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ADB:Socin, August

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Artikel „Socin, August“ von Rudolf Ulrich Krönlein in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 375–377, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Socin,_August&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 08:31 Uhr UTC)
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Socin: August S., Chirurg, wurde am 21. Februar 1837 in Vevey (Kt. Waadt) an den Ufern des Genfersees geboren, als der zweite Sohn des jungen Pfarrers der dortigen deutschen Gemeinde, August S. und dessen Gattin Elise Friederike Johannot, einer Waadtländerin. Vater und Vorfahren Socin’s aber waren geborene Baseler und zählten seit drei Jahrhunderten zu den angesehensten Familien der Rheinstadt. Nach dem frühen Tode des Vaters übersiedelte die Wittwe mit ihren beiden Söhnen nach Basel und hier war es, wo August S. bis zu seinem Tode, der am 22. Januar 1899 erfolgte, ununterbrochen lebte und wirkte. Ein schwerer Typhus entriß den gefeierten Chirurgen und akademischen Lehrer nach kurzem Krankenlager seinen Kranken, seinen Schülern, seinen Collegen und – seiner Vaterstadt. Denn August S. war im strengen Sinne des Wortes „der Chirurg von Basel“, und als er am 24. Januar 1899 zu Grabe getragen wurde, da mochte der endlose Trauerzug auch dem Fremdlinge vor Augen führen, wie schmerzlich und theilnahmsvoll der Tod Socin’s in den weitesten Schichten der Bevölkerung empfunden wurde. – August S. hatte eine ungewöhnlich rasche Carriere gemacht. Mit 17 Jahren erwarb er sich die Matura, an seinem 20. Geburtstage (1857) promovirte er als Doctor der Medizin in Würzburg, wo Virchow und Kölliker seine Lehrer waren; 1859 bestand er in Basel die medicinische Staatsprüfung, wurde 1861 Privatdocent und Vorstand der chirurgischen Abtheilung des Bürgerspitals, 1862 Prof. extraord. und 1864 Prof. ordinarius für Chirurgie an der Universität Basel. 35 Jahre lang bekleidete er diese Stellung, die er [376] als 27jähriger Jüngling angetreten hatte und die er erst quittirte, als der Tod ihm in voller Rüstigkeit das Operationsmesser für immer entwand. In unserer Zeit der Unrast und Unruhe, angesichts des Wanderlebens, welches der akademische Professor – zumal ein hervorragender – so häufig zu führen pflegt, hat eine Gelehrtenerscheinung wie die Socin’s etwas überaus Wohlthuendes und Imponirendes. Berufungen nach auswärts (Freiburg i. B., Würzburg) lehnte er dankend ab und blieb dem Vaterlande treu, um hier allerdings um so tiefere Wurzeln zu schlagen. Hier konnte sich seine Individualität frei und voll entwickeln: seine stolze Männlichkeit, seine vornehme Einfachheit, sein freier Sinn, erhaben über den Kitzel äußerer Ehrenbezeugungen und paradirender Glanzstellung erinnern an antike Vorbilder. Mit diesen Eigenschaften verband er eine hervorragende weltmännische Gewandtheit und Sicherheit im Auftreten; dank seiner sorgfältigen Erziehung beherrschte er die deutsche und französische Sprache in Wort und Schrift mit gleicher Vollkommenheit (während ich ihn – für einen Schweizer auffallend genug – nie, auch nicht im engsten Freundeskreise, in der Dialektsprache reden hörte). So konnte es wohl passiren, daß bei Gelegenheit internationaler Congresse Franzosen und Deutsche den Baseler Chirurgen für sich beanspruchten. Mit den führenden Chirurgen der beiden Nationen stand S. in freundschaftlichem Verkehr und war ein gern gesehener Gast an den Congressen sowohl der großen „deutschen Gesellschaft für Chirurgie“ in Berlin als auch des „Congrès de Chirurgie“ in Paris, welchen beiden Corporationen er als Mitglied seit ihrer Gründung angehörte. Von den deutschen Chirurgen stand er v. Langenbeck, Billroth und v. Esmarch besonders nahe und wiederholt trafen sich die Freunde zur Zeit der Sommerfrische in Ostende und hielten dort frohe Tafelrunde. Gute Chirurgen haben von jeher in dem Geruche gestanden, auch Gourmets von gewähltem Geschmacke zu sein, und wer die Genannten kannte, wird dieses Urtheil sehr zutreffend finden. S., der Jüngste dieser illustren