Am 13. März erschien in den Preßburger Zeitungen das kaiserliche Manifest an die Völker Oesterreichs, darin der feste kaiserliche Wille verkündet wurde, „die bestehenden Institutionen des Staates aufrecht zu erhalten, keine Bestrebungen zum Umsturze der gesetzlichen Ordnung zu dulden, sowie jeden von außen kommenden Versuch, die bestehenden europäischen Verträge zu verletzen oder die Grenzen entweder der eigenen Staaten oder die des deutschen Bundes feindlich zu bedrohen, mit allen dem Kaiser von der Vorsehung verliehenen Mitteln zurückzuweisen.“ St. fand diese Sprache den Verhältnissen nicht angemessen, „da sie, gegen das Inland mehr drohend als beschwichtigend, überhaupt gar keine Hoffnung auf eine den Zeitumständen entsprechende Aenderung der staatlichen Institutionen gebe“. Er hätte es lieber gesehen, wenn die großen Fragen, die ihrer Lösung harrten, auf friedlichem Wege erledigt worden wären. Die Stände in den Provinzen hätten aufgefordert werden sollen, auf Grund ihres uralten Petitionsrechtes ihre Wünsche dem Kaiser vorzutragen. Die Nachricht von dem Aufstande, welcher in Wien an demselben Tage ausbrach, an welchem das Manifest zur Veröffentlichung gelangte, versetzte den Erzherzog zwar in eine nachdenkliche Stimmung, aber sie trug nichts dazu bei, in ihm den Gedanken wachzurufen, die Ungarn könnten es den Wienern gleich thun. Als am 14. März sich in Preßburg plötzlich das Gerücht verbreitete, Metternich und der Hofkanzler Apponyi hätten abgedankt, prophezeite man, daß es in der Sitzung der Magnatentafel, die um drei Uhr Nachmittags abgehalten werden sollte, zu ernsten Auftritten von Seite des Auditoriums kommen würde. Um einem etwaigen Aufschub vorzubeugen, begab sich Kossuth an der Spitze einer Deputation des Unterhauses zum Palatin und ersuchte ihn, die Sitzung der Magnaten noch an diesem Tage zu halten und die Vorstellung der Stände in Reichsangelegenheiten vom 4. März zur Berathung zu bringen. Der Palatin antwortete, „er könne zwar nicht so elegant sprechen, wie der Redner (Kossuth), doch möge die Deputation im voraus überzeugt sein, daß seine Worte aus dem Herzen kämen“. „Ich würdige den Ernst der gegenwärtigen Verhältnisse“, setzte er hinzu, „und werde auch nicht unterlassen, Ihrem Begehren zu willfahren. Wie auch die Dinge sich noch gestalten mögen, so bin ich doch im voraus überzeugt, daß, wenn auch die ungarische Nation nicht mehr lateinisch moriamur pro rege nostro rufen, sie gleichwohl durch die That beweisen werde, daß sie, [76] wenn es die Umstände fordern sollten, dennoch bereit sei, ihr Leben für den König einzusetzen.“ Ein lautes Eljen seitens der Deputation war die Antwort auf die Rede des Palatins. Nachmittags eröffnete dieser die Sitzung der Magnatentafel. Da er, und zwar mit Recht befürchtete, daß es im Falle der Nichtannahme der Repräsentation zu argen Ausschreitungen kommen würde, wollte er um jeden Preis die Annahme durchsetzen; er erreichte dies in der That, indem er in seiner Rede unter dem Jubel des Auditoriums sich unverhohlen hierfür aussprach. Die Folge davon war, daß sogleich aus der Sitzung das Renuntium von der einstimmigen Annahme der Repräsentation an das Unterhaus erging. Dieses entsandte sofort auf Kossuth’s Antrag eine Deputation an den Palatin mit der Bitte, sich an die Spitze der nach Wien an den König mit der Adresse zu sendenden Deputation zu stellen. St. sagte zu, mit anderen Worten – der Palatin war an die Spitze der Bewegung in Ungarn getreten.

