ADB:Runge, Heinrich (Rostocker Ratsherr)
Heinrich II. (den „Löwen“) von Mecklenburg, Markgraf Waldemar von Brandenburg und deren Verbündete der feste Thurm zu Warnemünde nach elfwöchentlicher Belagerung und Bestürmung aus Hunger von den befehligenden Rathsherren unter Bernhard von Baggeln übergeben werden mußte. Die rasend gewordene Gemeinde warf dem wesentlich aus Großkaufleuten bestehenden Rathe heimliches Einverständniß mit dem Könige vor; in unerhörten Peinigungen und Hinrichtungen wurden eine Anzahl Rathsherren gemordet, andere flohen. Heinrich’s Bruder, Volmar (Waldemar), war unter den ergriffenen Rathsherrn, die am 17. September enthauptet wurden; die Bitte eines Unbetheiligten an Heinrich R., den Bruder zu retten, beantwortete er (nach Ernst v. Kirchberg’s Mittelhochd. Chronik) mit den Worten: „Ge eynre mit dem andren“, was die Rostocker Chronik wiedergibt: „dat men den einen mit dem andern scholde laten loss gan“, und Alb. Krantz übersetzt: „vadat socius complicibus“. Schon die erste Quelle gibt an, R. habe durch die Beseitigung seines Bruders sich den Weg zum Rathsstuhl öffnen wollen. Die Handwerksämter wählten ihn denn wirklich in den „neuen“ Rath, d. h. den Revolutionsausschuß; es ist sicher anzunehmen, daß er auch wesentlich betheiligt war an dem „Bürgerbrief“ von 1312. Kirchberg [687] nennt ihn geradezu den Bandenführer an der Spitze von Beckern, Kleinbindern (Becherern), Schneidern und Schustern. Trotzdem sah sich dieser neue Rath in Verbindung mit den Kaufleuten gegen den Willen der Handwerker und der Masse bald gezwungen, mit Heinrich von Mecklenburg namens des Königs von Dänemark die Verträge von Pölchow am 6. und 15. December 1312 abzuschließen, welche die Stadt dem Dänenkönige unterwarfen. Als dann am 8. Januar 1314 die Herren vom „Alten Rath“ sich mit dem Fürsten über ihre Wiedereinsetzung geeinigt und ihm am 12. Januar Abends ein Thor hatten öffnen lassen, mußte R., den der Rath zum Fürsten mit der Frage nach seinem Begehr gesandt hatte, sich dazu bequemen, die zu den Waffen gerufene Gemeinde selbst zur Ruhe zu bringen. In derselben Nacht entrann er heimlich und entging so der sicheren Hinrichtung, wurde aber auf ewige Zeiten verfestet. Der alte Rath „nach lübischem Recht“ war wieder eingesetzt. Von Heinrich R. wissen wir ferner nichts, sein Geschlecht aber blieb mit seinen Traditionen. Ob freilich Nicolaus R., der am 25. October 1433 den damaligen „Neuen Rath“, wie es scheint im Kaland, überfallen wollte, dazu gehört, ist fraglich; ebenso ob dieser der erste Bürgermeister des neuen Städtchens Brüel von 1430 ist; aber in der Rostocker Domfehde, die von 1483 an in Streitigkeiten und Verhandlungen eingeleitet, von 1487–91 die gesammten wendischen Städte, die mecklenburgischen, lauenburgischen, pommerschen und braunschweiger Fürsten, den Kurfürsten Johann Cicero und den König von Dänemark in Bewegung brachte, trat als Führer der Bürgerschaft gegen den Rath und die Herzoge Hans R., ein betagter, verheiratheter Mann, hervor. Gleich nach der wilden Erhebung vom 14. Januar 1487, in der der neue Dompropst Thomas Rode (s. oben S. 10) erschlagen wurde, forderte R., wegen des Mordes solle der Rath Niemand, auch keinen von den kleinen Leuten, richten lassen: „wi willen idt allthomale gedaen hebben“. Nach einem Waffenstillstande, den die Gemeinde dem Rathe verdachte, bildete sich ein geheimer Ausschuß, der unter Hans R. Tideke (Dietrich) Boldewahn, dem Baumeister des Brüderklosters vom gemeinsamen Leben Bernt Wartberch und anderen am 10. Februar 1489 zu gewaltsamem Aufruhr schritt, die bekannten „Sechziger“ einsetzte und schwur, Mann für Mann bei einander lebendig und todt zu bleiben. Alle Schlüssel der Stadt ließ R. sich ausliefern, verwies 9 Rathsherrn aus dem Rathsstuhle und ließ die 14 übrigen schwören, bei der Gemeinde zu bleiben; er