Gesellschaft, ein trefflicher Causeur voll Geist und Witz, entzückte dabei alle mit seiner ungetrübten Lebensfreudigkeit. – Gewiß! S. war ein ausgezeichneter Operateur, ein vortrefflicher Lehrer im klinischen Hörsaal, ein erfahrener und kenntnißreicher Arzt! Aber, was ihm seine hervorragende Stellung und sein Ansehen in der Gesellschaft verschaffte, war doch in erster Linie seine Persönlichkeit. Wer in seine Nähe kam, gewann sehr bald den Eindruck, es mit einem wahrhaft vornehmen, edlen Menschen zu thun zu haben, von großer Schärfe des Verstandes, seltener Wahrheitsliebe und einer oft verblüffenden Unerschrockenheit in seinem Urtheil, vor allem aber mit einem Menschen von tiefem Gemüth, dessen herrlicher Humor einem warmen Herzen entquoll, also, daß er sich das Vertrauen und die Liebe Aller, insbesondere seiner Kranken, im Sturme erwarb. „Ein guter Arzt – ein guter Mensch!“ – Dieses Nothnagel’sche Wort galt für niemand besser als für S. – S. blieb unvermählt; nach außen völlig frei und unabhängig, öffnete er sein gastliches Haus seinen Assistenten, um die er sich väterlich bekümmerte, sowie seinen Freunden und Collegen; besonders aber liebte er es, von Zeit zu Zeit den ganzen Lehrkörper der Universität zu „offenen Abenden“ in sein geräumiges Heim einzuladen und den einzelnen Mitgliedern Gelegenheit zu geben, sich persönlich kennen zu lernen. Seine Stellung in der Gesellschaft, in der medicinischen Facultät, ja an der Universität überhaupt war und blieb Decennien lang eine dominirende. Zweimal unterbrach S. seine klinische Thätigkeit in Basel für einige Zeit, um andernorts dem Gemeinwohl als Chirurg zu dienen; das war einmal im J. 1866 in Verona, wo er während des österreichisch-italienischen Krieges als freiwilliger Arzt in den Lazarethen wirkte; das andere Mal im J. 1870 in Karlsruhe, [377] wo er während des deutsch-französischen Krieges in gleicher Eigenschaft das sogenannte Bahnhoflazareth leitete. An voller Anerkennung seiner kriegschirurgischen Leistungen hat es ihm keineswegs gefehlt; Orden und Ehrenzeichen mochten ihm die Erinnerung an jene blutigen Kriegsjahre wohl ab und zu wachrufen; getragen hat er sie aber niemals und eben so wenig darüber gesprochen, es wäre denn im intimsten Freundeskreise gewesen. – Als Frucht seiner Thätigkeit in Karlsruhe gab S. im J. 1872 seine „kriegschirurgischen Erfahrungen“ heraus, ein ausgezeichnetes Werk, besonders hervorragend durch die scharfe Beobachtung und die ungeschminkte Wahrheitsliebe, mit welcher der Autor seine Erlebnisse zur Darstellung brachte. An dem großen „Handbuche der allgemeinen und speziellen Chirurgie“ von Pitha-Billroth, welches leider nie zum vollen Abschlusse gebracht wurde, betheiligte sich S. mit seiner Bearbeitung der „Krankheiten der Prostata“, einer vortrefflichen Arbeit, deren neue Auflage in der „Deutschen Chirurgie“ von E. v. Bergmann und P. v. Bruns zwar von S. noch geplant, ja zum Theil noch ausgearbeitet, aber erst von seinem Schüler und Freunde Prof. Dr. E. Burckhardt in Basel im J. 1902 vollendet und im Druck herausgegeben wurde. Noch auf dem Sterbebette hatte die Fortführung und Vollendung dieses Werkes S. lebhaft beschäftigt, und drei Tage vor seinem Tode noch hatte ihm sein treuer Assistent und Mitarbeiter E. Burckhardt in die Hand versprechen müssen, sich dieser Aufgabe zu unterziehen. – Außerordentlich geschätzt waren und sind noch die seit dem J. 1871 regelmäßig bis zu Socin’s Tode erschienenen „Jahresberichte der chirurgischen Abtheilung des Bürgerspitals“, eine reiche Fundgrube wichtiger chirurgischer Erfahrungen. Im übrigen hat S. nicht sehr Vieles publicirt: kleinere Mittheilungen über die „Radicalheilung der Hernien“, über die „intraglanduläre Enucleation“ von Kröpfen, erschienen im „Correspondenz-Blatt für Schweizer Aerzte“, oder waren der Gegenstand von Vorträgen, welche S. in den städtischen und schweizerischen Verhandlungen der Aerzte oder an den Chirurgen-Congressen in Berlin und Paris gehalten hat.

Vgl. die Nekrologe, die in „Allg. Schweizer Zeitung“ 1899, Nr. 20 – Münchener med. Wochenschrift Nr. 10, 1899 – Basler Jahrbuch 1900 erschienen sind.