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ADB:Reitzenstein, Franziska Freifrau von

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Artikel „Reitzenstein, Franziska Freifrau von“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 300–301, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reitzenstein,_Franziska_Freifrau_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:14 Uhr UTC)
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Reitzenstein: Franziska Freifrau von R., als Schriftstellerin unter dem Namen Franz von Nemmersdorf thätig; geboren am 19. September 1834 auf Schloß Härtenstein in Schwaben, als die Tochter des Augsburger Oberappellationsgerichtsrathes v. Nyß, erhielt eine äußerst sorgfältige Erziehung und durch dieselbe Geschmack an ernsten Studien, namentlich Geschichte, Philosophie und Anthropologie im weitesten Sinne. Verheirathet 1849 mit dem kgl. bair. Rittmeister Freiherrn v. Reitzenstein, und seit 1853 Wittwe, lebte sie der Gesellschaft und, durch Gutzkow der Litteratur zugeführt, auf Reisen in Italien, besonders in Rom und Venedig, wo sie die Lagunenstadt gründlich studirte. Hier fand sie auch den Stoff zu ihrem Roman „La Stella“, welcher zuerst in der damaligen „Neuen Münchener Zeitung“ und dann als eigenes Buch (München 1863) erschien, eine äußerst farbig sehr geschickt und mit glühender Leidenschaft durchgeführte Erzählung. Gleiche Vorzüge hatten ihre kurz vorher bekannt gewordenen Romane „Unter den Ruinen“ (Roms) und „Moderne Gesellschaft“ (1863). Der zweibändige Roman „Doge und Papst“ schildert das 17. Jahrhundert und die Zeit Paul’s V. (Breslau 1865). Rasch folgten die auf gleichem Terrain spielende Novelle „Gozzi’s Rache“ (1865 im Abendblatt der Bayer. Zeitung); „Allein in der Welt“; „Ein moderner Werther“; „Späte Sühne“ (in den von Julius Grosse und Dr. Franz Grandauer redigirten „Propyläen“, 1869); dann der dreibändige Roman „Unter den Waffen“ (Berlin 1869; in zweiter Auflage 1872); „Die Verworfene und Reine“; „Ein dämonisches Weib“ (1873); „Ein Gentleman“ und „Masken des Glücks“ (1875); ein abermals in Venedig spielendes „Ehestandsdrama“ (1876); „Gebt Raum“ (1889) u. s. w.

[301] Allgemach setzte sie auf das bisher schon vielfach gestreifte physiologisch-philosophische Gebiet über, in Mantegazza’s Fußtapfen tretend, dem sie auch ihr Opus über den „Kampf der Geschlechter“ (Leipzig 1891. 93. 94) zueignete. Mit großer Kühnheit behandelte sie die durch ungefähre Gleichstellung der Geschlechter ihr leicht entwirrbar scheinende Frauenfrage. Sie packte ihr Thema mit großem Ernst und vielfach geistreich, freilich nicht durchweg neu, aber doch meist zutreffend und gut beobachtend. Den Schluß machte die schreibselige Frau mit der in hocharistokratischen Kreisen sich bewegenden, theilweise scharf sarkastischen Schilderung „Das Räthsel des Lebens“ (1894), welchem sie noch eine Studie „Aus gährender Zeit“ (Stuttgart 1895) nachjagte. Nebenbei bethätigte sie sich bei verschiedenen Journalen und Zeitschriften, lieferte allerlei Tagesartikel für die damals noch in Augsburg befindliche, von Kolb und Altenhöver redigirte „Allgemeine Zeitung“, in die „Münchener Zeitung“ und das damit zusammenhängende „Unterhaltungsblatt“ (1859. 60), in Keil’s „Gartenlaube“, auch für Wiener Blätter war sie thätig. Ihr Stil spitzte sich später zu einem kurzathmigen Satzbau und fragmentarischen Erzählerton. Zuweilen schaute der Blaustrumpf stark hervor; auch liebte sie in einem polyglotten Salonidiom zu schwelgen, im Nachklang der vormärzlichen hocharistokratischen Gepflogenheit: ein Mischmasch von Fremdwörtern und Citaten aus allen möglichen todten und lebenden Sprachen.

In der Jugend eine vielgepriesene Schönheit, später eine imposante Erscheinung, endlich aber nur noch eine Ruine aus längst vergangenen Tagen, wenn man sie in den Straßen Münchens oder in der kgl. Hof- und Staatsbibliothek sah mit dem archaistischen Lächeln auf dem Gesicht und in ihrer recht phantasievollen Garderobe. Ihr schriftstellerisches Pseudonym entstammte dem willkürlichen Griff in ein topographisch-statistisches Lexikon. Aber ein anderer Zufall des Glückes warf ihr ein Wiener „großes Loos“ in den Schoß. Dafür kaufte sie sich 1882 in München ein schönes Haus, in dem sie die Schar ihrer angeblich sogar testamentarisch sichergestellten Katzen heimisch machte. Die Nachbarschaft erhob sie dafür zur Katzenbaronin[1]. Ueber ihrer Gruft im südlichen Camposanto wurde nach Fr. Thiersch’s Entwurf durch die Firma Zwisler & Baumeister ein stattliches Denkmal mit einer von Bildhauer Maier in Marmor gemeißelten Urnenträgerin errichtet.

Vgl. Heinrich Kurz, Geschichte der neuesten deutschen Literatur, 1873. IV, 673. – Franz Bornmüller, Schriftsteller-Lexikon der Gegenwart, 1882, S. 522. – Nr. 155 der Allg. Zeitung, 6. Juli 1896. – Frz. Brümmer, Lexikon, 4. Aufl. III, 297 und in Bettelheim’s Jahrbuch 1897. I, 256.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Reitzenstein, Franziska Frfr. v. LIII 301 Z. 23 v. u. l.: Katzenbaronin; sie starb 4. Juni 1896. [Bd. 56, S. 398]