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ADB:Meyer-Schauensee, Joseph Rudolf Valentin

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Artikel „Meyer-Schauensee, Joseph Rudolf Valentin“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 616–618, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meyer-Schauensee,_Joseph_Rudolf_Valentin&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 06:55 Uhr UTC)
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Meyer: Joh. Rud. Valentin M., geb. 1725 zu Luzern, † im December 1808 im Kloster Rheinau. Durch seine scharf ausgeprägte Persönlichkeit sowol als durch merkwürdigen Wechsel des Schicksals zählt dieser luzernische Staatsmann zu den bemerkenswerthesten Erscheinungen aus den Aristokratien der katholischen souveränen Schweizer-Städte im 18. Jahrhundert. Einerseits Führer einer bestimmten Gruppe innerhalb der inneren Parteiungen der erblichen Geschlechterherrschaft, und gerade dadurch andererseits das Haupt einer in der Bewachung der äußeren Beziehungen der staatlichen Autorität zur katholischen Kirche ausgesprochen oppositionellen Richtung, dabei von großer geistiger Schärfe, bedeutender litterarischer und rhetorischer Gewandtheit, war M. ganz dazu geschaffen, seinem heimischen Gemeinwesen zeitweise im Sinne einer auf Aufklärung gestützten Staatsallgewalt einen individuellen Stempel aufzudrücken. Die Anfänge seines öffentlichen Auftretens fielen allerdings in eine für den ehrgeizigen jungen Mann ungünstige Zeit; denn Meyer’s Vater, der Kornamtmann Leodegar M., leichtsinnig, verschwenderisch, hatte, nachdem 1742 ein beträchtliches Deficit in seiner Verwaltung sich herausgestellt, schimpfliche Entsetzung und Verbannung [617] über sich ergehen lassen müssen. M. kehrte aus piemontesischem Kriegsdienste trotzdem nach Luzern zurück, entschlossen, sich dessenungeachtet durch Fleiß und Beharrlichkeit eine politische Laufbahn zu eröffnen. Als Mitglied des Großen Rathes und Rathschreiber fand M. seit 1759 Gelegenheit, theils ein an die Beraubung des Staatsschatzes im Wasserthurm, 1758, neu sich anschließendes Verbrechen an Staatsgeldern aufzudecken, theils dabei an einer der seinigen feindlichen Familie aus dem Patriciate Vergeltung zu üben. Es handelte sich um die Amtsführung des Staatsseckelmeisters Schumacher, der früher zu Leodegar Meyer’s Sturze wesentlich mitgewirkt hatte, und M. vermochte es, trotz aller ihm entgegengestellter Schwierigkeiten, unehrlicher Anstrengungen, Schumacher’s Verschuldung zu verdecken, daß eine strenge Untersuchung angestellt wurde, welche endlich 1762 zur schimpflichen Verurtheilung Schumacher’s führte. Eine auf Meyer’s Antrieb bestellte beständige Oekonomiecommission sollte über der öffentlichen Verwaltung wachen, und bald kam es zur Verurtheilung auch des Oberzeugherrn Schumacher. Als Mitglied des Kleinen Rathes, seit 1763, errang nun M. eine immer zunehmende Einwirkung auf die öffentlichen Angelegenheiten, und es war eine persönliche Genugthuung für ihn, daß er für den verbannten Vater wenigstens eine Erleichterung des Urtheils alsbald erzielte. Dagegen wirft die Art und Weise, wie M. 1764 in dem gegen Placid Schumacher, den Sohn des gestürzten Staatsseckelmeisters – ein allerdings sehr anrüchiges Individuum – angestrengten, zu einer Hauptstaatsangelegenheit aufgebauschten Processe leitend vorging und dadurch des Gegners Hinrichtung herbeiführte, einen Schatten auf dessen Charakter. Doch nach diesem neuen Siege nannten nun Schmeichler den so hoch talentvollen, viel vermögenden Mann „den Göttlichen“. Allerlei Verbesserungen, Neuerungen