Vor seiner Reise nach Wien sagte er einer ihm nahestehenden Persönlichkeit: „Wenn man die Adresse am kaiserlichen Hofe nicht annimmt, so bleibt mir nichts anders übrig, als meine Stelle niederzulegen; alsdann kann ich nicht nach Ungarn zurückkehren. Mit dem Hofe in Opposition könnte es den Ungarn sogar einfallen, mich zum Könige zu wählen und das muß ich vermeiden. Wenn ich aufhöre Palatin zu sein, so höre ich doch nicht auf Erzherzog zu sein, und als solcher werde ich stets ein treuer Unterthan des Kaisers bleiben, um das Schicksal der kaiserlichen Familie zu theilen. Ja ich weiß sogar, daß wenn ich ohne ein ungarisches Ministerium zurückkehre, die Landtagsjugend mich zum Könige ausrufen will. Geschähe dies, dann bin ich in einer halben Stunde über der Grenze und Ungarn sieht mich nie wieder.“ Voll düsterer Besorgnisse begab sich St. nach Wien. „Wer weiß, ob ich wieder heimkehre; vielleicht schlagen sie mich todt,“ ließ er sich vernehmen. Aber es widerfuhr ihm nichts, es sei denn daß man ihm, als man ihn auf den Stephansplatze erkannte, die Pferde ausspannte und ihn unter anhaltenden Vivatrufen in die Burg zog.

Am 16. März wurde die ungarische Deputation unter Vorantritt des Palatins von Kaiser Ferdinand empfangen. Dieser versprach, dem Begehren der Stände Folge zu leisten. An demselben Tage entsandten die im Preßburger Redoutensaal sich täglich versammelnden Professoren, Juraten und Bürger eine aus ihrer Mitte gewählte Deputation, an ihrer Spitze Graf Joseph Palffy, nach Wien, um das Zugeständniß der Ernennung des Grafen Ludwig Batthyany zum Ministerpräsidenten vom Kaiser nöthigenfalls zu erzwingen; auch dieses wurde durchgesetzt. Um diese Zeit stand die Popularität Stephan’s, welcher offen erklärt hatte, die Palatinwürde niederzulegen, falls die Wünsche des Volkes unberücksichtigt bleiben sollten, in der höchsten Blüthe. Am 19. März fand eine gemischte Reichstagssitzung bei der Magnatentafel statt, in welcher der Palatin seinen Bericht über den Erfolg der Reichstagsdeputation erstattete und auch das kaiserliche Handschreiben vom 17. zur Verlesung bringen ließ. Dieses enthielt folgendes: „Die Ernennung des Palatins zum bevollmächtigten königlichen Statthalter, der das Land sammt den verbundenen Theilen während der Abwesenheit des Königs zu regieren hat; ferner die Bewilligung eines im Sinne der bestehenden Gesetze unabhängigen verantwortlichen Ministeriums, dessen Mitglieder von dem Palatin dem Könige zu bezeichnen sind; endlich den Auftrag zur Vorlage der den Verhältnissen entsprechenden Gesetzvorlage zur königlichen Genehmigung, wobei an dem durch die pragmatische Sanction aufgestellten innigen Verbande mit den übrigen Ländern der Monarchie treulich festzuhalten sei.“ Der Palatin schloß seinen Bericht mit den Worten, daß er infolge dieses kaiserlichen Handschreibens den Grafen Batthyany mit der Bildung des Ministeriums beauftragt habe; gleichzeitig stellte er ihn als ungarischen Ministerpräsidenten den Reichsständen [77] vor. Unter den lebhaftesten Beifallsrufen erfolgte der Schluß der Sitzung. Der Landtag selbst wurde am 10. April und zwar durch den König geschlossen. Zehn Gesetzentwürfe erhielten die Sanction und die ernannten Minister die Bestätigung des Königs.

