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ADB:Nettelbladt, Daniel

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Artikel „Nettelblatt, Daniel“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 460–466, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nettelbladt,_Daniel&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:12 Uhr UTC)
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Nettelblatt: Daniel N., einer der angesehensten Rechtslehrer Deutschlands in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts; geb. zu Rostock am 14. Januar 1719, † zu Halle am 4. September 1791. Daniels Vater, Heinrich N., ein wohlhabender Kaufmann Rostocks, der gleich seinen Vorfahren im städtischen Rathe saß, heirathete 1714 in zweiter Ehe die Tochter des mecklenburgischen Kammerrathes Dörcksen, welche ihm zwei Söhne schenkte, Heinrich und Daniel. Der ältere, Heinrich (geb. 1716), starb schon am 26. März 1761 als Bürgermeister seiner Vaterstadt (s. d. Art.). Der jüngere, Daniel – nach eigenem Geständnisse etwas flüchtigen Temperamentes fühlte sich frühzeitig von dem flotten Studentenleben angezogen, wie es ihm die kleine Musenstadt beinahe täglich [461] vor Augen führte, und das ihm besser gefiel als die nüchterne Comptoirthätigkeit im elterlichen Hause. Deßhalb erklärte er schon in seinem zwölften Jahre, gleich dem Bruder Heinrich studiren zu wollen. Eilig für die hohe Schule vorbereitet, wurde er 1733 – mithin kaum fünfzehn Jahre alt, aber bereits hoch aufgeschossen – als akademischer Bürger an der Universität Rostock immatriculirt und wählte dem ausdrücklichen Wunsche des Vaters gemäß Theologie als Fachstudium. In jenen Tagen hatte Christian Wolf in Marburg durch sein philosophisches System und seine hiermit verknüpfte schroffe Ausweisung aus Halle die Aufmerksamkeit der gelehrten Welt Deutschlands auf sich gezogen. Auch N. hörte von Wolf; infolge seines regen Geistes trachtete er sofort dessen Anfangsgründe in Mathematik und Philosophie zu bekommen und bestürmte nicht ohne Erfolg den Magister Ludolf Friedrich Weiß, öffentliche Vorträge über Wolf’sche Logik zu halten. Hatte N. schon bisher bei seinen theologischen Disputationen manch’ ketzerhaft klingende Thesis aufgestellt, so gerieth er nun bei der schon damals strengen Richtung der Rostocker Gottesgelehrten, welche Wolf’s Lehrsätze als der Religion nachtheilig verdammten, in den Verdacht, auf theologische Irrpfade gerathen zu sein. Um diese Zeit starb sein Vater (1735); da er vornehmlich diesem zuliebe das Studium der Theologie ergriffen hatte, kostete es ihm infolge öfters erlittener Anfeindungen, keinen schweren Entschluß, an Stelle der ihm unter solchen Umständen gründlich verleideten Gottesgelehrtheit die Rechtswissenschaft als Lebensberuf zu wählen. Obwol der Entschluß ein völlig freier, wohlüberlegter war, so hätte – nach seiner eigenen Erzählung – in der That nicht viel gefehlt, daß er gleich anfänglich das erwählte Studium wieder hätte fahren lassen! Als er nämlich zum erstenmale das schon vor einigen Wochen begonnene Pandektencollegium besuchte, erörterte Dr. Manzel mit der ihm eigenen Lebendigkeit, daß über den Umfang der Giltigkeit des römischen Rechtes in Deutschland noch immer große Meinungsverschiedenheit bestände, worüber N., der in der Jurisprudenz nur „Positives“ zu hören hoffte, im höchsten Grade betreten war. Gleichwol setzte er das Rechtsstudium, wenn auch nicht mit dem gewünschten Erfolge fort; nebenbei trieb er Mathematik, insbesondere aber die ihm lieb gewordene Wolf’sche Philosophie. Als am 19. Januar 1737 dreizehn Rechtsbeflissene zur Uebung im mündlichen Vortrage und zur Erlernung des alt-römischen Gerichtsverfahrens in Prof. Manzel’s Hause dieses nach dem von Georg Obrecht um 1585 verfaßten Exercitium juris antiqui darstellten (worin der alt-römische Civilproceß mit Trennung des Verfahrens in jure und in iudicio dramatisirt ist), erntete N. in der Beklagtenrolle (als Sempronius) verdienten Beifall. Damals verfaßte er auch als erwählter Senior der an der Hochschule bestandenen Landsmannschaft „der Rostocker“ drei wissenschaftliche Glückwunsch-Schreiben in lateinischer Sprache (s. Schriftenverzeichniß Nr. 