ADB:Sickinger, Anselm
Ludwig I. An den Capitälen im Thronsaal der Münchener Residenz und in der Basilika meißelte der junge S. unverdrossen, dann lieferte er einen Theil des decorativen Schmuckes für die Ludwigskirche, die Bibliothek und den Saalbau des kgl. Schlosses. Außerdem versuchte er sich bald in der, insbesondere durch J. O. Entres zu Ehren gebrachten Holzsculptur und im Altarbau, wobei er die Gesetze des Spitzbogenstils, soweit man denselben damals erfaßte und verstand, in selbständiger Manier belebte. Sickinger’s sogenannte Gothik trug einen subjectiven Charakter und wurde als solche sprichwörtlich. Es fehlte damals nicht an Auswüchsen, ebenso wenig wie in der darauffolgenden „Renaissance“-Periode, nur daß man die Schaden- und Schattenseite erst entdeckte, als die rechte Zeit schon verrauscht war. Daß die „Gothik“ in München nur kurz treibende Wurzel schlug, lag nicht im Princip dieser Kunst, sondern die Schuld fällt auf ihre damaligen Träger und Repräsentanten, welche, mit Ausnahme des trefflichen Fr. Hoffstadt, das Innere dieser Kunst kaum ahnten oder wissenschaftlich erkannten. Trotz des reichsten Wechsels der äußeren Motive blieb bei S. doch eine gewisse steife Herbigkeit, welche aus dem wuchernden Spiel der Ornamentik als sogenannte „Schreiner-Gothik“ immer wieder herausragte und die von ihm begründete Schule kennzeichnete. Als in der Folge die Aufträge sich häuften und drängten, hatte S. das Glück, junge, strebsame und originelle Talente zu finden, welche seine Ideen weiter bildeten. So den durch sprudelnde Erfindungsgabe ausgezeichneten Architekten Georg Schneider, der mit dem trefflichen Adolf Guggenberger und Dominik Stadler, als selbständiger Künstler hervorging, ebenso wie Joseph Knabl, dessen plastische Gruppen und Reliefs lange Zeit unter Sickinger’s Atelier-Firma in die Welt wanderten, bis die Figur der „heiligen Afra“ (im Altarschrein des Augsburger Domes) den Ruf dieses Künstlers bleibend begründete. Ein ganzer Wald von gothischen Altären ging aus Sickinger’s Werkstätte hervor, in welcher Hunderte von Händen zimmerten, meißelten und schnitzten. Zu seinem Ruhme aber sei es gesagt, daß S., obwohl er ein beträchtliches Vermögen erwarb, nie dem Handwerk oder der industriellen Speculation verfiel, sondern nach seinen besten Kräften immerdar Künstler blieb. Seine Arbeiten waren reell und solid, so zwar, daß, wenn die eigenen Kosten der Ausführung den Voranschlag überstiegen, er lieber den Schaden trug, statt durch Nachforderungen oder leichtere Arbeit oder wohlfeileres Material sich herauszuhelfen. Zu seinen besten Leistungen gehören die Altäre zu Velden (in Niederbaiern) und in der Jodocus-Kirche zu Landshut. Für die Münchener Frauenkirche lieferte er nach M. Berger’s Zeichnung die zierliche Kanzel und als eigenes Werk den zwar geistreich erdachten, in seiner Ausführung immerhin etwas schwerfälligen, von der Bäcker-Innung [161] gestifteten Altar (1865). Außerdem bevölkerte S. den Münchener Campo Santo mit zahllosen Grabdenkmalen, in welchen er anfänglich sein Princip der Gothik zur Geltung brachte, bis er schließlich zur einfachsten Wirkung mit verschiedenfarbigen, kostbaren Steinarten griff. Der unantastbare Ruf eines Ehrenmannes folgte ihm, als er am 19. October 1873, nach dritthalbjährigen Leiden starb; er hatte den Schmerz, auch seinen erwachsenen Söhnen, den Stützen und Gehülfen seines Namens und seiner Kunst, ins Grab sehen zu müssen.
Sickinger: Anselm S., Bildhauer und Architekt, geboren 1807 zu Oringen (Hohenzollern-Hechingen), arbeitete sich sozusagen von der Pike auf zu einem angesehenen, vielgenannten und geachteten Künstler empor. Seine Lehrzeit fällt in den Beginn der großen Bauwerke König