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ADB:Pollini, Bernhard

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Artikel „Pollini, Bernhard“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 172–173, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pollini,_Bernhard&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:25 Uhr UTC)
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Pollini *): Bernhard P., Theaterdirector, wurde am 16. December 1838 zu Köln a. Rh. aus einer in sehr bescheidenen Verhältnissen lebenden streng israelitischen Familie geboren und hieß eigentlich Baruch Pohl; erst 1888, als er Hamburger Bürger wurde, bestätigte dem 50jährigen der dortige Senat das Recht, auch bürgerlich den Künstlernamen Pollini zu tragen. Nachdem der Knabe einige Jahre das Gymnasium besucht und in dem Kaufmannshause Elzbacher thätig gewesen, debütirte er am 11. December 1857 in seiner Vaterstadt als Sir Richard Forth in Bellini’s Oper „Die Puritaner“: immerhin mit so viel Erfolg, daß er fürder für immer sein Schicksal an den Thespiskarren spannte. Bewährte er sich nun auch als ein ganz gewandter und brauchbarer Baritonist, so befriedigten ihn doch die künstlerisch wie materiell bescheidenen Ergebnisse dieser Wirksamkeit keineswegs. Ein starker Trieb wies ihn auf selbständiges Eingreifen in die Gestaltungen innerhalb des Theaterstaats, und so hat er denn, rasch entschlossen seiner kurzen Laufbahn als Sänger zu entsagen, seine hervorragenden organisatorischen Anlagen früh in leitender Thätigkeit auszubeuten begonnen. Zunächst versuchte er dieses Talent als Geschäftsführer und artistischer Leiter einer wandernden italienischen Operngesellschaft. Das war im Herbst 1865. Er führte diese damals, ohne selbst vorher je einmal den Fuß über die deutschen Grenzen gesetzt zu haben, über Mailand, Paris, London nach sämmtlichen Weltstädten der Vereinigten Staaten, nun nach Havanna, Mexiko, New-York, Paris, bereiste ganz Italien von Nord nach Süd, gastirte in Constantinopel und schiffte dann die Donau aufwärts mit längerem Aufenthalt in Pest und Wien. Im Frühling 1867 landete P. am Ausgange dieses Unternehmens in Galiziens Hauptstadt, mit 4 Kupferkreuzern in der Tasche, aber reich an künstlerischen wie praktischen Erfahrungen und Beziehungen, ungebrochenen Muthes und Vertrauens. Nun übernahm er dort in Lemberg zum ersten Male die selbständige Leitung einer italienischen Operntruppe. Das Glück begünstigte dies Risiko außerordentlich, indem es ihm gelang, für seine Stagione erste und durchschlagende Kräfte zu gewinnen. Mit diesen arrangirte er Tournéen und ständige Veranstaltungen als selbstherrlicher, doch goldene Berge verheißender Impresario. Insbesondere in Rußland begründete er auf diesem Wege seinen Ruf als Träger und Seele großzügiger theatralisch-gesanglicher Veranstaltungen.