1–3) und vertheidigte 1738 eine philosophische, im nächsten Jahre unter seines Bruders, Heinrich, Vorsitz eine juristische Disputation: „De vero fundamento actionis Paulianae“ (Rostock 1739, 4°); daneben wurde manche Stunde akademischer Lustbarkeit geopfert; denn sein Fleiß war „veränderlich wie Aprilwetter“. In dieser Zeit entdeckte er zu seiner freudigen Ueberraschung im Nachlasse seines Vaters eine Correspondenz des Philosophen Wolf, welcher entfernt verschwägert, mit ersterem wegen Auseinandersetzung einer Erbschaft mehrere Briefe gewechselt und in einem derselben ausdrücklich versprochen hatte, für dessen Söhne während ihrer Studien sorgen zu wollen, wenn er dazu Gelegenheit fände. Dieses Versprechen steigerte den Wunsch des Jünglings, unter Wolf’s unmittelbarer Leitung die Studien fortzusetzen; doch vermochte er sein Verlangen nicht sogleich auszuführen, sondern mußte vorläufig in Rostock weiter studiren. Zu Ostern 1739 verließ er jedoch 20 Jahre alt, [462] Vaterstadt und Hochschule, und übernahm in Schwerin die wissenschaftliche Führung zweier mecklenburgischer Adeliger.

Allein die Sehnsucht, Wolf persönlich kennen zu lernen, wurde immer ungestümer, der Wunsch nach einem Besuche Marburgs immer dringender, zumal auch der spätere Reichshofrath (1742), dann Reichs-Kammer-Gerichtsassessor (1752) Joh. Ulrich Freiherr v. Cramer in Marburg lehrte, von dessen klarer, systematischer Behandlung des Rechtsstoffes N. ein besseres Verständniß der Jurisprudenz zuversichtlich erwartete. Unbeirrt durch Versprechungen und Aussichten auf Anstellung trat N. der Verwirklichung seines Lieblingsplanes immer näher und reiste nach Umfluß eines Jahres (Ostern 1740) von Schwerin – nach kurzem Aufenthalte in Göttingen – nach Marburg, wo er mit Anfang des Maimonts eintraf. Dort war der erste Gang zu Wolf, der ihn „auf das liebreichste“ empfing. N. brannte aber auch vor Begierde Cramer zu hören, hoffte er ja, durch ihn endlich das richtige Verständniß für die Rechtswissenschaft zu gewinnen. Cramer las gerade jurisprudentia forensis systematica und stand, als N. die Vorlesung besuchte, bei der Lehre von der Vormundschaftsentschlagung (de excusationibus tutorum). Cramer’s Vortrag, der mit allen für einen Lehrer erforderlichen Eigenschaften reichlich versehen war, gefiel dem lerneifrigen Hörer ungemein wohl. „Ich fand – berichtet er freudig – was ich suchte; ich sah meinen Wunsch erfüllt, meine Hoffnung traf ein; wer war also vergnügter als ich, zumal mir Cramer bei der darauf gefolgten Aufwartung seine Dienste und seinen großen Büchervorrath zum Gebrauche anbot.“ Er hörte nun bei Cramer außer der Jurisprudentia forensis, Institutionen, Staats- und Lehenrecht, kurz alle von diesem angekündigte Vorlesungen; bei Wolf aber philosophische und mathematische Vorträge und genoß zugleich den ständigen, persönlichen Umgang beider Männer, welche ihn mit Wohlthaten überhäuften, deren er auch jederzeit dankbar gedachte. Diesem Gefühle entsprang eine damals in Marburg erschienene Streitschrift Nettelblatt’s: „Herzliche Warnung etc.“ (Marburg 1740. 4°. Bücherverzeichniß Nr. 5), gegen den Licentiaten Benecken gerichtet, der Cramer in sehr verletzender Art angegriffen hatte. – Bei den innigen Beziehungen Nettelblatt’s zu Wolf berührte des letzteren Berufung nach Halle, welcher Ende 1740 die Uebersiedelung folgte, N. wie ein Donnerschlag. Für solch empfindlichen Verlust fand er darin einige Entschädigung, daß ihn Cramer, welchen er nicht weniger hoch verehrte, seit Ostern 1741 nicht bloß in sein Haus nahm, sondern auch an seinen Tisch zog, wodurch dem strebsamen jungen Mann das Glück zu Theil wurde, mit dem gefeierten Rechtslehrer in steten geistigen Verkehr zu treten. Einer im Juli 1741 ergangenen Einladung Wolf’s nach Halle folgte er ungesäumt, obwol er sich von Cramer und den Bewohnern Marburgs, die ihm viele Freundlichkeiten erwiesen hatten, schwer und nur ungern trennte. Wie N. zu Marburg im Hause Cramers gelebt hatte, so lebte er nun zu Halle im Hause Wolf’s; als täglicher Genosse des von ihm hochgehaltenen Mannes fühlte er sich beglückt, in allen Theilen der Weltweisheit und Mathematik von dem großen Meister unterwiesen zu werden.

