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ADB:Siebenbürger, Martin (2. Artikel)

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Artikel „Siebenbürger, Martin“ von Ferdinand Zieglauer von Blumenthal in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 168–173, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Siebenb%C3%BCrger,_Martin_(2._Artikel)&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 09:18 Uhr UTC)
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Siebenbürger: Dr. Martin S.[WS 1], genannt Capinius, auch Copinitz, Bürgermeister von Wien in den Jahren 1521 und 1522, entstammte einer siebenbürgisch-sächsischen Familie, welche in einer, nicht näher zu bestimmenden Zeit die ursprüngliche Heimath verlassen und in Wien eine neue gefunden hatte. Die Behauptungen, daß Martin S. von Geburt ein Hermannstädter gewesen sei und längere Zeit die Stelle eines Pfarrers von Heltau (nächst Hermannstadt) bekleidet und im Jahre 1507 Wien zu seinem Domicile gewählt habe, sind längst in’s Wesenlose zurückgetreten und mußten das Feld vor der ernsteren historischen Kritik räumen. Schon im Jahre 1490 erscheint Martins Vater, Siegmund Siebenbürger, als eine einflußreiche Persönlichkeit zu Wien; er bekleidet das Amt eines Stadtrichters und erfreut sich des Besitzes eines großen Hauses in der inneren Stadt, welches ihm Kaiser Maximilian wegen treuer Dienste zugesprochen hatte. Nach dem am Bartholomäustage des J. 1506 erfolgten Tode Siegmund’s, dessen Leichnam in der Kreuzcapelle der Stephanskirche beigesetzt wurde, gelangte sein Sohn Martin zu immer steigendem Ansehen und Einflusse im Kreise seiner Mitbürger, an der Universität und in der Landschaft unter der Enns. Die Erklärungsgründe für sein rasches Aufsteigen liegen einmal in dem Ansehen und dem Rufe seiner Familie, – konnte sich ja Martin in einem Schreiben an den Kaiser einmal rühmen, daß seine Vorfahren den [169] Habsburgern bei der Befreiung Wiens von den Ungarn auf das beste gedient und darüber Schrift und Siegel erlangt haben – aber im höheren Maaße wurde seine Popularität durch seine eminente Begabung, seine Rechtsgelehrsamkeit, seine diplomatische Gewandtheit, seine kühne Energie und glänzende Beredtsamkeit errungen. Dreimal bekleidete er die Würde eines Decans der Juristenfacultät an der Wiener Universität, und zwar in den Jahren 1505, 1510 und 1516; seit 1508 ist er mit dem Bürgerrechte ausgestattet, 1512 erscheint er als Stadtrichter, wie dies von ihm selbst in seinem Tagebuche mit den bezeichnenden Worten erzählt wird: „In der Fastenzeit des Jahres 1512 bin ich durch das Regiment zu Wien und auf kaiserlichen Befehl gegen meinen Willen zum Stadtrichter gewählt worden“. Nach seiner Geistesrichtung und politischen Ueberzeugung war er ein energischer Vorkämpfer für die ständischen Rechte und städtischen Gerechtsamen gegen die landesfürstliche Gewalt, ein Mann, der zur heftigsten Opposition sich entschlossen zeigte. Bei diesen Charaktereigenschaften und bei seiner hohen Begabung konnte es nicht anders sein, als daß ihm das Vertrauen seiner Mitbürger zu den Landtagen und Ausschußverhandlungen, welche in der letzten Zeit der Regierung Maximilian’s, von 1510 bis 1518 immer zahlreicher abgehalten wurden, die Sendung gab. Auch an dem denkwürdigen großen Ausschußlandtage zu Innsbruck im Jahre 1518, der das große Reformwerk auf dem Gebiete der Verfassung und Verwaltung durchzuführen berufen war, hat Martin S. den lebhaftesten Antheil genommen und daselbst eine hervorragende Rolle gespielt. Aber erst die einschneidenden Ereignisse, welche nach dem am 12. Januar 1519 erfolgten Tode des Kaisers Maximilian eintraten, haben die Thätigkeit und den Einfluß Siebenbürger’s im höheren Grade in den Vordergrund gedrängt. In den Wirren, welche da eintraten, in dem leidenschaftlich bewegten, fast 3 Jahre währenden Kampfe zwischen den Ständen und der landesfürstlichen Gewalt hat S. die Rolle eines kühnen Oppositionsführers gespielt, welche schließlich sein tragisches Ende herbeiführte. – Es liegt ganz außerhalb des Rahmens der uns hier gestellten Aufgabe, die verwickelten Ereignisse und den heftigen Parteikampf zwischen der ständischen Libertät und den landesfürstlichen Bestrebungen nach Ausdehnung der Landeshoheit ausführlich zu schildern. Es soll nur kurz der Charakter dieses Kampfes bezeichnet und dann die Stellung angegeben werden, welche S. in demselben einnahm.

