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ADB:Musculus, Wolfgang

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Artikel „Musculus, Wolfgang“ von Emil Blösch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 95–97, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Musculus,_Wolfgang&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 11:41 Uhr UTC)
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Musculus: Wolfgang M. (Mäußlin, Müslin), wurde am 8. September 1497 in dem kleinen Städtchen Dieuze in Lothringen geboren. Sein Vater, Anton Mäußlin, war ein armer Küfer. Während der eine Sohn dem Beruf des Vaters folgte, zog der lernbegierige jüngere als fahrender Schüler in die Welt hinaus. Zunächst kam er nach Rappoltsweiler im Elsaß, wo er freundliche Aufnahme fand, dann nach Colmar und nach Schlettstadt, wo damals eine Schule von bedeutendem Rufe bestand. Hier wurde auch M. von dem Geiste des deutschen Humanismus angeregt, aber bald hernach, in seinem 15. Jahre, sah er sich bei einem zufälligen Besuche zu Lixheim in der Pfalz, um seines schönen Gesanges willen, von den dortigen Benedictinermönchen festgehalten und zum Eintritt in ihr Kloster veranlaßt. Er fand hier Gelegenheit, mit den lateinischen Classikern sich zu beschäftigen und übte sich in der Stille, seinen Lieblingsdichter Ovid nachzuahmen; daneben pflegte er Musik und Orgelspiel, wandte sich aber bald aus innerem Antrieb zum Studium der Theologie. Er begann zu predigen und wurde durch den Ernst, mit dem er diese Pflicht erfüllte, zur Bibel und von dieser weiter zu den Schriften Luther’s geführt, die damals eben Aufsehen erregten. Obwohl er unter seinen Klosterbrüdern bereits als „lutherisch“ galt, wurde er doch von ihnen 1527 zum Prior erwählt; aber gerade diese Wahl reifte in ihm den Entschluß, das Kloster zu verlassen, in welchem er nun 15 Jahre zugebracht hatte. Gleichzeitig verlobte er sich mit Margaretha Barth, einer Nichte des früheren Priors. Er begab sich nach Straßburg, wo er am 26. December 1527 seine Hochzeit feierte, seine Frau als Magd bei Pfarrer Theobald Niger unterbrachte und selbst als Weber seinen Unterhalt erwarb, bis er durch Martin Bucer’s Verwendung als Prediger in dem Dorfe Dorlitzheim eine freilich höchst bescheidene Anstellung fand. Später als Helfer des Pfarrers Matthias Zell nach Straßburg zurückgekehrt, ergänzte er durch eigene Arbeit, wie im Verkehr mit Martin Bucer und Wolfgang Capito, die Lücken seiner theologischen Bildung, indem er nachträglich das Griechische und das Hebräische erlernte. In dem nahen Dorfe Doßenheim gelang es ihm zugleich, die Bewohner zum Aufgeben der Messe und zur Einführung des reformirten Gottesdienstes zu bewegen. Im Anfang 1531 erhielt M. einen Ruf nach Augsburg an die Kirche zum heiligen Geist, an die Stelle des nach Celle übersiedelnden Urbanus Rhegius. Die Reformation gewann hier mächtig an Boden, bald wurde in einigen Kirchen die Messe eingestellt und verboten; dennoch war die Aufgabe der Prediger keine leichte; nicht nur bereiteten, wie überall, die Wiedertäufer der Organisirung eines neuen Kirchenwesens viel Verlegenheiten, auch die Spaltung der zwei Richtungen innerhalb des Protestantismus machte gerade in Augsburg sich fühlbar. Um so stärker empfand man freilich auch das Bedürfniß nach Anschluß an die Glaubensverwandten. M. selbst neigte zur Zwinglischen Auffassung der Abendmahlslehre; er warnte Bucer vor einer Einigung um jeden Preis, doch suchte auch er so viel als möglich, sich der Lehre Luther’s zu nähern und nahm auch in der Folge Theil als Abgeordneter Augsburgs an den Verhandlungen über die Wittenberger Concordie. Ueber diese, wie über die ganze Reise nach Sachsen führte er ein genaues Tagebuch. Sein Begleiter war Bonifacius Lycosthenes (Wolfhardt). Der Rath von Augsburg gab den beiden Predigern das nöthige Reisegeld mit der Weisung, möglichst Alles zu vermeiden, was die so sehr gewünschte Vereinbarung