Auch die Rechtsstudien nahmen nun einen erfreulichen Fortgang. Am 17. März 1744 vertheidigte N. unter des Canzlers Böhmer Vorsitz vor einer ungewöhnlich zahlreichen Corona seine Inauguraldissertation „de jure Imperatoris etc. circa quaestionem: An? In electione Regis Romanorum (Halae 1744. 4°. 7 Bgn.)“ und wurde sodann zum Doctor beider Rechte ernannt. Unmittelbar hierauf eröffnete er seine Vorlesungen, wozu er durch einen Anschlag: „Von rechter Einrichtung des mündlichen Vortrages eines Lehrers der Rechte“, einlud. Da er sich bei seinen Arbeiten als Schüler Wolf’s der „demonstrativen“ Methode bediente, über deren Anwendungsweise die abenteuerlichsten Gerüchte in [463] Umlauf waren, so erfreute sich das Collegium schon Neugierde halber großen Zuspruchs. Dieser erhielt sich auch in den folgenden Semestern, weil die Zuhörer die Vorträge keineswegs – so querköpfig – fanden, wie sie anfänglich verschrieen waren. Das Ansuchen einiger studirender Adeligen, ihnen in Kürze eine systematische Uebersicht über alle Theile der Rechtswissenschaft (also eine Rechtsencyklopädie) privatissime vorzutragen, veranlaßte ihn, rasch an die umfassende Aufgabe zu gehen und 1745 ein „Systema elementare universae jurisprudentiae positivae Imperii Romani communis“ auszuarbeiten; hiermit noch beschäftigt, begann er auch ein „Systema universae jurisprudentiae naturalis“ abzufassen. Erstere – 1749 veröffentlichte Arbeit rief schon vor ihrem Erscheinen durch die beiden Docenten Bekmann in Göttingen eine lange, mit Heftigkeit durchgefochtene litterarische Fehde hervor, an der sich Hallenser und Göttinger Gelehrte mit ihren Freunden betheiligten. N. hat in seiner Autobiographie (s. Weidlich’s zuverlässige Nachrichten etc. I, S. 456–63) deren Entstehung und Verlauf umständlich erzählt. Heutigen Tages bieten die zu einer mäßigen Litteratur herangewachsenen Streitschriften weder ein wissenschaftliches noch rechtsgeschichtliches Interesse. – Mit akademischen Vorträgen und schriftlichen Arbeiten in vollem Maße beschäftigt, empfing unser Docent von auswärts wiederholt Anerbieten, darunter auch von dem Canzler Joh. Lor. v. Mosheim in Göttingen, die er jedoch auf Wolf’s Rath ablehnte, worauf ihm dieser 1746 in Halle eine ordentliche Professur der Rechte mit dem Titel eines Hofraths jedoch ohne Gehalt erwirkte. Im nämlichen Jahre heirathete N. Wilhelmine Johanna Soden. Die Ehe war mit vier Kindern gesegnet, mit zwei Söhnen, welche frühzeitig starben und zwei Töchtern, welche gleichfalls vor den Eltern das Zeitliche segneten. Zur Krönung Friedrich’s V. als dänischer König schrieb N. auf Ansuchen des Candidaten Heinrich Wilhelm Lübbe eine völkerrechtliche Abhandlung: „de coronatione ejusque effectu inter gentes“ (Halae 1747. 4°. Schriftenverzeichniß Nr. 12), welche Letzterer unter des Ersteren Vorsitz vertheidigte. Gegen Ende des Jahres 1748 erhielt N. unerwartet einen Ruf nach Kopenhagen als prof. ordinarius juris naturae et juris publici Germanici mit einem Jahresgehalt von 1000 Reichsthalern. Ueber diese Auszeichnung hocherfreut, reiste der Berufene sogleich nach Berlin behufs Erwirkung seiner Entlassung aus dem preußischen Staatsdienste; das Universitätsobercuratorium schlug jedoch das Gesuch ab, verlieh ihm indeß eine Besoldung von 500 Thalern, welche 1750 erhöht wurde; 1754 erlangte er die dritte, 1763 die zweite Stelle als Professor der Rechtswissenschaft; gegen Schluß des Jahres 1765 den Charakter eines königlichen geheimen Raths. Zehn Jahre später, am 21. October 1775, trat der gefeierte Lehrer als Primarius und Praeses an die Spitze der Hallenser Juristenfacultät und führte zugleich den Titel eines Directors der Friedrichs-Hochschule, zu dem sich bald darauf der eines Seniors der Universität gesellte.

