ADB:Oelsner, Konrad Engelbert
H. Zschokke und Varnhagen von Ense. Es ist zusammengestellt von W. Dorow in seinen Briefen preußischer Staatsmänner, und zwar in der Einleitung zu Bd. 1 (Leipzig 1843), enthaltend die „Briefe des königl. preußischen Legationsraths K. E. Oe. an den Wirkl. Geh. Rath Fr. August v. Stägemann aus den Jahren 1815–1827.“ Hiernach sind die wesentlichsten Daten folgende: Oe. studirte in Frankfurt a. O. und Göttingen, begleitete als Hofmeister einen jungen Edelmann auf Reisen und begab sich beim Ausbruch der französischen Revolution nach Paris, wo er als Zuschauer lebhaften Antheil an allen politischen Ereignissen nahm und sich litterarisch beschäftigte. Beachtenswerth für die Zeitgeschichte sind die in Archenholz’ „Minerva“ veröffentlichten Briefe, welche Oe. aus Dumouriez’ Feldlager vor Grand-Pré in der Champagne schrieb. In der Schreckenszeit mußte er aus Paris flüchten. Später hielt er sich dort lange als Geschäftsträger der Stadt Frankfurt a. M. sowie einiger kleinen deutschen Fürsten auf und kam dadurch mit vielen französischen Staatsmännern in Verbindung. Diese wurden durch seine große Sprachfertigkeit, seine umfassenden Kenntnisse über geschichtliche und staatswissenschaftliche Gegenstände wie auch durch seine treffende Beurtheilung der Zeitereignisse aufmerksam auf ihn. Namentlich wußte Sieyès, mit welchem er in vertraute Freundschaft kam, seine Vorzüge zu schätzen. Infolge dessen wurden ihm die angesehensten und einträglichsten Stellen in Frankreich angetragen; er schlug sie jedoch sämmtlich aus, weil er sein deutsches Vaterland nicht verleugnen, kein Franzose, namentlich aber kein Diener Napoleons werden wollte. Varnhagen sagt, Oe. habe die Bedingungen dieser Stellen nicht gewollt; dieser selbst aber hat, wie aus einer „Art von Selbstbeschauung“ aus 1821 hervorgeht, sein Verfahren bereut: Leichtsinn oder Einfalt habe ihn die Stellen verschmähen lassen. Für diese Abweisungen suchte man sich durch Verleumdungen an ihm zu rächen. Einmal sollte er ein Kundschafter Bonapartes sein, ein anderes Mal wurde er im „Constitutionnel“ als Franzosenfeind angegriffen. Beide Angriffe sind mit Erfolg zurückgewiesen, der letztere im Januar 1817 in der A. „Allg. Ztg.“ Besonderes Aufsehen erregte er durch seine vom Nationalinstitut in Paris 1810 gekrönte Preisschrift: „Des effets de la réligion de Mahomed pendant les trois premiers siècles de sa fondation“ (Paris 1809). Dieselbe erschien auch deutsch mit Zusätzen des Verfassers. Von den vielen Erzeugnissen seiner rastlosen Feder ist, außer dieser Schrift, wenig unter seinem Namen erschienen. Ihm war es, wie Dorow berichtet, nicht um Geld oder Ruhm zu thun, sondern er lieferte die Arbeiten blos, weil sie eine Befriedigung für ihn waren und sie gingen theils anonym, theils unter fremden Namen. Manche derselben verschenkte er, wie L. Assing in der Vorrede zur Herausgabe von „Varnhagen’s Briefwechsel mit Oe.“ sagt, als Keim, andere als reife Frucht, so die „Politischen Aphorismen, dem Congresse in Aachen empfohlen“ (Frankfurt 1818), welche unter Schlottmann’s Namen erschienen. Er schenkte sie diesem, als derselbe sich in Geldverlegenheiten befand. Auch in St. Simon’s politischen Schriften gehören, nach Dorow, „viele der geistvollsten Ansichten Oe. an, z. B. die Vergleichung unserer Zeit mit den ersten Jahrhunderten des Christenthums“. Die Zeitschrift „Die [340] Bundeslade“ (Frankfurt 1817) war ebenfalls von ihm, er gab sie aber sehr bald wieder auf, weil die Nichtigkeit des Bundestages schnell offenbar wurde. Als Grund der Anonymität seiner meisten Schriften gab Oe. nach Zschokke’s Bericht an, es sei nicht Bescheidenheit; aber was er selbst bekannt gemacht, habe ihm nur Schaden und Verdruß gebracht. Am fruchtbarsten war er im Briefwechsel mit Freunden, denen er die politischen Ereignisse kritisirte und die täglichen kleinen Vorgänge in den Regierungs- oder politischen Kreisen von Paris berichtete. Auf diese Art hat er, namentlich in seinem die Zeit von 1816 bis 1828 umfassenden Briefwechsel mit Varnhagen und Stägemann, ein lehrreiches Material zur Kenntniß der damaligen deutschen und französischen Zustände geliefert. Die Briefe aus der Zeit der Congresse von Troppau