Kaiser Maximilian hatte in seinem Testamente vom 6. Januar 1519 seine beiden Enkel, Karl und Ferdinand, die damals in weiter Ferne weilten, zu Erben der österreichischen Länder eingesetzt; zugleich enthielt das Testament eine Klausel mit der Bestimmung, daß die Erbprovinzen dem bisherigen „Regimente“ (d. i. der von Max eingesetzten obersten Regierungsbehörde) bis zur Ankunft der neuen Landesfürsten Gehorsam zu leisten verpflichtet seien und daß bis dahin alle Beamten ihre Stellen behalten sollten, wobei jedoch die Testamentsvollstrecker die Befugniß erhielten, Personalveränderungen bei dem Regimente nach ihrem Ermessen vorzunehmen. An der Frage der Anerkennung der von Max eingesetzten Regierung entbrannte nun der heftigste Kampf der Stände. In allen niederösterreichischen Ländern (d. i. den 5 Provinzen: Oesterreich unter und ob der Enns, Steiermark, Kärnten und Krain) stieß die alte Regierung auf eine allgemeine und tiefe Opposition; überall erklärten die Stände, es entspreche dem alten Herkommen und ihrem guten Rechte, die Landesregierung nach dem Hinscheiden des Fürsten bis zur Ankunft des Nachfolgers selbst zu führen, und es müsse die Bestätigung der Landesfreiheiten durch den Fürsten der Huldigung der Stände vorangehen. Wenn auch die Stände von Steiermark, Kärnten, Krain und Oesterreich ob der Enns in die Gerechtsame des Landesfürsten keinen Eingriff wagten, so verweigerten sie dennoch dem bisherigen Regimente die Anerkennung [170] und den Gehorsam und beriefen zur Leitung der Verwaltung ständische Ausschüsse.

In dem Bilde, das hier entworfen werden soll, findet der Gang der Parteikämpfe in den genannten vier Ländern keine Stelle. Unsere Aufmerksamkeit fesselt nur die schicksalsschwere Entwickelung der ständischen Kämpfe in der Landschaft unter der Enns und insbesondere in Wien, mit welchen die hervorragende Thätigkeit und das tragische Ende Siebenbürger’s auf das engste verflochten sind. In der Landschaft unter der Enns und insbesondere in Wien gingen die Wogen der ständischen Bewegung am höchsten; hier wurde am heftigsten der alten Regierung Widerstand geleistet, ihr der Vorwurf der Willkürherrschaft und Bestechlichkeit, ja selbst des Landesverrathes entgegengeschleudert. Martin S. war die Seele der Opposition. Der Landtag Oesterreichs unter der Enns trat schon am 28. Januar 1519 – also 16 Tage nach dem Tode des Fürsten – zusammen; schon einige Tage vor dem Zusammentritte der Stände hatte sich in Wien ein bemerkenswerther Umschwung mit fieberhafter Hast vollzogen. Die radicalen Elemente der Stadt hatten es unter der Führung Siebenbürger’s durchgesetzt, daß ein städtischer Ausschuß – bestehend aus 53 Mitgliedern („Genannten“) – dem Stadtrathe an die Seite gesetzt wurde.