In der letzten Periode der Amsthätigkeit nach Friedrich Wilhelm’s II. Thronbesteigung (1786) erwuchsen dem greisen Gelehrten manche Verdrießlichkeiten durch Ernennung eines eigenen Universitätscanzlers, durch Unterordnung der Hochschule unter das neu errichtete Oberschulcollegium und durch die bureaukratisch-barsche Weise, in welcher Nettelblatt’s Vorstellungen gegen die theils beabsichtigten, theils durchgeführten Neuerungen zurückgewiesen wurden. N. starb an allmählicher Entkräftigung am 4. September 1791 in einem Alter von 72 Jahren und drei Monaten. Universität und Bürgerschaft, Professoren und Studenten bedauerten den Tod des gefeierten Mannes und erkannten den schweren Verlust, den die Hochschule durch dessen Ableben erfahren, da er zu ihrem Glanze so wesentlich beigetragen hatte. Am 7. September wurden die irdischen Ueberreste bestattet. Den fast unabsehbaren Zug eröffnete der Universitätsstallmeister [464] im Costume, ihm folgten die Studirenden mit Fackeln, Musik und Trauerfahne, an welche sich die Professoren aller Facultäten und Leidtragende in Trauerwagen anschlossen. Das übliche programma funebre fertigte der Senior der Rechtsfacultät, Geheimer Justizrath Westphal; bei den Verdiensten Nettelblatt’s eine dankbare Aufgabe, welche der Verfasser in pietätvoller Weise löste. Den Schluß der Trauerfeierlichkeiten bildete eine vom Professor Dr. Niemeyer gedichtete, von Director Türck in Musik gesetzte Cantate, welche am 24. September 1791 von Studirenden auf der Waag im theologischen Hörsaale ausgeführt wurde.

Als Lehrer und Schriftsteller hervorragend, zählte N. zu den ersten Juristen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Alljährlich kamen zahlreiche Jünglinge aus den verschiedensten Theilen Preußens nach Halle, um bei ihm die Rechte zu studiren. Seine Schüler zählten nach Hunderten, ja Tausenden und er legte bei einem großen Theile des preußischen Richterstandes den Grund zu tüchtiger Rechtsbildung. Als Schriftsteller hat er fördernd gewirkt, auch in der Philosophie des Rechts und dessen systematischer Behandlung Tüchtiges geleistet. Ein charakteristischer Zug bei unserm Gelehrten ist dessen inniges Verhältniß zu dem Philosophen Christian Wolf, dessen begeisterter Schüler er war, und dem er zeitlebens in dankbarster Verehrung zugethan blieb; denn Wolf übte auf Nettelblatt’s Studien, Geistesrichtung und Schriften, selbst auf dessen äußeres Leben, den nachhaltigsten Einfluß. Mit tiefer Wehmuth gedenkt N. in seiner Selbstbiographie des 9. April 1754 als des Todestages seines theuren Gönners. Hiebei bezeichnet er den Sonntag Quasimodogeniti als dies nefastus, weil er gerade an diesem Tage zum Oefteren von schwerem Unheil bedroht war.

