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ADB:Posselt, Ernst Ludwig

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Artikel „Posselt, Ernst Ludwig“ von Binder. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 461–464, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Posselt,_Ernst_Ludwig&oldid=- (Version vom 31. Oktober 2024, 22:48 Uhr UTC)
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Posselt: Dr. Ernst Ludwig P., deutscher Historiker, geb. am 22. Jan. 1763 zu Durlach, † am 11. Juni 1804 zu Heidelberg. Sein Vater Philipp Daniel P. war markgräfl. badischer geh. Hofrath, der über vierzig Jahre in Durlach als Beamter wirkte. P., dem der Vater eine sehr sorgfältige Erziehung zu theil werden ließ, besuchte zuerst das Pädagogium seiner Vaterstadt und dann das Gymnasium zu Karlsruhe und zwar beide Anstalten mit ausgezeichnetem Erfolg. Nach Absolvirung des Gymnasiums bezog P. die Universität Göttingen, wo er sich dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften sowie der Geschichte widmete, dabei auch die neueren Sprachen, und mit besonderer Vorliebe die Lectüre der römischen Classiker betrieb. Nach einem dreijährigen Aufenthalt [462] daselbst besuchte er noch einige Zeit die Universität Straßburg, wo er sich die Würde eines Doctors beider Rechte erwarb; dann wandte er sich in seiner Heimath zuerst der juristischen Laufbahn zu und wurde Regierungsadvocat; da aber die Geschäfte eines solchen seinen sonstigen geistigen Bestrebungen nicht zusagten, so vertauschte er schon 1784 diese Stellung mit dem Amte eines Professors der Rechte und der Beredsamkeit an dem Gymnasium zu Karlsruhe; dabei bekleidete er zugleich die Stelle eines geheimen Secretärs bei dem regierenden Markgrafen. 1791 wurde P. Amtmann zu Gernsbach bei Baden-Baden. Um sich ganz seinen historischen Studien und schriftstellerischen Neigung widmen zu können, die bei der sehr beifälligen Aufnahme seiner Arbeiten seitens des Publicums ihm auch größeren materiellen Gewinn versprachen als eine Amtsbesoldung, dann auch, weil ihm seine Hinneigung zu den Ideen der französischen Revolution Verlegenheiten bereitet hatte, bat er 1796 um Entlassung aus seinem Amte zugleich mit dem Erbieten gegen Gewährung seiner bisherigen jährlichen halben Besoldung als Historiograph des markgräflichen Hauses Baden die Geschichte desselben schreiben zu wollen; dieses Gesuch wurde ihm bewilligt, indem er gleichzeitig zum Legationsrath mit dem Titel eines Hofraths ernannt wurde. Von jetzt an lebte P. in historisch-schriftstellerischer Thätigkeit bis zu seinem Tode abwechselnd an verschiedenen Orten, wie Karlsruhe, Durlach, Tübingen, Nürnberg und Erlangen. – Schon in seiner Stellung als Professor der Rechte und Beredsamkeit in Karlsruhe hielt P., nur einige zwanzig Jahre alt, aus Anlaß geschichtlicher oder sonstiger persönlicher Gedenktage Reden historischen Inhalts, die auch im Druck erschienen, wie „Ueber deutsche Historiographie“ gelegentlich der Jubelfeier des Karlsruher Gymnasiums am 21. Nov. 1786, worin er seine Ansicht über die Art Geschichte zu schreiben niederlegte; dann folgte seine Rede auf Friedrich den Großen, gehalten am ersten Jahrestag dessen Todes sowie die Rede „dem Vaterlandstode der 400 Bürger von Pforzheim“, gehalten am 29. Januar 1788, welche deren heldenmüthigen Untergang in der Schlacht bei Wimpfen am 6. Mai 1622 verherrlichte; dann ist noch eine dem Andenken des badischen Präsidenten August v. Hahn gewidmete und am 6. Juni 1788 gehaltene Rede zu erwähnen. Durch diese Reden lenkte P. die Aufmerksamkeit der politischen und litterarischen Kreise auf sich: infolge der erwähnten Rede auf Friedrich den Großen erhielt er wiederholt die Einladung zum Eintritt in den preußischen Staatsdienst; die oben angeführte dritte Rede erwarb ihm das Pforzheimer Ehrenbürgerrecht, und die deutsche Gesellschaft in Mannheim nahm ihn 1788 als Mitglied auf. – Von Posselt’s historisch-litterarischer Thätigkeit zeugen eine Reihe von Schriften und Abhandlungen, mehrere der letzteren in lateinischer Sprache geschrieben, von welchen die bedeutenderen hier nach der Zeit ihrer Veröffentlichung geordnet angeführt werden mögen. Zuerst ließ P. im Verein mit mehreren Gelehrten das „Wissenschaftliche Magazin für Aufklärung“ erscheinen, 3 Bde. Kehl 1785–88, zu dem Zwecke in gefälliger Form Aufklärung über alle Zweige des Wissens zu verbreiten. 