Diese Träger einer radicalen Gesinnung bildeten nun das treibende Element, das der ganzen Bewegung in der Landschaft unter der Enns seinen Charakter aufdrückte; denn hier fand sich die größte Abneigung gegen das alte „Regiment“, hier loderte die Flamme des Widerstandes am heftigsten empor.

Als der obenerwähnte Landtag eine Spaltung zeigte, die große Majorität (23 Herren und 61 Ritter) der bisherigen Regierung die Anerkennung und den Gehorsam versagte, wogegen eine kleine, aber einflußreiche Minorität der Regierung sich geneigt zeigte und zur Anerkennung derselben unter gewissen Bedingungen bereit war: überließen die Stände in diesem Zwiespalt die Entscheidung der Frage merkwürdiger Weise dem Rathe und der Gemeinde der Stadt Wien. Bei der radicalen Strömung, die da seit den jüngsten Veränderungen herrschte, konnte der Sieg der Opposition keinem Zweifel unterliegen. Die besonneneren Mitglieder des Rathes und der arme, schwankende und zaghafte Bürgermeister Kirchhofer wurden von der wilden Strömung fortgerissen und erklärten sich schließlich ebenfalls gegen die Regierung. Die Landschaft schritt nun zunächst zur Bildung einer neuen Landesordnung; man schuf einen Landrath, bestehend aus 64 Mitgliedern, je 16 aus jedem Stande (Prälaten, Herrn, Ritter und Städte), aus diesen sollten 16, je 4 aus jedem Stande, die Regierungsthätigkeit üben. Wien erhielt die Begünstigung, 8 Mitglieder in den Landrath wählen zu dürfen. Unter den Gewählten erscheint an erster Stelle Martin S., vor dessen Rührigkeit und Energie seine sieben städtischen Mitgenossen völlig zurücktraten. Im Landrathe selbst gewann S. ein immer steigendes Ansehen und einen bestimmenden Einfluß. Indem die Absage gegen das bisherige Regiment und die Einführung der Selbstverwaltung die leitenden Grundsätze der neu eingesetzten Regierung bildeten, so war es eine natürliche Folge, daß dieselbe alle Staatsgewalt an sich riß; man legte die Hand auf das Kammergut und die landesfürstlichen Zölle, man änderte viele Anordnungen der früheren Regierung, man besetzte die Amtsstellen mit Anhängern der neuen Ordnung, ja man ließ selbst eigene Münzen prägen. Innerhalb des engen Rahmens, der uns hier gezogen ist, können die einzelnen Phasen und die an Verwickelung so reichen Wandlungen während des nahezu drei Jahre währenden Kampfes zwischen der landesfürstlichen Gewalt und der ständischen Libertät nicht in den Kreis der Betrachtung gezogen werden.

[171] Wir wollen nur kurz den Antheil Siebenbürger’s an diesem Aufruhr schildern. Volles Licht über seine Thätigkeit wird vielleicht erst dann verbreitet werden, wenn sein in der Wiener Hofbibliothek aufbewahrtes Tagebuch vollständig veröffentlicht sein wird, aus dem die Geschichtschreiber Buchholz, Th. v. Karajan und V. v. Kraus nur Auszüge zur Mittheilung gebracht haben. Fast an allen landtäglichen Berathungen, welche in der Zeit von 1519 bis 1521 gepflogen wurden, ebenso an hochwichtigen diplomatischen Missionen hat S. hervorragenden Antheil genommen.