Im edlen Wettstreite mit den andern Docenten Halle’s hielt N. in jedem Semester täglich fünf bis sechs Vorlesungen, welche nach genau entworfenem Plane das gesammte Rechtsgebiet (Civilrecht, Strafrecht, Proceß, Kirchenrecht, öffentliches Recht sammt Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte) umfaßten, und welche für die ausgedehnten Rechtskenntnisse unseres Gelehrten Zeugniß geben. Eine schon frühzeitig bemerkbare Gedächtnißschwäche zwang N., sich auf jede einzelne Vorlesung vorzubereiten, zumal ihn vor derselben eine gewisse Bangigkeit zu überkommen pflegte, welche sich selbst in späteren Jahren nicht verlor. Es befremdet daher, wenn Professor Hugo als Ohrenzeuge berichtet, N. habe einen kaum genießbaren Vortrag gehabt und auffälligen Mangel an Geschmack bekundet, wovon auch dessen schaale Kathederspäße Zeugniß gegeben hätten. Indeß wurde N. als akademischem Lehrer bis an sein Ende reicher Beifall gespendet und zeichnete sich sein Auditorium vor den anderen Halle’s merklich aus. Wie an der Hochschule, so genoß er auch im bürgerlichen Leben allgemeines Ansehen und ungetheilte Verehrung. Die Einwohner der Stadt begegneten ihm mit größter Achtung und wohl selten verließ ein Fremder von wissenschaftlichem Rufe Halle, ohne N. besucht zu haben. Kaiserin Katharina soll sein System der allgemeinen Rechtswissenschaft durch besonderen Ukas als subsidiär geltendes Gesetzbuch in einem Theile des russischen Reiches eingeführt haben. Wie bereits hervorgehoben, wirkte unser Jurist nicht bloß mit dem Worte auf dem Katheder, wir begrüßen in ihm gleichzeitig einen vielseitigen fruchtbaren Schriftsteller: Das Bücherverzeichniß erreicht die Höhe von 116 Nummern, im Hinblick auf die täglichen Vorlesungen und die Vorbereitungen hierzu, eine staunenswerthe Zahl. Die Thatsache vermag nur darin ihre Erklärung zu finden, daß N. mit großer Leichtigkeit arbeitete und jede gesellige Unterhaltung mied; denn nach eigenem Geständnisse bot ihm nur geistige Thätigkeit Erholung und Genuß. Behufs ungestörter Hingabe an seine Studien, schlug er alle akademischen Würden, die ihm wiederholt angeboten wurden, entschieden aus.

[465] Für äußeren Glanz unempfänglich, bewahrte er sein einfaches schlichtes Wesen auch in den höheren Stellungen, welche er zuletzt bekleidete; Eitelkeit, Prunksucht und Gelehrtendünkel waren ihm fremde Dinge.

Seine reichhaltige, wohlgeordnete Büchersammlung, der Gegenstand vieler Sorgfalt und Freude, überließ er freigebig Andern, namentlich jungen Studirenden: doch zog auch er bei schriftlichen Arbeiten seine Bücher eifrig zu Rathe. 1754 gründete er die „Hallischen Beiträge zu der juristischen Gelehrten-Historie“, eine periodische Fachzeitschrift, wovon 1755 der erste, 1758 der zweite, 1762 der dritte Band in Halle ausgegeben wurde. N. schrieb in dieselben eine Reihe gediegener Aufsätze, wodurch er zur Geschichte der neueren Rechtswissenschaft – namentlich zur juristischen Biographie und Bibliographie sehr geschätzte Beiträge geliefert hat. Seine beiden Hauptwerke sind aber das System der natürlichen und das der positiven allgemeinen Rechtsgelehrsamkeit. – Ersteres führt den Titel: „Systema elementare universae jurisprudentiae naturalis usui systematis jurisprudentiae positivae accommodatum“, Hal. 1749. N. überarbeitete das mit großer Hast geschriebene Werk und gab es 1757 bis 1762 in drei selbständigen Theilen heraus. Pars I. Introductio in jurisprudent. naturalem, 1757. – P. II. Jurisprudentia naturalis (stricta sic dicta), 1758. – P. III. Jurisprud. naturalis civilis, Halae 1762. – 1767 veranstaltete der Verfasser eine 3., 1777 eine 4., 1785 eine 5. vermehrte Auflage. Professor Heineccius in Liegnitz fertigte unter dem Titel: „Anfangsgründe der natürlichen Rechtsgelehrsamkeit etc.