P. war zugleich Chef der italienischen Oper zu Petersburg und der zu Moskau, als er sich 1873 bei der ausgeschriebenen Neuverpachtung des Hamburger Stadttheaters um dessen Direction bewarb und aus den zahlreichen Anwärtern als gewählt hervorging. Er stellte eine Kaution von 12 000 Thlrn., pachtete das Theater zu gleichhoher Jahressumme auf 10 Jahre und verpflichtete sich, 21/2 % der Brutto-Einnahme als Tantième an die Actiengesellschaft zu zahlen. Dafür billigte man ihm, um das seit Jahrzehnten auf- und niederschwankende Institut über Wasser zu halten und möglichst zu heben, allerlei kleine geschäftliche Vortheile seitens der Actionäre und des Staates zu. Am 16. September 1874 eröffnete er, zunächst sogar seine russische Residenz-Wirksamkeit noch nicht aufsteckend, das in Personal, Requisiten-Fundus u. s. w. völlig erneuerte umgebaute Stadttheater mit Wagner’s „Lohengrin“ zu einer Thätigkeit, welche ihn durch 23 Jahre als geradezu glänzenden Organisator bewähren und im ganzen von Sieg zu Sieg emporbringen sollte. Es wurde diese seine Amtirung eine Ruhmesperiode für den so lange darniedergelegenen hochangesehenen Musentempel, wie am besten ein [173] vergleichender Blick auf die schier endlos verworrenen Zustände die Jahrzehnte vor seinem Eintritte deutlichst lehrt. Daran ändern nichts die schon seit 1875 infolge der von P. bewilligten riesigen Gagen wiederholt erschallenden Hülferufe an den Staat Hamburg und dessen überaus opferbereite Theaterfreunde sammt den darauf fußenden staatlichen Baarsubventionen (besonders durch das garantirende Abkommen vom 27. November 1878): so ungeheure Etatsposten, wie der durchschnittliche Saisonertrag der Abonnements und Tagesbillets von rund 1 Million Mark bekunden drastisch den erstaunlichen Aufschwung durch des Directors mit großer Begeisterung für die weltbedeutenden Bretter gepaarte Energie und Intelligenz. Daß Pollini’s Ruf durch alle möglichen Angriffe inner- wie außerhalb der Elbe-Metropole getrübt wurde, steht fest, doch trafen Vorwürfe wie „Ausnützungssystem“ und „Preistreiberei“ nicht ins Schwarze. Seit 1876 stand auch das Altonaer Stadttheater durch Directionsübernahme und Personal-Gemeinsamkeit unter seinem Scepter und 1894, nach Ch. Maurice’s (s. d.), seines greisen Collegen, Hinscheiden, kaufte er das Thaliatheater zu Hamburg dazu. Der unermüdliche Mann, der nebenher als Impresario und dramatischer Agent lange functionirte, hat von seinem Monopol, die maßgeblichen Bühnen der Doppelstadt unter seinem Commando zu halten, gewiß keinen verwerflichen Gebrauch gemacht. Jedenfalls müssen die auch noch nach seinem Tode wider ihn abgeschossenen Pfeile von seinem moralischen und überhaupt privaten Leben abprallen. Die allermeisten ihm untergebenen Schauspieler sowie die theaterkundigen und theaterbesuchenden Kreise bedauerten Pollini’s Hintritt, mit dem ein großer Abschnitt in der Bühnengeschichte der zweiten Stadt des Reiches abschließt, aufrichtigst. Aller philiströsen Kleinlichkeit abhold und in seiner Art gleichsam genial, ist er, durch mehrjähriges Kränkeln gereizter Stimmung, gegen Ende seines Wirkens wohl öfters rücksichtsloser und schroffer aufgetreten als es eigentlich seinem Wesen entsprach. Seit 1897 in zweiter Ehe mit der Münchener Kammersängerin Bianca Bianchi (d. i. Bertha Schwarz), die er emporgebracht, erlag er am 26. November 1896[1], unmittelbar nach in bester Laune überwachter „Meistersinger“-Aufführung, einer Herzlähmung. Franz Bittong und Max Bachur übernahmen Pollini’s drei Bühnen. Seine Verdienste, officiell durch den Hofraths-Titel geehrt, rangiren in der Geschichte des deutschen Theaters.

Viele Nachrufe in Hamburger und den meisten andern Großstadt-Zeitungen. – Nekrolog Heinr. Chevalley’s i. d. Illustr. Zeitung Bd. 109, S. 811 f. (Bildniß S. 810). – Neuer Theater-Almanach 10, S. 155.– Signale für die musikal. Welt 1897, Nr. 59. – Kurze Notiz Monatshefte für Musikgeschichte 30, S. 98. – Ad. Kohut, Berühmte israel. Männer u. Frauen I (1900), S. 252–54 (mit Bildniß), ist fast ebenso anekdotisch wie die ihm größtentheils zu Grunde liegende autobiographische Skizze Pollini’s in Ad. Philipp’s „Hamburger Theater-Dekamerone“2 (1881), S. 1–10, die blutwenig Theaterhistorisches, für die Hamburger Zeit überhaupt gar nichts enthält. – Eine Menge wichtiger authentischer, insbesondere statistischer Materialien, die natürlich oben nur zum geringsten Theile angedeutet werden konnten, sind in Hermann Uhde’s Buch „Das Stadtheater in Hamburg 1827–1877“ (1879) verstreut und im Register durchweg verzeichnet. – Man vergleiche A. D. B. LII, 249 unsern Artikel Charles Maurice; über die Wirksamkeit beider Collegen A. Räder i. „Dtsch. Bühnen-Almanach“ 50 (1886) I, 184–188.

[172] *) Zu S. 98.