Zum Inhalt springen

ADB:Schnell, Johann (Schweizer Politiker)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Schnell, Johann“ von Emil Blösch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 155–158, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schnell,_Johann_(Schweizer_Politiker)&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:36 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Schnell, Anselm
Nächster>>>
Schnell, Johannes
Band 32 (1891), S. 155–158 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Schnell (Politiker) in der Wikipedia
Johann Schnell in Wikidata
GND-Nummer 138181624
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|32|155|158|Schnell, Johann|Emil Blösch|ADB:Schnell, Johann (Schweizer Politiker)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=138181624}}    

Schnell: Johann S., schweizerischer Staatsmann (1793–1865), von Burgdorf im Kanton Bern. Getauft am 28. April 1793, war „Hans“ S. der jüngste von drei Brüdern, welche in gemeinsamer öffentlicher Thätigkeit einen bedeutenden Einfluß auf die Geschicke ihrer engeren und weiteren Heimath ausgeübt haben. Ihr Vater, der Doctor Juris Johann Schnell – die Mutter hieß Rosina Dür – geboren 1751, war Stadtschreiber in Burgdorf, einer kleinen, zum Gebiete von Bern gehörenden Stadt, in deren bürgerlicher Bevölkerung sich schon zur Zeit der französischen Invasion, 1798, eine starke Neigung zu politischen Neuerungen bemerkbar machte. Die Bürgerschaft der Stadt Bern, und innerhalb dieser selbst ein enger Kreis aristokratischer Familien, beherrschte die Landschaft und schloß die „Unterthanen“ von allen politischen Rechten aus, ein Verhältniß, das trotz einer im ganzen sehr wohl geordneten Verwaltung von dem gebildeten Mittelstande nur ungern ertragen wurde. Der Vater Johannes S. zog die Aufmerksamkeit auf sich, da er im Februar 1798 als Abgeordneter von Burgdorf sich offen als Anhänger der Friedenspartei bekannte, welche in den Franzosen nicht Feinde, sondern Freiheitsbringer sehen wollte. Nach Einführung der Helvetischen Republik wurde er zum Districtsstatthalter ernannt und galt als einer der wenigen Verehrer und Gönner Pestalozzi’s, als dieser in dem ehemaligen landvögtlichen Schlosse zu Burgdorf seine so berühmt gewordene Erziehungsanstalt errichtete. Er starb am 6. März 1827. Sein Sohn „Hans“ war selbst ein Schüler Pestalozzi’s und erwählte dann das Studium [156] der Arzneiwissenschaft. Er brachte 2½ Jahr in Tübingen zu, erwarb sich dort 1815 mit einer Abhandlung über das Upasgift den medicinischen Doctortitel und nahm nachher noch einen längeren Aufenthalt in Paris, wo er viel im Hause seines Verwandten, des ehemaligen helvetischen Ministers Philipp Albert Stapfer verkehrte; hier traf er Benjamin Constant, Royer-Collard, den Herzog von Broglie und Alexander v. Humboldt. Die Heimreise führte ihn noch für kurze Zeit nach London, worauf er sich als Arzt in seiner Vaterstadt niederließ. Im Mai 1827 wurde ihm die Professur der Naturgeschichte und Botanik an der Akademie in Bern übertragen.