“ eine abgekürzte freie Uebersetzung mit Erläuterungen und Zusätzen (Halle 1779). Dem Systeme liegen die Principien der Wolf’schen Philosophie zu Grunde und verschaffte vorzüglich dieses Werk dem Verfasser die größte rechtsphilosophische Geltung zu Ende des vorigen Jahrhunderts. In demselben sind auch dem Völkerrechte zwei größere Abschnitte gewidmet (Jurispr. natur. Ed. V 1785. § 1403–1502), deren erster de gentibus in genere (N. 1–4) und deren zweiter de officiis gentium inter se in genere (A. 1–5. B. 1–3) handelt. Die Vorzüge der Darstellung beruhen auf großer Klarheit und guter Schematisirung. Gleichzeitig mit dem Systema jurisprud. naturalis schrieb N. auch das „Syst. elementare universae jurisprudentiae positivae Imperii Romani-Germanici communis, usui foro accommodatum“, Halae 1749, deren etwas vermehrte zweite Auflage 1762 die Presse verließ. Als Einleitung zu diesem nur die Grundlinien und Hauptpunkte enthaltenden Werke sind die „Praecognita jurisprud. posit. Germanorum communis“ zu betrachten, welche zu Halle 1773, 1780 und 1790 in gr. 8 ausgegeben wurden. Da vor N. kein Lehrbuch der allgemeinen, positiven Rechtsgelehrsamkeit bestand, so gebührt ihm das Verdienst, der Erste gewesen zu sein, welcher das allgemeine, positive Recht systematisch bearbeitete und wissenschaftlich darstellte. Vor letztgenannten Werken veröffentlichte er die „Introductio in jurisprud. positivam Germanorum communem“ (Hal. 1761. 206 S.), deren zweite, in vier Abschnitte zerfallende Ausgabe „Nova introductio jurisprud. etc.“ (Hal. 1772. 1114 Seiten) außer den propädeutischen Lehren von S. 115 an eine weitläufige Ausführung der positiven allgemeinen Rechtswissenschaft enthält. – 1781 trennte er diese beiden Lehrstücke, und trug die propädeutischen Lehren im „Systema elementare doctrinarum propaedeuticarum etc.“ (Halae 1781), die allgemeine Rechtswissenschaft im „Systema elementare jurisprud. posit. Germanorum communis“ (Halae 1781. 608 S.) vor. Demgemäß ist eigentlich dieses jüngste Buch Nettelblatt’s die erste erschöpfende, wissenschaftliche Arbeit über die allgemeine positive Rechtsgelehrsamkeit. Daneben hat sich der unermüdliche Schriftsteller auch im Staatsrechte hervorgethan; Pütter führt in seiner Litteratur des deutschen Staatsrechtes [466] (Bd. II, S. 110 u. 11) eine Reihe von Abhandlungen mit dem Bemerken auf, daß N. sich auch in den das Staatsrecht betreffenden Schriften „als einen philosophischen und gründlich denkenden Mann zeige“. – Nach Nettelblatt’s Tode erschien: „Sammlung kleiner juristischer Abhandlungen“ (Halle 1792), mit einem vollständigen Schriftenverzeichniß (S. XXXV–LIV), Dr. Westphal’s Programma in memoriam etc. Nettelblattii (S. LVII–LXIV), Niemeyer’s Trauercantate (S. LXVII–LXXII) und der ergänzten Selbstbiographie Nettelblatt’s, welche letzterer bis 1750 für Weidlich’s Nachrichten von jetztlebenden Rechtsgelehrten geschrieben hatte. – Sein Brustbild wurde von Beyel in Kupfer gestochen; sein Schattenriß schmückt das akademische Taschenbuch für 1791.

C.[WS 1] Weidlich’s Nachr. III, 406–483 (Autobiographie). – König, Lehrb. der allg. jurist. Litteratur I, 393 ff., II, 312. 748. – Hugo’s Bemerkungen über Nettelblatt’s litter. Charakter in des Ersteren civilist. Magazin II, 1–56. – Dann Meusel X, 52–61 und die dort Aufgeführten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: S.