erschweren könnte. Am 28. April 1536 traten sie die Reise an, die zunächst über Ulm und Eßlingen nach Heidelberg und Frankfurt führte. Die Abgeordneten dieser Städte schlossen sich ihnen zur Weiterfahrt an. Am 13. Mai gelangten sie nach Eisenach; aber statt, wie man erwartet hatte, hier Luther zu treffen, fanden sie nur einen Brief desselben, der sie veranlaßte, die Reise fortzusetzen [96] bis nach Wittenberg. Vom 23. bis zum 29. Mai wurden nun die Conferenzen mit Luther abgehalten zur Besprechung und Verständigung über die verschiedenen streitigen oder zweifelhaften Punkte der Lehrauffassung; M. scheint sich wenig an den Verhandlungen betheiligt zu haben, da man ausschließlich den Straßburger Bucer als Wortführer der süddeutschen Theologen betrachtete. Er hat auch über das, was hier gesprochen wurde, sowohl mit Luther in den eigentlichen Sitzungen, als mit Melanchthon in vertraulicherer Weise bei den Mahlzeiten, sehr eingehende Aufzeichnungen gemacht, doch ist hier nicht der Ort, näher darauf einzutreten. Am 29. Mai schloß die merkwürdige Zusammenkunft mit der Unterzeichnung der gemeinsam festgestellten, von Melanchthon abgefaßten Erklärung. M. besuchte noch Lucas Cranach in seiner Malerwerkstätte und verließ Wittenberg mit einigen seiner Genossen nach einem vergnügten Abschiedstrunk bei Luther am 30. Mai, um am 18. Juni wieder in Augsburg einzutreffen. Ohne sonderliche Mühe gelang es M. und seinem Begleiter, der Concordie Eingang und Annahme in der Stadt zu verschaffen. Bald folgten die nicht minder wichtigen Verhandlungen zu Hagenau und zu Worms mit den katholischen Theologen auf Anordnung des Kaisers. Am letzteren Orte (November 1540 bis 18. Januar 1541) war M. einer der beiden protestantischen Secretäre und Protocollführer, und gleichermaßen nahm er wieder Theil an der eben so erfolglosen Fortsetzung dieser Gespräche zu Regensburg vom Ende April bis Juni 1541. Mit Melanchthon blieb M. in eifrigem brieflichen Verkehre und mit ihm beklagte er den Wiederausbruch des unseligen Sacramentsstreits und die wachsende Entfremdung zwischen Luther und der schweizerischen Kirche. Im J. 1544 predigte M. während einiger Monate auf den Wunsch des dortigen Rathes auch in der Stadt Donauwörth, deren Bewohner er in Kurzem – freilich nicht für immer – dem evangelischen Glauben gewann. Der wiedertäuferischen Bewegung wußte er mit eben so großer Entschiedenheit als Schonung zu begegnen, indem er alle Gewaltanwendung in Dingen der Religion grundsätzlich mißbilligte. Die Mußezeit, die ihm in Augsburg blieb, benutzte M. vorzugsweise zur Uebersetzung griechischer Kirchenschriftsteller ins Lateinische und zur Beschäftigung mit der arabischen Sprache. – Auf die Zeit der Einigungsversuche und der Concessionen von Seiten des Kaisers folgte die Zeit raschen Handelns, die gewaltsame Auflösung des Schmalkaldischen Bundes und die Aufstellung des Interims. Am 26. Juni 1548 mußte auch Augsburg sich fügen. M., der einige Wochen lang noch, doch nur nur unter militärischer Bedeckung, gepredigt hatte, sah sich schließlich gezwungen, die Stadt zu verlassen. Er begab sich nach Zürich, wo Heinrich Bullinger sich seiner annahm, dann nach Basel und weiter nach Constanz, wo er mit seiner aus Frau und acht Kindern bestehenden Familie sich wieder vereinigte. Die Schreckenstage, die im August 1548 über Constanz hereinbrachen und mit der Unterdrückung der Reichsstadt endeten, vertrieben den Flüchtling von Neuem. Bürgermeister Vadian rief ihn nach St. Gallen, und noch einmal ging er nach Zürich; einen ehrenvollen Ruf nach England, den Erzbischof Cranmer durch Vermittelung von Bernardino Occhino im December 1548 an ihn richtete, lehnte er ab, um dann einem solchen nach Bern Folge zu leisten, wo er am 9. Februar 1549 als Professor der Theologie angestellt wurde. Diese neue Stellung war anfangs eine äußerlich nur sehr bescheidene, und die heftigen Parteikämpfe zwischen der streng Zwingli’schen und der zu Luther