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ADB:Oppolzer, Theodor Ritter von

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Artikel „Oppolzer, Theodor von“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 710–712, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oppolzer,_Theodor_Ritter_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:15 Uhr UTC)
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Oppolzer: Theodor von O., geboren am 26. October 1841 zu Prag, † am 26. December 1886 zu Wien. Der Sohn des großen Klinikers Johann v. Oppolzer wandte sich, nachdem er das Piaristengymnasium in Wien absolvirt und dort einen guten Grund in der Mathematik gelegt hatte, von 1859 an dem Studium der Medicin zu und schloß es 1865 mit einem glänzenden Examen ab, obwol er bereits entschlossen war, einen ganz anderen Weg einzuschlagen. Denn neben der Heilkunde hatte er als Student eifrig Sternkunde betrieben, auf einer ihm von seinem Vater eingerichteten Privatsternwarte zahlreiche Beobachtungen angestellt und als Student der Medicin schon über fünfzig astronomische Aufsätze veröffentlicht. Nachdem er dem väterlichen Wunsche in einer Weise genügt, die ziemlich einzig dastehen dürfte, streifte er nunmehr die Berufsfesseln ab, habilitirte sich 1865 an der Wiener Universität für theoretische Astronomie und wurde mit 28 Jahren Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Selbst promovirt hat er nur als Mediciner, und die philosophische Doctorwürde ertheilte ihm 1871 die Universität Leiden honoris causa. Damals war er bereits Extraordinarius an der heimischen Hochschule, und als er 1875 einen Ruf als Nachfolger Hansen’s an die Sternwarte in Gotha abgelehnt hatte, erhielt er eine ordentliche Professur für Astronomie und höhere Geodäsie. Nur elf Jahre sollte er dieselbe bekleiden. Denn im Herbst 1886 fing er, der bis dahin das Kranksein nur dem Namen nach gekannt hatte, zu kränkeln an und erlag bald einer schweren Herzentzündung. Seit 1865 aufs glücklichste verheirathet, hinterließ er drei Söhne und zwei Töchter; den weiblichen Mitgliedern seiner Familie hat er in den drei von ihm berechneten Planetoiden Coelestine, Hilda und Agathe ein Denkmal am Himmel gesetzt.

Verlief das Leben des berühmten Astronomen auch in vergleichsweise ruhigen Bahnen, so haben ihn doch seine Amtspflichten vielfach auf Reisen geführt. Im J. 1868 betheiligte er sich an einer nach Südarabien (Aden) entsandten Expedition, welche dort die totale Sonnenfinsterniß zu beobachten hatte. Seit 1872 k. k. Commissär der europäischen Gradmessung, hatte er in deren Interesse zahlreiche Reisen zu Vermessungszwecken zu unternehmen, und [711] diese anstrengende Thätigkeit steigerte sich noch, als er 1885 Oesterreichs Vertreter ins „Comité international des poids et mesures“ geworden war. Vielleicht hat gerade das aufreibende Jahr 1886 seinen Heimgang beschleunigt. Daß O. im reichsten Maße alle die äußeren Ehren empfing, die einem Gelehrten verliehen werden können, braucht kaum besonders betont zu werden; insbesondere suchten sehr viele angesehene Corporationen eine Ehre darin, ihn unter ihre Mitglieder zählen zu dürfen. Congresse besuchte er nicht ungerne, und aus eigener Erinnerung kann der Berichterstatter davon erzählen, wie die liebenswürdige, kernhafte Persönlichkeit anregend auf alle Festtheilnehmer wirkte. Daß er auch auf seine Studenten eine mächtige Anziehungskraft ausübte, kann man seinem Biographen Schram gern glauben.

Die staunenswerthe litterarische Thätigkeit des genialen Mannes an dieser Stelle auch nur einigermaßen nach Gebühr zu würdigen, ist unthunlich, wie Jedermann zugeben wird, der sich aus Schram’s Schriftenverzeichniß überzeugt, daß dasselbe 321 Nummern aufweist. Weitaus die Mehrzahl findet sich in den „Astronomischen Nachrichten“ und in den verschiedensten Veröffentlichungen der Wiener Akademie. Aber auch gar mancher im besten Sinne populäre Artikel ist seiner nimmer müden Feder entflossen. In der Hauptsache sind es zwei Gebiete, auf welche sich Oppolzer’s Kraft concentrirte, nämlich die theoretische Astronomie und die astronomische Geographie. Einige kurze Andeutungen werden hier genügen müssen.

Für alle Zeiten bahnbrechend war sein fundamentales Werk über die höhere astronomische Rechnungskunst („Lehrbuch der Bahnbestimmung der Kometen und Planeten“, 1. Band, Leipzig 1870; 2. Band, ebenda 1880; neue Auflage 1882). Selbständig gab er, als 16. Publikation der Astronomischen Gesellschaft (Leipzig 1881) seine „Syzygientafeln“ heraus, welche dem Astronomen ermöglichen, was Pingré hundert Jahre früher richtig gedacht, jedoch nur unvollkommen ausgeführt hatte. Man sieht sich jetzt in den Stand gesetzt, die Elemente irgend einer Finsterniß, die vor tausend und mehr Jahren stattfand, genau nachzurechnen und so eine unschätzbare Controlle geschichtlicher Daten anzubahnen. Eine Reihe tüchtiger jüngerer Kräfte hatte für diese große Aufgabe dem Meister sich zur Verfügung gestellt, und so gelang es gerade noch rechtzeitig, den gigantischen „Kanon der Finsternisse“ herzustellen, der posthum in den Wiener Denkschriften von 1887 abgedruckt wurde. Wo ihm in der Geschichte eine merkwürdige Verfinsterung begegnete, suchte er ihre Zeit genau zu fixiren, und seine 1883 und 1884 im „Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse“ zu Wien abgehaltenen Vorträge über historische Finsternisse und über die altägyptische Sothisperiode sind von hohem Werthe für die Chronologie.