Wir begegnen seiner einflußreichen Thätigkeit auf dem Generallandtage zu Bruck an der Mur (13. März 1519), er erscheint neben Michael v. Eitzing als Vertreter Oesterreichs bei der an Karl nach Barcelona abgeschickten Gesandtschaft, welche Ende Juni (1519) von Villach aufbrach, über Venedig, Rom, Neapel und von da seewärts, Sardinien und Corsika berührend, nach Spanien zog und am 3. November (1519) glücklich in Barcelona anlangte. Am 6. November hat dann S. als Wortführer der ständischen Abgeordneten jene kühne Rede vor Karl gehalten, welche die spanische Grandezza so tief verletzte. (Der Wortlaut der Rede ist uns in Herberstein’s Selbstbiographie noch erhalten.) Hervorragenden Antheil nimmt S. dann auf dem Huldigungslandtage, der auf den 4. Juli 1520 nach Klosterneuburg berufen wurde, und erscheint als Mitglied der Deputation, welche bald darauf, dem Wunsche des Kaisers Karl entsprechend, an die von demselben in Augsburg eingesetzte oberste Regierung abgeordnet wurde.

Am 23. Juli 1520 verließ S. mit seinem Mitdeputirten Gampus die Heimath, um nach Augsburg zu ziehen und dort mit der kaiserlichen Regierung zu verhandeln. Aber eine Verständigung wurde auch da nicht erzielt; die Hindernisse eines guten Einvernehmens wollten kein Ende nehmen. Die Kluft blieb bestehen, die Schärfe der Gegensätze dauerte ungemindert fort. Die vom Landesfürsten eingesetzte Regierung fand in der Landschaft unter der Enns keine Anerkennung, die von den Ständen geschaffene Behörde fuhr fort, alle Hoheitsrechte auszuüben. Ja die Wirren steigerten sich, indem drei Regierungen mit ihren Ansprüchen nach Geltung rangen: das alte „Regiment“, der von der Opposition eingesetzte Landrath und die oberste kaiserliche Regierung in Augsburg. Die fruchtlosen Verhandlungen im letztgenannten Orte währten vom August bis September 1520. Indessen war ein Mandat Karl’s nach Wien gelangt (d.d. 10. September 1520), welches die Neuwahl eines Bürgermeisters forderte. „Die Wahl – sagt ein einsichtsvoller Geschichtschreiber (Professor V. v. Krauß –), die nun Wien vollzog, hat ihr später auf lange Zeit die Ungnade des Landesfürsten zugezogen, sie war der Ausdruck der tiefen Gährung, die sich damals der Gemüther unserer Vorfahren bemächtigt hatte.“

Martin S. ging bei dem Wahlacte mit eminenter Majorität als Bürgermeister hervor. Für ihn lag darin ein Vertrauensvotum gefährlichster Art; die oberste Regierung bewies aber dadurch, daß sie der Wahl durch ein Mandat Karl’s am 27. Januar 1521 die Bestätigung ertheilte, wie sicher sie sich jetzt schon fühlte. Freilich fügte Karl bei, daß die Bestätigung nicht im geringsten ein Gutheißen des bisher Geschehenen involvire, vielmehr jeder sich seiner Zeit zu vertheidigen haben werde. – S., als ob er eine Ahnung gehabt hätte, daß dadurch sein Verhängniß beschleunigt werde, schrieb damals in sein Tagebuch: „Deß ich von Herzen erschrocken, Gott geb, ich sey es nit, denn mein Verderben daran steht, Gott schick’s zum pesten.“

Nach dem Abschluß der Verhandlungen in Augsburg begab sich S. im Verein mit mehreren anderen Häuptern der Opposition an das Hoflager des Kaisers Karl. Sie trafen ihn in Mastricht. Am 18. Oct. 1520 hatten sie die erste Audienz. S. war Sprecher der Abgeordneten und brachte die Glückwünsche zur Kaiserwahl und [172] die Gefühle der Freude über dieselbe zum lebhaften Ausdrucke. Die Gesandten gaben dann dem Kaiser das Geleite nach Aachen und von da nach Mainz, wo sie vom Kaiser abermals empfangen wurden. Wieder fungirte S. als Wortführer und entwickelte alle Klagen und Beschwerden Wiens und anderer Städte in der Landschaft unter der Enns in ausführlicher Weise. Der Kaiser gab ganz allgemeine Antworten und verschob die Entscheidung bis zur Abhaltung neuer Landtage. Karl’s Zaudern hatte einen tieferen Grund, der in der nahenden Lösung der Herrschaftsfrage in den habsburgischen Erbländern lag. Schon damals war der Theilungsvertrag aufgerichtet, der erst ein halbes Jahr später – am 29. April 1521 – kundgemacht worden ist, in welchem Karl die fünf niederösterreichischen Erbprovinzen seinem Bruder Ferdinand überließ. Das Mandat Karl’s vom selben Tage entband alle Unterthanen der erwähnten Landschaften des geleisteten Eides und wies sie an Ferdinand, den neuen Landesherrn, den sie als Erbherrn zu betrachten und dem sie Treue und Gehorsam zu leisten verpflichtet wurden.