1786 erschien seine Schrift „Ueber die Reden großer Römer in den Werken ihrer Geschichtschreiber“, worin die von den alten Historikern ihren Darstellungen eingefügte Vorführung der handelnden Personen zugleich auch als redende, um so ihre Handlungsweise zu begründen, als in künstlerischer Absicht berechnet und berechtigt nachgewiesen wird. Nach der 1787 erschienenen „Geschichte der deutschen Fürstenvereine“ veröffentlichte P. seine „Geschichte der Deutschen für alle Stände“ 1. und 2. Bd. Leipzig 1789–90, welches Werk 1805 und 1819 in zwei weiteren Bänden eine Fortsetzung erfuhr durch K. H. Ludwig Pölitz und bei seiner ausgedehnten Verbreitung viel zur Hebung des Interesses an der vaterländischen Geschichte beitrug; 1790 und 1792 folgte das „Archiv für ältere und neuere, vorzüglich deutsche Geschichte, Staatsklugheit und [463] Erdkunde“ 2 Bdchen., und in letzterem Jahre zugleich die „Geschichte Gustavs des Dritten, Königs der Schweden und Gothen“, eine nach den besten Quellen und mit Sorgfalt durchgearbeitete Biographie; weiter ist zu erwähnen das „Taschenbuch für die neueste Geschichte“ 10 Jahrgänge. Nürnberg 1794–1804 sowie die „Europäischen Annalen“, ebenfalls zehn Jahrgänge, Tübingen 1795 bis 1804. In diesen beiden und besonders in der letzteren Zeitschrift erfahren die neueren sowie die gleichzeitigen geschichtlichen Vorgänge besonders die der französischen Revolution und die darin hervortretenden Charaktere eine von persönlicher Sympathie des Verfassers getragene Behandlung. Von kleineren Arbeiten sind zu nennen: „Ueber Mirabeau’s Histoire secrète de la cour de Berlin“ Karlsruhe 1789, dann „Geschichte Karls des Zwölften, Königs von Schweden“, nach Voltaire, ebend. 1791, ferner „Der Prozeß gegen den letzten König von Frankreich, Ludwig den Sechzehnten und dessen Gemahlin. Ein Beitrag zu Geschichte der französischen Revolution“. Neue Auflage. Nürnberg 1802, von welcher Schrift die erste 1793 erschienene Ausgabe gar nicht ins Publicum gelangte; 1795 veröffentlichte P. seine „Kleinen Schriften“, worin ein Theil der kleinern und in mehreren Zeitschriften zerstreuten Aufsätze desselben gesammelt waren; auch ist zu erwähnen sein „Lexicon der französischen Revolution, oder Sammlung von Biographien der wichtigsten Männer, die sich im Laufe derselben ausgezeichnet haben“, Nürnberg 1802. – Von Posselt’s in lateinischer Sprache geschriebenen Arbeiten mag hier genannt werden: „Epistola de optima studii juris, antequam ad literarum universitates eatur, in Gymnasiis academicis colendi ratione“. Kehl 1784; ferner „Systema jurium Corporis Evangelici“. Argentorati 1786 sowie „Bellum populi Gallici adversus Hungariae Borussiaeque reges eorumque socios“. Gottingae 1793. Auch war P. Herausgeber von H. W. v. Günderode’s sämmtlichen Werken aus dem deutschen Staats- und Privatrecht, der Geschichte und Münzwissenschaft sowie der „Neuesten Weltkunde“, die später als „Allgemeine Zeitung“ erschien. – P. verstand seine historischen Stoffe mit Fachkenntniß und Geschick zusammenzutragen und denselben durch eine geistvolle Behandlung und glänzende Sprache einen wirksamen Reiz zu verleihen; dieses Talent einer gewandten lebendigen, jedoch stilistisch zuweilen eigenartigen Darstellung war verbunden mit einem reichen, besonders auch auf das classische Alterthum gegründeten historischen Wissen, mit ausgedehnten geographischen, statistischen und staatsrechtlichen Kenntnissen. Wo die persönliche Vorliebe für den Gegenstand in Anregung kommt, unterstützt eine innige Gemüthstheilnahme die Behandlung des Stoffes, wie dies besonders in den Schriften bemerkbar ist, welche die Vorgänge und Charaktere der französischen