Als junger Mann entwickelte er in der Berechnung von Planeten- und Kometenbahnen eine wahre Virtuosität; die Anzahl der von ihm gelieferten Elemente und Ephemeriden ist Legion. So gelang es ihm insonderheit, gar manchen kleinen Planeten, der im Universum zu verschwinden drohte, vor dem Vergessenwerden zu bewahren, andere – wie die Helena – wieder aufzufinden. Wenn man heute von den so schwer zu identificirenden Asteroiden doch ziemlich viel weiß, so ist das großentheils der Energie des unermüdlichen Rechners zu verdanken. Für die Venusdurchgänge der Jahre 1874 und 1882 lieferte er die vorbereitenden calculatorischen Arbeiten. Leverrier’s Hypothese vom Vorhandensein eines intermerkuriellen Planeten fand in seinen analytischen Ergebnissen keine Stütze. Aber auch die für genaue Ortsbestimmung der Wandelsterne so wichtigen Fehlerquellen der Refraction, Aberration, Präcession und Nutation ließ er nicht unbeachtet, und schon frühzeitig (1881) regte [712] er die Frage an, ob sich wol das Gesetz der Newton’schen Massenanziehung als ausreichend erweisen werde, um auch die geringsten Abweichungen, die sich bei der Berechnung der Störungen ergeben, exact darstellen zu können.

Zu eigenen Beobachtungen fand O. nur in seinen jüngeren Jahren Zeit. Immerhin hat er an seinem Refractor, der auf dem Observatorium in der Josephstadt aufgestellt war, bemerkenswerthe Messungen vorgenommen. Anläßlich der arabischen Expedition, von der oben die Rede war, ermittelte er die geographische Breite Adens nach K. v. Littrow’s Verfahren durch Circummeridianhöhen. Die Gradmessungsarbeiten nöthigten ihn zur Ausführung umfassender Arbeiten, die vorzugsweise der Bestimmung von Längendifferenzen dienten. Eine der hervorragendsten Leistungen dieser Art war die telegraphische und optische Verbindung des Pfänderberges am Bodensee mit R. Wolf’s Sternwarte zu Zürich. Unmittelbar unter Oppolzer’s Oberaufsicht sind in den Jahren 1873 bis 1876 nicht weniger als sechsundvierzig selbständige Operationen dieser Art ins Werk gesetzt worden. Ueberall, wo sich ein Beobachtungssitz etablirte, wurde auch die Schwere mit Hülfe des Secundenpendels gemessen, und man muß O. unter denen aufführen, die sich um die Ermittlung der wahren Erdgestalt große Verdienste erworben haben. Unter dem gleichen Gesichtspunkte interessirte er sich für die Anbringung von Mareographen – selbstthätigen Pegeln – in den Häfen seines Vaterlandes. Die Gradmessungssconferenzen, an denen er amtlich theilzunehmen hatte, legten es ihm nahe, die Einführung der „Weltzeit“ zu befürworten, was er denn auch mit gewohnter Lebhaftigkeit that.

Mehrere Abhandlungen Oppolzer’s haben es auch mit rein mathematischen und physikalischen Untersuchungen zu thun. Ein Zahlenrechner, wie es nur wenige gibt, erkannte er die Vorzüge, welche in vielen Fällen vierstellige Logarithmentafeln darbieten, und übergab selber eine solche dem Buchhandel (Wien 1866). Als ein Jahr vor seinem Tode eine „Stimmgabelconferenz“ nach Wien einberufen war, um die absoluten Schwingungszahlen tönender Gabeln ausfindig zu machen, legte er den versammelten Musikern und Akustikern einen von ihm erdachten Apparat vor, der mit überraschender Genauigkeit die gestellte Aufgabe löste.

So sehen wir O. überall da, wo er eingriff, auch einen vollen Erfolg erringen. Ein selten thätiges Leben fand ein viel zu frühzeitiges Ende. Mit vollem Rechte durfte E. Sueß, als er dem Verewigten den üblichen akademischen Nachruf widmete, auf ihn die dereinst von Galilei’s Wirksamkeit Zeugniß ablegenden Worte anwenden: „Vieles hat er uns gegeben; mehr hat er mit sich genommen“.

R. Schram, Theodor von Oppolzer, Vierteljahrsschrift der Astronomischen Gesellschaft, 22. Jahrgang, S. 177 ff. – R. Wolf, Handbuch der Astronomie, ihrer Geschichte und Literatur, Zürich 1890–1893, 1. Band, S. 468, 603, 630; 2. Band, S. 225, 278, 345, 365, 380, 389, 449, 501, 521.