Zielbewußt, energisch und rücksichtslos griff der neue Landesfürst in die verwickelten Verhältnisse seiner Erbländer ein.

Zwei Aufgaben hatte er sich da zunächst gestellt: die Herstellung der landesfürstlichen Autorität und die strenge Bestrafung der Empörer, welche sich gegen die legitime, von Maximilian eingesetzte Regierung aufgelehnt und im Widerstreite mit den Souveränitätsrechten der fürstlichen Gewalt alle Regierungsrechte an sich gerissen hatten. Schon in den letzten Maitagen 1521 traf Ferdinand in seinem neuen Herrschaftsgebiete ein, feierte in Linz am 27. Mai mit allem Pompe seine Vermählung mit der ungarischen Königstochter Anna und nahm auf dem Landtage zu Ybbs am 5. Juli die Huldigung der beiden Landschaften ob und unter der Enns entgegen. Schon die Anfänge der neuen Regierung gaben Zeugniß für den Beginn eines strammeren Regimentes. Auf die vorgebrachten Klagen, Beschwerden und Denunciationen ertheilte Ferdinand den Bescheid, er könne augenblicklich keine Entscheidung treffen, müsse noch um wichtiger Staatsgeschäfte willen nach den Niederlanden reisen, nach seiner Rückkehr werde er „justitiam halten“. Vor seiner Abreise setzte er seine Gemahlin Anna als oberste Regentin ein.

Erst im Juni 1522 erfolgte seine Rückkehr aus den Niederlanden, wo zu Brüssel am 27. Februar mit seinem Bruder Karl der zweite Vertrag über die Theilung der habsburgischen Länder geschlossen worden war. Anfangs Juni betrat er den österreichischen Boden und am 12. Juni 1522 traf er – ohne Wien berührt zu haben – in Wienerneustadt, dem Sitze der alten, so vielfach bekämpften Regierungsbehörde ein, fest entschlossen, der landesherrlichen Idee zum Siege zu verhelfen, die Entscheidung in dem drei Jahre währenden Kampfe zu geben und über die Rebellen Gericht zu halten. Zu letzterem Zwecke setzte er unmittelbar nach seiner Ankunft in Wienerneustadt einen Gerichtshof von zwölf Personen ein; es waren dies durch Stellung und Gelehrsamkeit hervorragende Herren, aber Ausländer, denen die österreichischen Rechtsverhältnisse und die Entwickelung des ständischen Wesens eine fremde, unbekannte Sache waren. Ein Mandat Ferdinand’s d.d. 17. Juni 1522 lud alle Mitglieder des ersten Wiener Landtages vom Jahre 1519 auf den 8. Juli nach Wienerneustadt. Am 10. Juli fand unter Ferdinand’s Vorsitz die erste Gerichtsverhandlung statt. Beide Streitparteien wurden gehört. Die Mitglieder des alten Regimentes traten als Ankläger auf, die Anhänger der neuen Landesordnung suchten ihre Vertheidigung zu führen. Am 16. Juli Abends wurde das Parteienverhör geschlossen; am 23. Juli hat dann in Ferdinand’s Gegenwart die Verkündigung des Urtheils durch den Mund des Secretärs Oeder stattgefunden. Darin wurde ausgesprochen, [173] es werde zu Recht erkannt, daß nach Maximilian’s Tode die von ihm eingesetzten Regenten rechtmäßig berufen gewesen seien, die Regierung zu führen; dagegen sei dies jenen keineswegs zugestanden, welche eine neue Landesordnung aufgerichtet, sie seien Rebellen gewesen, hätten gegen die Regierung des Kaisers Max den Widerstand geweckt, das Volk aufgehetzt, ungesetzliche Versammlungen gehalten, das Kammergut und den Besitz des Fürsten usurpirt, die Berghauptleute und andere Beamte durch Eide sich verpflichtet, die Münzstätte in den Kreis ihrer Gewalt gezogen, neue Münzen geschlagen, Kundmachungen der Regenten zum Hohne fürstlicher Autorität abgerissen, die Briefe zur Einladung auf den Huldigungslandtagen geheim gehalten, den Zeugmeister vertrieben und das schwere Geschütz an sich gerissen. Das Urtheil erklärte weiter, daß die ganze Partei der Landschaft, welche die Landesordnung anerkannt, der schwersten Strafe verfallen sei, doch wolle der Landesfürst aus angeborener Milde ihr dieselbe nachsehen, er behalte sich aber vor, die Urheber und Leiter des Aufruhrs nach Recht und Gesetz zu strafen. Sogleich wurden die beiden Barone Eitzing und Puchaim, S., Rinner und 8 Wiener Bürger verhaftet und vor das Blutgericht gestellt.