gingen von ihm aus. Ganz besonders aber schritt M. jetzt auf dem Gebiete der kirchlichen Fragen entschieden vor. Als 1768 die anonym in Zürich gedruckte Schrift des Luzerners Felix Balthasar (vgl. Bd. II S. 32, wo statt 1763 zu lesen ist: 1768) „De Helvetiorum juribus circa sacra“ durch ihre historischen Beweisführungen Verwahrungen des Bischofs von Constanz zur Folge hatte und die Luzerner Obrigkeit sich weigerte, die Schrift zu unterdrücken, fing schon die M. feindliche Partei unter den Räthen, gestützt auf Geistlichkeit und Landvolk, sich gegen die Freidenker zu regen an, und als man vollends aus den 1769 erschienenen „Reflexionen über die Zuträglichkeit der Aufhebung oder Beschränkung der regulären Orden in der Eidgenossenschaft“ den Stil Meyer’s entnehmen zu können glaubte, wurde der Sturm laut. Die Schumacher’sche Partei, Neider aller Art, wagten sich wieder hervor, vollends als eine beißend ironische scheinbare „Widerlegung“ der „Reflexionen“, welche Reform der Klöster empfahl, noch bestimmter auf M. zurückgeführt wurde. Eine Partei der „Conföderirten“ eröffnete unter der Fahne der Religionsgefahr den Kampf gegen den geistig überlegenen, doch gerade jetzt überdies durch Kränklichkeit auf seinem Landgute festgehaltenen Gegner. Eingeschüchtert gab die eigene Partei ihren Führer preis angesichts der gänzlichen Verwandelung der öffentlichen Stimmung. M. wurde am 23. September 1769 nach Luzern hereingeholt und unter Aeußerungen des Hohns und allgemeiner Abneigung in sein Haus in Gewahrsam gebracht; in den nächsten Tagen verbrannte ein Rathsrichter vor großer Volksmenge die beiden „das Gift des Unglaubens“ verbreitenden Büchlein. Die Angelegenheit endigte am 21. Februar 1770 mit einem Verfahren, das mit Recht als eine Art Ostrakismus erklärt worden ist. Der Große Rath beschloß zur Beschwichtigung der verderblichen Aufregung eine „Pacification“; ein Freund des bedrohten Staatsmanns sollte denselben bereden, eine freiwillige Verbannung aus dem Gebiete Luzerns über sich ergehen zu lassen. Am 12. März wurde M., mit Vorbehalt der Rathsstelle und der Gefälle derselben, auf 15 Jahre verbannt. Der [618] Inhalt der schon am 25. Februar vereinbarten sogenannten „Constitutionen“, der Umstand, daß noch 1770 dem verbannten Seckelmeister Schumacher der Rückweg nach Luzern in sehr milder Weise eröffnet wurde, bewiesen, daß das Ausscheiden des zu mächtig gewordenen, gefürchteten Staatsmannes einer Verschlechterung der öffentlichen Moral gleich zu achten war. M. ging nach dem von ihm angekauften, auf dem schwäbischen Boden zunächst der Schweizer Grenze, oberhalb Stein, bei Oehningen am Rhein gelegenen Schlosse Oberstaad und kehrte wirklich erst 1785 nach Luzern zurück, wo er nun in den öffentlichen Wirkungskreis wieder eintrat. Bis zur Staatsumwälzung von 1798 blieb er einflußreiches Rathsmitglied, ohne jedoch die frühere glänzende Stellung neu zu gewinnen; auch nahm er wieder, wie früher vor seiner Verbannung, was ihm auch übel angerechnet worden, an den Versammlungen der Schinznacher Helvetischen Gesellschaft Theil. In den Verhältnissen der neugewordenen Zeit fand sich der Greis nicht mehr zurecht, soviel wenigstens aus seinem ganz unbedeutenden Büchlein „Mancherlei in Reimen oder Versen“ hervorgeht. Bei seinem Bruder, dem Abte Bernhard III. (seit 1789), weilte M. zu Rheinau und starb dort im dritten Jahre nach des Abtes Tode.

Vgl. besonders K. Pfyffer, Geschichte der Stadt und des Kantons Luzern, Bd. I S. 488 ff., sowie speciell Fel. Balthasar, Der Neunundsechziger Handel zu Luzern (in der „Helvetia“, Bd. I S. 193 ff., 1823).