neigenden Richtung machten sie auch nichts weniger als leicht. Die Anhänger der lutherischen Abendmahlslehre waren unmittelbar vor der Ankunft Musculus’ theils gestorben, theils vertrieben oder doch zum Schweigen gebracht worden, aber die Nachwirkungen des Streits machten sich immer noch fühlbar. M. konnte die Unterschiede nicht für so wesentlich halten, wie man sie damals [97] von beiden Seiten anzusehen pflegte. Wie er aus Friedensliebe einst zur Wittenberger Concordie mitgewirkt hatte, so wußte er auch in Bern die Conflicte zu vermeiden, und sein stilles, ernstwissenschaftlicher Arbeit obliegendes Wirken erwarb ihm allgemeine Achtung. Besonders eng befreundet war er mit Johannes Haller, dem obersten Leiter der Bernischen Kirche. Mehrfach fand M. Gelegenheit, auch in die Ferne zu wirken und bedrängten Glaubensgenossen Dienste zu leisten. Er stand in Verbindung mit den Reformirten in Polen und in Ungarn und schrieb aus Anlaß dieses Verkehres die Schrift: „Vom Aufgang des Wortes Gottes unter den Christen in Ungarn, die den Türken unterworfen sind“. Noch einmal erhielt er im August 1551 eine Einladung nach England zur Ersetzung Bucers, in Straßburg, in Neustadt an der Donau suchte man ihn zu gewinnen, und auch von Augsburg wurde er, nachdem die Lage sich etwas günstiger gestaltet, zur Rückkehr aufgefordert; er zog es vor, in Bern zu bleiben, wo seine Familie sich unterdessen eingelebt hatte. Er starb daselbst am 30. August 1563.

M. war weder ein schöpferischer Geist, noch ein dominirender Charakter, aber ein hervorragender Exeget. Gerade die schlichte Einfachheit und Selbstlosigkeit seines Wesens; machte ihn, verbunden mit gründlicher Sprachkenntniß, ganz besonders geeignet, zum Ausleger biblischer Gedanken zu werden, und mehr als gewöhnliche Arbeitskraft ließ ihn in dieser Richtung bleibend Werthvolles leisten. Außer einigen kleineren Gelegenheitsschriften hat er als Musculus Dusanus herausgegeben einen „Commentar zum Evangelium Matthäi“ (1544, Augsburg, 1557 Basel), zum Ev. Johannis (1543 und 1554), die besonders geschätzte „Erklärung der Psalmen“, (Basel 1550, 1551, 1554); die dogmatische Schrift „Loci communes“ (1554, 1560), und die Commentare zur Genesis (1554, 1557), zum Römerbrief (1555, 1558, 1562), zu Jesaias (1557), zu den Briefen an die Corinther (1559), an die Galater und die Epheser (1561). Nach seinem Tode erschienen diese Werke, ergänzt durch die noch ungedruckt gebliebene Erklärung zu den kleinrn Paulinischen Briefen, in einer Sammlung von 9 Foliobänden. Seiner Jugendneigung folgend, liebte es M., seine Gedanken in die Form lateinischer Epigramme zu fassen, eine Anzahl derselben wurde mit einigen Predigtstücken 1595 gedruckt. Seine 6 Söhne traten alle in den Dienst der Bernischen Kirche, der älteste, Abraham M., geb. 1534, † 1591, war zuerst Pfarrer in Thun, dann in Bern und wurde 1586 als oberster Decan an die Spitze der Berner Geistlichkeit gestellt. Er ist Verfasser einer werthvollen Chronik seiner Zeit, und Theodor Beza sprach von ihm als einem Sohne, der seines großen Vaters würdig sei. Die Familie hat der neuen Heimath während fast dreihundert Jahren ganze Generationen tüchtiger Prediger geschenkt.

Synopsis festivalium concionum authore W. M. Dusano. ejusdem vita, obitus, erudita carmina, numquam antehac edita. Basileae 1595. – Lud. Grote, W. M., ein biographischer Versuch, Hamburg 1855, mit Bildniß. – Th. Streuber, W. M. oder Müslin, ein Lebensbild aus der Reformationszeit im Berner Taschenbuch, Jahrgg. 1860. – Hundeshagen, die Conflicte des Zwinglianismus und Lutherthums in der Bernischen Landeskirche, in Trechsels Beiträgen zur Kirchengesch. der Schweiz, Bern 1841 u. 1842. – Herzog’s theol. Realencyclopädie (von Güder). – Itinerarium conventus Isnachii, anno 1536, W. Musculi manu. Originalhandschrift in der Berner Stadtbibliothek. – Brief-Sammlung der Stadtbibliothek in Zofingen, sowie die gedruckten Briefsammlungen aus der Reformationszeit.