Zum Inhalt springen

ADB:Nicolay, Ludwig Heinrich Freiherr von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Nicolay, Ludwig Heinrich“ von Wilhelm Bode. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 631–632, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nicolay,_Ludwig_Heinrich_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 07:09 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Nicolini, Philipp
Band 23 (1886), S. 631–632 (Quelle).
Ludwig Heinrich von Nicolay bei Wikisource
Ludwig Heinrich von Nicolay in der Wikipedia
Ludwig Heinrich von Nicolay in Wikidata
GND-Nummer 118587722
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|23|631|632|Nicolay, Ludwig Heinrich|Wilhelm Bode.|ADB:Nicolay, Ludwig Heinrich Freiherr von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118587722}}    

Nikolay: Ludwig Heinrich (v.) N., Dichter, stammt aus einer protestantischen Patricierfamilie Straßburgs. Am 27. Decbr. 1737 geboren, bezog er schon 1752 die Universität seiner Vaterstadt, um auf Wunsch seiner Verwandten, aber ohne eigene Neigung die Rechte zu studiren. 1760 erwarb er mit der Dissertation „De Argentinensium in Rheno navigatione“ den Licentiatengrad und reiste mit seinem Freunde Lafermière nach Paris, wo er sich ganz seinen schöngeistigen Interessen und dem Verkehr mit Diderot und anderen Encyklopädisten widmen konnte. Paris verließ er wieder im Mai 1761 als Privatsecretär des Fürsten D. M. Galitzin, welcher zum russischen Gesandten in Wien ernannt war. Von 1763 bis 65 lebte N. in Straßburg, auf der königlichen Präfectur beschäftigt; in den Jahren 1768 bis 70 kündigte er als Universitätsprofessor für drei Semester Vorlesungen an: „Institutiones sive Logicas sive Metaphysicas, item Juris Naturae et Gentium“. Er kann aber nie gelesen haben, da er während dieser Zeit in Italien, Frankreich und England reiste, als Hofmeister des nachmaligen russischen Ministers der Volksaufklärung Alexej Rasumowski. Auf Empfehlung des alten Rasumowski und des Grafen Schuwaloff ward er 1769 zum Lehrer des fünfzehnjährigen Großfürsten Paul ernannt. Bald gewann er dessen Gunst, und als Paul sich 1773 verheirathete, blieb N. als Cabinetssecretär und Bibliothekar in seiner Umgebung. 1776 begleitete er den früh zum Wittwer gewordenen nach Berlin zur Zusammenkunft mit seiner späteren Gemahlin Maria Feodorowna, und fünf Jahre später nahm er Theil an der vielbesprochenen Reise des großfürstlichen Paares durch Oesterreich, Italien, Frankreich und Süddeutschland. Er besaß das wohlverdiente Vertrauen seiner Gebieter, und als diese 1796 den Thron bestiegen, wurden seine Dienste reich belohnt. Geadelt war er schon 1782 von Joseph II.; jetzt wurde ihm der Baronstitel gesichert, er erhielt ein Dorf mit 1500 Bauern im Gouvernement Tambow, wurde Mitglied des Cabinetsraths, Ritter des St. Annenordens, Verwalter des Cabinets der geschliffenen Steine, Staatsrath, und blieb Secretär der Kaiserin. 1798 ward ihm das Präsidium der Akademie der Wissenschaften übertragen. Trotz all dieser Ehren fühlte er sich nicht recht wohl am Hofe; daß auch ihn das krankhafte Mißtrauen Pauls nicht verschonte, schmerzte ihn. Sein Mißbehagen nahm noch zu nach der Ermordung Pauls und 1803 zog er sich zurück auf sein Landgut Monrepos in Finnland, das früher ein öder, felsiger Küstenstrich, durch ihn in einen herrlichen, weitberühmten Park verwandelt worden war. Hier lebte er ganz seiner Familie – er war mit Johanna Poggenpohl, einer Bankierstochter aus Petersburg verheirathet und hatte einen Sohn, Paul, der von Voß in Eutin erzogen worden war – sich erfreuend an seinen Büchern, seiner Kupferstichsammlung, seinen Gärten und den Briefen der Kaiserinwittwe und weniger überlebender Freunde. Er starb am 28. Novbr. 1820.