selbst als Führer der Sechsziger nahm theil an den Verhandlungen mit den Fürsten. Die Sühnetage zu Wismar, die am 29. August begannen, verliefen ohne Ausgleich, da verurtheilte das Schiedsgericht, König Johann von Dänemark, die Räthe des Kurfürsten, die Herzöge von Holstein, Lauenburg und Braunschweig und die Hansestädte am 7. September die hartnäckige Stadt zu äußerst schwerer Buße. Der Rath schien nun durchgreifen zu wollen; R. nannte das „einen Auflauf des Rathes“, zwang diesen durch offenen Aufstand und brachte einen „neuen Rath“ zu Stande, an dessen Spitze sein alter Genosse Boldewahn als erster Bürgermeister stand. In der Stadt aber kam es zu argen Gewaltthaten der Niederen gegen die Wohlhabenden, auch gegen das Vermögen, ja die Frauen der ausgewiesenen Rathsherren. In einer Verhandlung vom 23. August 1490 redeten die Fürsten persönlich R. zu, die Stadt nicht ins Unglück zu bringen; er aber rieth im Herbste, allen Handelsverkehr nach außen abzubrechen. Als die Fürsten dies erfuhren, sperrten sie der Stadt alle Zufuhr. Dem neuen Rathe wurden die Verhältnisse unheimlich; nach langem Hin- und Herverhandeln kam es, da die Herzoge Rostock im eignen Feuer schmoren ließen, endlich am 17. December 1490 in Lübeck zu einem Vertrage, zunächst zum Ausgleich der städtischen Parteien. Während nun aber Boldewahn auch die Verhandlungen mit den Fürsten begann, [688] um zunächst die feindliche Sperre los zu werden, welche während des harten Winters immer drückender wurde, wollte R. Raub- und Brandzüge in das Land unternehmen, und ein Haufe von „Runge’s Kindern“ unternahm am 2. März 1491 eine glückliche Bootfahrt auf Plünderung nach dem Fischlande. Am 12. März aber beriefen R. und Wartberch ihre Anhänger, erklärten den Receß vom 17. December für ungültig, besetzten die Thore und beraubten alle, die hinaus oder hinein wollten. Eine Liste zur Tödtung der Reichen und Plünderung ihres Gutes wurde aufgestellt, aber verrathen. Da scharten sich im Geheimen die Kaufleute zum Rathe. R. und Wartberch besetzten das feste Steinthor am Abend des 6. April, aber die Erbgesessenen erhoben sich gegen sie, am 9. April wurden sie gegriffen und vor den Rath gebracht; R. glaubte seinen alten Einfluß noch einmal üben zu können und forderte, seine Gegner auf die Folter zu spannen. Aber Boldewahn ließ ihn in den Lagebuschthurm werfen. Sonntags am 10. schon wurden ihm und Wartberch die Köpfe abgeschlagen, die Leichen den Frauen ins Haus geschickt. Eine gewaltige tribunische Kraft ist in R. zu Grunde gegangen. Sein Geschlecht saß später wieder unter den letzten Ausläufern der alten Geschlechter im Rathsstuhle: 1536 wurde Niclas R. gekoren und 1580 Heinrich R. mit dem alten ominösen Namen; 1583 wurde er Bürgermeister und schloß den Rostocker Erbvertrag mit Herzog Ulrich ab, er starb 1599. Auch die Boldewahn kehren wieder: 1530 kam Heinrich Boldewahn in den Rath, 1532 wurde er Bürgermeister und starb 1556. Sein Sohn Michael, ein guter Jurist und Schüler Johann Oldendorp’s (Stintzing nannte ihn gar v. Boldewahn) spielte in den wüsten Unruhen von 1563 eine schlimme Rolle als Sechsziger. Er starb an der Pest.
Runge: Heinrich R., aus einem Rathmannengeschlechte Rostocks, fraglich ob einem der ältesten oder einem im Aufstand von 1287, wo der Name Runge freilich nicht genannt ist, emporgekommenen, stellte sich an die Spitze des wüthenden Aufruhrs von 1312, als im Kampfe der Stadt und des letzten „Herrn von Rostock“, Niclot des Kindes, gegen Erich Menved von Dänemark,- Ernst v. Kirchberg bei v. Westphalen IV. – Rostocker Chronik in Schröter’s Beitr. zur Meckl. Geschichtskunde I. Heft 1 (einziges) mit Krause’s Abh. im Rostocker Gymn.-Progr. 1873. – Rostocker Domfehde, herausg. von Krause. Progr. 1880. – O. Krabbe, Gesch. der Univ. Rostock. – K. Koppmann, Geschichte der Stadt Rostock I.