Aus dem Zusammenwirken der verschiedenartigsten Momente war Ungarn nunmehr in den Besitz einer Verfassung gelangt, welche den Wünschen der radicalsten Schichten der Bevölkerung entsprechen konnte. Die Oppositionspartei, welche unter Kossuth’s Führung überall zahlreiche Anhänger zählte, hatte es verstanden, den günstigen Moment wahrzunehmen, in welchem gehandelt werden mußte; hierzu kam noch, daß fast alle Völker Europa’s in einem Zustande geistiger Gährung begriffen waren, bei dem es darauf ankam, in wie weit die Führer der Bewegung das moralische Uebergewicht, welches sie den Regierungen gegenüber besaßen, zum wirklichen Nutzen des Staates ausbeuten würden. Die Versuchung lag nahe, sich mit den gegebenen Zuständnissen nicht zu begnügen, und mit verdoppeltem Einsatz das Glück zu versuchen. Aus einer Rede, welche Kossuth am 31. März hielt, sollte man abnehmen dürfen, daß er damals fern davon war, ein frevles Spiel zu wagen. „Ich gewann die Ueberzeugung“, ließ er sich vernehmen, „daß, wenn ich niedrig genug sein könnte, bei den glorreichen Errungenschaften, die wir in Händen haben, aus bloßer Lüsternheit nach Macht, aus Sucht nach Einfluß, den Zunder des Bürgerkrieges unter das nach Wohlfahrt schmachtende Volk zu werfen, ich eine solche Verantwortung auf meine Schultern laden würde, die keine Sühne der Welt ausgleichen könnte; denn mit dem Blute der Völker unnütz spielen, ist ein solches Verbrechen, für welches noch keine Strafe unter den Sternen geschrieben steht.“

So sprach Kossuth – aber wie handelte er?! St. schien es vorauszusehen, denn trotz der günstigen Verhältnisse, wie sie nach dem Schlusse des Landtages bestanden, hatte er bereits in einer Schublade seines Schreibtisches das Manifest verwahrt, welches er für den Fall seines Rücktrittes an die ungarische Nation zu veröffentlichen gedachte. Darin forderte er diese auf, dem Könige die angestammte Treue zu bewahren, und „den verführerischen Verheißungen Kossuth’s“ kein Gehör zu schenken. Was der Palatin befürchtet hatte, trat ein. Und ihm wurde es ins Gesicht gesagt, „daß er durch sein Benehmen in Ungarn an der ganzen Umwälzung und Anarchie im Lande schuld sei“. Am Wiener Hofe verdächtigte man ihn, daß er nach der Krone strebe, und doch hatte er Kossuth auf einen darauf Bezug habenden Antrag entrüstet geantwortet: „Was hat Sie, Herr Minister, in meinem bisherigen öffentlichen Leben berechtigt, mir einen solchen Verrath an dem Könige zuzumuthen? Mit gutem Gewissen kann ich behaupten, daß nichts in meinem Leben ist, was Sie hiezu veranlassen könnte. Ich zöge selbst vor, wenn es nöthig wäre, das tägliche Brot für meinen König wandernd zu erbetteln, als ihm eine Krone zu stehlen.“

Als er im September 1848 zur Ueberzeugung gelangte, daß die Krisis nicht mehr zu bewältigen sei, entschloß er sich, Ungarn zu verlassen. Unerkannt entkam er über die Grenze und legte am 24. September sein Amt nieder. Verbannt vom Kaiserhofe, welcher sich des Verdachtes nicht erwehren konnte, er hätte nach der Krone gestrebt, verurtheilt von der ungarischen Nation, welche in einer Proclamation vom 5. December von ihm sagte, „er habe nicht nur seine Pflicht vergessen, sondern auch sein Versprechen und seinen geleisteten Schwur, das Vaterland zu vertheidigen, meineidig gebrochen“, lebte St. von nun an in Schaumburg, seinem mütterlichen Erbgute an der Lahn, um nie wieder das Privatleben zu verlassen. In dem Studium der Naturwissenschaften und in dem Verkehre mit der Gelehrtenwelt fand er Ersatz und Trost für das [78] Vergangene. Ein lichter Sonnenstrahl drang noch in das Leben des Prinzen, als seine Aussöhnung mit Kaiser Franz Joseph stattfand (August 1858). Seine Hoffnung jedoch, wieder ein seiner würdiges Staatsamt bekleiden zu dürfen, blieb unerfüllt. In demselben Jahre, ja in demselben Monate (am 19. Febr. 1867), an welchem der ungarische Ausgleich zu Stande kam, starb St. in Mentone an einem schweren Lungenleiden. Am 2. März wurde er in Budapest in der Familiengruft zur Ruhe gebettet.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Erherzogs