Vergebens erhob S. Einspruch gegen das summarische Verfahren und gegen die ernannten Richter, als seine Gegner, vergebens wandte er sich schriftlich an Ferdinand, Karl und an die Regentschaft, vergebens intervenirte für ihn Ferdinand’s Schwager, König Ludwig II. von Ungarn. Noch ist der Brief desselben erhalten, den er an Ferdinand „pro poena capitali doctori Martino Sybenburger, civi Viennensi condonanda“ gerichtet hat. Am 9. August 1522 wurden die beiden Barone, Eitzing und Puchaim in Wienerneustadt hingerichtet. Zwei Tage später, am 11. August fiel Siebenbürger’s Haupt; zugleich mit ihm wurden Rinner und vier Wiener Bürger vom Leben zum Tode gebracht. „Sie starben“ – sagt ein hervorragender Geschichtschreiber unserer Zeit (Alphons Huber) – „sie starben als die Vertreter einer Idee, die sich überlebt hatte, als die Vorkämpfer des particularistischen Ständewesens, das sich über ein Jahrhundert lang der landesfürstlichen Gewalt als gleichberechtigt, ja als übergeordnet an die Seite gestellt hatte, aber einem energischen und durch einen mächtigen Rückhalt gedeckten Vertreter des modernen Absolutismus gegenüber beim ersten Zusammenstoße zerschellte.“ – Siebenbürger’s unglückliche Familie hatte es der Intervention des ungarischen Königs Ludwig II. zu danken, daß ihr das confiscirte Vermögen Siebenbürger’s zurückerstattet wurde. Seine Wittwe Helene und ihre vier Kinder, Thomas, Andreas, Ulrich und Martha erscheinen nach einer urkundlichen Mittheilung aus dem Jahre 1538 als Eigenthümer des von Martin S. hinterlassenen Wiener Besitztumes.

Zur Geschichte Oesterreichs unter Ferdinand I., 1519–1522. Ein Bild ständischer Parteikämpfe von Prof. Victor v. Kraus. (Jahresbericht des Leopoldstädter com. Obergymnasiums in Wien. 1873.) – Die Familie der Siebenbürger in Wien. Von Karl Schwarz. Siebenbürger Quartalschrift, Jahrgang 1859, S. 39 u. f. – Die Parteikämpfe in Niederösterreich in den Jahren 1519 und 1520, von Karl Oberleitner. 1864. – Geschichte Oesterreichs von Alfons Huber, 3. Band, S. 479 u. f. – Denkblätter der Siebenbürger Deutschen von Joseph Trausch. Kronstadt 1868, S. 205 u. f. – Capiniana strenae 1851, von Theodor v. Karajan, 7 Seiten.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Über diese Person existiert in Band 3 ein weiterer Artikel.