und Laibach gehen sehr ins Einzelne und enthalten scharfe, ironische Kritiken von Vorgängen in der diplomatischen Welt. Uebrigens erscheint es seltsam, daß ein Mann von solchen Fähigkeiten so viel Zeit und Kraft an diese Briefe wandte, statt sich der Gegenwart praktisch und nützlich zu machen. Die Geschichte der französischen Revolution zu schreiben, lag in seinem Plane, und vielleicht hätte, sagt Zschokke, niemand dieselbe gründlicher, treuer und belehrender schreiben können. Ein reicher Onkel in Schlesien enterbte Oe., weil derselbe dessen Wunsch ihn zu besuchen, nicht erfüllte; dagegen verließ er Frankreich wieder nach Napoleon’s Rückkehr von Elba. Auf seiner Reise nach Schlesien ließ Hoym ihn als französischen Sendling verhaften[WS 1]. Später schrieb er hierüber an Varnhagen: wie schändlich er von Preußen behandelt sei, der Welt zu erzählen, habe er blos unterlassen, weil der Nationalgeist ihn so albern gemacht. Gleichwol nahm er nach seiner baldigen Freilassung im Mai 1817 eine ihm von der preußischen Regierung angebotene Stellung im Auswärtigen Amte an. So lebte er 1817 als Legationsrath in Berlin und Frankfurt a. M., worauf er 1818 der Gesandtschaft in Paris beigegeben wurde, aber, wie er selbst sagt, als fünftes Rad am Wagen. Die Stellung sagte ihm nicht zu und, „müde, ein müßiger Stipendiat zu sein“, bat er 1825 um Entlassung. Nach der Pensionirung sprach er sich in einem Briefe an Varnhagen sehr bitter über Preußen aus, von dem „aller Unstern seiner Lebenslage herrühre“; die Stellung in Paris habe ihn in die widerwärtigste Lage gebracht. Eine andere passende Stelle für ihn zu ermitteln, war trotz Stägemann’s einflußreicher Stellung nicht möglich. Im Grunde scheint Oe., bei zu großer Bescheidenheit im Auftreten, so vornehmen Sinnes gewesen zu sein, daß er sich in keiner Art von Abhängigkeit wohl zu fühlen vermochte und so zum Nachtheil des Vaterlandes, der Wissenschaft wie seiner selbst einen Beruf verfehlte, in dem er viel hätte leisten können. Aus übergroßem Feingefühl und aus Scheu vor Unannehmlichkeiten hat er sich von dreisten Personen mißbrauchen lassen und aus Demuth hierüber sich zu viel abgeschlossen. Seine Fähigkeiten sind nicht verkannt, aber wegen der Eigenheit seines Wesens nicht gebührend benutzt worden. Die meisten Gegenstände seiner Beschäftigung wiesen ihn auf das öffentliche Leben mit seinen Unebenheiten, während er doch die Natur eines still wirkenden Gelehrten hatte. Er stand in Verbindung mit W. v. Humboldt, Fox, Canning, v. Stein, Fürst Hardenberg, Lucchesini u. a., konnte aber selbst zu keiner passenden Stellung gelangen. – Aus Oelsner’s Nachlaß veröffentlichte sein Sohn Dr. Oe.-Monmerqué, unter dem Titel „Politische Denkwürdigkeiten“ (Bremen 1848) Aufsätze über Friedrich d. Großen und seinen Einfluß, sein Jahrhundert und die französische Revolution, ferner einen Rückblick auf letztere, über das Directorium, Bonaparte, den deutschen Bund, das preußische Cabinet, die Restauration, die politische Sittlichkeit des Jahrhunderts, völkerrechtliche Probleme, endlich „Coup d’oeil sur la situation politique [341] de diverses puissances en 1820–21“. (Vergl. A. Allg. Ztg. Nr. 297 von 1848, Beil.)
Oelsner: Konrad Engelbert Oe., deutscher Publicist, geb. am 13. Mai 1764 zu Goldberg in Schlesien, † am 20. December 1828 in Paris. Alles was über den Lebensgang dieses merkwürdigen Mannes bekannt wurde, stammt von seinen Freunden- Zeitgenossen von Prof. Köthe in Jena. Bd. 1. (Leipz. u. Altenb. 1816) Abth. 3, S. 182. – N. Nekrol. d. Deutschen 1828. Thl. 2, Nr. 1185.– Varnhagen v. Ense, Gallerie von Bildnissen aus Rahel’s Umgang und Briefwechsel (Leipz. 1836). – Briefe des nachmaligen k. Preuß. Legat.-Raths E. Oelsner an G. A. v. Halem, von Paris aus geschrieben in d. J. 1790–92, herausg. v. Merzdorf (Berlin 1858). – Briefwechsel zwischen Varnhagen v. E. und Oelsner nebst Briefw. v. Rahel, herausg. v. L. Assing Stuttg. 1865). – Nowack, Schlesisches Schriftsteller-Lexikon VI, 83 ff.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Hoym war schon 1807 gestorben. Die Sistierung fand schon auf Oelsners Reise nach Schlesien im J. 1798 statt, vgl. die (nur insofern ausführlichere) Darstellung in der Wikipedia.