N. war von kleinem Wuchse und zartem, schmächtigem Körperbau, aber flink und gesund; gewandt in der Unterhaltung, im Verkehr liebenswürdig, geduldig, bescheiden und höflich, am Hofe äußerst vorsichtig, deutschgesinnt, aber mit Sympathien für die alte französische Art. Die schönen Wissenschaften und [632] Künste liebte er sein ganzes Leben, nur daß er im Alter etwas hinter seiner Zeit zurückblieb. Seine eigenen poetischen und prosaischen Werke erschienen in folgenden Ausgaben: „Elegien und Briefe“, 1760; „Verse und Prose“, 2 Thle. 1773; „Galwine“, 1773; „Vermischte Gedichte“, 9 Thle., 1778–86; „Vermischte Gedichte und prosaische Schriften“, 7 Thle., 1792–94; „Idäa“, 1792; „Das Landgut Monrepos“, 1804; „Balladen“, 1810; „Theatralische Werke“, 2 Bde., 1811; „Athalie v. Racine“, 1816; „Molière’s Gelehrte Weiber“; „Poetische Werke“, 4 Bde., 1817; „Muffel“ (nach dem Tartuffe), Wiborg 1819; „Der Arme und der Reiche“, 1820; „Die Todtenwache“; „Die Reliquie“.

Was der poetischen Thätigkeit Nicolay’s für seine Zeit Werth verlieh, war sein gewandter, nie um den richtigen Ausdruck verlegener Stil, seine leichten, wohlklingenden Verse, sein Geschick fesselnde Stoffe der ausländischen Dichtung in die deutsche überzuführen. Darin schließt er sich Wieland an; auch mit Ramler und dem Berliner Nicolai war er befreundet, ebenso mit Metastasio und Gluck in Wien. Er nahm entschieden Partei für den französischen Classicismus gegen die „Englisch-Teutschen“, die Klopstockianer, die Barden, die Anhänger Shakespeare’s und Rousseau’s. Echte, aus dem Herzen kommende Poesie, Begeisterung, Eigenart, darf man freilich bei ihm nicht erwarten. Seine „Oden“, „Elegien“ und „Briefe“ sind lyrisch-didaktische Zwittergeschöpfe ohne tiefere Empfindung und kühnere Phantasie; besser paßt des Dichters lehrhafte Geschwätzigkeit für seine Fabeln und kürzeren Erzählungen in der Weise Lafontaine’s; am tüchtigsten ist er in 9 längeren romantischen Erzählungen, von denen zwei Bojardo’s Verliebtem Roland, die übrigen Ariost’s Rasendem Roland entnommen sind. Auch zwei Erzählungen in Prosa haben ihren Werth; die eine, „Das Schöne“ betitelt, legte Hertzberg Friedrich dem Großen vor, um ihn zu günstigeren Ansichten über die deutsche Litteratur zu bekehren. Leider hat N. auch Dramen geschrieben. Zwei Lustspiele nach Goldoni gehen noch an; dagegen sind die beiden Tragödien überaus langweilig und steif; daß die Einheitsregeln peinlich beobachtet sind, ist ein schwacher Trost.

Aus dem Leben des Freiherrn H. L. v. N. … von P. v. Gerschau, hgg. von A. v. Binzer, Hamburg 1834. – Archiv Knäsja Woronzowa XXII. Brumagi grafow A. R. i S. R. Woronzowich, Perepiska s baronami A. L. i P. A. Nicolai. Moskwa 1881.
Wilhelm Bode.