Das Jahr 1830 zog ihn in die politische Thätigkeit hinein. Im Jahr 1814 war nach Ueberwindung der Revolutionsperiode die frühere Alleinherrschaft der Hauptstadt beinahe vollständig wieder hergestellt worden und damit ein Zustand geschaffen, in welchen große Theile der Bevölkerung sich nur sehr ungern fügten. Die Julirevolution in Paris brachte auch im Kanton Bern die Unzufriedenheit zum Ausbruch, indem sie Hoffnung und Wunsch nach einer Aenderung weckte. Hans Schnell’s ältester Bruder war es, der Amtsschreiber und spätere Stadtschreiber Johann Ludwig Schnell (geb. 1781, † 1859), welcher am 15. October 1830 den Stadtrath von Burgdorf veranlaßte, der Regierung das Verlangen nach einer Verfassungsänderung kundzugeben, und der dann, als dieser Schritt keine günstige Aufnahme fand, am 3. December eine Versammlung von Abgeordneten des ganzen Landes zu freier Berathung veranstaltete. Bei dieser Gelegenheit trat Hans S. zum ersten Male als Volksredner auf, der mit hinreißendem Feuer im richtigen Augenblicke das richtige Wort fand. Damit war der Anstoß zur constitutionellen Umwälzung gegeben. Die nächste Folge war ein Regierungsdecret vom 6. December, welches die Bevölkerung einlud, ihre politischen Wünsche schriftlich einer eigens erwählten Behörde zur Kenntniß zu bringen. Allein die einmal entstandene Aufregung wartete diese Verhandlungen nicht ab: am 10. Januar 1831 fand im Dorfe Münsingen zwischen Bern und Thun eine Volksversammlung statt, welche der herrschenden Stimmung sehr entschiedenen Ausdruck gab. Die Forderung ging auf Anerkennung der „Volkssouveränität“, gleiche Vertheilung der bürgerlichen Pflichten und Rechte, Beseitigung der Privilegien der Hauptstadt und der regierenden Familien, freie Wahl des großen Rathes oder der Landesvertretung, Wählbarkeit der Bürger zu allen Staatsämtern, Preßfreiheit und Petitionsrecht. Hans S. war der Hauptredner, neben ihm sein älterer Bruder, Dr. jur. Karl S. (s. d. Artikel). Der Eindruck dieser Versammlung war der Art, daß die Regierung nicht allein von jeder Gewaltanwendung gegen die kühnen Neuerer absah, sondern am 13. Januar freiwillig die Gewalt niederlegte, „weil sie das Vertrauen des Volkes nicht mehr besitze!“ Sie erklärte sich nur noch zur provisorischen Fortführung der Geschäfte bereit. Die friedliche Revolution war vollzogen, die Brüder S. waren die Helden des Tages. Am 18. Februar versammeltr sich der nun vom Volke nach dem Verhältnisse der Kopfzahl frei gewählte Verfassungsrath. Johann Ludwig S. wurde Schriftführer dieser Behörde; Hans und Karl hatten eine Wahl abgelehnt. Nach langen Berathungen wurde am 31. Juli 1831 das Ergebniß derselben, die neue Verfassung, mit 27 802 gegen nur 2153 Stimmen als Grundgesetz erklärt, worauf am 25. August der „Große Rath“ zusammentrat. Während der älteste der Brüder jetzt mehr und mehr sich zurückzog, übten die beiden jüngeren, an Charakter sehr verschieden, aber in ihren politischen Ansichten völlig eins, gemeinsam den entscheidenden Einfluß aus auf Haltung und Richtung der neuen Regierung des „regenerirten“ Kantons Bern, als vertraute Rathgeber des repräsentirenden Staatsoberhauptes, des Schultheißen von Tscharner, als volksthümliche Redner in öffentlichen Versammlungen, als anerkannte Leiter [157] der herrschenden Partei. Besoldete Aemter und Ehrenstellen dagegen lehnten sie ab. Beim Entstehen der Berner Universität (1834), zu deren Gründung er selbst in hervorragender Weise mitgewirkt hatte, trat Hans S. sogar von seiner Stelle als Professor zurück, um in den heimischen Kreis nach Burgdorf zurückzukehren. Nur auf kurze Zeit war er im Sommer 1835 Berns Gesandter an die eidgenössische Tagsatzung, die damals in Zürich sich versammelte. Beinahe täglicher Briefverkehr vermittelte das stete Einverständniß zwischen den zwei Brüdern, wenn einer vom andern getrennt leben mußte, und diese Briefe geben, in oft äußerst derber, mitunter