Revolution schildern; diese persönliche Stimmung und eine zu rasche Verwerthung der gleichzeitigen geschichtlichen Ereignisse beeinflußt jedoch öfters die objective Würdigung und ruhige Darstellung der Thatsachen, was Uebertreibungen und Härten zur Folge hat. Unter den deutschen Historikern zog ihn vornehmlich Johannes v. Müller an, wobei ihm jedoch dessen dunkle Sprache nicht zusagte, wie er überhaupt in der Schreibweise Deutlichkeit, Natürlichkeit und vor allem deutsches Gepräge gepflegt wünschte und hier wie in seinem ganzen Wesen trotz seiner Hinneigung zu den damaligen französischen Vorgängen jeder Nachahmung fremder Art und Weise durchaus abhold war; wol in diesem Sinne zog er hinsichtlich der damaligen deutschen Litteratur die Periode der Klopstock, Lessing, Mendelssohn, Kleist und Winckelmann der nachfolgenden vor, da nach seiner Ansicht dieses deutsche Gepräge bei jenen noch mehr hervortrete. Die römischen Classiker, für die er, wie für die von ihm sehr gepflegte lateinische Sprache, eine besondere Vorliebe hatte, waren ein für ihn frei verfügbares geistiges Eigenthum geworden. Auch in der Poesie sowie in den bildenden Künsten besaß er ein reiches Wissen und tiefes Verständniß und in [464] letzterer Hinsicht wurde seine Kenntniß bei Entwürfen häufig zu Rathe gezogen. – Posselt’s äußerliche Verhältnisse hatten sich in pecuniärer Hinsicht durch den Ertrag seiner schriftstellerischen Arbeiten allmählich sehr vortheilhaft gestaltet, zumal er ein guter Verwalter seines Vermögens war und für seine persönlichen Bedürfnisse wenig Aufwand machte; dagegen war sein Familienleben infolge einer Mißheirath, wo sein geistiges Leben keine häusliche Anregung fand und der sonstige gesellschaftliche Abschluß ihn persönlich vereinsamte, von nachtheiliger Wirkung auf seine ganze Lebensführung und geistiges Schaffen, so daß sein zuvor lebhafter und strebsamer Geist mehr und mehr in eine krankhafte Stimmung gerieth. Diese Verhältnisse und dann schließlich noch das Hinzutreten eines ihn tief erregenden Ereignisses führten einen tragischen Abschluß herbei. Die Verhaftung des ihm nahe befreundeten französischen Generals Moreau, den er dann des Hochverrathes gegen Napoleon angeklagt sah, erfüllte sein ohnedies zur Aengstlichkeit neigendes Gemüth mit banger Theilnahme an dem Schicksal des Freundes, zugleich aber auch mit der Furcht, selbst in diesen Proceß verwickelt zu werden. Diese Gemüthserregung steigerte sich zu geistigen Störungen und zu einer ihn von Ort zu Ort treibenden Unruhe; in solcher Stimmung kam P. am 10. Juni 1804 nach Heidelberg und endete am folgenden Morgen sein Leben durch den Sturz aus dem Fenster eines oberen Stockwerkes. P. war von Gestalt nicht groß, aber von kräftigem Körperbau und etwas zur Beleibtheit neigend; seine Haltung war stramm, seine Gesichtsfarbe frisch, die Augen etwas klein, aber lebhaft wie sein Geist. Die Ausbildung des Körpers hatte er von Jugend an gepflegt, er war ein geübter Reiter und rüstiger Fußgänger. Sein gesellschaftliches Auftreten zeigte ein bescheidenes, jedem geräuschvollen Vordrängen fremdes Wesen, dabei aber eine doch von Selbstbewußtsein getragene persönliche Würde; er war eine umgängliche Natur, die mit gesellschaftlichem Sinn gerne im Verkehr sich bewegte, ehe ihn die häuslichen Verhältnisse demselben entfremdeten, wo er dann unregelmäßig im Uebermaß bald Monate lang strenger, einsamer Arbeit sich widmete, bald auch ebenso dauerndem Genuß sich hingab, ein äußeres Merkmal geistiger krankhafter Vorgänge, die ihn seinem traurigen Verhängniß entgegenführten.

Eine Sammlung von Posselt’s Werken wurde in 6 Bänden von Weick herausgegeben, Stuttg. 1828 ff. – Kurze Biographie von Dr. Ernst Ludwig Posselt von Wilhelmine Müller in dem Taschenbuch für edle Weiber und Mädchen, 1805. S. 177–193. – Meusels Gelehrtes Teutschland (Ausg. 5) Bd. 6 S. 152–155. Bd. 10 S. 432. Bd. 11 S. 620. – Vgl. auch Gehres, Lebensbeschreibung von E. L. Posselt. Kleine Chronik von Durlach, 2 Th., S. 231–272. Mannheim 1827, 2 Bde.
Binder.