auch sehr leidenschaftlicher Ausdrucksweise, ein überaus anschauliches Bild der politischen Persönlichkeiten und Verhandlungen während dieser nach Außen und Innen viel bewegten Jahre. Als feuriger Idealist hatte Hans S. allen Freiheitsbestrebungen der ganzen Welt entgegen gejubelt, als Philhellene und aufopfernder Freund der vertriebenen Polen, hatte er auch den aus Italien und aus Deutschland nach der Schweiz gekommenen Flüchtlingen offene Arme entgegengebracht, und war willens gewesen, „die Fahne der Freiheit für alle Völker auf dem Gipfel der Jungfrau aufzupflanzen“. Die vielfachen Verwicklungen mit dem Auslande indessen, in welche die Schweiz sich durch diese Fremden hineingezogen sah, die oftmals drohenden Einmischungen der Großmächte, ließen ihn die Dinge bald etwas anders ansehen. Als nun gerade über diese Fragen die liberale Partei der Schweiz sich spaltete, und zugleich mancherlei Fehler der innern Politik, namentlich eine ebenso kleinliche als harte Verfolgung gegen die früher herrschenden Geschlechter, das Ansehen des Regiments erschütterten, sah Hans S. sich genöthigt, persönlich wieder mehr hervorzutreten; er ließ sich im Herbst 1837 zum Landammann wählen; allein schon das folgende Jahr brachte den Sturz der beiden verbündeten Brüder. Der Aufenthalt des Prinzen Napoleon in der Schweiz gab die Veranlassung dazu; König Ludwig Philipp verlangte im Sommer 1838 die Austreibung des Prätendenten; ein großer Theil der Schweiz widerstrebte diesem Ansinnen und war bereit, es zum Kriege mit Frankreich kommen zu lassen. Die Brüder S. dagegen wollten nicht um eines Fremden willen die Existenz des Vaterlandes auf das Spiel setzen, und eifrig verfolgten sie im Berner Großen Rath diese Ansicht. Allein am 24. September siegte auch hier die kriegerisch-trotzige Stimmung. Diese Niederlage – es standen 106 Stimmen gegen 104 – bewog die S. zum sofortigen Rücktritt aus allen öffentlichen Stellen. „Die Herren Schnell haben kein Vorrecht!“ rief ihr bisheriger College, Karl Neuhaus, als man sie von diesem Entschlusse abzubringen suchte. Die politische Rolle der Brüder war damit zu Ende. Hans S. betrieb in Burgdorf seine Apotheke nebst einer damit in Verbindung stehenden chemischen Fabrik, und genoß dabei in einfachster Behaglichkeit die Stille des Landlebens. Erst nach dem Tode von Dr. Karl S. und nur vorübergehend brachten die Ereignisse der sogenannten „Freischaarenzüge“ und des Sonderbundkrieges, sowie eine neue Verfassungänderung im J. 1846 ihn noch einmal in Bewegung. Er schrieb eine heftige politische Flugschrift: „Meine Erlebnisse unter dem Freischaarenregiment“, und im Frühling 1850 trat er in einer gegen die radicale Regierung gerichteten Parteiversammlung (25. März in Münsingen) mit altem Feuer als Redner auf, ohne aber im übrigen thätigen Antheil am politischen Leben zu nehmen. Im Anfang 1865 feierte er, von Abgeordneten der Berner Universität begrüßt, das 50. Jahr seiner Doctor-Promotion; aber wenige Monate später verzehrte eine furchtbare Feuersbrunst einen großen Theil seiner geliebten Vaterstadt, und der tief empfindende Greis wurde dadurch, obwohl persönlich nicht betroffen, so schwer erschüttert, daß er die Schreckensnacht nur um kurze Zeit überlebte. Er starb am 27. August 1865. Verheirathet war er mit einer Tochter seines nahen Verwandten, des Professors Samuel Schnell (s. d. Artikel). [158] Er war eine durch und durch edle, in ungewöhnlich schlichtem Wesen groß und ideal angelegte Natur.

Blösch, Eduard Blösch und dreißig Jahre Bernischer Geschichte, Bern 1872. – v. Tillier, Geschichte der Eidgenossenschaft zur Zeit des sog. Fortschritts, Bern 1854–55. – Baumgartner, Die Schweiz in ihren Kämpfen und Umgestaltungen, Zürich 1853–66. – Joh. Schnell, Meine Erlebnisse unter dem Freischaarenregiment, Burgdorf 1850. – Correspondenz der Brüder Schnell, über 1300 Originalbriefe, im Besitze des Verfassers.